JWD - 300 km Rund um Berlin
13.7.- 19.7.2008

Planung
Für Schwaben, Bayern und andere Unwissende: JWD heißt Janz Weit Draußen.

Vor Jahren erhielten wir als Reaktion auf einen Reisebericht über eine Polenreise folgende Email (Auszug):

Vielen Dank für Ihre überaus gelungene Satire eines deutschen Kleinbürgers im Ausland...
.
...Ich warte schon voller Spannung auf eine mögliche weitere Folge ihrer Reiseberichte, vielleicht diesmal über die deutsch-deutsche Integration - möglicher Arbeitstitel: "Mit der Vespa auf den Spuren Theodor Fontanes durch die Mark Brandenburg".

Wer sich  mit Theodor Fontane in diesem Sinne näher beschäftigen möchte, sollte sich die "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" zu Gemüte führen oder gar Günter Grass: "Ein weites Feld", den angeblichen Wenderoman, wo ein gewisser Fonty sein Unwesen treibt.

Nicht eine Vespa- sondern eine Radtour "Rund um Berlin" ist daher eigentlich schon lange geplant. Aber wie es in unserer schnelllebigen Zeit so ist, vergeht dann doch eine ganze Zeit, bis es so weit ist. Den Ansporn mögen auch zwei Hinweise aus den Zeitungen geben.

Da ist unter dem Stichwort Metropolenrundkurs zu lesen:

"Brandenburger Hoteliers und regionale Parks haben eine Fahrradroute rund um Berlin für ihre Gäste entwickelt: in fünf Tagesetappen umrundet man die Hauptstadt auf 250 km befestigten Feld- und Waldwegen ... des Berliner Umlands."
www.regionalpark.de
www.havellandradler.de

Wem diese Strecke zu kurz ist, der kann sich auch auf den Radfernweg Tour Brandenburg begeben, und das sind dann eben mal über 1000 km. Dafür ist der Abstand zur Großstadt Berlin natürlich größer und man hat nicht den eigentlichen Eindruck von einer "Stadtrundfahrt". Für die große Brandenburg Tour, die es seit 2007 gibt, ist auch bereits ein Bikeline Heft erschienen.

Weil wir uns aber noch jung und kregel genug fühlen, wollen wir die Fahrt um Berlin selbst in die Hand nehmen, als da sind: Ulrike und Rainer sowie wir zwei beiden Heidi und Martin. Hund Otto muss für eine Woche wieder in seiner Ferienpension im Kellerzwinger einquartiert werden.

So 13.7. Brandenburg - Falkenrehde

Da wir an einem Sonntag starten, können vier Personen mit einer einzigen Fahrkarte reisen, und das ist dann das Wochenendticket zu 37 € für Regionalbahnen. Preiswerter geht es ja nun nicht. Vier Fahrkarten für die Räder kommen natürlich noch dazu. Nach 9 Uhr geht es vom Braunschweiger Hbf los. Mangels Fahrstuhl zu den Bahnsteigen fahren wir sozusagen durch die Katakomben des Bahnhofs und dann eine schräge Rampe hinauf zu unserem Zug. In Magdeburg Buckau muss man umsteigen. In dem Zug nach Brandenburg, der sich sogar bis Eisenhüttenstadt an der Oder durchschlängelt, wird das ganze Abteil von einem energisch telefonierenden Mädchen unterhalten. Die hat alles drauf, was man von der heutigen Jugend erwartet. Daher ist es im Abteil mucksmäuschenstill, damit keiner etwas verpasst. "Ey, Alter, das glaubse nicht, inne Küche klebt der wie ne Scheißhausfliege an meim Arsch, kannse dir nich vorstelln" - usw.
Trotzdem sind wir gegen 12 Uhr in Brandenburg, wo die Tour beginnen soll.

Und das tut auch der Regen - beginnen meine ich. Deshalb verzichten wir auf einen Besuch des Brandenburger Stadtzentrums - man kann ja noch mal wiederkommen. Stattdessen muss ausgerechnet an meinem Fahrrad ein Schlauch ausgetauscht werden, weil sich ein Plattfuß ankündigt. Nachdem das unter den schadenfrohen Augen einiger herumstehender Taxifahrer erledigt ist, geht es ab in den leichten Nieselregen, zunächst auf der B1 (Aachen - Königsberg). Nach kurzer Strecke auf dem begleitenden Radweg kann man nach Gollwitz abbiegen. Sogleich erblicken wir rechterhand auf einer Wiese einen dahinstelzenden Storch. Von Gollwitz führt ein weniger komfortabler  Schotterweg zur Havel.

