Nach dem Frühstücksbuffet, leider ohne Lachs, Aal und Forelle, brechen wir zu unserer eigentlichen Radtour auf. In der Nacht hat es wohl heftig geregnet, alles dampft und glitzert. Bald nach Verlassen des Hotels mit seinen Busgästen (Italiener) finden wir einen gemütlichen Weg entlang des Flusses namens l' Ill. Ein etwas verzotteltes Radlerpärchen kommt uns entgegen und fragt uns nach einem Restaurant zum Frühstücken. Das IBIS ist sicher nicht das, was sie suchen, dafür verraten sie uns, daß es auf diesem Weg geradewegs in die Botanik ginge. Geradewegs ist das richtige Wort, denn es geht schnurgerade dahin, entlang dem Canal Rhone du Rhin. Man hat uns einen roten Teppich in Form einer neuen Asphaltdecke ausgerollt. Herrliche Platanen säumen den Kanal, der Blutweiderich sorgt für die Farbtupfer. Eine Brücke ist mit Blumenkästen geschmückt. Die Schleusenwehre sind museumsreif, eine abenteuerliche Technik aus dahinrostenden Hebeln und Zahnradgetrieben. Der Kanal ist stillgelegt, wie der Karte zu entnehmen ist. Dafür benutzen die rennradfreudigen Franzosen diesen frischen Morgen zum Tempobolzen, mit zischenden Reifen sausen sie an uns vorbei. Aber unter Radlern herrscht immer ein freundliches Klima, manches Salut, Halloh oder Moin, Moin wird gewechselt.
So könnte es immer weitergehen, aber irgendwo endet auch dieser schöne Weg an einer klapperigen Holzbrücke. Eine Mannschaft der Feuerwehr nutzt den Morgen zum Üben im Bootfahren und spielt Wasser Marsch. Die Dusche bleibt uns erspart, wir müssen uns nun den Weg zum Rhein über eine Landstraße suchen. Dann geht es durch den Auwald am Rhein weiter. Diesen bekommt man nur zu Gesicht, wenn man den Uferdamm erklimmt. Der Strom ist natürlich perfekt begradigt, genauso wie die daran entlangführende Straße. Links und rechts aber die Sumpfbiotope, Schlingpflanzen wachsen hoch in die Bäume hinauf.
Viel Abwechslung bietet das auf die Dauer nicht. Als wir bei Rhinau aus dem Auwald auftauchen, sehen wir eine abfahrtbereite Fähre vor uns. Der wartenden Autoschlange drehen wir eine Nase und sind als erste an Deck. An die Reling gelehnt genießen wir die kleine Überfahrt, nun zurück in Deutschland können wir wieder auf unseren Geldbeutel vertrauen.
Weiter geht es auf Schotterwegen durch das Naturschutzgebiet Taubergießen. Wir fragen lieber ein paar Leute nach dem Weg, Rheinhausen ist das nächste Ziel. Der Weg dorthin ist eine Perle. An manchen Stellen sind Abflüsse des Rheins angelegt, da fließt das Wasser in die ausgedehnten Feuchtgebiete. So stellt man sich eine sinnvolle Flußgestaltung vor. Höhepunkt sind ein paar Kormorane und ein brütender Haubentaucher, die sozusagen am Wegesrand zu beobachten sind.
Sonst aber geht es ruhig zu, wir genießen die üppigen Blumenkästen der Hausbalkone. Heidi sinnt neidvoll über die Kunst der Geranien- und Betunienpflege nach. In Wyhl lassen wir uns, wieder unter einem Sonnenschirm, zu einer Gulaschsuppe nieder. Ein Tagesradler bedauert uns wegen des Windes, der uns aus südlichen Richtungen etwas plagt. Er gibt uns ein paar Tips, wie wir am besten den nun anstehenden Kaiserstuhl kennenlernen könnten. Der Sonnenschirm über uns erfüllt inzwischen nicht mehr ganz seinen Zweck, denn es wird bedenklich grau am Himmel. Wir machen, daß wir weiterkommen.
Nun tauchen hohe Berge auf, auf einem steht ein Sendemast. Das wird der Schwarzwald sein, meine ich, aber ob da auch der Feldberg dabei sei, wisse ich auch nicht. Beim Näherkommen entpuppt sich das Ganze als der Kaiserstuhl, erkennbar an den Weinbergen. Ab Sasbach habe ich wieder einen markierten Radweg ausgeguckt, das ist eine Kombination aus KRW = Kaiserstuhlradweg, ORK = Oberrhein-Kaiserstuhl und BRSG = Breisgau-Weg. Da sind wir bestens aufgehoben. Durch Obstplantagen geht es auf Feldwegen dahin. Die üppig tragenden Pflaumenbäume können wir leider nicht befragen, die Früchte sind noch zu hart und zu sauer.
