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Vorgeschichte

Die vielbesungene Wende samt Wiedervereinigung hat nicht nur zur Folge, daß sich zwischen "hüben" und "drüben" alte und neue Kontakte knüpfen - auch bei uns ist man eifrig damit beschäftigt, die "historischen Ereignisse" - wie Onkel Helmut, der Vereinigungskanzler, sie zu nennen pflegt, eindringlich mit Freunden, Kollegen oder am Stammtisch zu diskutieren. So führe ich auch mit meinem Kollegen Rainer B. einige Gespräche über die Ost-West-Problematik. Es stellt sich heraus, daß Kollege B. ein kompetenter Kenner der Dinge ist: er ist seit Jahren mit einer Fischerfamilie auf Usedom befreundet. Seine Schilderungen klingen stark nach Paradies: "ein herrliches Stückchen Erde" usw. Nach unserem Besuch der Insel Rügen ein Jahr zuvor haben wir schon eine begeisternde Landschaft kennengelernt.

Im Frühjahr machen wir uns Gedanken über unseren Urlaub. Mit dem Rennsteig wird mir bereits im Mai Gelegenheit gegeben, die überschüssigen Kräfte abzubauen. Heidi hat inzwischen eine neue Stelle angetreten. So kommt nur ein "Erholungsurlaub" in Frage, d.h. Sonne, Sand und Meer. Also der Vorschlag: Usedom - denn in das "Ossiland" müssen wir schon fahren, sonst fehlt was.

Kollege B. erklärt sich bereit, bei seiner Familie in Kölpinsee anzufragen. Ausgiebig schildert er die Schönheiten der Insel. Ungeduldig erwarten wir die Antwortpost. Die ist endlich da, wir können uns den Reisetermin sogar aussuchen. Doch es gibt noch einiges Hin und Her, bis Heidi bei ihrem neuen Arbeitgeber den Urlaubsstermin festgeklopft hat. So werden schließlich die beiden letzten Wochen der Sommerferien für die Fahrt nach Usedom ausgeklickert.

Doch "ach du großes Halali" - das stammt aus einem Dackelbuch - es gibt noch manches auszukämpfen. Was machen die Kinder? Verena bucht eine Reise nach Frankreich, Annika fährt mit ihrem Freund Fredde nach Ahrenshop und ist im Besitz eines Ferienpasses für alle öffentlichen Verkehrsmittel in Niedersachsen, Bremen und Hamburg für DM 25.-. Außerdem kriegen wir noch einen neuen Hund namens " Ajax", das gibt noch mehr Durcheinander. Auch Stefanie ist nicht begeistert: "schon wieder in's Ossiland" ?

Dann wird Heidi auch noch rebellisch, wie ist das mit der Bettwäsche, ob man die mitnehmen muß..., ob man auch kochen kann..., und womöglich noch eine andere Familie in der Ferienwohnung..., und zum Essen landen wir ja doch immer nur in einem Kiosk... usw. Meine Äußerungen: "das wird schon werden" sind völlig unzureichend. Jedenfalls haben wir ordentlich Zoff, beinahe hätten wir auf Cuxhaven umgebucht, da wüßte man ja, was man hat. Zuguterletzt versetzt uns unser neuer Hund Ajax auch noch in Angst und Schrecken, als er bei einem abendlichen Spaziergang auf der nahegelegenen Autobahn Dompteur spielt und einige dahinrasende Autofahrer zu verwegenen Ausweichmanövern zwingt. Und die Haftpflicht ist noch gar nicht bezahlt. Nun bin ich auch urlaubsreif.

Annika und Verena werden Haus und Hund, Meerschweinchen, Hasen und Blumen versorgen. Ein Meerschweinchen namens "Kuddel", das wir in zweifelhaftem Zustand zur Pflege übernommen haben, verendet uns leider noch am Vorabend, das hebt die Stimmung auch nicht gerade. Etwas mißmutig werden die Koffer gepackt, Lust hat keiner so richtig, außer mir - "es wird schon werden", in diesem Sinne. Der Wetterbericht ist wenigstens sehr vielversprechend, die Verkehrsnachrichten dagegen weniger, Deutschland strotzt von meistens stehenden Autokarawanen.

Nun ist Freitag, am besten fahren wir also am kommenden Morgen zeitig los. So schwer, wie ins Bett zu finden, fällt mir der Schlaf, zwei, drei Stunden, zu mehr reicht es nicht nach all der Aufregung.

Sonnabend 27.7. Hinfahrt

Um drei Uhr in der Nacht hält es mich nicht mehr im Bett, Kaffeekochen, zum Glück ist Heidi auch von leichtem Schlaf gesegnet und nimmt die weitere Versorgung in die Hand. Eierkochen, Brote schmieren, die letzten Kosmetikartikel in das am Vorabend fertig gepackte Auto verstauen - Stefanie nicht vergessen, die noch selig schläft. So sitzen wir pünktlich um vier Uhr in der Frühe auf unseren Sitzen, noch ist es dunkel, Lichter an, und auf geht's.

Wir wollen nur auf Landstraßen fahren, um Stausituationen aus dem Wege zu gehen. Das klappt auch gut, bei Sonnenaufgang sind wir bereits hinter Wolfsburg, dann Brome: "Muttu so rasen" das Schild steht immer noch am Ortseingang. Salzwedel, wir fahren durch den Ort, dessen enge Straßen sehr malerisch sind. Bis wir die Straße nach Arendsee - Wittenberge finden, probieren wir wieder mal alle erdenkliche Richtungen und Straßen aus. Aber es geht voran, endlich fahren wir über die Elbe, dann Mecklenburg, Seen blinken durch den Morgennebel. Als gestreßte Urlaubsautofahrer können wir nur wenig davon genießen - mit dem Fahrrad muß man hier die Landschaft erobern - und Zeit dazu haben. Immerhin führt uns unsere Strecke am Müritzsee vorbei - durch den morgendlichen Dunst sieht man nicht einmal bis auf die andere Seite dieses größten Sees der mecklenburgischen Seenplatte. Heidi und Stefanie sehen noch viel weniger, weil sie vor sich hin dösen. Ab und zu werde ich aber mit einem Kaffee oder einer Banane gefüttert.

Als wir Anklam erreichen, scheint die Sonne. In Anklam beeindrucken die Stadttore, vom Auto aus ist das alles nicht gebührend zu bewundern. Dann vor uns ein Stau, die Menschen stehen auf der Straße. Ein Blick auf die Karte, da kann nur eine Brücke schuld sein, und zwar die über den Peenestrom. Endlich geht es weiter. Nachdem die Brücke überquert ist, bringen wir Stefanie auf Tour, die immer noch zum Dösen neigt: achte mal auf das nächste Ortsschild. Und das heißt: "Usedom". Sind wir jetzt da? So ist es, nun geht alles ganz schnell. Kurz vor dem Ziel ist die Landschaft das, worauf man gewartet hat, blaue Wasserflächen, grüne Wiesen, ein strahlend blauer Himmel, ein Storchenpaar stelzt in den Wiesen. " Ich seh die See" - unser alter Spruch, wenn wir in Küstennähe kommen. Hier ist zunächst nur das "Achterwasser" zu sehen. Nun geht alles ganz schnell, hinter dem Ort Pudagla biegen wir auf die Haupstraße B 111, erreichen Stubbenfelde, dann Kölpinsee.

Erstmal wie immer aufs Geratewohl, fast landen wir am Achterwasser. Vor einem Supermarkt ist ein Parkplatz, daneben ein Rummelplatz mit Karussell. Eine Post, da kann man uns den Weg zu unserer Adresse: "Familie W., Teufelsberg" genau erklären. Zurück nach Stubbenfelde, dann einen etwas abenteuerlichen Plattenweg entlang, genervt stellen wir das Auto am vermeintlichen Ende des befestigten Weges ab. Rechts liegt ein freistehendes Haus, links ein Haus am See, da wuselt jemand herum, den wir nach der Familie W. fragen können. Das freistehende Haus ist das richtige, es liegt am Hang zwischen Kölpinsee und Steilküste, hinter den Bäumen hört man schon die See rauschen.

