Eine Reise nach China

1.11.-16.11.2009

Planung

Auf die Idee, eine Reise nach China zu unternehmen, muss man erst einmal kommen. Der Hintergrund war mein Geburtstag im April, für den Heidi auf der Suche nach einer Überraschung war. Man kann sich ja einen Ratschlag geben lassen: ein Anruf bei unserem Freund Wolfgang lässt da gar keinen Zweifel aufkommen, denn er war mit Gattin Birgit selbst schon in China und schwärmt entsprechend davon. Also ob ein neues Fahrrad oder die Chinareise – das ist sogleich entschieden.

Alles weitere fädelt unsere Freundin Ilona ein, die in einem Reisebüro in Goslar tätig ist. Schriftverkehr und Telefonate müssen allerdings über unsere Tochter Annika abgewickelt werden, damit ich nichts von allem merke. Das ist schließlich gelungen – und auch die Überraschung perfekt. Zu der Geburtstagsfeier kommen dann zudem noch einige Überraschungsgäste aus Berlin, Süddeutschland, Espelkamp, die Familienmitglieder aus England und sogar ein Gast aus Norwegen: nämlich unser Freund Terje, der die Fahrt nach Deutschland mit einigen weiteren Besuchen und Touren verbindet.

Nach dem all die Überraschungen verdaut sind, schauen wir uns die Sache einmal genauer an. Es handelt sich um die in diesem Jahr Anfang November letzte 12 tägige Flussreise des Veranstalters Phoenix auf dem Yangtse plus anschließend 4 Tagen Besichtigungen in Xian  (Terrakotta-Armee) und Peking (verbotene Stadt und Chinesische Mauer). Das hört sich auf jeden Fall vielversprechend an. Von den Buchgutscheinen zum Geburtstag wird also einer für einen China-Führer von Baedeker versemmelt. Die Visa sind noch zu besorgen, das klappt alles reibungslos. Ilona und ihr Mann Achim bringen uns die Reisepässe sogar persönlich vorbei.

Anreise Sa. 31.10.

Die Anreise sollte über Hamburg nach Frankfurt stattfinden, von wo aus dann der 10 stündige Direktflug nach Shanghai startet. Das haben wir in letzter Minute umgemodelt, weil es für uns bequemer - wenn auch teurer - ist, mit der Bahn direkt nach Frankfurt zu fahren. Gleiches gilt für die Rückreise. Nachdem uns die Kinder zum Bahnhof gebracht haben - Enkelin Pauline ist ganz traurig, dass wir so lange verreisen - sind wir nach bequemer Bahnfahrt nachmittags am Flughafen Frankfurt. Dort ziehen wir uns in einer Ecke diskret die Stützstrümpfe an, die man uns als Vorbeugung gegen Durchblutungsstörungen empfohlen hat. Der Flieger  (Boeing 747-400) startet pünktlich gegen 18 Uhr. Da es bereits dunkel ist, hat man trotz Fensterplatz nicht viel von der Aussicht. Obwohl dieses unser erster Flug in einem "Jumbo" ist, sind wir von den Platzverhältnissen doch enttäuscht. Die Sitze in der Businessclass sind deutlich bequemer, doch sind wir ja nur Economy und es ist so beengt wie in den anderen Fliegern auch. Nach Einnehmen des Bordimbiss und kurzem Schlummer ist die Überraschung groß, als man lange Zeit später sich bereits über der Wüste Gobi befindet, wo auch die Sonne mittlerweile aufgegangen ist. Man ist ja dem Sonnenaufgang entgegen geflogen und muss sich auf eine Zeitverschiebung von 7 Stunden einstellen. Was man von der Wüste erkennen kann, sind unendliche unwirtliche Sandflächen, wo wohl kein Mensch sein Auskommen finden kann. Als wir in Shanghai ankommen, ist es bereits Sonntag, 1.11. gegen 12 Uhr mittags.

Shanghai So. 1.11.

