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Mittwoch, 27.5. Hiddensee - Rügen - Kölpinsee auf Usedom 160 km

Früh um 8 Uhr geht das Schiff nach Schaprode auf Rügen ab. Ohne Frühstück setzen wir uns verschlafen in den Fahrgastraum. Hier kriegt man leider auch keinen Kaffee. Die Überfahrt dauert eine gute halbe Stunde. In Schaprode schauen wir uns sogleich nach etwas Eßbarem um. Kein Problem, ein wunderbarer Kiosk hält Kaffee und Kuchen in ausreichenden Mengen für uns bereit.

Schaprode
Die Tagesetappe kann lang werden, oder auch nicht - das hängt davon ab, ob es eine Überfahrtmöglichkeit von Glewitzer Ort auf Rügen nach Stahlbrode zwischen Stralsund und Greifswald gibt. Alle Fragerei, auch bei dem Personal der weißen Flotte, ist bisher ergebnislos geblieben, so müssen wir die Entscheidung über die endgültige Fahrtroute noch verschieben. Der Anfang ist aber klar, von Schaprode nach Trent, dann über Gingst und Samtens nach Garz. Dabei durchfährt man den weniger reizvollen Westteil der Insel. "Weniger reizvoll" ist nur relativ zu Stubbenkammer oder Kap Arkona zu verstehen. Die Landschaft ist landwirtschaftlich geprägt, schöne Alleen und Ortsdurchfahrten sorgen für Abwechslung. Der Wind ist heute weniger agressiv und weht mehr von der Seite.

In Garz gehe ich auf die Post, um Geld zu holen, Rainer erkundigt sich weiter nach der Glewitzer Fähre. Eine Antwort lautet: "Da weiß man sowieso nicht, was da läuft, das ist viel zu weit weg". Ein anderer Passant sagt "Die Fischer sind da alle arbeitslos, aber Bootsverkehr ist". Womöglich kann man auch irgendwo fragen, ob sich einer bereit findet, uns die paar hundert Meter zum Festland zu bringen.

Guter Dinge fahren wir also hinunter nach Maltzien und Losentitz, an der südöstlichen Spitze von Rügen. Die Gegend wird immer einsamer. "FPG" lese ich an einem Haus in Maltzien. Nach einer langen Allee blinkt vor uns das Wasser, hinten die Küste des Festlands - ein Katzensprung. Ein einziges Fischerboot liegt an der Mole, aber es ist alles verwaist, keine Menschenseele weit und breit. Im letzten Haus an der Straße sitzen aber Leute beim Kaffee, ein Mann hat eine Schiffermütze auf. Bevor wir da fragen können, kommt uns ein Ehepaar zuvor, die gerade einem Auto entsteigen. "Wir betreiben ein wenig Ahnenforschung, beim Pastor waren wir schon" geht das los. Ach du Schreck, das kann ja länger dauern. Es geht dann um irgendeine Tante, die hier mal in der Gegend gewohnt hat. Nach fünf Minuten gibt aber selbige Tante wohl nichts mehr her, und das Ehepaar verabschiedet sich wieder. Jetzt können wir unsere Frage aller Fragen loswerden. Ja, die Fischer kämen erst mittags, am besten sollten wir sie selber fragen, die wären in der FPG (Fischerei Produktions Genossenschaft) in Maltzien.

Ich weiß zwar schon, wo das Haus liegt, aber die 4 km müssen wir nun zurückfahren. Wir fassen einen Plan, was man alles machen könnte, wieviel Geld wir für eine Überfahrt, evtl. gleich bis Greifswald, bieten wollen. Die Fischer sind alles andere als arbeitslos, bis zu den Ellenbogen stecken sie zwischen Netzen und gefangenen Fischen. Wir wenden uns an den Chef und schildern die Situation. Ja, das täte ihm leid, erstmal hätten sie noch zwei Stunden zu tun und dann hätte er einen Termin, ein andermal gerne. Lange betteln mögen wir nicht, Rainer meint hinterher, wir hätten sie mit Geld ködern sollen. "Aber ein Foto darf ich machen" sage ich schließlich enttäuscht, und dann machen wir uns resignierend auf den Umweg, der uns rund vierzig zusätzliche Kilometer über Stralsund einbringt.