Steilufer

Wir werden von Sohn Andreas in Empfang genommen, der aber mit seinen 5 Jahren noch nicht voll geschäftsfähig ist und mit "Mutti, wir kriegen Besuch" die zuständige Hausherrin herbeiruft. Wir werden herzlich begrüßt und in unser Zimmer eingewiesen. In dem anderen Zimmer ist ein Ehepaar aus Bielefeld zu Gast, eine schöne Küche läßt auch auf das Gelingen der Kochkünste hoffen. Da strahlend schönes Sommerwetter herrscht, beeilen wir uns mit dem Auspacken und sind nach einer halben Stunde "strandfertig". Voller Spannung geht es den Hang hinauf und oben an der Kante der erste Blick auf die Ostsee. Das Steilufer ist hier knapp 50 m hoch und von Wald bestanden, der sich 15 km bis Bansin hinzieht. Eine Treppe führt schräg hinunter, dann spüren wir den warmen Sand unter den Füßen. Die Ostsee liegt blau vor uns, zur Rechten kann man den Hafen von Swinemünde erahnen, dahinter zieht sich die pommersche Ostseeküste hin. Links reicht der Blick zum Streckelberg, mit ca. 60 m die höchste Erhebung der Insel.

Wir suchen uns ein Plätzchen im Sand. Um uns sind die Badegäste recht luftig angezogen, ein Kettchen oder Armband vielleicht, die Bademode spielt eine untergeordnetere Rolle. Stefanie und ich gehen gleich auf Erkundungstour, wenig weiter stehen Strandkörbe und wir finden auch einen Kiosk, wo man essen und Kaffee trinken kann. Als wir zurückkehren, hat sich unsere Mama bereits der vorherrschenden Bademode angeschlossen, auch ich tue gleiches und lege damit den Grundstein für ein pavianmäßiges Outfit in den nächsten Tagen. Man ist eben nicht an allen Stellen des Körpers vor Sonnenbrand gefeit.

Bei einem weiteren Ausflug in die andere Richtung machen wir eine Entdeckung. Ein paar Leute suchen eifrig in dem angespülten Muschelsaum herum und klauben winzige gelbe Splitter zusammen. Ob die hier die Scherben einsammeln? Wir sind an der Ostsee - da kann es sich nur um Bernstein handeln. Wenig später suchen wir auch, im Laufe der Zeit kommen schon drei oder vier stecknadelkopfgroße Splitter zusammen. Gegen Abend begrüßen wir am Strand unsere Zimmernachbarn aus Bielefeld, wir sind alle im Adamskostüm - außer Stefanie - das ist schon kurios, doch nur für uns frisch Angereiste, als solche sind wir unschwer zu erkennen. In den weiteren Tagen wird die Badehose nur noch zu Landgängen benutzt. Das Wasser der Ostsee ist sauber, obwohl man so seine Bedenken wegen der nahegelegenen Mündungsarme der Oder hat. Eine Probe der Wasserqualität für diesen Küstenstreifen war aber einwandfrei (im Gegensatz z.B. zum Strand von Binz auf Rügen).

Am Abend sind wir hungrig. Der Badebetrieb endet so gegen 17 Uhr, da die Sonne sich dann hinter dem Steilufer verzieht. Es ist auch günstig, zeitig in einem Lokal zu erscheinen, da später der Ansturm größer wird. So sitzen wir gegen 18 Uhr im Hotel "Ostsee". Ich bestelle Matjes, um erstmal an Fisch zu kommen. Heidi wählt mit Hacksteak und Gemüse ein eher binnenländisches Gericht. Vorneweg aber eine "Soljanka", das gehört schon dazu. Mein Matjes ist mittelmäßig, wir werden noch bessere Fischgerichte zu kosten bekommen. Aber unser Fischer soll erst am folgenden Tag zum Fang auslaufen, solange müssen wir uns noch gedulden.

Der laue Sommerabend wird auf unserer Kellerterrasse mit Ulla und Roland, so heißen unsere Mitstreiter, beschlossen. Man hat von unserem Sitz einen herrlichen Blick zwischen Birken hindurch auf den Kölpinsee. Auch der Sonnenuntergang entgeht einem nicht.


Sonnenuntergang am Koelpinsee

Einige Mücken muß man in Kauf nehmen. Heidi verfällt auf die Idee, zur Vorbeuge gegen Mückenstiche sich die Füsse mit Zwiebeln einzureiben. Das gibt eine delikate Mischung.

Ulla und Roland sind mit Tochter Ulrike, Schwiegersohn Richie, der ist Engländer, und dem 2-jährigen Enkelsohn Danny angereist. Sie sind schon eine Woche länger da, außerdem schon öfter auf Usedom gewesen, sodaß wir uns gute Ratschläge über Einkaufsmöglichkeiten usw. geben lassen können. Richie und Ulrike müssen erstmal in einem Zelt hausen, weil sie unser Zimmer räumen mußten. Danny schläft in einem Kinderbett bei den Großeltern, nachdem er mit allerlei Späßen das Zubettgehen noch hinauszuzögern pflegt. In einem anderen Zelt hausen Freunde der Fischersleute aus Zwickau, das sind Bärbel, Christian und Tochter Annika. Allesamt sind mit meinem Kollegen B. befreundet oder bekannt, deshalb grüße ich alle von ihm, ich hoffe mit seiner Einwilligung.

Die jüngeren Bielefelder haben an diesem Tag im Achterwasser eine größere Menge Barsche geangelt, die werden nun gebraten und wer will, kann kosten. Ich habe noch genug von meinem Matjes, Heidi probiert ein Stück. So erweitern sich unsere Fischerfahrungen nach und nach.

Als es gebührend dunkel ist, gehen wir noch einmal an den Strand. Dort unterhalten die Fischersleute und ihre Zwickauer Freunde heute ein Lagerfeuer. Wie wir den noch warmen Strand betreten, verschlägt es einem die Sprache. Es ist windstill, die Ostseewellen rauschen verhalten, der Vollmond hängt wie ein Lampion am Himmel. Als dunkler Schatten bildet die Steilküste den Hintergrund. Das Feuer prasselt und man läßt es sich bei Appelkorn wohlsein. Wir sind den ersten Tag da und wollen uns nicht aufdrängen, so bleiben wir nur kurz. Mit Christian komme ich gleich ins Gespräch - man merkt, daß man sich versteht. Bärbel und Christian sprechen ein herrliches Sächsisch.

So endet dieser Tag, der um vier Uhr früh in Braunschweig begann, in einem Paradies auf Usedom.

Sonntag, 28.7.

Wir schlafen in den Sonntag. Am Morgen können wir sogar in Ückeritz in einem Supermarkt einkaufen. Auf dem Rückweg erfreut uns ein Huhn, das hartnäckig den Rand des Weges besetzt. Der Grund ist ein leider schon lädiertes Ei, das dem Huhn wohl an dieser unpassenden Stelle entfallen ist.

Die Wetterlage, entnehmen wir den Nachrichten, ist klassisch sommerlich, ein Hochdruckgebiet mit einem männlichen Namen reicht von Frankreich bis in das Baltikum. Da werden wir von der schönen Insel erstmal nicht viel zu sehen bekommen. Wellen, Strand und Sonnenschein, da jauchzt das Herz, nur der Hintern wird rot. Besonders beim Bernsteinsuchen, worin wir schnell eine Fertigkeit entwickeln, strahlt einem die Sonne auf die gebückte Hinterpartie. Zum Aufheben der zumeist winzigen Bernsteinsplitter verwenden wir Einwegtassen vom Kaffeetrinken am Kiosk. Mehrfach gelingt es uns, den Boden einer Tasse zu bedecken. Stefanie füllt später die goldgelben Schätze in Flaschen vom "Küstennebel" um, einem derzeit beliebten Abendschmankerl. Größere Bernsteinstücke lassen sich mit Tuch und Zahnpasta putzen und polieren.

Am Sonntagnachmittag ist der Fischer von seiner Ausfahrt zurück. Ein Teil des Fangs geht an die Fischerei-Genossenschaft, der Rest wird privat verkauft. Frischfische wie Zander oder Barsch werden zum Braten oder Kochen verwendet. Aale und Schollen werden ausgenommen, gewaschen, gesalzen und anschließend in einer abenteuerlichen Räuchertonne neben dem Holzstoß über Buchenfeuer geräuchert. Die Frauen sitzen dabei meistens am Tisch und schwatzen, während die Männer sachkundig um die Tonne herumstehen oder -sitzen, wo auch höherprozentige Werte evtl. die Zeit verkürzen helfen. Das ganze dauert ca. drei Stunden, dann kommen die Fische goldgelb zum Vorschein.

