Land's End to John
O' Groats 12.6.-27.6.1999
Eine Radreise durch
England, Wales und Schottland
Kapitel 1: Anreise
Bevor hier irgend etwas
über die Tour berichtet wird, sollen ein paar Zeilen stehen, die
während langer Anstiege oder anläßlich anderer geistiger
Hochstimmung sich im Kopf zusammengebraut haben, natürlich in
Englisch, wie es sich gehört:
Thanks to the God of health,
thanks to the Gods of the weather and the wind,
thankyou to my wife who patiently stayed at home,
thanks to my bike except the last two days,
and thankyou to the bird who shit on my head at the very last day
before I went out.
So!
Planung
Wie kommt man, dazu, sich so einer Tortur zu
unterziehen? Oder ist es keine? Im Internet sind mehrere Berichte über
die "End-to-End-Tour" in England zu finden, die einen wenigstens
neugierig machen können. Ich selbst war mal im Jahre 1968 (mit
Roland) auf Tramptour
in England und Schottland, bin also weit davon entfernt das Land zu
kennen. Andererseits beherrscht man einigermaßen die Sprache,
sollte man nicht vornehmlich die Länder bereisen, wo man sich
verständlich machen und mit den Leuten reden kann?
Wenn man
das mit dem Rad besorgen will, ist, was England betrifft, die "End
to
End"-Tour die ultimative Unternehmung, die längste auf der
Insel mögliche Tour in eine Richtung. Heidi will natürlich
mitfahren. Ich habe einige Arbeit damit, mit Regen, Gegenwinden,
Kälte Bergen und anderen Unannehmlichkeiten zu drohen, bis sie
kalte Füße bekommt. Eigentlicher Grund für eine
derartige Alleinfahrt aber ist: von Zeit zu Zeit (so etwa alle fünf
Jahre) brauche ich das mal: die Unabhängigkeit und die ganz an sich
selbst ausgerichtete körperliche Beanspruchung. Und es gibt
grünes Licht!!!
Nun gilt es, sich zu überlegen, welche Richtung man
wählt. Da gibt es bekanntlich zwei Möglichkeiten. Vorteile
bietet eigentlich nur die Tour von Süd nach Nord:
Günstigere Winde (hoffentlich),
man fährt mit der Sonne im Rücken,
die Landschaft wird mit der Fahrt beeindruckender,
die Abfolge ist damit: Cornwall, Exmoor, Wales, Lake
Distrikt,
Schottland.
Für diese "ultimative Tour" über mehr
als 1500 km muß man zeitlich mit drei Wochen rechnen. Mindestens
zwei für die Tour selbst und eine Woche Reserve für Hin- und
Rückfahrt. Glücklicherweise entdecke ich im Internet eine
Möglichkeit, mit einem Reisebus direkt von Hannover nach London +
Fahrradtransport zu gelangen. Nach einigem Hin und Her gelingt eine
Buchung per E-mail, das Ticket wird bei der Abfahrt bereitgehalten (Im
Reisebüro bin ich übrigens glatt an der Fahrradmitnahme
gescheitert).
Hinfahrt
Damit gestaltet sich die vorgesehene Hinfahrt
folgendermaßen:
Abfahrt Donnerstag, 10.6. 23.15 Uhr in Hannover ZOB mit dem
Bus,
Ankunft 11.6. London Victoria ca. 12.30 Uhr, Fahrpreis DM 121 + DM 50.-
Fahrradtransport,
Abfahrt London Paddington 14.35 Uhr mit der
Bahn,
Ankunft Penzance 20.15.
Das sieht nicht schlecht aus!
Und irgendwo im Eurotunnel wird man dann durch die Westeuropäischen
Sommerzeit eine Stunde Zeit geschenkt bekommen.
Und eine Vorgeschichte darf nicht unerwähnt bleiben, die sich
am Morgen vor der Abfahrt auf der Fahrt zur Arbeit ereignet hat. In der
Höhe von Schloß Richmond verspüre ich plötzlich
einen kleinen Schlag auf dem Kopf, vielleicht ein Blatt oder kleiner
Ast? Der Kontrollgriff erweist sich aber nicht als sonderlich
appetitlich: es handelt sich um schlichte Vogelscheiße. Was das
nun bedeuten wird? Man sagt wohl, es bringt Glück, und so beruhigt
es ein wenig. Es ist jedenfalls keineswegs so, daß ich ohne
Lampenfieber aufbreche, mir geht ganz schön die Muffe, wie man so
sagt. Von der gesunden Wiederkehr trennt einen ja doch noch eine
gewaltige Strecke.
So breche ich am Donnerstag Abend einigermaßen aufgeregt auf
zum Braunschweiger Bahnhof, die Fahrt nach Hannover ist ja kein
Problem.
