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Etappe 5: Seehausen - Stendal, 2.8.98, 80 km

So geht es einem ja öfter: freut man sich auf den neuen Tag, hört man es, noch im Bett, draußen vernehmlich rauschen. Der Wetterbericht hat doch nicht Wort gehalten und es regnet, besser prasselt in Strömen. Nach dem Frühstück hat es sich aber abgeregnet und wir können starten, allerdings nicht gerade sommerlich gekleidet.

Bis zum nächsten größeren Ort Osterburg geht es fast nur durch die Wälder, das zieht sich, und wir sind froh, daß wir das nicht noch gestern abend in Angriff genommen haben. Der Regen hat der Wegqualität nicht allzu viel geschadet, dafür die Luft rein gewaschen. Und doch empfängt uns Osterburg mit etlichen Regentropfen, aber es wird nicht dramatisch. Wir nähern uns sogleich der Pfarrkirche St. Nikolai, die heute am Sonntag für den Gottesdienst geöffnet ist. Haben wir am gestrigen Tag nicht eine einzige Kirche von innen gesehen, so werden wir hier von der Frau Pastorin im Talar persönlich per Handschlag empfangen. Wir entschuldigen uns sogleich, daß wir nicht zum Gottesdienst, sondern nur zur Besichtigung da seien. Für eine Führung habe sie nun aber keine Ruhe, teilt sie uns mit, denn es sind bereits drei oder vier ältere Damen zum gleich beginnenden Gottesdienst herbei geströmt. Wir bekommen ein Informationspapier in die Hand gedrückt, wo die Merkwürdigkeiten dieser Kirche aufgezählt sind.

Um den gleich beginnenden Gottesdienst nicht noch weiter aus dem Gleichgewicht zu bringen, machen wir uns nach einigen betont ehrfürchtigen Staungebärden an die Weiterfahrt. Das geht nun irgendwie hinterm Bahnhof weiter, allerdings auf einer wunderschönen schmalen Allee. Wir rätseln, wozu die einmal angelegt sein mag, ein Gefährt kann sich hier nicht bewegen, höchstens ein Reiter, oder - wie heute, der dankbare Radfahrer.

In Düsedau könnte man wieder einen Schlenker des Radweges per Landstraße abfangen. Das machen wir diesmal nicht, sonst hätten wir das Schloßhotel Calberwisch verpaßt, wo uns die Speisekarte mit durchaus zivilen Preisen überrascht. Leider können wir uns das um diese Tageszeit nicht zunutze machen. Stattdessen kann man über eine Friedhofsmauer wieder mal eine hübsche Kirche bewundern. Nach einer Fahrt über weite Felder, wo zum Glück ein Hundehalter seinen zähnefletschenden Hund rechtzeitig an die Leine nimmt, erreichen wir Walsleben, einen der ältesten Orte der Gegend. Trotzdem entdecken wir hier nicht allzuviel sehenswertes, sondern holen uns auf einer Friedhofsbank einen nassen Hintern.

Nun konzentrieren wir uns auf die Mogelstrecke, denn wir können unmöglich dem weiteren Verlauf des Radweges folgen, der in weiten Schlingen über Havelberg jenseits der Elbe über Jericho und Genthien führt. Dazu braucht man genau einen weiteren Tag, den wir heute leider nicht zur Verfügung haben. Da der Wind genau von Norden weht, kommen wir flott voran (in südliche Richtung). In Hindenburg hat das berühmte Adelsgeschlecht seinen Ursprung, dessen bekanntester Vertreter seine Meriten in der Schlacht von Tannenberg erwarb, die natürlich ganz woanders als hier stattfand. Trotzdem ist ein trutziges Steintor mit einem aufragenden Schwert dem Gedenken dahingegangener Helden gewidmet. Und die Kirche?: natürlich wieder in Feldstein gehalten. Man kann nachlesen: In der Altmark gibt es an die 200 romanische Dorfkirchen in Feld- oder Ziegelstein. Eine Herausforderung an Fotosammler (ein Kollege sammelt Fotos von Kriegerdenkmälern).

In Hohenberg-Krusenack verlassen wir den Radweg und fahren auf der Landstraße nach Arneburg. Das ist ein niedliches Städtchen mit kleinen Gäßchen und geduckten Häuserzeilen. Es liegt hoch oben auf dem Steilufer der Elbe, besitzt daher auch einen Burgberg, von dem aus es sich trefflich verteidigen ließ. Wir treffen ein weiteres Radlerpaar, das erste überhaupt. Es sei ein Gedanke daran verwandt, warum nun mitten in der Ferienzeit, zudem an einem Wochenende, man gar keine Gleichgesinnten antrifft. Ist der Altmark-Rundwanderweg noch zu unbekannt? Nur daran kann es liegen, denn an landschaftlichen und baulichen Schönheiten ist er reich gesegnet Handeln wir ihn also zunächst noch als Geheimtip, und zwar einen von der besten Sorte. Mögen sich die Massen weiter auf Donau- oder Weserradweg ein Stelldichein geben.