Am Flughafen Pudong muss man sich zuerst den üblichen Einreiseformalitäten unterziehen. Dazu gehört diesmal das Ausfüllen eines Formulars über die gesundheitlichen Umstände und evtl. Gebrechen des Einreisenden. Das geschieht wohl wegen der weltweit grassierenden Schweinegrippe. Das Kontrollpersonal ist dann auch folgerichtig mit Mundschutz versehen. Auch unter der normalen Bevölkerung sieht man viele Leute mit einem Mundschutz. Nach Erreichen der "Freiheit" werden wir von einem örtlichen Führer erwartet. Der nennt sich Eduard, diesen Namen habe ihm während seines Deutschstudiums sein Lehrer verpasst. Das Gepäck wird gleich verladen und zu dem Schiff MS Yangtse-Victoria verbracht, mit dem wir die Kreuzfahrt auf dem Yangtse unternehmen werden. An Bord gehen können wir für eine Weile noch nicht, weil die vorherige Gruppe gerade erst von Bord gegangen ist. Es gibt nun die Möglichkeit, mit dem hier seit 2002 eingerichteten Transrapid (Maglev) eine Hochgeschwindigkeitsfahrt zu unternehmen. Das darf man sich nicht entgehen lassen. 30 km werden in 7 Minuten zurückgelegt, die Höchstgeschwindigkeit ist 430 km/h. Da schaut man gebannt auf die Geschwindigkeitsanzeige, dass man den entscheidenden Moment für ein Foto nicht verpasst. Von der vorbeirauschenden Umgebung bekommt man so nicht viel mit. Allerdings fährt dieses Gefährt keine Gewinne ein, sondern ist in hohem Maße defizitär bei einer Auslastung von 20 Prozent, so ist zu lesen.

Der Bus, der uns zum Mittagessen bringen wird, braucht eine ganze Weile länger, bis er uns am Ende der Transrapidstrecke (Straße des Drachens) wieder aufnimmt. Während wir warten, stellen sich schon die ersten Verkäufer ein, die einem Markenuhren von Gucci oder Rolex andrehen wollen. Mit der Echtheit dieser Produkte wird es bei den Schleuderpreisen wohl nicht weit her sein. Auf der Fahrt zum Speiserestaurant darf man sich nun über die Stadtautobahnen wundern, die z.T. 8-spurig und an Knotenpunkten mit bis zu 4 Rampenebenen übereinander angelegt sind. Die Strecke führt an ausgedehnten Hochhausvierteln vorbei, die Einwohnerzahl von Shanghai beträgt knapp 14 Mio. Oftmals sind die ursprünglich existierenden Siedlungen mit verwinkelten Häuschen und Gässchen für die Neubaukomplexe der Abrissbirne zum Opfer gefallen. Die zu den höchsten Gebäuden unserer Erde zählenden Wolkenkratzer werden wir noch später besuchen.

Zunächst machen wir Bekanntschaft mit dem ersten Restaurant unserer Reise. Dort gibt es eine Anzahl Speiseräume, in denen man gruppenweise zu je etwa 8 Personen an runden Tischen platziert wird. Auf den Tischen befinden sich drehbare Glasscheiben, auf denen reihum die Speisen serviert werden. Jeder darf sich von den chinesischen Gerichten nehmen, was und wie viel er möchte, sofern für die anderen auch noch etwas übrig bleibt.

Nun fahren wir endlich zu unserem Schiff. Der Weg vom Bus dorthin ist gesäumt von rotgekleideten Mitgliedern des Schiffspersonals, die alle freundlich begrüßt sein wollen. Vor dem Schiff wird sogar Musik gemacht und eine Gruppe hübscher Mädchen in chinesischen Kostümen tanzt zur Begrüßung (das zweite Mädchen von vorn wird unser Tischmädchen sein). An Bord werden heiße Tücher und ein Tee gereicht, sowie mit dem Spruch empfangen: "Willkommen zu Hause". Nach dem Einrichten in den Kabinen und einem kurzen Nickerchen geht es zum Abendbuffet, wo die Tischrunde für die nächsten 12 Tage zusammengestellt wird. Danach ist noch eine Lichterfahrt durch das nächtliche Shanghai angesetzt, zu der wir uns nach der langen Anreise aber nicht mehr fähig fühlen. So schlummern wir bereits kurz nach 20 Uhr. Wie uns später berichtet wird, ist die Lichterfahrt ein grandioses Ereignis gewesen - aber alles kann man nicht haben.

