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Etappe 4: Salzwedel - Seehausen, 1.8.98, 75 km

Lange hat es diesmal gedauert, bis die Tour auf dem Altmark-Radrundweg ihre Fortsetzung finden kann. Weder das Wetter noch zeitliche Beanspruchungen anderer Art haben diesmal mitgespielt. Aber wir haben sie nicht vergessen, die Altmark. Und so suchen wir uns gerade die letzten beiden Tage der diesjährigen Tour de France für die Tour de Altmark aus. Für uns natürlich in gemäßigtem Tempo und weniger Bergwertungen. Der Wetterbericht ist einigermaßen vielversprechend.

Diesmal fahren wir mit dem Auto nach Salzwedel, dem Endpunkt der letzten Etappe. Geplant ist, an zwei Tagen bis Stendal vorzustoßen, von wo es eine ausgezeichnete Bahnverbindung nach Salzwedel - und damit zurück zum Auto - gibt. Zunächst aber irren wir allerdings in der Autostadt Wolfsburg herum, wo wir mit dem Auto fast sogar in die Fußgängerzone eindringen. Schließlich landen wir aber doch auf einer Straße (B244) Richtung Brome. Hier noch ein kleiner Schlenker an "Thomas sein Haus" vorbei. Aber das sieht von außen immer noch, sagen wir mal entwicklungsbedürftig aus, auch wollen wir mit einem Besuch nicht so viel Zeit verlieren, so geht es gleich weiter. Nach 1 1/2 Stunden Fahrt erreichen wir Salzwedel, wo wir uns nicht verfransen, sondern alsbald die vertraute gelbe Wegmarkierung des Rundkurses entdecken.

Es erscheint uns angeraten, das Auto trotz seines betagten Alters lieber in ländlich abgeschiedener Gegend abzustellen. Die Gelegenheit dazu finden wir in dem Dorf Ritze. Die Strecke von Salzwedel bis hier ist auch nicht so attraktiv, daß man gut auf sie verzichten kann. Nach dem Ab- und Ausladen, Montieren der Gepäcktaschen ist es so weit, Durchatmen und den Blick in die Ferne gerichtet, die uns nun erwartet.

Auf schön asphaltiertem Weg geht es auch sogleich durch einen Wald bergauf, dann zwischen blühenden Wiesen auch wieder hinunter in das Dorf Chüden. Hier entdecken wir ein Brachgelände, wo die Königs- und Nachtkerzen ein gelbes Blütenmeer bilden. Gelegenheit für ein erstes Foto. Dazu ist noch etwas zu bemerken. Wir haben im Dienst eine Digitalkamera (Olympus Camedia) zum Ausleihen, derer habe ich mich für diese Tour für einen ausgiebigen Rütteltest bemächtigt. Die muß aber erst mal per Minimenue auf die richtige Auflösung usw. eingestellt werden. Das dauert ein paar Minuten. Gelegenheit für sämtliche Hunde der angrenzenden Anwesen, ihren Protest herauszubellen, Gelegenheit für die zugehörigen Anwohner, neugierig nach dem Rechten zu sehen.

Als ich endlich fertig mit der Kamera bin, stelle ich fest, daß ein Foto wohl doch nicht lohnt und mache mich unter Anteilnahme aller Beteiligten wieder auf die Socken. Heidi hat inzwischen um die Ecke gewartet und berichtet von einem Pferdefuhrwerk, wo die Pferde von Zecken (Holzbock) übersäht seien. Mit den Zecken hatten wir kürzlich beim Pilzesuchen auch schon zu tun. So überholen wir zügig dieses Fuhrwerk, während das Hundegebell hinter uns verebbt.

In Riebau gibt es nun Gelegenheit, das erste Foto von der dortigen Feldsteinkirche zu schießen. Leider sind alle Türen verrammelt, so daß wir das Innere und die spätgotische Wandmalerei, wie es heißt, nicht bewundern können. Es folgt ein Stück Weges, wie es typisch für viele Passagen des Altmark-Rundkurses ist. Man hat die Tour über unbefestigte Feldwege geführt, die so mit dem Fahrrad kaum befahrbar sind. Listigerweise hat man aber daneben einen schmalen gut befestigten Streifen angelegt, abgetrennt durch eine Pfostenreihe, damit die mahlenden Räder und Walzen der landwirtschaftlichen Maschinen dort kein Unheil anrichten können. Hier hat allerdings der gemeine Rainfarn, der gerade üppig blüht, fast schon Besitz von dieser Schmalspurtrasse ergriffen, so daß man einiges an Blütenstaub an Kleidung und Gepäcktaschen hinweg trägt. Das tut man aber gern, wenn wenig später ein ordnungsliebender Verantwortlicher den Rainfarn umgemäht hat und nun die vergammelnden Pflanzen vor sich hinrotten. Blühend ist er schöner.

