Yangzhou, Di. 3.11.

Nach einer Nachtfahrt und kühler Schlafruhe (es zieht vom Fenster her) erreichen wir morgens die Stadt Yangzhou. Als Stadt gilt in China nur eine Millionenmetropole, hier sind es 4.5 Millionen Einwohner. Man startet mit zwei Bussen. Unser Reiseführer heißt Willi. Er sei einmal in Deutschland gewesen, und habe den Namen von seiner Gastfamilie erhalten, weil er durchaus eine Ähnlichkeit mit dem Willi von der Biene Maja aufweise. Ein anderer Reisebegleiter ist der Bordfotograf, dessen Namen wir am besten mit "Guckemal" festlegen. Er wird Bilder und einen Videofilm aller Ereignisse zusammenstellen.

Der erste Stop ist am sog. Kaiserkanal, der auf 1800 km Länge von Peking zum Yangtse führt bzw. umgekehrt und vor mehr als 600 Jahren angelegt wurde. Hier wurde Reis, Seide, Tee und Salz transportiert, was den anliegenden Städten zu großem Wohlstand verhalf. Uns wird eine Geschichte erzählt, dass ein Kaiser auf diesem Wege auch seinen Vorrat an Konkubinen ergänzt habe. Damals hat man sich noch durch treideln fortbewegt. Heute hat der Kanal seine wirtschaftliche Bedeutung weitgehend verloren. Bei diesem ersten Photostop hat man von einer Brücke aus einen schönen Blick auf eine Pagode am Kanal.

Auf der Weiterfahrt kann man das Leben auf den Straßen verfolgen. Hier herrscht auf separaten Fahrspuren ein reger Zweiradverkehr, viele Fahrräder mit Elektroantrieb oder einfache Motorroller. Es werden mit diesen Gefährten manchmal abenteuerliche Lasten transportiert. Sturzhelme sieht man kaum, zuweilen sitzt sogar ein kleines Kind vor dem Fahrer fast auf der Lenkstange - bei uns aus Sicherheitsgründen undenkbar. Wir kommen zu dem bekannten Westsee Park, "der die chinesische Gartenkunst mit vielen kleinen Brücken wiederspiegelt". Vor einer Schautafel wird der Weg erklärt, hoffen wir, dass alle auf eigene Faust den Weg zum Bus am Ausgang des Parks finden werden. Reizvolle Ausblicke, Pavillons und eben viele Brücken. Bald schon stehen wir vor einem blühenden Busch, dessen Name keiner weiß. Schließlich kann man eine Rast einlegen und in der Sonne die Aussicht auf sich wirken lassen.

Natürlich wird eifrig fotografiert, vor allem die zahlreichen chinesischen Besucher tun sich darin hervor. Denen scheint es vor allem darum zu gehen, sich gegenseitig vor einem reizvollen Hintergrund zu fotografieren, manchmal mit Händen an der Hosennaht und todernstem Gesichtsausdruck. Da müssen wir vielleicht noch dazu lernen. Wir fahren dann zum Essen in ein ansprechendes Restaurant. Die Küche dieser Gegend bevorzuge mehr süße Speisen, und das habe den Gästen immer gut gefallen. So ist es auch bei uns, hier bekommen wir wohl die leckersten Gerichte der ganzen Reise.

Ein weiterer Fotostop am Kanal. Dort liegen am gegenseitigen Ufer zwei alte Salzkähne. Eine Frau wäscht im Kanalwasser ihre Wäsche. An der Ufermauer ist ein riesiges Bronzerelief zu bestaunen, das das ehemalige Leben am Kanal dokumentiert. Die nächste Station ist das Zen-Buddhistische Daming Kloster. Hier gab es im Jahre 753 n.Chr. einen Mönch namens Jian Zhen, dem es nach vielen Widrigkeiten gelang, nach Japan zu reisen und dort einen Teil chinesischer Kultur zu überbringen. Durch Gegenbesuche japanischer Mönche gelangten wiederum japanische Kulturelemente nach Yangzhou.

Wie uns mitgeteilt wird, ist das chinesisch-japanische Verhältnis heutzutage immer noch ein Problem, weil sich die Japaner noch nicht für die von ihnen verübten Kriegsgreuel gegenüber China in div. Auseinandersetzungen entschuldigt hätten.

Auf dem Klostergelände befindet sich auch die hohe Qin Pagode, die von einigen Unentwegten bestiegen werden kann.