Fischfang

Am Abend gehen wir zusammen mit unseren Bielefelder Freunden zum Essen in das Lokal "Waterblick" am Achterwasser. Man hatte einen Tisch bestellt, aber das klappt nicht so ganz, mit Glück ergattern wir den besten Tisch auf der Aussichtsterrasse. Vorne strohgedeckte Katen, dahinter ein Schilfgürtel, dann die glänzende Fläche des Achterwassers, das aus einem Mündungsarm der Oder bis zum Peenestrom gebildet wird. Diese Aussicht ist postkartenreif. Wir genehmigen uns einen Zander, diesen Fisch haben wir noch nie gegessen. Wir buddeln uns auch gefahrlos durch die Gräten und sind begeistert.

Als wir mit dem Essen fertig sind, hat sich bereits eine längere Warteschlange auf der Treppe gebildet, wo man auf freiwerdende Plätze wartet. So brechen wir auch schnell auf, Ulla läßt in der Hast sogar ein halbes Bierglas stehen, was wir noch öfter zu hören kriegen. Später erzählt der Wirt dieses Etablissements dem Roland, daß an diesem Tag der zweitstärkste Besucherandrang der Saison zu verzeichnen gewesen sei.

Wir gehen hinunter ans Achterwasser. Hier unten ist ein Bootsverleih, Segeln, Rudern, Tretbootfahren - alles da. Ulla und Roland treffen schon wieder Bekannte, die kennen hier anscheinend jeden. Dann machen wir uns auf den Weg zum "Höft" einer herausragenden Landzunge mit Steilufer. Heidi hält auf Abstand, Stefanie und ich springen hinunter und sind unversehens verschwunden. Es handelt sich aber nur um einen Absatz von einem Meter. "Macht sowas nicht mit mir" ist die bange Reaktion. Trotzdem hat man einen herrlichen Blick hinüber nach Ückeritz. Durch die Mücken bahnen wir uns den Weg zurück. Auf der Rückfahrt werden wir in den "Biergarten" eingeführt. Das ist ein Kioskzelt mit Sitzgelegenheiten auf einer Wiese. Außer Holsten und Küstennebel gibt es hier die besten Pommes weit und breit. Roland macht seine Zeche unter Bielefeld I, wir unsere unter Bielefeld II. Auch mit dem "Küstennebel" machen wir Bekanntschaft.

Wieder zurück im Quartier, versammelt sich die komplette Manschaft auf den zwei Gartenbänken vor der Haustür, die dazu notwendigen Flaschen passen man so gerade auf den Klapptisch. Als der Vollmond erscheint, machen Stefanie und ich sich noch zu einem Strandmarsch auf. Die Wellen plätschern wieder im Mondlicht, barfuß wandern wir bis zum Fuß des Streckelberges. Hier beginnt eine verfallene Uferbefestigung aus großen Felsbrocken. "Betreten "lebensgefährlich" und streng verboten. Deshalb muß ich partout auch noch ein paar Meter weiter erkunden. Dann sehe ich die Silhouette eine Hundes vor mir, da kehre ich dann auch um. Als ich wenig später Stefanie von dieser Beobachtung erzähle, ist für einen flotten Rückmarsch gesorgt. Der Ruf eines Käuzchens und huschende Fledermäuse bestätigen uns, daß um uns herum Natur pur herrscht.

Montag, 29.7.

Am Montagmorgen kann ich endlich schmatzend meinen Aal zum Frühstück vertilgen. Dabei beobachten wir einen Kleiber, der einen Meter entfernt an einem Akazienstamm herumturnt. Schon früh sind wir am Strand. Dort herrscht bald helle Aufregung. "Man glaubt das ja nicht" - "Solche Tussis!" - "Und das vor den Kindern!" - usw. Grund sind ein paar Leute, die etwas freizügig miteinander umgehen, z.B. Bonbons an mehr oder weniger geeigneten Körperzonen verteilen. Trotz aller Aufregung kriege ich gar nichts davon mit, wenn ich schon mal vorsichtig äuge. Aber so interessant ist das ganze auch wieder nicht, ein paar Tage später ist die ganze Bagage verschwunden. Christian beschäftigt sich mit dem Bau von verwegenen Steinpyramiden, regelmäßig muß er die vom Vortag wieder neu aufbauen, weil sie über Nacht zusammengefallen ist. Einmal ist ihm beim Bau auch ein Wacker auf das Bein gefallen - "das erste Mal seit 30 Jahren" behauptet er. Ich habe immer Bedenken, ein Kind könnte mal in die Nähe so eines Monstrums geraten, aber da die Erde hier nicht bebt, geht alles gut.

Roland behandelt inzwischen ein anderes Wehwehchen, indem er sich kleine Hölzchen zwischen die Zehen klemmt. Das macht sich ausnehmend gut. Grund dafür ist, daß ihm bei einem früheren Lagerfeuer ein glühender Holzspan zwischen die Fußzehen geflogen ist, worauf eiligst das Wasser aufgesucht werden mußte. Nun hat sich das entzündet und reagiert weder auf Sand noch auf Salzwasser besonders freundlich.

So vergeht so ein Strandtag auf die angenehmste Weise. Viele Neuigkeiten hält auch die alltäglich obligate BILD-Zeitung für uns bereit. In dieser Woche beschäftigt man sich ausgiebig mit dem "Rosa Riesen", einem Lustmörder, der in der Gegend um Treuenbrietzen sein Unwesen getrieben hat. Ich baue mir stattdessen zwischen den Steinen der Uferbefestigung ein "Sonnenzimmer", dabei ist darauf zu achten, daß der Kopf auf einem geeigneten Stein in einer zum Lesen günstigen Lage zur Ruhe kommt. Andere Steine eignen sich gut als Ablage oder Kaffeetisch, was dann in den fortgeschrittenen Nachmittagsstunden zum Tragen kommt.

Wir haben die Zeit des Sonnens am Nachmittag um eine halbe Stunde verlängert, indem wir uns eine geeignete Lücke zwischen den Baumwipfeln zunutze machen. So ist es heute am Montag schon lange nach 17 Uhr, bis wir uns um den Abendbrotstisch scharen. Ich bin vollauf mit dem weiteren Vertilgen von Aalen beschäftigt.

Anschließend begeben sich Roland und ich mal eben in das Hotel Ostsee. Roland will die Unterbringung für eine Bielefelder Fußballmannschaft organisieren. Zielgerichtet setzt er sich an den Stammtisch, bald haben wir unser Bier, bei einem bleibt es nicht, bald sitzen noch zwei Herren, einer davon einheimisch, mit am Tisch. Später erfahre ich, daß das der Vater von Anke, dem "Fischer sin Fru", ist. Zum Glück "versacken" wir aber nicht und kehren fristgerecht in unser Domizil zurück.

Als der Mond zu scheinen beginnt, begeben Stefanie und ich sich nochmal an den Strand. Es herrscht ein ziemlicher Seegang. Da macht es besonders Spaß, ein abendliches Bad zu nehmen. Wegen des Seegangs ist das Anspülen von weiteren Bernsteinladungen zu erwarten. Um in aller Frühe "absahnen" zu können, stellen wir vor dem Einschlafen den Wecker.

Dienstag, 30.7.

Am Morgen finden wir tatsächlich punkt 5 Uhr in der Frühe aus den Betten. Es ist schon hell, aber noch vor Sonnenaufgang. Kaum machen wir uns - noch verschlafen - auf den Weg zum Strand, jeder bewaffnet mit einer Plastiktasse, erscheint von links Richie, von rechts Bärbel und Christian, alle dem Strand zustrebend. Das ist ja nun ein unerwartet großer Aufmarsch um diese Zeit. Bärbel und Christian wollen aber nur den Sonnenaufgang vom Steilufer aus beobachten. Richie, Stefanie und ich erleben diesen aus der Strandperspektive, wenn wir nicht gerade mit der Nase auf dem Boden entlangpflügen. Als rote Scheibe hängt die Sonne über dem Horizont, auf der See spiegelt sie sich als rote Bahn wieder. Es verspricht, wieder ein schöner Tag zu werden. Unsere Bernsteinsucherei dagegen erweist sich als totaler Flop. So schleppen wir uns wieder zurück, vor Müdigkeit komme ich kaum voran. Hätte man einen Schlafsack dabei, man könnte sich gleich an Ort und Stelle hinhauen. Schließlich genehmigen wir uns noch eine Stunde Schlaf im warmen Bett. Leider habe ich meine Füße nicht gründlich genug "entsandet", was der Gemütlichkeit wegen des Sonnenbrandes im Sitz- und Liegebereich einigen Abbruch tut.

