21.10 - 1.11.2004, 933 km
"Kannst du nicht in diesem Jahr noch irgend eine Radtour machen?" werde ich gefragt. Das liegt daran, dass Heidi mit Enkel Jonathan im November nach Mallorca will, und dann werden unser Hund Otto und ich einsame Strohwitwer sein. Zum Ausgleich darf es also eine Radtour sein, die habe ich schon längst im Kopf. Nach dem "Alten Europa" im Juni mit Belgien, Frankreich, Schweiz und Deutschland könnten es nun zwei Länder des "Neuen Europa" sein, die in diesem Jahr in die EU eingetreten sind. Damit ist der Plan schon fertig: von Dresden nach Prag, dann Richtung Osten durch Tschechien bis zum Riesengebirge und auf dessen Ostseite in Polen, früher Oberschlesien, zurück nach Deutschland. Vielleicht kann man sogar die sagenumwobene Schneekoppe besteigen? Rübezahl und so?
So sitze ich an einem Donnerstag im ersten Zug nach Dresden, umsteigen in Leipzig, und gegen 10.45 kann es los gehen. Strahlender Sonnenschein, die Laubfärbung ist in vollem Gange: so was nennt man dann "Goldener Oktober". Der Bahnhofsvorplatz in Dresden ist wohl eine Dauerbaustelle, da muss man sich erst durchwursteln zur Pager Straße, damit die Richtung stimmt. Dafür ist die Frauenkirche fast fertig gestellt und präsentiert sich mit ihrer hohen Kuppel in ihrer ganzen Schönheit. Ich kehre aber dem "Elbflorenz" mit seinen Besucherscharen alsbald den Rücken zu. Ich weiß noch nicht, wo heute mein Tagesziel sein wird. Auf dem "Cockpit" (Lenkertasche) habe ich zunächst eine Radwanderkarte aus einem Satz für ganz Deutschland aufgelegt, den es kürzlich bei Aldi im Angebot gab. Das sind ausgezeichnete Karten (leider ohne Höhenlinien) doch um einiges preiswerter als die offiziellen Radkarten des ADFC. Diese Karte (Blatt 19, 1:100 000) reicht bis hinter Děĉín (Tetschen).
Nun erwartet einen eine der wohl schönsten Radstrecken in Deutschland. Ich habe das Glück, sie zum dritten Mal zu fahren (s. Spree 1998, Saale - Erzgebirge 2000). Bei so einem farbenfrohen Wetter wie heute kann der Genuss nicht größer sein. So präsentieren sich die Elbschlösser, das blaue Wunder, Schloss Pillnitz in Festbeleuchtung. Es geht flott voran, ich kann sogar einen Ausflugsschiff, das aussehen soll, wie ein Raddampfer - aber keiner ist, leicht abhängen. Bald hinter Pirna ist dann das berühmte Panorama der Felspartien der Bastei zu bestaunen. Da steht auch eine Bank an der richtigen Stelle, die ist meistens besetzt. Heute nicht, ich treffe keine anderen Radwanderer, leider wird das auch so bleiben.
In Königstein sollte man die Elbe per Fähre überqueren. Heute verzichte ich aus Zeitgründen darauf und fahre auf der Bundesstraße bis zu der Elbbrücke bei Bad Schandau - es ist wenig Verkehr. Dann geht es wieder auf den Elberadweg, der bis Dĕčin (Tetschen) auf dem rechten Elbufer (aufwärts gesehen) durchgeführt sein soll. So sieht man das muntere Treiben hinter der Grenze auf der anderen Elbseite nur von weitem. Dort (Hŕensko) befinden sich die Verkaufsstände mit allerlei Krimskrams für die Schnäppchenjäger aus Deutschland. Auf dieser Seite der Elbe ist aber alles ruhig und verkehrsfrei. Dann steht man vor ein paar Eisenpfosten, das ist die grüne Grenze nach Tschechien. Alles ohne Kontrollen, und jetzt sind wir im neuen Europa.