Zurück an Bord erwartet uns heute der offizielle Willkommens Cocktail des Kapitäns Deng Li Yang. "Leichte Eleganz" wird als Kleidung empfohlen. Zu diesem Anlass erscheinen tatsächlich die Mehrzahl der Gäste in Schlips und Kragen, zum Glück haben auch wir ein Jackett dabei. Die Übersetzung der Kapitänsansprache erledigt Reiseführer Han. Es wird dazu Sekt - oder ist es Champagner? - gereicht und ein paar Häppchen vom Buffet angeboten. Am späteren Abend werden im Salon von etlichen Besatzungsmitgliedern "Kostüme und Trachten aus diversen Dynastien" bis hin zu moderner Kleidung präsentiert. Nicht ohne den Hinweis, dass man derlei Kleidungsstücke auch an Bord erwerben könne. Die Vorführung findet auf erfrischend natürliche Weise statt und hat nichts mit dem zu tun, was man mancherorts als Folkloreveranstaltung im Rahmen eines Animationsprogramms vorgesetzt bekommt.

Nanjing, Mi. 4.11.

Zwischendurch sei bemerkt, dass man zu jedem Tagesprogramm am Vorabend eine schriftliche Ankündigung mit Erläuterungen zu den geplanten Besuchen bekommt. Das ist vor Ort und besonders im Nachhinein sehr nützlich, damit man die vielen Ortsnamen und Besichtigungsstätten noch auf Reihe bekommt. Nun haben wir nach einer weiteren nächtlichen Flussfahrt in der Provinzhauptstadt Nanjing oder auch Nanking angelegt, Einwohnerzahl c.a. 6 Millionen. Der Name Nanjing bedeutet "Südliche Hauptstadt", und so war die Stadt zeitweise Hauptstadt von China, heute ist es Peking (Nördliche Hauptstadt).

Wir fahren zeitweise an der gut erhaltenen bzw. wieder instand gesetzten Stadtmauer entlang zum Lingu Tempel mit einer Pagode und der Wuliang Halle, einem steinernen Tonnengebäude. Dort sind historische Szenen nachgestellt, die vor allem die Gründung der Republik mit der Revolution 1911 und das Ende der kaiserlichen Dynastien behandeln. Später im Jahr 1937 hat dann in der Stadt Nanking das fürchterlichste Massaker durch die Japaner mit 300 000 Opfern stattgefunden (im Baedeker steht 70 000, bei Wikipedia 200 000). Deswegen die anhaltende Aversion gegen die Japaner!

Auf dem Weg zum Dr. Sun Yatsen Mausoleum passiert dann die Sache mit der Katze. An einem Verkaufskiosk sitzt eine jämmerlich wimmernde Katze in einem verschnürten Sack. Das ist nichts für meine liebe Ehefrau. Sogleich beschwert sie sich bei Reiseführer Willi, da müsse doch sofort etwas geschehen. Ob man die Katze womöglich verspeisen wolle? Derlei Vorurteile und Gerüchte, auch was das Verspeisen von Hunden betrifft, grassieren ja unausrottbar in den Köpfen von uns "Langnasen". "Katzen schmecken nicht" meint unser Willi. "Woher weißt du das?" fragt Heidi aufgebracht. "Dann musst du ja wohl schon welche gegessen haben!" Allmählich kann Willi, dem die Sache sichtlich peinlich ist, sie beruhigen. Man habe die Katze eingefangen und wolle sie mit nach Hause zum Mäusefangen nehmen. Lässt sich aber nicht nachprüfen. Immerhin gibt es den viel zitierten Spruch des Mao-Nachfolgers Deng Xiao Ping (der kleine Mann): "Es ist egal, ob eine Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache sie fängt Mäuse". Gemeint war damit die Öffnung des sozialistisch kommunistischen China der westlichen Welt gegenüber auf wirtschaftlichem Gebiet. Die Erfolge jener Politik haben wir ja in Shanghai gesehen. Also trösten wir uns damit, dass eine Katze doch in erster Linie zum Mäusefangen taugt.

Der Aufgang zu dem Mausoleum besteht aus einer langen Treppe mit 392 Stufen. Das schreckt einige ab, die bleiben lieber unten. Doch so schlimm ist es gar nicht, bei gemächlichem Aufstieg braucht man gerade 5 Minuten. Dort oben ist also jener Dr. Sun Yatsen, der "Vater der Republik" in einem weißen Marmor-Prachtbau beigesetzt. Es ist aber paradox, dass nach Abschaffen der kaiserlichen Herrschaft diese Stätte einer kaiserlichen Präsentation gleich kommt und zum anderen ganz in der Nähe sich das Grab des ersten Ming-Kaisers Hongwu (1328-1398) befindet.