Schön sind auch die blühenden Wiesen, in die man hinein stapfen muß, um ein Bild von einer besonders schönen Stelle zu erhaschen. Vor dem Ort Mechau überrascht uns ein Industriebetrieb, neu erbaut auf der grünen Wiese, wie man so sagt. Der Betrieb heißt Gefinex Jackon, aber es ist nicht herauszufinden, was dort produziert wird. Da muß ich mal demnächst das Internet befragen. (Die Recherche hat ergeben: man fertigt "extrudierte Schaumstoffe".)

Nach Mechau hinein geht es entlang eines blühenden Wegrandes und dann - wohl in Kaulitz - ist wieder eine Feldsteinkirche. Unter einem zusammengefallenen Schuppen entdecke ich eine alte Kreissäge, die fast schon ein Denkmal ist. Bares Geld auf dem Floh- oder Antiquitätenmarkt.

Von Schrampe aus erreichen wir nun, weniger schön auf der Landstraße, den Luftkurort Arendsee. Unten am See gäbe es den schöneren Weg, aber von dem wissen wir nichts, und er ist auch nicht ausgeschildert. Wir stellen das erst fest, als wir auf Umwegen an den See geraten, wo der Wanderweg von Schrampe aus heraus kommt. Dort ist natürlich eine Rast angesagt. Nur das Foto gerät eher zu einem Scherenschnitt, doch erkennt man im Hintergrund ein kleines weißes Schiff. Irgendwas hatte es doch mit einer derartigen Kuriosität auf sich, meine ich gelesen zu haben. Aber nichts genaues weiß man (noch) nicht.

Da wir mit Eierpellen und den Käsebroten die Rast gründlich ausdehnen, hat das Schiff Gelegenheit sich soweit zu nähern, daß es uns den Gefallen tun kann, in Ufernähe vorbei zu rauschen. Es handelt sich um den Raddampfer Queen Arendsee, den muß man gesehen haben. Wir sind ganz aus dem Häuschen. Später lesen wir, daß man sich auf dem Dampfer auch trauen lassen kann. Das haben wir allerdings seit längerem schon hinter uns. Der anschließende Geschwindigkeitsvergleich ergibt: wir sind schneller als die Queen, dafür lassen wir aber auch die Klosterruine Arendsee rechts liegen.

Am Ortsausgang des Ortes Arendsee wird es touristisch. Lokale, ein Campingplatz und ein Erlebnisbad. Das Erlebnis scheint durch eine aufgeblasene Gummigiraffe, die ihren Hals bis in die Kiefernwipfel streckt, vermittelt zu werden. Lieber ab in die Wälder, leider nur auf der Landstraße, die etwas hoppelig ist. In Ziendorf gilt es eine Gewissensentscheidung zu treffen. Man kann dem Radweg auf einem Haken durch die Wälder folgen, oder geradeaus weiterfahren, wo man sich nach zwei km wieder trifft. Wir entscheiden uns ausnahmsweise für das letztere.

Die Entscheidung ist richtig! Bin ich doch vor genau 8 Jahren auf dieser Strecke schon einmal entlang gefahren (Schnacks bei Schnackenburg) und habe derzeit eine verfallende Bockwindmühle fotografiert. Und siehe da, es gibt sie noch, immer noch verfallend. Die damals frisch angepflanzten Kiefernschonung ist mittlerweile übermannshoch aufgeschossen. So vergeht die Zeit.

In Gollensdorf machen wir wieder eine Rast und sehen den ersten Storch in einem Garten. Merkwürdigerweise bewegt sich der aber gar nicht. Sogar wir merken: es ist nur eine Attrappe. Besser ergeht es uns in Bömenzien. Eine Idylle mit Wäscheleine, die schmucke Backsteinkirche, und dann eine Storchenfamilie auf einer Wiese. Und diese sind quicklebendig, obwohl sie beim Auffliegen so ihre Schwierigkeiten haben. Es sind offensichtlich Jungstörche, die für ihren Flug nach Afrika noch ordentlich üben müssen. Aus der Ferne hören wir das Klappern, das sind entweder die Eltern, oder ein Sprössling, der es bis ins Nest geschafft hat.