Und nun - oh Wunder - findet man einen frisch geteerten Weg vor, der auf dem Uferdamm entlang führt (Havel-Radroute). Von dort hat man immer wieder herrliche Blicke auf die verzweigten Wasserarme der Havel. Hin und wieder liegt in einem verschwiegenen Winkel ein Boot vor Anker, die machen Urlaub auf dem Wasser. Man nähert sich so dem Götzer Berg, 109 m, der aber auf bequeme Weise umrundet werden kann. Der Havelradweg enttäuscht einen weiterhin nicht und führt ab dem Ort Deetz durch urwaldartigen Auwald. Als der Regen langsam stärker wird, stoßen wir auf eine Gartenwirtschaft, die heißt "Havelstübchen". Man ist sich einig, dass einem hier eine Soljanka mit Blub gut tun würde. "Bestellen sie schnell, gleich kommen 30 andere Radfahrer" wird uns mitgeteilt. Doch trotzdem ist das mit der Soljanka nicht ganz so schnell gegangen, nachdem die 30 anderen begossenen Pudel eingetroffen sind. Nebenbei haben wir erfahren, dass der schöne Radweg erst vor einem halben Jahr angelegt worden ist, wovon das nette Havelstübchen profitieren mag.

Nach der willkommenen Rast hat der Regen nachgelassen und hört bald ganz auf, sodass der Fahrtwind die Klamotten schnell wieder trocknet. Man umfährt nun im Zickzack ein eingezäuntes eigenartiges Gelände, da hat man eine Müllkippe "renaturiert", Königs- und Nachtkerzen (Pioniervegetation) blühen immerhin schon auf den Hängen des Müllberges. Damit sind wir an der Fähre Schmergow angelangt. Wäre die nicht in Betrieb, hätte man hier ein Problem, aus diesem abgelegenen Winkel zu der gegenüberliegenden Stadt Ketzin zu gelangen. Nun hatten wir uns im Internet zuvor über diese Angelegenheit informiert, auch am Sonntag ist der Fährbetrieb gesichert. Für 1 € p.P. werden wir hinüber geschippert. An Ketzin ist für uns in erster Linie ein Cafe an der Havelpromenade interessant, wo eine weitere Labung stattfinden kann.

Das letzte Stück für heute geht es meistens schnurgeradeaus auf der Landstraße nach Falkenrehde. Ein Radweg ist gerade im Bau, der ist zwar schon teilweise benutzbar, aber für dessen komplette Inanspruchnahme sind wir noch zu früh gekommen. In Falkenrehde ist das erste Quartier im Gutshof Havelland per Internet vorgebucht. Also kommen wir gut unter und veranstalten alsbald eine Arbeitssitzung im Restaurant des Hauses. Das Tagesangebot ist ein Matjesgericht, da ist die Speisekarte fast überflüssig.

Wir ermitteln dann die Route für den nächsten Tag. Außerdem kann man an einem Minicomputer, den Rainer mit sich führt, per GPS und Wetter online nachvollziehen, wo man sich befindet und dass man sich den Regen am Nachmittag nicht nur eingebildet hat.

Mo 14.7. Falkenrehde - Heiligensee

Vor und nach dem Frühstück scheint die Sonne, da geht es gutgelaunt zu Werke. Wir fahren ein Stück längs durch Falkenrehde nach Süden, überqueren die Brücke über den Havelkanal und vertrauen uns in Paaren einigen Feldwegen an.

Es gilt die Autobahn Berliner Ring zu kreuzen, was im zweiten Anlauf schließlich gelingt. Nun gibt es rund um Berlin,
wie gesagt wird, tausende von Seen. Nur sehen tut man sie nicht immer, selbst wenn man nahe an ihren Ufern entlang radelt. Das liegt daran, dass die begehrten Seegrundstücke weitgehend bebaut und hermetisch abgeriegelt sind. Auch ein Wald- oder Schilfgürtel verstellt mitunter die Sicht. So entgeht auch der Fahrlander See unseren Blicken.

Es folgt ein Seengebilde, das heißt Krampnitz- Lehnitz- und Jungfernsee, ist aber eigentlich nur ein See. So kommt man also vielleicht irgendwie auf die stattliche Anzahl von tausend Seen oder mehr.

Hier findet sich an einer Waldstraße mit einigen kleinen Steigungen ein hübscher Rastplatz mit Seeblick. Rainer bemüht sich dankenswerter Weise zwischendurch um Heidis Fahrradschaltung, der unseligen Torpedo Pentasport. Das habe ich schon lange aufgegeben, obwohl es ja eher in meinen Aufgabenbereich gehört. Immerhin hatte ich Heidi ein Rad mit der Rohloff Speedhub angeboten, mehr kann man nicht tun, oder? "Ich lass mir mein Fahrrad nicht wegnehmen", was kann man da noch machen? Schließlich kommt Rainer freudestrahlend und heftig tretend angestrampelt: er hat tatsächlich die beiden Gänge mit den kleineren Übersetzungen wieder ausfindig gemacht.