Nach dem Mittagessen werden wir für zwei Stunden im Bummelzentrum von Nanking abgesetzt. Es gibt eine farbenfrohe belebte Einkaufsstraße am Nanjing Kanal. Die "Hallo-Läden" befinden sich in den engen Seitengassen. Heidi lässt sich auch prompt mit vermeintlich echten Perlenketten übers Ohr hauen. Aber das gehört auch dazu. Es gibt auch einen Konfuziustempel, in den wir aber nicht hinein können, weil unser letztes Geld für heute aufgebraucht ist. Endlich sind die zwei Stunden vergangen und die Mitreisenden verkünden stolz, was sie alles erworben haben.

Flusstag, Do. 5.11.

Auf der Fahrt nach Jiujiang sind wir endlich den ganzen Tag auf dem Schiff ohne Landprogramm. Das Wetter spielt mit, es ist zwar meistens dunstig, doch die Sonne wärmt und der Kälteeinbruch vom Wochenende ist vorbei. So kann man gemütlich an Deck die vorbeigleitenden Ufer betrachten, hin und wieder nach dem Fernglas greifen und links und rechts der Reling nach dem Rechten schauen. Was wir vermissen sind Wasservögel, die durch die Industrieansiedlungen und womöglich auch durch die Wasserqualität das Nachsehen haben.

Gegen Mittag erhalten wir die Möglichkeit, die Kommandobrücke zu besichtigen. Man ist doch etwas überrascht, welcher einfachen Technik man sich hier bedient. Zwar hat man Radarüberwachung, doch kann man auf einen Beobachter nicht verzichten, der mit den passierenden Schiffen per Handzeichen kommuniziert. Nachts übernimmt der Kapitän das Kommando und wir vertrauen weiterhin der Fähigkeit und Navigationskunst der Mannschaft. Bleibt einem ja auch nichts anderes übrig.

Zu diesem Thema wird von Reiseführer Willi noch eine haarsträubende Revolverstory erzählt. Vor Jahren habe mal eine bekannte deutsche Reiseagentur eines der am schlechtesten bemannten und ausgerüsteten Schiffe auf dem Yangtse gechartert. Das sei dann auch prompt auf einer Sandbank aufgelaufen und halb abgesoffen. Die Reisegäste hätten dafür eine kostenlose Probe des Yangtse-Champagners genießen dürfen. Nichts sei davon an die Öffentlichkeit gelangt, und mittlerweile habe jene Firma das zweitschlechteste Schiff engagiert. Lässt sich leider auch nicht nachprüfen!

Es werden weiterhin tagsüber einige Vorträge im Salon angeboten wie "China, Land und Leute" oder "Die Kunst der Hinterglasmalerei", "Seidenstickerei" oder "Aufzucht und Verarbeitung der Süßwasserperlen". Diese Vorträge schwänzen wir lieber, an Deck ist es viel interessanter. Es gibt zudem auch einen Raum mit einer Büchersammlung. Dort habe ich das Buch "Sonjas Rapport" von Ruth Werner alias Ursula Ruth Kuczynski gefunden. Es handelt sich um die Biographie einer Frau, die vor und während des 2. Weltkrieges in Diensten der sowjetischen Geheimdienste als Berichterstatterin tätig war. Entscheidend aber ist: die ganze Sache beginnt in Shanghai, und man erfährt manches über die Lebensumstände jener Zeit, die noch recht kolonial geprägt war. Außerdem hat jene Dame dort eng mit einem der berühmtesten Spione zusammen gearbeitet, und das war Richard Sorge. So hat man wirklich etwas fesselndes zu lesen, und als es ausgelesen ist, wird es gleich oben auf den Lesetisch gelegt, damit der nächste auch noch etwas davon hat.

Nun sind wir am Abend und die Nacht durch immer noch auf Fahrt, die ja schließlich erst nach 3200 km enden wird. So trifft es sich gut, dass heute ein "Bierabend" angesetzt ist, wo es nach zwei Bierchen ein drittes umsonst gibt. Da gibt es kein Problem.


Kapitel 3
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