Die "arbeitslosen" Fischer
Entschädigt wird die Sache durch den nun ausnahmsweise von hinten wehenden Wind, weil wir in Richtung Westen fahren. Auch die Strecke über Poseritz und Gustow zum Rügendamm ist lohnend. In Poseritz erstehen wir bei einem fahrenden Händler je ein halbes Hähnchen für DM 3.99, also spottbillig. Im Schatten eines Obstbaumes verzehren wir mit triefenden Fingern die Hähnchen, die gleich nebenan stehenden Mülltonnen kommen uns dann auch noch gut zupaß.

Die Fahrt über den Rügendamm ist dann wieder ein "highlight", wenn auch gefährlich, weil einem laufend die Angelhaken der zahlreichen Petrijünger um die Ohren fliegen. Einer hat gerade einen Fisch gefangen, der sieht aus wie ein Aal, hat aber ein spitz zulaufendes Maul, das aussieht wie ein Schnabel. Es handelt sich um einen "Hornfisch", wie ein uns näher bekannter Ostseefischer später erklären wird.

Nach dem Genuß des vielbesungenen Stralsunder Panoramas vom Rügendamm aus verschluckt uns der Verkehr. Bis weit über die Stadtgrenze in Richtung Greifswald passieren wir stehende Autos. Wir befinden uns auf der E 251, der Verkehr ist entsprechend. Dann teilt sich die Straße, die alte Route mit Ortsdurchfahrten und Kopfsteinpflaster, die neue Strecke frisch ausgebaut in eleganten Schwüngen für Hochgeschwindigkeitsfanatiker. Der eingefleischte Radfahrer wählt da natürlich die Nebenstrecke, irgendwelche anderen Ausweichmöglichkeiten gibt es auf diesem Abschnitt nicht. Bis Greifswald sind es noch 30 km, der Wind frischt auf, weht von vorne links. Bis Brandshagen hoppeln wir auf dem Kopfsteinpflaster, das kostet Kraft. In Brandshagen gibt es eine Kormorankolonie, aber da steht uns der Sinn nicht danach - bloß erstmal nach Greifswald. Wir beißen in den sauren Apfel und begeben uns wieder auf die Trasse der Europastraße, da rollt es wenigstens besser. Im Verband fahrend kann man den Gegenwind auch so halbwegs parieren. Hin und wieder hupt uns einer an, wir hätten auf dieser Rasestrecke wohl nichts zu suchen. Die sollte man gleich auf's Fahrrad setzen und auf die Hoppelstrecke schicken, diese Bleifüße und Mantafahrer!

Als das Genick von der monotonen Fahrerei so richtig schön schmerzt, steht auf einmal der Greifswalder Dom quer vor einem auf der Straße. Es sieht jedenfalls so aus, denn es sind dann wohl noch 5 km, bis man in Greifswald ist. Vorher noch ein riesiges Supermarktgelände, der Parkplatz vollbesetzt, heute ist ein Tag vor Himmelfahrt. Endlich ist diese Durststrecke zu Ende, die unangenehmste der ganzen Fahrt. Auf dem Greifswalder Marktplatz ist Wochenmarkt, um die Ecke finden wir ein Cafe an einem Park: zwei Spezi bitte. Die Bedienung kommt endlich mit zwei 0.3 Liter Gläschen. Da können wir nur lachen, bitte gleich nochmal zwei! So langsam kehren die Kräfte wieder.

Jetzt zockeln wir erstmal gemächlich weiter, ein Radweg erleichtert die Weiterfahrt Richtung Wolgast. Links blinkt ab und zu der Greifswalder Bodden. Aber Augen auf, da muß noch eine Überraschung kommen. Diesmal werden wir nicht enttäuscht: da ist sie, die Klosterruine Eldena, eines der Lieblingsmotive von Caspar David Friedrich. Er hat diese Ruine, wenn es sein mußte, per Pinselstrich auch schon mal in das Riesengebirge oder sonstwohin versetzt. Fototermin!