Soviel nebenbei. Wir finden einen Aussichtspunkt auf die Elbe über einem Blumengarten, während das radelnde Paar sich an den Aufstieg zum Burgberg macht. Davon nehmen wir Abstand und radeln weiter gen Süden, vorbei an einem riesigen Sonnenblumenfeld. Leider läßt uns die Sonne im Stich, so gerät das Foto etwas düster. Es folgt der Ort Hämerten, dessen Charakteristikum wiederum - man darf raten - die Feldsteinkirche ist. Sie zeichnet sich diesmal durch einen achteckigen Turm aus.

Der Rest - auch wieder ein Zweig des Rundweges - ist langweilig, obwohl man die Türme von Tangermünde schon vor sich sieht. Daselbst angekommen, darf man sich aber die Augen reiben. Es ist unmöglich, dieses Städtchen seiner Schönheit und baulichen Attraktionen zu würdigen, wenn man nur auf der Durchfahrt ist. Ein bißchen schaffen wir aber, Stadttore und Rathaus, die geschlossenen Fachwerkfassaden, eine besinnliche Rast auf dem Deich des Flüßchens Tanger, von wo man eine herrliche Aussicht auf die Stadtkulisse hat. Alles überragend die Türme der Pfarrkirche St. Stephan. Für die literarisch Beflissenen muß noch erwähnt werden, daß hier in Tangermünde die Erzählung Grete Minde von Theodor Fontane ihren Schauplatz hat. Es geht um das Jahr 1617, als die Stadt einer Feuersbrunst zum Opfer fiel, deren Schuld man besagter Grete Minde zuschanzte. Diese historische Begebenheit ist auch verfilmt worden, und zwar noch zu DDR-Zeiten, weshalb man für die Außenaufnahmen das uns wohlbekannte Städtchen Hornburg am Harz erwählt hat. Mit Sicherheit hätte Tangermünde eine nicht nur der historischen Wahrheit entsprechende sondern auch noch trefflichere Kulisse abgegeben.

Zurück zu unserer Bank auf dem Deich der Tanger. Wir genießen nicht nur die Stadtkulisse und die vom Frühstück stibitzten Käsebrote, sondern beobachten auch eine Storchenfamilie in den Wiesen. Die sind wohl wiederum noch mit Flugübungen befaßt und sind so schlau, daß sie sich die Erhöhung des Deiches für ihren Flugstart zunutze machen. Dann heben sie ab und schwingen sich über die Hausgiebel hinauf zu ihrem Nest, das sich kurioserweise auf der höchsten Zinne des Rathauses befindet. Ein vernehmliches Klappern kündet von ihrem Erfolg.

Für die heutige Reststrecke bis Stendal haben wir unsererseits auch nicht so gute Karten, erwartet uns doch ein ziemlicher Gegenwind. Als wir Tangermünde verlassen, vernehmen wir das Tuten eines Schienenbusses, das wäre vielleicht der bequemere Weg gewesen. Aber es geht besser als erwartet. Um die Bundesstraße zu vermeiden, fahren wir die etwas weitere Nebenstrecke über Heeren. Noch vor 15 Uhr erreichen wir Stendal, wo wir uns gleich zum Bahnhof begeben, um uns der Rückfahrt sicher zu sein. Wie es dann so ist, fährt der nächste Zug in 15 Minuten. So muß uns die Stadt Stendal verzeihen, daß wir ihr wieder keine Besichtigung zuteil kommen lassen.

Mit der Deutschen Bahn und dem Fahrradtransport haben wir ja schon einiges erlebt. So etwas wie heute aber noch nicht. Erstens ist im Bundesland Sachsen-Anhalt der Fahrradtransport auf allen Regionalbahnen kostenfrei. Zweitens nimmt uns ein Zug mit feuerroten nagelneuen Doppelstockwagen auf, in denen sich geräumige Fahrradabteile befinden. Drittens hilft uns der Schaffner nicht nur beim Einladen, sondern erklärt uns auch den Weg zu unserem Auto, wenn wir eine Station vor Salzwedel aussteigen. Und viertens bietet er uns das angrenzende Abteil der ersten Klasse an, das sei extra frei gehalten. Also diesmal: viele viele Dankeschöns.

Damit ist diese wunderschöne Altmarkrunde beendet und zur Nachahmung empfohlen. Wenn uns der Hafer sticht, nehmen wir uns noch den Rest jenseits der Elbe vor, vielleicht läßt es sich aber auch mit der bevorstehenden Tour entlang der Spree kombinieren.


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