Dort muß ich nun am ZOB eine Stunde lang auf den Bus warten, der
aus Berlin kommen soll. Das zieht sich, und die Hoffnung, daß
alles gelingt, schwindet mit der Warterei. Zum festgesetzten Zeitpunkt
ist von einem Bus weit und breit nichts zu sehen. Doch da sich
mittlerweile eine recht "multikulturelle" Gesellschaft eingefunden hat,
besteht ein wenig Hoffnung, daß die auch alle nach London wollen.
Ein Rucksackreisender gießt eine hochprozentige Flüssigkeit
vor sich auf dem Boden aus und veranstaltet ein kleines Feuerwerk.
Anschließend entsorgt er mit glasigen Augen die nunmehr leere
Schnapsflasche. Bald erfährt man auch, wo er hin will: nach "Adam".
So sagt man wohl unter Weltenbummlern zu Amsterdam.
Mit einer halben Stunde Verspätung biegt er um die Ecke, der
Bus mit der Aufschrift Gulliver's Reisen, und allen
fällt
ein Stein vom Herzen. Mir wird dann vom Fahrer offenbart, daß die
Fahrradmitnahme nicht angemeldet sei, und mir rutscht das Herz - trotz
ohne Stein - in die Hose. Nun tut der Vogelschiß vom Morgen zum
erstenmal seine Wirkung, denn es wird sich sofort liebevoll meiner und
des Fahrrads angenommen, letzteres wird in einem leeren
Gepäckkasten verstaut, ersterer darf sich eine Liege im
Sleeper - so nennt man das unter Weltenbummlern -
aussuchen. Der
Kollege nach Adam zieht einen normalen Sitz vor, er
sei
nämlich schon mal in Indien mit einem Sleeper gefahren und seekrank
geworden.
Schließlich kommt noch die Besatzung eines anderen Busses
hinzu, der aus Hamburg angereist ist. Eine dralle junge Dame bettet
sich
auf den freien Platz neben mich auf die Liege, es gibt sicher
Schlimmeres. Gegen Mitternacht startet endlich der Bus und man darf
sich
zurücklegen und kommender Dinge harren. Die dralle junge Dame
wendet mir alsbald ihre Rückseite zu, und so döst man
gemeinsam über die holländische Grenze und reibt sich
schließlich gegen 5 Uhr morgens in Amsterdam die Augen, wo ein
Teil der Fahrgäste - so auch meine dralle junge Dame - aussteigt.
Wenn man Luft schnappen will, kann man fröstelnd Amsterdam im Regen
und in der Morgendämmerung erleben, aber das gehört sicher
nicht zu den Höhepunkten der Reise.
Ich kann mich nun auf der Doppelliege räkeln und die wie ein
Film vorbeiziehende Landschaft Hollands und Belgiens betrachten. Das
bietet sich alles ziemlich grau, auffällig sind große
Wohnbezirke mit Hochhäusern, die direkt an der Autobahn wohl auch
nicht gerade ein beschauliches Wohnen gestatten. Als einmal in der
Ferne
etwas silbrig schimmerndes aufscheint, handelt es sich um das
berühmte Atomium und wir erreichen nun Brüssel.
Dort
werden wir Fahrgäste nach London in einen anderen Bus (Anglia
Lines) umgeladen. Wieder kümmert sich der Fahrer sofort um
mein
Bike, das ist man von der Deutschen Bahn für gewöhnlich nicht
so gewöhnt. Vielleicht sollte man öfter mit dem Bus fahren.
Ein Problem gibt es aber noch und der Fahrer verkündet: "I got 10
persons but only 7 tickets". Das muß nun auch erst einmal
bereinigt werden. Endlich geht es weiter und man kann sich die
Straßen in Brüssel anschauen. Da gibt es Häuse
r schmal wie Handtücher mit schmiedeeisernen Balkongittern, aber
auch pompöse Neubauten, die wohl für Europas Wohl errichtet
wurden. Ein graues Ungetüm von Kathedrale, die heißt Sacre
Coeur bzw. Heiligen Haart.
Auf der Autobahn gibt es
dann wenig zu sehen, außerdem regnet es in Strömen.
Interessant wird es nun aber bei der Anfahrt zum Eurotunnel in der
Gegend von Calais. Da hat man ein riesiges Gelände
für
Freizeiteinrichtungen, Restaurants usw. eingerichtet, wir werden vor
dem
Duty Free Shop ausgeladen. Mit dem Fahrer wechsele ich ein paar Worte,
daß man zum Radfahren bei dem Wetter wohl Handschuhe brauchen
würde und das Wetter in London similar sei. An der
Grenzkontrolle via England gibt es dann noch ein paar Schwierigkeiten
mit einem mitreisenden tibetanischen Mönch, einer Spezies, die hier
wohl nicht jeden Tag vorbei kommt. Zwei englische Damen, die aussehen
wie Mitglieder der Kelly Family kümmern sich hilfreich um die
Angelegenheit.