Eldena
Ich fahre schon weiter, während Rainer noch seinen üblichen Kampf mit der etwas umständlichen Verpackung seiner Fotoausrüstung in der Lenkertasche ausficht. Dann ist lange nichts zu sehen von ihm. Später überholt mich ein Mountainbiker in einem rennmäßigen Outfit. Gleich taucht auch Rainer auf, er hat sich mit dem Mountainbiker ein Rennen geliefert. Ich bin schon froh, daß ich nicht bereits bei normalem Tempo vom Rad falle.

Die Straße, auf der wir uns befinden, führt nach dem berüchtigten Ort Lubmin. Das dort befindliche Atomkraftwerk wurde glücklicherweise wegen sicherheitstechnischer Mängel bereits vor geraumer Zeit stillgelegt. So muß man sich mal klarmachen, daß man sich hier im Fall eines "GAU" oder "SUPERGAU" im Evakuierungsbereich bewegen würde. Schade wäre es um die Landschaft, die teilweise allerdings durch die zahlreichen Hochspannungsleitungen verschandelt wird. Wir fahren nun auf einer ganz unbedeutenden Nebenstrecke durch den Ziesebruch. Die Ortschaften sind hier besonders verschlafen, auch wenn es in einer davon ein Video-Kino gibt. Manchmal wird der Weg auch so sandig, daß wieder geschoben werden muß.


Im Ziesebruch

Im Ziesebruch
Schließlich fahren wir wieder auf der Landstraße nach Wolgast. Bevor wir dann die letzten 20 km in Angriff nehmen, landen wir natürlich wieder in einem Straßencafe. Ein weiterer Radtourer trifft ein, sein Gang deutet unmißverständlich auf gewisse Leiden im Süden des Rückens hin.

Voll motiviert durch die Vorfreude auf Kölpinsee und die Überraschung, die wir Anke und Achim bereiten werden, brettern wir die Straße auf Usedom entlang. Nun ist das landschaftlich auch nicht so doll, um die Reize Usedoms zu sehen, muß man an's Wasser: Wolgaster Ort, Möwenort, Lieper Winkel oder die kilometerlangen Strände. Aber dafür reicht ein ganzer Urlaub nicht, wie wir wissen.

In Koserow wird es vertraut, da kennt man sich vom Vorjahr noch aus. Umso mehr in Kölpinsee, der Bäcker am Ortseingang, Hotel Ostsee usw. Der Bürgersteig ist frisch gepflastert. Das im vergangenen Jahr leerstehende Ferienheim ist wieder in Betrieb. Das Haus "Kölpinsee" ist frisch renoviert und bewohnt. Achims roter Fischkutter aber liegt auf Kiel, sollte die Fischerei daniederliegen? (Dem ist nicht so, man läuft zur Zeit nur mit einem anderen Boot aus.)

Am Teufelsberg biegen wir um die Ecke, sogleich werden wir durch das Fenster entdeckt, dann ist das Hallo groß. Erstmal in's Wohnzimmer und "woher" und "wohin" und "viele Grüße". Wir sitzen da ziemlich verschwitzt im neuen Polstersessel, so lassen wir uns gern erst einmal in unser Zimmer einweisen, weitere Gäste sind nicht da, da stören wir keinen. Wir bewohnen dasselbe Zimmer wie im vergangenen Jahr beim Sommerurlaub. Schnell wird noch eine Waschmaschine in Gang gesetzt, herrlich so ein Zwischen-Zu-Hause. Eine Weile klönen wir noch, dann setzen sich Rainer und ich in's Hotel Ostsee ab, um die notwendige Nahrung einzunehmen, ohne unsere Gastgeber damit allzusehr zu behelligen. Schließlich sind wir unangemeldet, da können wir unseren Hunger nicht gleich Ankes Küche zumuten, schließlich hat sie auch noch Mann und drei Söhne zu versorgen. Das Hotel Ostsee gefällt uns gut, es bedient uns Frau Wirtins Tochter.

Bei Achim steht inzwischen ein Cognac auf dem Tisch, er wird mit Obstsaft getrunken, aber es bleibt trotz des bevorstehenden Vatertages, - hier sagt man überall "Männertag" - in Maßen. Bald sind wir aus verständlichen Gründen nach diesem anstrengenden Tag recht müde.

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