Bis Aulosen geht es auf frisch geteerter Straße mit Rückenwind auf einer Lindenallee dahin. Dann aber enthält man dem Radwanderer die Eindrücke des angrenzenden NSG Elbeauen nicht vor, sondern führt ihn über Deiche, eine eigens errichtete Holzbrücke und abgeschiedene Wege. Dennoch kriegen wir mit, daß in Aulosen ein Feuerwehrfest stattfindet. Da steht ein rotes Feuerwehrauto, ein Trabant aus alten Zeiten. Leider mache ich kein Foto, weil wir gerade in voller Fahrt sind. Das nächst Foto ist wieder eine schmucke Kirche, ob in Wanzer oder Pollitz, weiß ich nicht mehr. Und ein Augenschmaus von einem Eldorado aus Blutweiderich - egal, wo das nun war. Ebenso egal, wo uns die üppigen Brombeerranken erfreut haben, die aus einer Gartenhecke heraus wuchern. Nachdem wir uns mehrmals umguckend wohl jeder ein Pfund der köstlichen Beeren beidhändig hinein gestopft haben, geht es erfrischt weiter.

Es folgt ein Ort, da fährt man fast gegen die Laternen- oder andere Pfosten, weil man den Kopf nur noch in den Nacken legt. Da burrt und klappert es nur so herum, Störche so zahlreich, wie anderswo die Schwalben. Und plötzlich stehen wir auf dem Elbdeich, zwei Lastkähne gleiten gerade vorbei. Wir geraten mit einer Dame ins Gespräch, die sich aufseufzend auf einer Bank niederläßt, um sich zu entspannen, wozu dieser Ort geradezu einlädt. Wissensdurstig, wie wir sind, bringen wir einiges in Erfahrung. Der Ort heißt Wahrenberg, aber das hatten wir schon vermutet. Es gibt 22 Storchennester und an die 40 Jungtiere. Das habe sich aber erst in den letzten Jahren so entwickelt. Die Dame schimpft aber auch auf die Naturschützer, die würden alles verbieten. Da würden schöne Wege gesperrt und die Elbauen dürfte man nicht einmal mehr betreten. Vielleicht hat sie Recht, früher habe die Natur im Einklang mit den Menschen ja auch funktioniert. Wir lassen uns lieber nicht auf eine weitergehende Diskussion ein. Wir lassen uns eher von einem Besuch der Stadt Wittenberge abraten, wohin man allerdings auch nur auf der stark befahrenen Bundesstraße (B189) gelangen würde.

Es fällt uns nicht schwer, uns weiter der alles umgebenden Natur anzuvertrauen. Viele knorrige Kopfweiden, die mitten in den Wiesen stehen. Ein Baum, der streckt seine abgestorbenen Äste gen Himmel, schon mal gestorben aber wieder auferstanden.

In Beuster wieder eine Sehenswürdigkeit: eine spätromanische Pfeilerbasilika (so was schreibe ich natürlich aus dem Begleitführer ab). Der Weg führt schnurgerade dahin längs eines Grabens, der sich Große Wasserung nennt. Schließlich fahren wir in praller Sonne auf einer Landstraße und erreichen nun den vielversprechenden Ort Seehausen durch ein malerisches Stadttor (Beuster Tor). Nachdem wir einmal durch den Ort geschoben sind, lassen wir uns vor einem Lokal nieder, wo uns ein Spezi weniger gut schmeckt. Nach nunmehr 75 km Tagesleistung beschließen wir, uns hier eine Übernachtungsmöglichkeit zu suchen.

Da muß man nicht lange suchen, in der Bahnstraße gibt es das Hotel Zum Altmärker, das ist mit einem Schild versehen, worauf steht: "Radlerfreundlich". Und da sind wir ja richtig. Nach dem Duschen erfolgt der typische Rundgang eines Radreisenden: ein Auge auf die Sehenswürdigkeiten und malerischen Winkel, das andere auf die aushängenden Speisekarten der einschlägigen Lokale. Nachdem wir die Pfarrkirche St. Peter und Paul wieder nur von außen besichtigen können, finden wir uns alsbald im Ratskeller oder auch ehemaligem Gewandhaus ein.

Trotz einiger zurückliegenden Zahnarzttermine, die mich nicht gerade zum Kannibalen machen, gelingt es mir, den hoch aufgehäuften Teller (Hühnerfrikassee) vollständig zu leeren. Heidi (Hamburger Steak) hat weniger Erfolg und entschuldigt sich bei der Bedienung. "Es gibt welche die schaffen das" ist die Antwort. Unsere Bierchen (Hasseröder) machen natürlich weniger Probleme - und nun geht es uns wieder bestens.

Auf dem Rückweg entdecke ich noch eine Idylle mit einem alten Fahrrad vor marodem Gemäuer und mache ein Foto. Ein vorbei schlenderndes Ehepaar guckt neugierig und zieht dann achselzuckend weiter, das können sie wohl nicht verstehen, was da zu fotografieren ist.


Etappe 5
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