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25.12.89 Im Ostharz

Viel Zeit ist nicht vergangen seit der Fahrt nach Wernigerode am Vortag, - nicht einmal 24 Stunden - da geht es schon wieder los. Immerhin galt es inzwischen den Heiligabend zu feiern und das Mittagessen mit Weihnachtsgans am ersten Feiertag zu verdauen. Aber das Wetter ist einmalig schön im Gegensatz zum gestrigen Tag: glasklare Sicht und keine Wolke am Himmel. Ob wir da nicht am Nachmittag noch rüberfahren - noch ist alles neu und aufgewühlt, sicher winken sich heute auch noch alle Menschen zu, das müssen die Kinder doch sehen usw.

Also sitzen wir bald im Auto und sind gegen 14 Uhr in Mattierzoll an der Grenze. Heute ist schon ganz schön was los, eine gute halbe Stunde müssen wir warten. Gleich hinter der Grenze geht es zu wie gestern, winken und lichthupen. Ganz der Erfahrene spiele ich meine Unbekümmertheit im Zuwinken aus. Auch Hessen kenne ich ja nun schon und zeige der Familie die Kuriositäten. Wir halten uns nicht lange auf und fahren über die Orte Dardesheim, Zilly, Langeln und Schmatzfeld Richtung Wernigerode. Womöglich kann ich auch da den Erfahrenen spielen und mit meinen Ortskenntnissen glänzen. Die Fahrt auf den Harz zu ist ein Erlebnis bei der klaren Sicht; auf den Brocken möchte man geradezu hinaufhüpfen, aber das ein anderes Mal.

In Wernigerode aber ist der Teufel los. Wir fahren um einen Großparkplatz herum, ohne die Zufahrt zu den Parkplätzen zu finden. Etwas konsterniert finden wir uns auf der Straße Richtung Blankenburg - auch nicht schlecht. Wernigerode läuft einem ja nicht weg. Die Burg kann man auch so sehen, weniger schön ist der Schleier von Rauch und Dunst, der den Schornsteinen entströmt und sich vor dem Rand des Harzes als eine braungraue Schicht ablagert.

Richtung Blankenburg wirkt die Landschaft abwechslungsreicher als wir sie am westlichen Harzrand gewöhnt sind. Von Blankenburg kriegen wir nicht viel mit, sondern begeben uns gleich auf die Straße Richtung Elbingerode. Die führt bald steil bergauf, vorbei an Anwesen, die man früher sicher "hochherrschaftlich" nennen konnte, die aber heute unerklärlicherweise verwahrlost sind. Wenn hier der Tourismus einfällt, müssen diese Grundstücke und Gebäude doch einen erheblichen Wert bekommen. Vielleicht läßt sich so noch einiges retten, auch wenn wir nicht wünschen wollen, daß durch den Tourismus soviel kaputt gemacht wird wie anderswo auf der Welt. Da sehen wir auch schon auf leuchtendem Weiß die Aufschrift, auf die wir als darbende Radtoutistiker immer besonders freudig reagieren: "Zimmer frei". Das klingt wie ein Befreiungsschrei der Vermieter nach den Jahren der staatlichen Maßregelungen. Auf das "Zimmer frei" kommen wir sicher - wenn auch nicht hier - nochmal zurück.

Auf kurvenreicher Straße geht es steil bergauf, bald sehen wir Blankenburg schon tief unter uns liegen. Jetzt sind wir im Ostharz, wer hätte das gedacht. Und wir fahren in dem engen Tal der Bode hinauf auf einer Straße, wie man sie heute im Westharz wohl nicht mehr antrifft, einer Straße, die sich der Landschaft anpaßt und nicht umgekehrt.