Der Bus wird schließlich in den Transportshuttle auf die
Schienen verladen und dann kann man das große Erlebnis der
Tunneldurchfahrt genießen. Zu berichten ist: es ist dunkel darin,
und wenn man halb durch ist, erfolgt eine Lautsprecherdurchsage und die
Lichter flackern. Nach 35 min Fahrt erreicht man englischen Boden und
hat nun hoffentlich die Uhr um eine Stunde zurück gestellt.
Jetzt hockt man natürlich im Hohlkreuz auf seinem Sitz und
erkennt alles, was vorbei huscht als typisch englisch. Bald aber schon
rutsche ich ungeduldig auf meinem Sitz herum, indem ich ausrechnen
kann,
daß es in London mit dem Erreichen des Zuges nach Penzance knapp
zu werden droht. Da auf der weiteren Tour ja wohl noch allerhand
typisch
Englisches auf mich warten wird, konzentriere ich mich eher auf die
Ampelschaltungen und die Verkehrsdichte. Nun - wir sind endlich in
London, ein Fahrgast darf vorzeitig aussteigen, mit "God bless you"
wird
der Fahrer gesegnet. Doch es dauert noch eine Weile bis wir Victoria
Station mit einer Stunde Verspätung erreichen.
Nun gilt es, keine Zeit zu verlieren. Der Fahrer beglückt mich
mit der Information, daß bis Paddington Station
ganz London
zu durchqueren sei. Also auf in den brodelnden Linksverkehr. Mit ein
bißchen Glück finde ich den Hyde Park, da muß
man an einem See (Long Water und Serpentine)
entlang, am
anderen Ende wieder raus, die Bayswater Road kreuzen, eine Passantin
nach dem Weg fragen und zur Antwort bekommen: "I'm completely lost
myself". Trotzdem finde ich Paddington Station schweißgebadet,
Ticket lösen, Bahnsteig suchen, Rad verladen, Gepäck
verstauen, niedersetzen, verschnaufen. Ich sitze im Zug nach Penzance,
der mich an das Ende von Cornwall bringen wird!
Die Fahrt beschert nun weiteres typisch Englische, ich
beschränke mich auf die Ansicht eines Fuchses, der mit einem
erbeuteten Kaninchen im Maul auf einer Wiese verweilt. Hat man sowas
schon gesehen? Landschaftlich ist die Fahrt besonders reizvoll, wenn es
an der Küste entlang geht. Das beginnt in der Gegend von Exeter,
bei Dawlish gibt es eine bemerkenswerte rotfarbene Steilküste, wo
der Zug zwischen Steilabbruch und der See dahin fährt. In Plymouth
gibt es die riesige Tamar Bridge, Baujahr 1961. Ferner bietet Plymouth
von der Bahn aus an einer bestimmten Stelle eine bemerkenswerte
Perspektive, wo sich die Häuser entlang paralleler Straßen
wie Streichholzschachteln den Berg hinauf ziehen. Leider läßt
sich das auf die Schnelle nicht fotografieren.
Inzwischen ist es im Abteil etwas lebhafter geworden, indem
eine
fröhliche Truppe sich durch Alkoholika in Stimmung bringt. Einer
hat ein regelrechtes Fäßchen dabei, aus dem fleißig ein
dunkles Bier gezapft wird. Da ist es nicht mehr so einfach, sich auf
die
Landschaft zu konzentrieren. Irgendwann verziehe ich mich
unauffällig in das Nachbarabteil.
Auf dem letzten Stück vor Penzance erblickt man nun auch den
berühmten St. Michaels Mount, sein gleichnamiges
Gegenstück in der Bretagne ist allerdings noch berühmter.
Leider kann ich wieder kein Foto anbieten, aber dafür gibt es
Reiseführer usw.
Nach insgesamt 24 Stunden von zu Hause erreiche ich
schließlich Penzance. Nun muß erst einmal ein Quartier
gefunden werden, es ist Freitag, und da ist das anscheinend etwas
schwieriger. Ich werde drei bis vier mal weiter geschickt, bis eine
freundliche Dame im Union Hotel, Chapel Street die
erlösenden Worte spricht: "You are welcome". Vom Zimmer kann ich
sogar gleich zu Hause anrufen und glücklich verkünden,
daß ich tatsächlich da bin, wo ich hinwollte, und das scheint
mir wie am Ende der Welt.
Zum Essen findet sich ein Chinesisches Restaurant, wo es im
Gegensatz zu anderen Lokalitäten am Freitag abend ruhig zugeht.
Auch auf den Straßen ist einiges los, wo angeheiterte Jugendliche
in Scharen herum schwirren und sich austollen, um es mal harmlos
auszudrücken.
Kapitel 1: Cornwall und
Exmoor
Zurück zur Kapitelseite