Mit Beginn des eigentlichen Tages erledigen wir erstmal das Geschäftliche. Dazu fahren wir nach Zinnowitz, wo mit Bank, Post und Supermarkt alles besorgt werden kann. Auch der Anruf zu Hause klappt, die Kinder müssen wir aus dem Bett klingeln. Das Telefonat kostet DM 1.19. Danach geht es natürlich wieder an den Strand, wo der Tag ohne weitere Vorkommnisse verlebt wird.

Am Abend begeben wir uns ohne langes Diskutieren in den Biergarten und lassen uns bei Pommes, Bratwurst, Frikadellen und ein paar Glas Bier wohlsein. Zwischendurch wird noch ein anderer Handel getätigt. Dagmar, die kommandierende Leitung des Biergartens (ihr Mann ist mehr für das Bierzapfen zuständig), unterhält auch noch einen Handel mit Pantoffeln. Aus ihrem Sortiment schleppt sie immer mehr Exponate heran, sodaß man am Schluß um einen Kauf nicht mehr herumkommt. Selbst der lustige Herr am Nebentisch, der bisher eher an seinem Bier interessiert war, läßt sich dazu erweichen, seiner Frau ein paar modische Pantoffel zu spendieren. Einige Küstennebel zum Abschluß sorgen für den richtigen Durchblick.

Mittwoch,31.7.

Am Morgen steht Stefanie um 8.30 Uhr auf und zollt erstmal wieder ihrem goldrauschartigen Bernsteindrang Tribut. Und oh Wunder, mit einer ganzen Anzahl ansehnlicher Klunker kommt sie zurück. Man muß nur Glück haben.

Ich bin dagegen mit dem Brötchenholen dran. Die Warteschlange vor dem Bäckerladen hat eine beträchtliche Länge. Sie reicht die Treppe herunter und setzt sich dann auf dem Bürgersteig vor dem Bahnhof von Kölpinsee fort. Hier hat man genügend Zeit, seine Studien zu machen. In Sichtweite des Verkaufstresens kann man ein Schild ausmachen: "Bäcker gesucht". Der Grund für die lange Wartezeit ist aber der, daß die produzierten "Doppelbrötchen" dank ihrer Qualität immer im Nu ausverkauft sind, und dann wieder 20 Minuten gewartet werden muß, bis die nächste Ladung aus dem Ofen kommt. So ergattere ich nach einer geschlagenen Stunde meine Brötchen, immerhin ist inzwischen der Kaffeetisch fix und fertig, sodaß man sich aufatmend an seinen Kaffee machen kann.

Nach einem weiteren erholsamen Strandtag fällt Roland am Abend eine Überraschung ein. Er besorgt vom Nachbarn Jürgen den Schlüssel und die notwendigen Utensilien für das Ruderboot, das unten am Steg liegt. Ein paar Bier werden als Proviant und gegen die Mücken mitgenommen, dann stechen wir in den Kölpinsee. Da dieser nicht besonders groß ist, hat man ihn in etwa einer Stunde umrundet. Einige andere Boote sind noch unterwegs, das sind Angler. Die Wasserqualität des Sees ist allerdings nicht besonders vielversprechend. Immerhin sehen wir noch einen auffliegenden Fischreiher.

Später am Abend gibt es ein ordentliches Gewitter mit Regen, sodaß wir uns das einzige Mal in diesem Urlaub in die Küche zurückziehen müssen.

Donnerstag, 1.8.

Heute ist das Wetter zunächst graumeliert, sodaß wir uns an unsere erste Unternehmung machen können. Ziel ist die polnische Grenze vor Swinemünde, da kann man mit dem Auto auf einen Parkplatz fahren und dann einen Billigmarkt auf der polnischen Seite besuchen. Offenbar haben viele Autofahrer heute das gleiche vor, denn von Ückeritz bis Ahlbeck ist die B 111 ein einziger Stau. Mehrmals bin ich versucht, wieder umzukehren, aber nach über einer Stunde für die letzten 15 km stellen wir das Auto hinter Ahlbeck am Straßenrand ab. 20 Minuten müssen wir noch zu Fuß bis zur Grenze zurücklegen. Ein nicht abreißender Auto- und Menschenstrom läßt einen rätseln, woraus die Anziehungskraft dieser Angelegenheit bestehen mag.

An der Grenze muß man nur Personalausweis oder Reisepaß vorzeigen, schon kann man nach Polen hinüberspazieren. Auch hier gibt es einen eingezäunten Grenzstreifen, der sauber planiert ist, um illegale Grenzübertritte zu vereiteln. Nun ist zur Zeit die Deutsch - Polnische Grenze die "Armutsgrenze" in Europa, auf der polnischen Seite sammeln sich viele Menschen, die auf ein Überwinden der Grenze Richtung Westen hoffen. Jetzt wird nur auf der westlichen Seite kontrolliert, bei den Polen läßt sich kein Grenzer blicken.

Hinter der Grenze stehen massenweise Taxis, die einen für DM 4.- nach Swinemünde oder zum Billigmarkt fahren. Wir fahren zum Markt. Der Taxifahrer will uns auf den zwei oder drei Kilometern offenbar nachhaltig von seinen Fahrkünsten überzeugen. So entsteigen wir aufatmend dem Auto Marke Polski Fiat. Der Polenmarkt besteht aus einfachen Marktbuden, wo zumeist Textilien und Musikkassetten angeboten werden. Außerdem gibt es steuerfreie Zigaretten, auch Lebensmittel wie Brot, Butter oder Honig. Die obligate Zigeunerfrau mit Kind zum Anregen der Rührung schleicht auch mit aufgehaltener Hand herum. Wir passen gut auf unsere Taschen auf, so ganz geheuer ist einem das Ganze nicht. So nach und nach entwickeln wir uns als gute Kunden, für Stefanie ein Trainingsanzug, für mich ein Oberhemd, für Heidi ein "Top" (oder wie man sowas nennt), ein paar Mitbringsel für die Kinder usw. An einem Tisch werden preiswert Schmuckstücke aus Bernstein angeboten, die wir sachkundig mustern. Armringe aus dicken, hellgelben Bernsteinen kosten nur DM 5.-. Das kann wohl kaum mit rechten Dingen zugehen, wahrscheinlich handelt es sich um künstlichen Bernstein, manchmal auch Plastik oder "Plaste" genannt.


Polenmarkt

Nachdem wir alle Gänge des Marktlabyrinths durchstreift haben, lassen wir uns wieder von einem Taxi zurück zur Grenze bringen. Der Grenzbeamte drückt uns auf unseren Wunsch einen Stempel in die von früher strapazierten Reisepässe. Leider ist es nur ein deutscher, kein polnischer Eintrag. Die Rückfahrt verläuft zum Glück weniger hindernisreich, inzwischen herrscht wieder Strandwetter, sodaß der Ablauf des restlichen Tages gesichert ist.

Nach dem Abendessen machen wir einen Spaziergang oberhalb der Steilküste. Der Weg führt zunächst über den verwaisten ehemaligen Campingplatz. Dann geht es malerisch durch den Wald weiter, alle Augenblick hat man eine schöne Aussicht hinunter auf den Strand und hinaus auf die See. Nur Heidi hält immer auf Abstand, wenn es irgendwo steil hinunter geht. Die Küste soll hier zuweilen um 2 Meter pro Jahr abgetragen werden. So liegen auch immer wieder herabgestürzte Bäume herum, deren Wurzelwerk unterspült wurde. Roland biegt plötzlich rechts ab in den Wald. Obwohl wir einen Champignon finden, ist der Weg nicht gerade komfortabel. Dann kommen wir wieder auf einen Fahrweg, der zurück nach Stubbenfelde führt. Bei meinen Mutmaßungen, wo wir herauskommen werden und wie der Richtungssinn bei Roland funktioniert, grinst dieser nur. In diesem Sinne erfahren wir auch, daß es in diesem Wald zahlreiche Wildschweine gibt, die sich sogar auf der Suche nach Essensresten bis zu besagtem Biergarten vorwagen. Und tatsächlich, auch wir kommen genau an dessen Eingang heraus. Damit ist Rolands Orientierungssinn rehabilitiert und wir haben uns eine Entschädigung für die Mühe verdient.