Nachdem man die Höhe gewonnen hat, öffnet sich das Tal zu einer weiten Hochfläche ähnlich der Gegend um Clausthal. Bald zeigen sich auch Brocken und Wurmberg von einer Seite, wie wir sie noch nie gesehen haben. Wir nennen das "von hinten". Vor Elbingerode passieren wir den Ort mit dem für mich magischen Namen "Rübeland". Gab es gestern Orte, deren Name uns völlig unbekannt war, so ist es hier anders herum: Rübeland mit den großen Attraktionen Herrmanns- und Baumannshöhle. Anfang der 70er Jahre habe ich schon einmal ein Werk darüber von Kloos/Neischl aus dem Jahre 1900 in den Fingern gehabt und habe die Höhlenpläne für einen Besuch irgendwann einmal kopiert. Soll das nun heute in Erfüllung gehen? Wieder heißt es: heute nicht. Zwar ist die Baumannshöhle geöffnet, aber sowas muß man auf der Zunge zergehen lassen, und dazu reicht nun am späten Nachmittag die Zeit nicht.

Auch durch Elbingerode fahren wir gleich durch, aber oberhalb Königshütte am Stausee Mandelholz meldet sich der Kaffeedurst. In dem Lokal Hohe Tannen (oder so ähnlich) genießen wir wieder eine denkbar preiswerte Kaffeebewirtung, sogar mit Kuchen. Heidi sitzt auf dem Sofa nur etwas tief und schaut gerade so über die Tischkante. Ein paar Kilometer weiter erreichen wir Elend, auch ein magischer Name. Schon als Schüler in den 50er Jahren hat uns das Hinweisschild "Elend 5 km" in Braunlage beeindruckt. Wie lang können 5 km sein? Die Antwort ist: 40 Jahre.

Hier ist ein Hinweisschild auf den Grenzübergang Braunlage, von dem wir nicht wissen, ob er inzwischen auch für Autos geöffnet ist. Wenn dort aber ein Hinweisschild steht, so wird das sicher gehen, wir können über Braunlage ausreisen und auf bekannten Straßen mit einbrechender Dunkelheit nach Hause fahren. Von Elend geht es noch einmal hinauf, dann kommt ein großer Parkplatz voll mit DDR-Autos und von da ab geht man zu Fuß weiter. Also nichts mit dem geplanten Nachhauseweg, dafür retour und es wird schon dunkel. Ab Elbingerode hinab nach Wernigerode wird die Fahrt dann auch unangenehm, Leitpfähle und Fahrbahmarkierungen hat man hier nicht. Solange man einen Vordermann hat, geht es noch ganz gut, außerdem ist diese Straße gut ausgebaut. In Wernigerode staut sich jetzt nach diesem schönen Ausflugnachmittag der Verkehr enorm. Wir sind froh, die zentrale belagerte Kreuzung überwunden zu haben und fahren nun vermeintlich Richtung Ilsenburg. Zwar bin ich erst gestern mit dem Rad hier entlanggefahren - erkenne aber nichts wieder. Auch zieht sich der Ort immer länger hin. "Cafe Diana" lesen wir im Vorbeifahren, das wäre uns doch zuvor auch schon aufgefallen? Schließlich das Ende des Ortes mit dem Hinweis: Schierke 12 km. Da sind wir ja gleich wieder da, wo wir herkommen. Komischerweise halten die Fahrzeuge, die hinter uns waren, plötzlich auch alle an. Offensichtlich habe ich Talent zum Rattenfänger.

Also auf dem Hinterreifen zurück, bis wir wieder Wenigerodes Verteiler erreichen und nun richtig nach Ilsenburg abbiegen. Doch da naht das nächste Unheil, der berüchtigte rote Lindwurm über Berg und Tal vor uns, ein Stau von wohl 10 km bis zur Grenze. Nochmal schnell reagiert, gewendet und zurück nach Wernigerode. Da war ich nun schon oft. Wieder über die große Kreuzung, irgendwie entlang an dem sonderbaren Parkplatz - dann ratlos, rechts ran und ein Blick in die Karte. Aber wie es heute so ist, jeder mag jeden, schon klopft es an die Seitenfenster, ob man uns helfen könne. Na und ob, wo geht es nach Dardesheim - Hessen, aha, um zwei Ecken und Aufatmen. Jetzt ist wenig Verkehr, bei der Dunkelheit angestrengtes Fahren, aber wohlbehalten erreichen wir die Grenze.

Als wir wieder zu Hause sind, können wir uns wieder nicht vorstellen, daß man an einem Nachmittag soviel erleben kann.


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