Es geht weiter nach Sacrow - natürlich am (unsichtbaren) Sacrower See gelegen. Wir wollen schon durch den Ort durchrauschen, da fällt der Blick auf ein herrschaftliches Anwesen und einigen Trubel rings herum. Eine Frau ruft über den Gartenzaun: "Die machen da Dreharbeiten für Wege zum Glück!". Da kann man aber jemand flitzen sehen, und das ist Heidi, die diese Soap-Serie bzw. Telenova am Nachmittag im ZDF zuweilen zu erleiden pflegt. Das Schloss Sacrow ist im Film die Villa derer von Weyden. In einem Nebenhof stehen ein paar Akteure oder Komparsen, oder was immer die sein mögen, herum. Heidi behauptet steif und fest, Luisa, Simon, Meike und Eva erkannt zu haben. Leider ist Annabelle nicht von der Partie, aber die sitzt ja mittlerweile auch im Rollstuhl und hat ein schlechtes Gewissen. Also Eva Landmann (Karin Ugowski) kann ich auch bestätigen, die kaut gerade auf einer Semmel herum und das sieht genauso aus wie im Fernsehen.

Inzwischen wird uns bedeutet, nicht mehr zu fotografieren und nicht die ganze Zeit mit offenem Mund dazustehen. Also wendet man sich einer Schautafel zu, auf der die Restaurierungsarbeiten nach der Wende an Schloss Sacro, dem Park und den Weganlagen dokumentiert sind. Auch die so beliebten Sichtachsen sind wieder hergestellt worden. Von einer Bank nebenan erlauscht man währenddessen folgende Satzfetzen: "...also den letzten Dreh hab ich geschmissen, das war am Wochenende, man muss ja nicht alles mitmachen..." usw.

Nach so einer Episode ist man ja einigermaßen beschwingt und so geht es in diesem Sinne weiter in Richtung Kladow. Hier bildet die Havel einen großen See und man fährt in einiger Höhe dahin. Leider ergeben sich wieder nur wenige Aussichtspunkte, denn die respektablen Anwesen besetzen die Hänge am Ufer. So passiert man anscheinend die Pfaueninsel ohne sie recht zu sehen. Gut zu sehen ist dagegen das Wannseebad mit Strand und der Grunewaldturm. Mittlerweile säumen hübsche Kleingartenanlagen den Weg. In Alt Gatow stolpern wir über ein italienisches Restaurant namens Castelli Romani. Da kann man schön sitzen und sich der Spaghettis erfreuen.

Nun ist es schon früher Nachmittag, als man die Scharfe Lanke und Spandau erreicht. Besuch der Zitadelle oder nicht? Während wir noch rätseln, kommt und ein beredter Herr zu Hilfe und entscheidet, wie wir weiter zu fahren hätten. Entlang der Neuendorfer Straße komme man direkt zur Fähre nach Tegelort. Leider geben auch unsere Kartenwerke nicht mehr Möglichkeiten her. Später verfügen wir über eine Karte, nach der man die ganze Zeit auch am Wasser hätte fahren können (Eiswerder, Nordhafen, Werderstr.). So begeben wir uns diesmal leider für einige Kilometer auf besagte Straße mit lebhaftem Verkehr und entsprechendem Lärmpegel.

Man kann nur auf dem Bürgersteig oder Radweg, falls vorhanden, fahren. Als die Straße kein Ende zu nehmen scheint, ist doch der Abzweig zur Fähre erreicht. Die bringt uns nun nach Tegelort, von wo aus wir mit der Quartiersuche beginnen.

Es gibt einen hübschen Uferweg entlang der Havel. Eine Unterkunft ergibt sich dann erst in Alt Heiligensee mit dem Hotel Restaurant Danneberg am See. Dort werden wir gastfreundlich aufgenommen. Das Anwesen erstreckt sich bis an die Havel, wo sich ein Schiffsanleger befindet. Ein hübsches Plätzchen, zur Zeit ist allerdings touristisch gesehen nicht viel bzw. gar nichts los. Es wird uns aber mitgeteilt, dass an diesem Abend noch eine Schulabschlussfeier nebenan stattfinden würde. So ist es auch - aus unserer Sicht ein "Türkischer Abend", der sehr gepflegt und gesittet verläuft.

Ein Erkundungsgang offenbart, dass Alt Heiligensee, auf einer Landzunge gelegen, ein altes Angerdorf ist. Eingeschossige Häuser säumen den Dorfanger, sofern sie nicht durch modernere Bauten ersetzt sind. Wir sind lediglich auf der Suche nach einer Ansichtskarte für einen Geburtstagsglückwunsch, aber in den verfügbaren Geschäften wären sonderbarerweise eher Rasenmäher, diverse Baumaterialien, Gartenausstattung oder eine neue Küche leichter zu erstehen gewesen als eine simple Ansichtskarte. Ulrike versucht ihr Glück in die andere Richtung wo sich die Kirche befindet. Dort ist sie dann direkt in eine Hochzeitsgesellschaft hinein geraten.

Den Abend verbringen wir auf angenehmste Weise speisend im Pferdestall, das ist das zugehörige Restaurant in einem alten Gebäude. Und Heidi bekommt auch ihre Ansichtskarte samt Briefmarke - so einfach ist das! Bei einsetzender Dämmerung sind wir dann abschließend auf dem Bootssteg versammelt, es herrscht eine romantische Stimmung und einige Fledermäuse huschen am Abendhimmel herum. Facit des Tages: "Wir haben alles richtig gemacht!".


Kapitel 2:
Heiligensee - Bernau
Bernau - Buckow

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