Freitag, 2.8.

Heute will ich mich mal wieder für das Brötchenholen opfern. Man ist ja schlau und steht besser etwas früher auf. So bin ich um 7.10 Uhr bereits beim Bäcker. Aber - oh Weh - die Warteschlange ist genauso lang wie sonst auch. Nach einigen 5 Minuten Anstehen kommt plötzlich einer aus dem Laden mit der Schreckensnachricht: "Die Brötchen sind alle, der Bäcker hat kein Strom" Nachdem er mit schreckensweiten Augen diese Hiobsbotschaft mehrmals wiederholt hat, weiß ein jeder in der Warteschlange: Stromausfall. Ich hatte mich schon vorher beim Aufstehen gewundert, daß kein Licht brannte. Ja, da heißt es auf die Brötchen verzichten und unverrichteter Dinge wieder zurück, nur die BILD-Zeitung kann ich erwerben. Bis zur Zubereitung des Frühstücks funktioniert der Strom wieder, sodaß der Kaffee auch heiß getrunken werden kann.

Der Himmel ist bedeckt und es hat sich abgekühlt. So räkeln wir uns an diesem Vormittag noch ein wenig im Bett herum, lesen oder schreiben die ersten Urlaubskarten. Danach geht es doch noch an den Strand, wo wir uns von Wolkenloch zu Wolkenloch bibbern.

Um 18 Uhr findet ein Fußballspiel in Koserow statt, da spielen mit: Roland, Fischer Achim, Richie und einer von Achims Zwillingssöhnen. Gegner sind Alte Herren und Junioren. Wir fahren mit dem Fahrrad nach Koserow und schauen bei der zweiten Halbzeit zu. Nun handelt es sich aber nicht um ein Spiel, bei dem einem vor lauter Ballkünsten die Spucke wegbliebe. Ein paar alte Herren, die nicht zum Einsatz kommen, machen uns noch Spaß, indem die mit grellbunten Bällen herumtollen wie Kinder am Strand.

Nach dem 2:1 (oder so) - Sieg der Alten Herren fahren wir wieder zurück. Auf den beiden Bänken vor dem Haus hat sich schon das am Fußball weniger interessierte Publikum versammelt. Heute halten wir lange aus, nur Achim muß irgendwann zur Ruhe gehen, da er in der Nacht gegen 2 Uhr auslaufen will. Nachdem er sich zur guten Nacht verabschiedet hat, sitzen wir noch ein wenig länger.


Die Fischereiflotte Kölpinsee

Plötzlich ist Achim schon wieder da und frühstückt. Da beschließen wir einmütig, die Sache mit dem Auslaufen selbst in die Hand zu nehmen. Das soll heißen, daß wir den Fischern und ihrem Boot vom Strand aus das Geleit erbieten wollen. Während Achim mit dem Trabbi zur Anlegestelle fährt, marschieren wir in lockerer Formation am Strand entlang. An dem Boot ist man schon zugange: ein museumsreifer Trecker zieht das Boot ein paar Meter in das tiefere Wasser, bis der Kiel frei wird. Auch Richie schwingt sich an Bord, der will mitfahren. Dann werden die Lichter gesetzt, der Motor tuckert und ab geht die Fahrt. Wir können uns nicht genug tun mit Winken und Blinken von Taschenlampen. Es ist noch zu bemerken, daß die Fischerboote mit keinerlei Sicherheitseinrichtungen versehen sind, weder Funk noch Beiboot stehen zur Verfügung. Zwinkernd verrät Achim einem, man habe ja Schwimmwesten. Immerhin fährt man so bis an die 20 km hinaus, da sieht es mit dem Zurückschwimmen auch nicht so gut aus.

Sonnabend, 3.8.

Als wir erwachen, sind die tapferen Fischer schon wieder zurück. Leider haben sie nichts Nennenswertes gefangen, es gab zu wenig Köderfische. Statt diese lebendig auf die Fanghaken zu stecken, hatte man sie halbiert, um die Anzahl zu erhöhen. Das hat nicht funktioniert. So wird es uns jedenfalls erklärt. Vielleicht hat auch Richie mit seinen Opfergaben, um die er nicht herumkam, die Fische verscheucht. Um weitere Fangergebnisse nicht zu verderben, beschließe ich sogleich insgeheim, von einer Teilnahme an einer zukünftigen Ausfahrt meinerseits Abstand zu nehmen.

Wir fahren Einkaufen, dann geht es wieder an den Strand. Bärbel und Christian müssen sich heute verabschieden. Das fällt ihnen offensichtlich nicht leicht, wir verabschieden uns am Morgen ("falls wir uns nicht mehr sehen" ), dann am Strand von Christian ("ich gehe schon zum Packen" ), dann von Bärbel ("unsere Adresse, besucht uns mal" ). Schließlich sitzen wir schon längst beim Abendessen, da kommen Bärbel und Christian zum Verabschieden ("Ach, wir haben ja schon"). Mit "Gute Fahrt" und Winken schicken wir sie nun auf die Reise Richtung Zwickau. (Längst wieder zu Hause bekommen wir eine Karte vom "Nachurlaub" aus dem Böhmerwald).

Das Abendessen besteht heute aus gekochtem Zander, den Anke uns nach pommerschem Rezept zubereitet. Es ist überhaupt ätzend, daß die Frauen ständig zum Austausch von Rezepten neigen, wir Männer können dann immer nur mehr oder weniger störende Bemerkungen einstreuen. Das gipfelt darin, daß Stefanie aauf Christians Anraten ein Bündel "Beifuß" ein allgegenwärtiges Unkraut, sammeln muß. Der wird dann zum Trocknen und zur späteren Verwendung als Gewürz aufgehoben und krümelt Zimmer und Auto voll.

Der Zander schmeckt dann auch hervorragend, wenn ich auch mehr zu gebratenem Fisch neige. Anschließend versammeln wir uns im Biergarten, auch Achim kommt nach, verzieht sich aber mit seinen Pommes vorsichtshalber an einen Nachbartisch.

Sonntag, 4.8.

Der Tag beginnt nicht so sonnig. Ich sondiere vorsichtig, bis ich meine Gelüste für eine Erkundung per Rad ausreichend artikuliert habe. Da kein weiterer Lust hat mitzufahren, heißt es "um so besser, kann ich machen, was ich will". Auf geht's, erstmal oberhalb der Steilküste auf holperigen Wegen über Stock und Stein, bergauf, bergab. Nach einer Weile eine Art Rummelplatz mitten im Wald. Dieser entpuppt sich als der Eingang des Campingplatzes von Ückeritz. Das ist der vermeintlich längste Campingplatz Europas, so an die 5 km zieht er sich an der Ostseeküste entlang. Zwischen den Kiefern stehen die Zelte, hinter ein paar Dünen beginnt gleich der Strand. Diese Ortslage ist sicher nicht die schlechteste, mir kommt aber angesichts der beduinenhaften Behausungen doch das Grausen. Einen Tag später lese ich in der Bildzeitung, daß auf diesem Platz in Block 4 ein blaues Steilwandzelt stehe, dessen Eigentümer nachts durch Trinkgelage und johlendes Geschrei auffielen. Das jedenfalls bleibt übrig von einem angeblichen Skinhead - Terror zwischen Bansin und Ahlbeck, gegen den sich sogar eine Bürgerwehr formiert habe.

Trotzdem kann ich ungeschoren das Gelände durchradeln. Am Ende ein großer Parkplatz, zwischen den Bäumen ist der Waldboden teilweise umgepflügt, um den allzu ausufernden Zeltbetrieb in Schranken zu halten. In Erwartung, bald den Badeort Bansin zu erreichen, fahre ich einen asphaltierten Fahrweg durch den Wald entlang. Aber erst über ein Stück der B 111 und ein paar Sandwege finde ich nach Bansin. Die Häuser sehen hier aus wie wir sie von Rügen kennen, alles ist eben schon mehr auf den Betrieb als Badeort zugeschnitten. Der Strand ist breit und weiß, viele Strandkörbe, aber nicht der urige Naturstrand wie bei uns "hinterm Haus".

Die drei Orte Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck gehen direkt ineinander über. Teilweise kann man die Strandpromenade entlangradeln, sofern man nicht zu vielen Sonntagsspaziergängern in die Quere kommt. In Ahlbeck wird es am vornehmsten, in einer Kurmuschel wird musiziert, Straßencafes vermitteln das Bild von einem mondänen Badeort. Schließlich auch die berühmte "Seebrücke" - in jedem Bildband über die Ostsee enthalten. Entsprechend eifrig surren auch die Fotoapparate und Videokameras. Ich klicke mit, mangels Oma, Tante oder Enkel geraten meine Fotos aber ohne nennenswerten Vordergrund.