Shanghai Mo. 2.11.

Wenn man sich schon einmal in der Stadt Shanghai befindet, muss noch ein Irrtum meinerseits aufgeklärt werden. Ich dachte immer, unter dem Wort "shanghaien" verstehe man die Seemannsstrafe des Kielholens. Dem ist nicht so, mit shanghaien meint man das gewaltsame "Anwerben" von Seeleuten, indem man volltrunkene oder hilflose Individuen in der Hafengegend einsammelte, sie unter Deck verbrachte und erst auf See über ihr Schicksal als Arbeitskraft an Bord aufklärte, praktiziert im 18. und 19. Jahrhundert. Damit unterliegen wir heute dieser Gefahr nicht mehr, wobei zu hoffen ist, dass man auch nicht als hilflose Person in der Hafengegend landet. Hilflos ist dagegen heute am Montag morgen unser Bus auf dem Weg in das Stadtzentrum, der sich in dem Verkehrsgewühl kaum noch bewegen kann. Damit ist die Ansicht wiederlegt, dass China hinsichtlich des Autoverkehrs rückständig sei. Wir werden später noch einmal auf das Thema zurück kommen (Peking).

Es muss also umdisponiert werden und wir fahren zunächst den Jadebuddhatempel an. Über die historischen Hintergründe wollen wir uns hier und in Zukunft nur knapp äußern, denn weiteres steht alles in den Reiseführern oder im Internet. Diese Tempelanlage ist noch nicht so alt und hat ihren Ursprung um 1880, als zwei Mönche zwei Jadefiguren aus Birma hierher verbrachten, um die man dann ein Kloster herum gebaut hat. Zur Zeit der Kulturrevolution waren diese Figuren in Gefahr, als Symbole des Feudalismus durch die roten Garden zerstört zu werden. Da haben die pfiffigen Mönche die Türen mit Mao Bildnissen zugeklebt, was die marodierenden Gesellen am Eindringen hinderte, denn dazu hätten sie die Mao Konterfeis zerstören müssen, was sie dann nicht gewagt haben.

Im Inneren des Klosters wird der übliche Schnickschnack getrieben, wie wir ihn auch von Wallfahrtsorten in unseren Breiten kennen:  offene Feuer, Räucherstäbchen, Wunschfahnen, Geldopfer (aus falschem Geld) und Lampions. Aber alles sehr chinesisch, auch die Besucher! Nachdem wir wieder im Bus sind, schwirrt uns schon der Kopf einigermaßen. Nächste Station ist nun die Altstadt mit dem Teehaus Hu Xin Ting. Das ist so von Menschen umlagert, dass sich kaum ein anständiges Foto schießen lässt. Das Teehaus ist nur über eine Zickzackbrücke zu erreichen, die böse Geister von dem Passieren derselben abhalten soll. Trotzdem haben hier wohl schon viele illustre Gäste ihren Tee geschlürft. Es ist dort drinnen entsprechend teuer, und deshalb bleiben wir lieber draußen und wenden uns dem Yuyuan-Garten zu.

Dieser Garten wurde vor etwa 400 Jahren angelegt und weist spektakuläre Steingebilde, Teiche, hübsche Pavillons und alte Bäume auf wie Ginkgo, Buchsbaum oder Magnolien. Auf verschlungenen Wegen ergeben sich immer wieder neue Ansichten - so ist zu lesen - und so ist es auch in Wirklichkeit.

Im Anschluss daran werden wir in eine Seidenmanufaktur abgeführt. Einige Arbeitsgänge der Seidengewinnung aus den Kokons der Seidenraupen werden demonstriert. Am wichtigsten ist natürlich der Verkaufsraum, wo man Blusen, Krawatten und Gewänder, aber auch Oberbetten - alles aus Seide - erstehen kann. Die Oberbetten werden gleich als Presspackung platzsparend eingetütet, damit man sie gut dem Handgepäck bei der Rückreise hinzufügen kann. Einige aus unserer Gruppe hat bereits hier der erste Kaufrausch gepackt.

