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Samstag, Braunschweig - Offenburg - Straßburg, 35 km

Unsere beiden Wecker piepen uns mit Verlaß am herbeigesehnten Samstag um 5 Uhr aus den Betten. Um 6 Uhr fahren wir, noch mit Licht, zum Bahnhof, wo der Zug um 6.50 abfahren soll. Da er in Braunschweig eingesetzt wird, können wir in aller Ruhe die Fahrräder verladen und es uns im leeren Fahrradabteil gemütlich machen. Den Reservierungsschildchen kann man entnehmen, daß in Darmstadt 12 Radreisende zusteigen werden. Der freundliche Schaffner verliert darüber kein Wort.

Bei der Einfahrt in den Frankfurter Hauptbahnhof wird es uns dennoch etwas schwummrig. Und da naht dann auch schon das Unheil. Schaffnerwechsel, der neue Beamte studiert genauestens die Reservierungen und eröffnet uns höflich aber bestimmt, daß wir nicht weiter mitfahren könnten. Wir bleiben zum Glück zwar auch höflich, aber der Blutdruck steigt beträchtlich, ein leichtes Zittern in den Händen signalisiert einige Erregung. Erstmal bleiben wir verdattert sitzen, bis Darmstadt können wir ja wenigstens noch bleiben.

Als wenig später die Fahrkartenkontrolle stattfindet, hört sich der Schaffner schon besser an: "Na, mal sehen, wie viele in Darmstadt zusteigen". Wir atmen etwas auf. Selbstredend drücken wir uns bei der Einfahrt in Darmstadt die Nasen an der Scheibe platt. 9 vollbepackte Fahrräder können wir auf die Schnelle zählen. Da steht auch schon der Schaffner freundlich lächelnd auf dem Bahnsteig neben der Gruppe und weist sie ein. Mit Getöse werden die Räder hereingewuchtet, wir halten uns ganz unauffällig im Hintergrund.

Dann fährt der Zug an, wir jubilieren. Die zugestiegene Gruppe, lauter Ehepaare in unserem Alter, wollen auch für ein paar Tage von Donaueschingen aus den Donau-Radweg befahren. Nun erreichen wir ganz planmäßig Offenburg, steigen aus und bedanken uns nochmal mit strahlenden Augen beim Schaffner.

Nur hat Heidi plötzlich einen kleinen Klabaster, die Aufregung und das Kreuzworträtsel im schwankenden Zug waren wohl etwas zuviel. Außerdem herrscht eine brütende Hitze, wir schieben die Räder bis auf den Marktplatz und lassen uns in einem Cafe unter einem Sonnenschirm nieder. Immerhin können wir nun in Ruhe die umstehenden Gebäude studieren. Wir werden im Verlauf der weiteren Reise noch einiges zu sehen kriegen, sodaß ich mich nun nicht mehr in der Lage sehe, das genaue Aussehen des Offenburger Marktplatzes zu beschreiben.

Wir stecken die Nasen auch erstmal in die Fahrradkarte, zwei Wege führen nach Straßburg. Der eine verspricht Schatten, verläuft aber längs einer vielbefahrenen Straße. Der andere nennt sich "EURO-Radweg Molsheim Offenburg" und verläuft entlang der Kinzig. Wir entscheiden uns für die schattige Strecke. Für die beiden großen Cola zahlen wir DM 10.-, dann brechen wir auf.

Gleich um die Ecke kommen wir an die Kinzig-Brücke, da steht ein Hinweisschild auf besagten EURO-Radweg nach Straßburg. Da wir schnelle Entschlüsse lieben, disponieren wir kurzerhand um und vertrauen uns der weitgehend autofreien Strecke an. Die Hitze ist erträglich, ein leichter Ostwind sorgt für Belüftung. Nach Passieren der Kläranlagen geht es immer längs der Kinzig, die schnurgerade verläuft und einen notgedrungen über die allfälligen Jahrhunderthochwasser am Rhein nachdenken lassen. Klar, daß hier die Wassermassen aus dem Schwarzwald mit Hochgeschwindigkeit auf dem kürzesten Wege dem Rhein zugeführt werden. Natürlich hat man auch an einen Deich gedacht, damit man hier keine Probleme bekommt. An einer Baustelle dürfen wir diesen Damm dann auch unter sportlichem Einsatz hinauf und hinunterkraxeln. Dabei läuft mir eine Maus über die Füße, dadurch wird die Naturverbundenheit wieder hergestellt.