Die Seebrücke in Ahlbeck

Eigentlich wollte ich nun wieder zurückfahren, aber wenn einen die Neugier packt, geht das nicht so einfach. Man könnte ja nun noch die wenigen Kilometer an der Küste bis zur polnischen Grenze erkunden. Auf halber Strecke endet die Promenade, dann führt ein Sandweg bis an die Grenzanlagen heran. Ein paar Stacheldrahtverhaue und Beobachtungsstationen, die gehißten Flaggen der beteiligten Nationen, aber keine Menschenseele. Schnell wird ein Foto geschossen, dann schnell weg. Mit einem älteren Herrn komme ich ins Gespräch und schiebe mein Rad eine Weile neben ihm her. Wieder wird mir ein Stück Lebensgeschichte erzählt, der Herr stammt aus Stolp und trauert wie so mancher Vertriebene der Vergangenheit nach. "Das hier ist mein Wald" und zeigt in die Umgegend, womit er meint, das ist seine Landschaft, wie er sie aus der Jugend kennt. Ich lausche andächtig, denn ich habe ja auch nicht weit von hier das Licht der Welt erblickt, habe aber zu besagten Zeiten kein nennenswertes Verhältnis. So wird auch diesmal nichts aus unserem Besuch in Stettin und Pyritz, der Stätte "meines früheren Wirkens". Das Wetter ist zu schön und der Verkehr zu furchterregend, da trauen wir uns nicht.

Mittlerweile sind der ältere Herr, die Seinen und ich durch den Wald trottend in die Nähe des Grenzübergangs geraten. Ich verabschiede mich von den netten Leuten und "mache" - schwupps - mit dem Fahrrad hinüber. Damit bin ich, hier sei es festgehalten, mit dem Rad nun auch in Polen gewesen. Nahziel ist nun Swinemünde, heute mit dem Namen "Swinoujscie" gesegnet, - wie immer man das aussprechen mag. Auf der bereits bekannten Taxirennstrecke am Polenmarkt vorbei gelangt man auf den Marktplatz von Swinemünde. Dort steht ein Zwitter aus einer Kirche und einem Wohngebäude. Der zugehörige Geistliche im Talar steht vor der Tür seiner Pfarrbehausung und schäkert mit Passanten. Über ihm ist an der Wand ein Bild von "Woijtila", seines Zeichens amtierender Papst, aufgehängt. Sicher ist man auf diesen prominenten Landsmann stolz. Vorne blinkt Wasser, bis dort fahre ich. Hier scheint der Hafen zu sein, hinten liegen Kriegsschiffe am anderen Ufer. Trotzdem waage ich wieder ein Foto. Eine Stimme von links "Darf man hier fotografieren?". Ich zucke zusammen, es ist aber nur ein weiterer Radtourist, der hier auch seine Endstation erreicht hat. Er befindet sich bereits in Rente und vergondelt seine Pensionärszeit auf dem Fahrrad - soweit die Kräfte reichen. Er ist in Travemünde gestartet und hat zur Zeit sein Quartier auf dem Campingplatz Ückeritz. Neben ihm seien ein paar Mädchen aus Berlin, die hätten schon um die 2000 km durch Polen bis hinauf nach Masuren und zurück an der Ostseeküste abgeradelt. Mein Gesprächspartner will auf dem Rückweg noch Station auf Rügen machen. "Dann grüßen Sie mir Rügen schön" sage ich, worauf er mit "Recht herzlichen Dank" antwortet, als ob ich einen lieben Bekannten grüßen lassen würde.

Einmal hält ein Auto und fragt uns auf Polnisch nach einer Auskunft. Mehr als ein Achselzucken läßt sich da nicht antworten. Zwischen leerstehenden und verfallenden Häusern bahne ich mir den Weg zurück zum Marktplatz. Dort herrscht ein buntes sonntägliches Treiben, Einheimische und Touristen aus Ost und West bilden ein buntes Durcheinander. Zurück zum Polenmarkt, ich erstehe eine Stange Zigaretten, um für später einen entsprechenden Spruch draufzuhaben. Dann geht es bei Gegenwind auf der B 111 zurück, in einer guten Stunde werden die 20 km abgespult. Wer mich nun fragt, wo ich gewesen sei, dem antworte ich nur: "Zigaretten holen".


Blumen

Am Strand, wo die anderen inzwischen verweilen, sage ich aber "Ihr wißt gar nicht, wie schön ihr es hier habt" eingedenk des Campingplatzes und der belebten Strandflächen in den vollen Badeorten. Nun tut Erholung not, denn am Abend soll es noch einmal zum "Waterblick" am Achterwasser in Loddin gehen. Heute können wir nur Plätze an getrennten Tischen bekommen. Dafür sind hinterher alle einhellig der Meinung, daß man uns mit dem Essen mengen- und qualitätsmäßig gründlich über's Ohr gehauen hat. Die arme Bedienung bekommt einiges zu hören. Wie man munkelt, sei das Essen später wieder besser geworden.

So ist es nur recht und billig, daß wir den Abend im Biergarten beschließen und uns bei einer Portion Pommes entschädigen.

Montag, 5.8.

Am Morgen wachen wir früh auf - die Maurer kommen. Vor unserem Fenster bauen sie das Gerüst auf, um an dem oberen Teil des Hauses den Endputz anzubringen. Dazu muß erst vorgeputzt werden, dann wird ein mit grobem Kies gemischter Putz aufgetragen, der abschließend mit einem Kratzer aufgerauht wird. Da die Maurer sich allerhand zu erzählen haben und auch gerne mal eine oder zwei Pausen machen, geht das ganze nicht so schnell und zieht sich über diese unsere letzte Woche hin. Der Chef des Betriebes heißt Heini und ist überaus tüchtig. Mit ihm hat Achim in reiner Eigenleistung innerhalb von zwei Jahren das Haus bauen können. Nur seine Frau ist Heini wegen seiner Arbeitswut weggelaufen.

Die jungen Bielefelder reisen heute ab, da wird es allmählich ruhiger. Am Strand verfällt man mehr und mehr ins Dösen, das erste Buch habe ich nun auch schon alle. Heidi lernt für einen Vortrag über die Wartburg für den Mütterkreis. "Macht gar keinen Spaß mehr, seit du promovierst" sage ich schonmal dazu. Stefanie hat sich eine Luftmatratze gekauft, auf der sie mehr oder weniger erfolgreich die Wellen abreitet.

Am Abend fällt uns nichts besseres ein, als in den Biergarten zum Essen zu gehen. Anschließend meint Heidi, nun hätte sie aber erstmal genug von Pommes. Zur Abwechslung erkunden wir den Rundweg um den See, der gleich hinter dem Biergarten am Bahndamm entlangführt. Man kommt dann auch logischerweise am Bahnhof Kölpinsee heraus.

Dienstag, 6.8.

Am Dienstag ist erstmal wieder ein Besuch in Zinnowitz angesagt. Bank, Post mit Anruf zu Hause, wir müssen die Kinder wieder aus dem Bett klingeln. Wir gehen die Strandstraße bis zum Dünenstreifen, auch hier ist der Strand wie überall - nur nicht wie bei "uns". Durch einen Buchladen stöbern wir noch, Konsalik und Simmel - aber nichts mehr zu finden von alten DDR-Zeiten. Dann geht es in ein vorher schon erkundetes Fischgeschäft. Drei Barsche werden gordert, ob man die auch zurecht gemacht bekäme - aber sicher doch! Heidi und Stefanie gehen schon in den Supermarkt vor. Ich warte auf die Barsche. Immerhin ist die Fischmamsell jung und hübsch, da wartet man ja gerne. Da wird geschruppt und geschnippelt, daß es eine Lust ist. Nach 10 Minuten ist der erste Barsch fertig. Dann setze ich mich erstmal hin. Wie ein jeder nun leicht ausrechnen kann, sind die drei Barsche nach genau einer halben Stunde verkaufsfertig. Ich trete an die Kasse, was kostet der Spaß. "Fünf Mark vierzig". Beinahe kriege ich den Mund nicht wieder zu, zähle die paar Mark auf den Tresen und ziehe mit den drei vorbildlich gesäuberten Barschen ab.