Es folgt noch ein halbstündiger Bummel durch die Ladenstraßem, wobei man aufpassen muss, die Orientierung nicht zu verlieren und zum Bus zurück zu finden. Nachdem das überstanden ist, geht es weiter zum Wirtschafts- und Finanzzentrum Pudong, wo jene mächtigen Wolkenkratzer stehen, die architektonisch allerdings bemerkenswert gestaltet sind. Eines der höchsten Gebäude ist der Jin Mao Tower mit 420,5 m Höhe. Wir erhalten die Möglichkeit, zur Aussichtsetage im 88. Stock hinauf zu fahren. Von dort hat man dann einen einzigartigen, wenn auch dunstigen Blick auf den Häuserwald, die benachbarten Hochhäuser und die Baustellen ringsum. Im nächsten Jahr soll hier die Weltausstellung bzw. Expo am Bund (Promenade am Fluss Huangpu) stattfinden, und dafür wird natürlich kräftig gebaut. Nebenan ist ein Wolkenkratzer, der noch höher ist als der Jin Mao Tower, fertiggestellt im August 2008. Das ist das Shanghai World Financial Center und 492 m hoch. Man nennt dieses Gebäude den Flaschenöffner, weil sich an der Spitze des Gebäudes ein rechteckiges Loch befindet. Zitiert aus Wikipedia: Ursprünglich hatte der Architekt eine Kreisrunde Öffnung vorgesehen, was aber als japanisches Kolonialsymbol angesehen wurde.

Angesichts des "Waldes" von Hochhausbauten fragt man sich, wozu die alle gebraucht werden. Neben Geschäfts- und Büroräumen dienen viele natürlich auch dem Wohnen. Man kann Eigentumswohnungen erwerben oder sich einmieten, irgendwo müssen die Menschen aus den platt gemachten ehemaligen ebenerdigen Wohngebieten ja bleiben. Der Vergleich von "Bodenhaltung" und "Käfighaltung" drängt sich auf, aber hier handelt es sich ja nicht um Federvieh. Wenn man eine Immobilie als Eigentum erwirbt, so gilt das nur für 70 Jahre, außerdem gehört aller Grund und Boden in ganz China dem Staat. Unter diesen Voraussetzungen lässt es sich seitens der Regierenden wohl gut "planen".

Im Inneren der Aussichtsetage gibt es noch zwei Attraktionen. Durch eine Glasscheibe hat man einen Einblick in das höchste Hotelfoyer der Welt (Grand Hyatt Hotel), das sich vom 53. Stock bis hier oben erstreckt. Trotzdem wird man dort unten keine Sterne sehen. Nun gibt es noch einen Stand hier oben, wo lebende Zuchtaustern geöffnet und Perlen entnommen werden. Diese kann man sich sogleich zu einem Ohrclip oder Anhänger weiterverarbeiten lassen. Zum Glück muss man die Austern nicht auch noch essen. Wieder unten angelangt gibt es eine lebensgroße Figur zu bestaunen, die dort eingerahmt von rot-weißen Absperrbändern auf einem Podest steht. Das ganze ist ständig umlagert von fotografierenden Frohnaturen. Wie man erfahren kann, handelt es sich um den beliebten chinesischen Schauspieler Jackie Chan, aber bis der sich bewegt, kann man lange warten. Um diesen Ausflug in die Gigantomanie abzuschließen, kann man sich noch für das Projekt gleich nebenan interessieren. Dort ist das allerhöchste Gebäude im Bau: der Shanghai Tower mit geplanten 632 Metern Höhe. Das äußere Design weist eine leicht schraubenartige Fassade auf, so wird man gleich neben dem Flaschenöffner dann auch einen Korkenzieher haben. Irgendwie erinnert einen das alles dann doch an den Turmbau zu Babel.

Wir sind froh, als wir wieder auf unserem überschaubaren Schiff sind, das gegen 17 Uhr ablegt. Für uns Gäste kann nun der Urlaub beginnen, so heißt es.


Kapitel 2
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