In Kehl nähern wir uns dem Rhein, nach einigem Zickzack erreichen wir die Brücke und den Grenzübergang. Wegen des Schengener Abkommens und des momentan angespannten Verhältnisses zu Frankreich wegen der geplanten Atomversuche nehmen wir uns vor, die Personalausweise NICHT zu zeigen. Da die Zöllner keinerlei Notiz von uns nehmen, gelingt das auch, kann aber auch nicht gerade als Protestdemo gewertet werden.

Heidi ist nun zum ersten Mal in Frankreich, das war mir gar nicht bewußt. Das Zentrum von Straßburg zu finden, ist einfach, denn es gibt da ein unübersehbares Wegzeichen: das Münster. Leider ist nach dem autofreien Radeln der Verkehr nun doppelt lästig. Wir überqueren einen Fluß, der heißt l' Ill, danach wird es einigermaßen verkehrsberuhigt. Mit orientalisch anmutender Musike zieht hier eine seltsame Gruppe umher. Es handelt sich um kamelartige Figuren, die wohl auf Stelzen einhergehen, obenauf sitzen kleine Gestalten und necken die Leute. Wir bringen uns in Sicherheit.

Es fällt sogleich auf, daß Straßburg von Touristen wimmelt. Wir sind froh, daß unsere Unterkunft vorbestellt ist. Auf dem Weg zum Hotel durchqueren wir schon den reizvollsten Teil der Stadt: das nennt sich Petite France, bildet eine Insel und ist mit romantischen Häusern und verwinkelten Gassen ausgestattet.


Petite France
In der Rue de Molsheim finden wir unser Hotel. IBIS, das ist wieder so eine Hotelkette und läßt jeden Hauch von Romantik vermissen. Aber wir sind froh, eine Heimstatt zu haben und richten uns in dem eher bescheidenen Zimmer ein. Vorher muß uns aber ein anderer Hotelgast beim Hantieren mit der Magnetkarte am Türschloß zur Hand gehen.

Bald brechen wir wieder auf, um Straßburg zu erkunden. Ich habe schon zu Hause 50.- DM in Franc besorgt und hoffe auf einen schwelgenden Abend. Dem ist nicht so. Ein Menue für zwei Personen in einem der zahlreichen Restaurants läßt sich davon nicht finanzieren. Kostenfrei ist dagegen das Überqueren einer steinernen überbauten Brücke mit einer "Terrasse Panoramique". Im Innern der Brücke stehen zahlreiche abgehalfterte Steinfiguren, woher und wozu wissen wir auch nicht. An einigen Stellen sind Löcher in dem Fußboden aus Sandsteinplatten, da kann man das Wasser darunter sehen. Die Tragfähigkeit der Brücke reicht aber offenbar aus, denn wir kommen heil hinüber.


Strassburger Münster
Natürlich nehmen wir uns das Münster vor, steinerne Filigranarbeit, besonders die Rosette. Im Innern herrscht ein ziemliches Gedränge von Touristen, offensichtlich sind inzwischen auch kurze Hosen kein Stein des Anstoßes mehr.

Dann irren wir noch in den verwinkelten Gäßchen umher, werden uns einig, daß wir wegen der Atomversuche sowieso nicht französisch essen wollen, und landen unter einem Sonnenschirm bei einem Türken zum Kebab. Damit ist unser Hunger gestillt und unser französisches Geld vollständig aufgebraucht. Zurück über die kostenfreie, dafür tragfähige Steinbrücke in das Hotel. Heidi knabbert noch an ihrem Klabaster und begibt sich bald in das Reich der Träume. Ich lungere noch ein wenig am Fenster herum, zu lesen habe ich leider nichts mitgenommen. Noch bevor die Nachtbeleuchtung von Straßburg einsetzt, krieche ich auch unter die Preßdecke.

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