In der Kaufhalle geht es weniger erfreulich zu. Es ist gegen 11 Uhr, anscheinend hat sich halb Usedom auf einen Treff hierselbst verabredet. Es fällt schwer, überhaupt an die Regale zu kommen, weil fast der gesamte Verkaufsraum von den Warteschlangen an der Kasse ausgefüllt wird. So vergeht nochmal eine halbe Stunde, bis wir auch diesen Einkauf erfolgreich abgeschlossen haben.

Mit der Sonne kommen wir wieder an unseren Strand, über den einem so allmählich nichts Berichtenswertes mehr einfällt. Wir lesen allerdings regelmäßig die BILD-Zeitung, der es ähnlich geht. Nach Abschluß der aktuellen Berichte über den "Rosa Riesen" (s.o.) beginnt nun einen "Rosa-Riese-Report" in mehreren Folgen Zwei oder mehr Seiten kann man auch öfter über Fußball lesen, obwohl gar kein Spiel war. Interessant sind auch immer die abgebildeten Nackedeis, meist aus Rostock oder Stralsund. Guckt man in die Runde, findet man aber nur schwer ähnliches "Material", wie Ulla es zu nennen pflegt.

Zum Abendessen gebt es heute natürlich die Barsche, noch jetzt beim Aufschreiben läuft mir das Wasser im Mund zusammen.

Mittwoch, 7.8.

Der folgende Morgen beginnt wieder mit strahlendem Sonnenschein. Zur Abwechslung marschiere ich heute mal mit Roland Richtung Streckelberg, dort sind unterhalb des höchsten Steilufers der Insel die verfallenen Befestigungsanlagen zu bewundern. Zunächst wandern wir am Strand entlang, Roland die Hose in der Hand, ich züchtig mit Badehose und Fotoapparat bekleidet. Zum Fotografieren der Fischerboote vom Wasser aus muß ich aber auch meine Bekleidung auf den Fotoapparat reduzieren. Dabei belasse ich es dann auch, weil wir am ehemaligen FKK-Strand entlang marschieren. Kindergruppen mit ihren Betreuern tollen herum, manche werden auch erst stramm militärisch in Reih und Glied sortiert, bevor sie ihrem Bewegungsdrang überlassen werden. Die meisten Kinder sind im Besitz von kleinen gelben Einheitseimern, wir prägen den Ausdruck "Eimerbrigade".

Schließlich umrunden wir den Streckelsberg, indem wir durch die verfallenen Mauerreste von Stein zu Stein hüpfen. Das Steilufer wollen wir nicht erklimmen, erstens ist es verboten, zweitens trägt man mit dem Betreten - wenn auch nur wenig - zum weiteren Abbau der Gesamtostseeküste bei, und drittens gibt man Beobachtern ein schlechtes Beispiel. Am Strand von Koserow müssen wir uns also wieder die Badehose anziehen und gelangen über die Treppe hinauf. An der Kante führt ein herrlicher Weg zurück, die 60 m Höhe zum Strand sind schon imposant.

Am Streckelsberg

An der höchsten Stelle befindet sich der Rest eines Bunkers, von dem aus zu Kriegszeiten ein jegliches Eindringen von feindlichen Kräften auf Reichsgebiet verhindert werden sollte. Ganz hat man es nicht geschafft. Ebensowenig ist es gelungen, den Bunker den Steilhang hinunter zu sprengen, er ist nur angekippt worden, nun steht er wie eine schräge Schachtel zwischen den Bäumen. Als Anlaß zum Nachdenken erfüllt er heute eine gänzlich andere Aufgabe als die ihm ursprünglich zugedachte. An der Nordspitze der Insel Usedom befindet sich auch der mystische Ort "Peenemünde", wo an der Wunderwaffe namens V1 und V2 herumgebosselt wurde. Heute soll dort ein Museum oder Gedenkstätte sein, mangels Unabkömmlichkeit vom Strand können wir das alles nicht innerhalb dieser zwei Wochen bewältigen.

Der restliche Strandtag verläuft wie gewohnt. Ulla und Roland erwarten am Abend ein junges Ehepaar, die von Usedom nach Bielefeld übergesiedelt sind. Er hat im Atomkraftwerk Greifswald - Lubmin gearbeitet. Als das stillgelegt werden mußte, hat es natürlich eine Menge Arbeitslose gegeben. Roland hat in Bielefeld einen Arbeitsplatz in seinem Betrieb (NC-Maschine) besorgen können. So machen Heidi und ich eine kleine Radfahrt Richtung Ückeritz. Auf's Geratewohl durch den Wald kommen wir durch lockeres Siedlungsgebiet mit hübschen Häusern. Am Bahnhof Ückeritz kommen wir raus. Nach Überqueren der B 111 geht es hinunter an das Achterwasser, dort ist die Straße zuende. Auf Befragen einer Person, die aus dem Fenster lehnt, wird uns ein Weg Richtung Loddin gewiesen, der auch auf der Karte eingezeichnet ist. Vor uns fährt sogar ein Auto, doch wir müssen wegen des Sandes öfter schieben. Endlich kommen wir auf einen Betonplattenweg, der aber führt geradewegs in eine Deponie, wo Müll und der Inhalt von Sickergruben ausgekippt werden. Das Achterwasser liegt in Sichtweite... Wir machen schleunigst, daß wir da wegkommen, parallel zur B 111 schieben wir die Räder durch einen Wald und kommen dann wieder am Biergarten raus. Da muß man erstmal verschnaufen.

Wieder zu Hause setzen wir uns zu Anke und Achim. Jürgen und Christiane, die Nachbarn, sind auch dabei. Hinter'm Haus ist "Bielefelder Abend", das ist nicht so ganz glücklich, weil man nicht weiß, wo man sich nun dazusetzen soll. Ulla scheint auch etwas verstimmt. Schließlich sitzen wir aber doch noch an einem Tisch, "Schalck-Kosolowski", Unterschied von Thermometer und Thermostat, oder ein "Bayrisches Gebammel" in Zusammenhang mit FKK an der Adria werden diskutiert.

Donnerstag, 8.8.

In der Nacht, d.h. um ca. 5.30 Uhr, schmeißt uns ein gewaltiger Donnerschlag fast aus dem Bett. Achim wollte zu dieser Zeit zum Fang auslaufen. Da macht man sich ja richtig Sorgen. Sie mußten denn auch umkehren, weil das aufziehende Gewitter die Geschichte zu gefährlich machte. Nun ist das Wetter anschließend nicht mehr so gut, wir kaufen dann auch erstmal ein, Heidi fährt mit nach Koserow, um Fleisch zum Grillen für den Abend zu besorgen. Wir gehen nochmal an den Strand, manchmal scheint sogar die Sonne.

Am Vortag haben wir ein Ehepaar aus Berlin mit einem strandfreundlichen Minischnauzer kennengelernt, die sind heute auch wieder da. Der Mann ist Angler, der hat sich gestern ein Boot gemietet und ist zum Fang hinausgerudert. Dabei ist ihm seekrank geworden, sodaß er vorzeitig - natürlich ohne Fang - zurückkehren mußte. Heute hat er bereits zwei Angeln in den Buhnen in Arbeit. "Falls wir was fangen, müssen wir noch einen Abnehmer finden, weil wir selbst keinen Fisch essen" ist die erstaunliche Mitteilung. Wozu man angelt, wenn man keine Verwendung für den Fang hat, ist uns absolut unverständlich. Das mit dem "Abnehmer" können wir natürlich sogleich klarstellen - "Na, woll'n mal sehen".

Inzwischen ist es ungemütlich geworden, schon rüsten wir uns zum Aufbruch. Da sehe ich, daß eine der beiden Angeln verschwunden ist. Da der zugehörige Besitzer im Sand döst, mache ich ihn darauf aufmerksam. Schnell ist er im Wasser und bei den Angeln, die eine liegt auf dem Boden im Wasser, etwas zieht daran. Glück jedenfalls, daß die Angel nicht ganz verschwunden ist. Noch mehr Glück, als tatsächlich ein Fisch an der Angel hängt, der wird immer größer, je mehr der aus dem Wasser kommt.