Bei der Durchfahrt von Endingen am Kaiserstuhl läßt sich Heidi zu dem Ausspruch herbei: "Jetzt fühlt man sich schon wie im Urlaub". Das liegt wohl an dem netten Ortsbild. Prompt fängt es an zu regnen, wir biegen auf freier Strecke in einen Parkplatz ein, wo ein Obststand mit Dachplane aufgebaut ist. Echt Kaiserstühler Produkte werden angeboten, von Obst bis Honig, auch hausgemachte Schlachtwurst. Wir erstehen eine Tüte Pflaumen, die im Gegensatz zu den kostengünstigeren Produkten am Wegesrand reif und saftig sind. Kernespuckend warten wir den Regen unter der Plane ab. Es ist festzustellen, daß die Obstverkäuferin kein Kaiserstühler Produkt ist, da sie deutlich mit osteuropäischem Akzent sich in Deutscher Sprach bemüht. Das macht die Sache richtig lustig.
Es hellt sich wieder auf, und wir finden uns in Riegel umherirrend wieder. Hier beginnt der BRSG (s.o.), den wir erstmal in die falsche Richtung interpretieren und an dessen Ursprung landen. Dann klappt es doch noch mit der Richtung, an einer Wiese mit üppigem Blutweiderich vorbei, dann den Kaiserstuhl hinter uns lassend, auf Freiburg zu. In meiner Vorausplanung hatte ich für diese Tagesetappe mehr Zeit veranschlagt, nun darf ich feststellen, daß meine Radpartnerin über eine unerwartete Kondition verfügt. Wenn man schon mit dem Wunschpartner eine Tour macht, und das dann auch noch so gut voran geht, dann überkommen einen geradezu Glücksgefühle.
Bis Freiburg wollen wir aber heute nun auch nicht mehr, ein kleines Dörfchen kurz davor, das wäre angesagt. Wir fragen ein paar Leute nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Sie empfehlen uns eine Pension in Schupfholz, das ist ein winziges Nest. Wir fahren dorthin, die Pension macht einen etwas sterilen Eindruck, außerdem rauscht die nahe Autobahn vernehmlich. Ich protestiere, das ist mir hier zu laut! Bis in das nächste Dorf sind es noch drei Kilometer, laßt uns dorthin fahren.
Also hingerollt, es gibt dort, in Vörstetten, drei Gasthöfe. Im ersten erfahren wir, daß keine Gästezimmer mehr vermietet würden. Im zweiten sind nur noch zwei Einzelzimmer frei. Heidi meint, eine Nacht getrennt nach über zwanzig Jahren wäre auch nicht so schlimm. Meine Antwort: "Jede Nacht zählt!" Also finden wir im dritten, "Gasthaus zur Sonne", das was wir suchen. Ein wirklich schönes Zimmer, ein Werbeblatt liegt auf dem Tisch. Ich zitiere (frei):
Sie sind auf dem Weg in den Süden?
Sie wollen nach Siena, Urbino, Aix en Provence oder Cassis?...
Der Abend dämmert über dem Rheintal, über Vogesen und Kaiserstuhl.
Schluß jetzt mit Staus und Kennziffern der anderen....
Gasthaus "Zur Sonne", zweihundertfünfzig Jahre gepflegte Gastfreundschaft...
Die Kirchtumuhr wird Ihnen schöne Stunden zählen...".
Wir strahlen uns an.
Da bricht es auch schon über uns herein. Der Kirchturm schaut uns direkt zum Fenster herein, und ballert nun los, mit drei würzigen Doppelschlägen wird eine Dreiviertelstunde angezeigt. 15 Minuten später, noch unter der Dusche unüberhörbar, vier Doppelschläge, dann sieben weitere Doppelschläge - wenn auch in einer anderen Tonart. Habe ich doch gerade Louis Trenker gelesen: "Glocken über den Bergen". Heidi verweist auf den Ort Schupfholz, wo das Autobahrauschen mich vertrieben hat.
Wir rächen uns sogleich, und wählen das zuvor inspizierte zweite "Landgasthaus Jahn" zum Abendessen aus. Wir bereuen es nicht, der abendliche Hunger ist das kleinste Problem beim Radfahren. Die Nacht beginnt dann ab 23 Uhr, denn da hat man dann doch die Glocken der Kirchturmuhr abgestellt.