Der Bleifisch

Es ist ein "Bleifisch". Der Angler zückt waidgerecht sein Messer, ich trete abseits. Was machen wir nun mit dem Fisch. Da wir uns ja als "Abnehmer" angemeldet hatten, kommen wir nun unversehens zu der Beute, der Fisch paßt gerade zwischen die Seiten der BILD-Zeitung. Dann ein Handtuch drum herum und damit ist der heutige Strandtag erfolgreich abgeschlossen. Von Anke und Achim lassen wir uns Genaueres über den Fisch berichten. Der Bleifisch wird im Winter in großen Mengen gefangen und ist als "Kaltfisch" besonders in der kalten Jahreszeit sehr schmackhaft. Aber auch jetzt schmecke er gut. Achim macht ihn uns zurecht, Kopf und Schwanz werden abgeschnitten, etwas enttäuscht nehmen wir das, was vom Fisch übrig geblieben ist, in Empfang. Da er sehr grätenreich ist, kann man das hintere Teil des Fisches kaum verwenden. Weil heute Grillabend angesagt ist, wandern die "Bleistücke" erstmal in den Kühlschrank.

Der Grillabend wird durch eine aufziehende Regenfront verschönt. Bis alles gegrillt und verzehrt ist, bleibt es aber trocken. Als der Regen dann einsetzt, setzen wir uns wie die Hühner in einer Reihe entlang der Hauswand, Christiane und Anke drängeln sich unter einem etwas größeren Regenschirm. Hauptsache, man kann draußen sitzen, wie man es nun seit drei Wochen gewohnt ist.

Freitag, 9.8.

Alles hat mal sein Ende. Ulla und Roland treten am Freitag die Rückreise an. Wir schwingen uns nochmal auf die Räder und fahren zum "Bummeln" nach Koserow. Auch die uralte Backsteinkirche wird bewundert, dort ist z.Zt. eine Ausstellung über die sagenumwobene versunkene Stadt "Vineta". Leider hat die Kirche aber nicht geöffnet. Eine weitere Sehenswürdigkeit ist die Wirkungsstätte des verstorbenen Malers "Niemeier-Holstein", die sich an der Straße Richtung Zinnowitz befindet. Dort ist heute geschlossen. Ein Blick auf den Strand, "unser ist schöner" finden wir wieder. Auf dem Rückweg schauen wir uns am Ortsrand von Koserow noch die "Salzhütten" an, das sind kleine Katen, wo früher das Salz zum Konservieren der Fische gelagert wurde. Jetzt werden hier Künstlerkurse angeboten. Auch ein Fischrestaurant hat sich etabliert. Bei ein paar Gästen kann ich Fischstäbchen auf den Tellern ausmachen.

Wir machen uns an den Rückweg. Am Ortsausgang von Koserow widerfährt es Stefanie, daß ihr Fahrrad "tiefergelegt" wird, indem die Luft aus dem Hinterrad entweicht. Auch sofortiges Aufpumpen bleibt erfolglos. Also muß ich mich wieder aufmachen und das Auto holen. Bei der Gelegenheit kann auch gleich getankt werden, das ist hierzulande ja immer noch mit etwas Wartezeit verbunden.

Zum letzten Mal bibbern wir am Strand, unsere Berliner sind auch wieder da (mit Angeln). Aber heute wird nichts gefangen, bald sind wir auch durchgefroren und streben der Behausung zu. Heute ist unser letzter Abend, die Maurer bauen vor unserer Tür das Gerüst auf, da ist es nicht mehr so gemütlich.

Noch wartet aber die Überraschung in Form des Bleifisches im Kühlschrank. Dieser wird nun gebraten und dann mit Butterkartoffeln verzehrt. Wegen der Vorgeschichte schmeckt es uns diesmal besonders gut.

Nach dem delikaten letzten Abendessen dieses Urlaubs kommen wir uns plötzlich etwas einsam vor. Alle Mitgäste sind abgereist, da gibt es gar nicht's mehr zu quatschen. Wir stöbern denn noch ein wenig um das Haus herum. Das ehemals zusammenhängende Gelände ist nun in kleinere Grundstücke aufgeteilt und mit mehr oder weniger großen Gebäuden bebaut. Über allem thront die Fernsehantenne des Nachbarn Jürgen, für die der Name "Salatschüssel" kaum mehr anwendbar ist. Es sieht schon eher wie eine Badewanne aus. Im Haus mußte denn wohl auch ein extra Träger eingebaut werden, damit die ganze Geschichte die Ostseestürme übersteht. Außerdem pflegt Jürgen im Winter seinen Fernsehraum auf 28 Grad Wärme zu heizen, weil er gern im T-Shirt sitzt. Die Eigentumsfrage in dieser Gegend ist auch nicht ganz klar, weil es noch einen Erben des Vorbesitzers zu geben scheint.


Bernsteinernte

Zum letzten Abend sind wir in die gute Stube von Anke und Achim eingeladen. Wir erfahren noch so mancherlei aus alten Zeiten. In einem Bildband von Usedom ist der Großvater von Achim als Fischer abgebildet. Von den Bernsteinen muß auch noch etwas mehr berichtet werden. Im Winter, wenn die Stürme toben und den Sand umwühlen oder gar ein Stück von der Küste ablösen, kann man mitunter die Bernsteine nur so auflesen. Sie kommen nur da vor, wo auch Holzkohle auftritt, erkennbar an den angeschwemmten schwarzen Stücken oder an schwarzen Streifen am Steilufer. An diesen Stellen hat man durch Aufspülungen dem Glück etwas auf die Sprünge geholfen. Zu DDR-Zeiten war das streng verboten. Noch fataler wäre es gewesen, wenn herausgekommen wäre, daß die Bernsteine für Devisen oder Baumaterialien auf abenteuerliche Weise in den Westen geraten sind. So besteht dieses Haus quasi aus einem Teil Bernstein. Heute ist der Handel zum Erliegen gekommen, weil der Hauptabnehmer verstorben ist, außerdem liefern die Polen den Bernstein zu Schleuderpreisen. Zum Abschied darf sich Stefanie aus den großen Plastiksäcken mit Restvorräten per "Rollgriff" bedienen.

Sonnabend, 10.8.

Am Sonnabend ist die Stunde des Abschieds gekommen. Eingepackt werden eine Anzahl Aale, ein Zander und eine Handvoll Schollen. Koffer und Reisetaschen werden wegen der Maurerarbeiten statt durch die Tür durch das Fenster nach draußen expediert. Es hilft nichts, nachdem alles gepackt und verstaut ist, geht es auf die Heimreise. Großes Winken, dann sind wir um die Ecke. Nochmal die Hoppelei über den Plattenweg aus Eisenbahnschwellen. Spätestens in Anklam sind wir wieder in die normale Bevölkerung integriert, indem wir uns eine halbe Stunde in einem Stau um die Stadt herumbewegen. Wir fahren die Autobahn Stettin - Berlin, in der Mittagszeit erreichen wir die Außenbezirke der neuen Hauptstadt. Stefanie war noch nie in Berlin - mich quält die Mittagsmüdigkeit, da entschließen wir uns kurzerhand, zur Abwechslung durch Berlin hindurch zu fahren. Zunächst geht es durch Pankow, man muß immer nur auf den Fernsehturm am Alex zuhalten. Schließlich ein Straßenschild: "Dimitroff-Straße", da weiß ich sogar, wo wir sind. Ein paar Straßenecken nur noch, dann umgeben uns all die Wunder: Alexander Platz, Rotes Rathaus, Palast der Republik, Dom usw. Ich kann das gar nicht verstehen, daß man hier "Unter den Linden" so einfach mit dem Auto entlangfahren kann. Unmittelbar vor dem Brandenburger Tor muß man endlich beidrehen, Stefanie ist nur noch am Quieken.

Zum Abschluß noch Reichstag, Kongresshalle und Siegessäule, dann haben wir schon eine Menge von Berlin gesehen. An Anhalten oder Aussteigen ist aber gar nicht zu denken, neben der Straße findet kilometerlang ein riesiger Flohmarkt statt. Die Weiterfahrt verläuft weniger planmäßig, über Spandau nähern wir uns Potsdam. Nach Umfahren eines Staus hat uns aber schließlich die Mutter Autobahn wieder. Müde doch gesund und erholt kommen wir zu Hause an, wo der Hund und die verbliebenen Kinder herumtanzen. Leider müssen wir das liebevoll vorbereitete Willkommensessen in Gestalt von gefüllten Succhinis verschmähen, weil der Zander im Gepäck auf baldigen Verzehr drängt. Das wird uns nur schwer verziehen.