Als die Außenbezirke von Tetschen schon in Sichtweite geraten, wird es doch noch abenteuerlich. Der Elbe-Radweg setzt sich fort als holperige Strecke mit ungewissem Ausgang. Die geteerte Fahrstraße führt dagegen eine sog. Killersteigung hinauf, das mögen 25% Steigung sein. Da kann man nur schieben, auch wenn eine Personengruppe gemütlich grillend im Hintergrund neugierig äugt und sich wundern mag, wer da mühselig den Berg hinauf schnauft. Dafür kann man danach alles wieder runter bremsen. So kommt man nach Tetschen, geprägt durch Industrie und entsprechend viel Verkehr. Auf einem Berg liegt auch irgend so was wie ein Kloster oder Schloss. In dem ganzen Gewusel verliere ich schnell die Orientierung und stelle schließlich fest, dass ich mich entlang eines Zuflusses der Elbe (Ploučnice) in Richtung Berge befinde. Also alles wieder zurück, über eine große vierspurige Rampe wie auf einer Autobahn! Ich nehme die nächste Abfahrt und finde dann auch an die Elbe - die heißt ab hier Laba - zurück. Man fährt nun auf einer wenig befahrenen Landstraße durch Ortschaften, deren Namen mehr oder weniger unaussprechlich sind (Křešice, Nebočady, Tĕchlovice, Hoštice usw.). Gegen 17.00 Uhr erreichen wir die große Stadt Ústí (Aussig). Da müsste man nun ein Quartier suchen - irgend wann wird es dann auch ja auch dunkel.
Ich irre in dieser quirligen Stadt herum, ohne zunächst ein Hotel zu erspähen. Doch da, da ist ein "Eurotel", anhalten und reinschauen. Man ist hier sehr beschäftigt, ich stehe ein paar Minuten unbeachtet herum. Schließlich dämmert es einem, das hat nichts mit Hotel zu tun, sondern mit Telefontechnik. Einer jungen Dame werden gerade die technischen Finessen eines Mobiltelefons erklärt. Ehe ich mich blamiere: "Haben sie ein Zimmer?", frage ich einen Wachmann, der mit verschränkten Armen die Szene im Griff hat, nach einem Hotel. Der aber versteht gar nichts. Also kurve ich weiter in dieser Stadt herum. Dann das Hotel Palace, ein alter Kasten aus sozialistischer Zeit. Eine Dame an der Rezeption sitzt mit der Nase auf einem Schreiben, die kann wohl nicht so gut gucken. Alles besetzt, erfahre ich dann, -Boxmeisterschaft - bis zum Wochenende alles ausgebucht. Die Dame tut mir den Gefallen, noch 4-5 andere Etablissements anzurufen, die Telefonnummern muss ich ihr diktieren, weil ihre Augen das nicht mitmachen. Keine Chance - alles besetzt - und ich stehe damit voll auf dem Schlauch.
Es bleibt nur die Weiterfahrt, obwohl es zu dämmern beginnt. Eine Stunde bin ich vergeblich in dieser Stadt rum gegeistert, und bis Litomerice (Leitmeritz) sind es noch über 20 km. Da hilft nun alles nichts, da muss man durch. Meine Fahrradbeleuchtung lässt allerdings zu wünschen übrig. Das Rücklicht ist OK, das hat mit einem Satz Batterien den ganzen vergangenen Winter überstanden, und da habe ich neue Batterien drin. Aber das Frontlicht ist auf den Akku angewiesen, den ich heute morgen schon auf der Fahrt zum Bahnhof strapaziert habe. Da leuchtet auch alsbald die rote Alarmanzeige auf, damit ist mit der Frontbeleuchtung nicht mehr zu rechnen (Wer hat heutzutage noch einen funktionierenden Dynamo?). Obendrein fahren des öfteren Streifenwagen der Polizei vorbei. Das lässt allerdings nach, nachdem ich mich weiter von der Stadt entfernt habe. Vielleicht taucht ja auch in irgendeiner Ortschaft ein Hotel auf? Dem ist nicht so! Nur einen Freund habe ich: das ist der Mond, der an einem klaren Himmel den Halbmond mimt. Damit steht man nicht gänzlich im Dunkeln. Trotzdem hätte ich zweimal fast entgegen kommende Passanten gerammt.
Ich habe außerdem doch gewaltige Angst vor der Polizei, die mich mit der mangelhaften Beleuchtung womöglich aufgreifen und des Landes verweisen könnte? Wenn ein Auto von irgendwoher erscheint - besser anhalten und auf den Seitenstreifen ausweichen, bis wieder Ruhe ist. Nach zwei Stunden habe ich die 22 km hinter mir, es ist stockdunkel und schon nach 20 Uhr. In Leitmeritz frage ich die ersten Passanten nach einem Hotel. Zum Glück können die Deutsch. "Ja, gleich da vorne am Marktplatz". Und tatsächlich, es handelt sich um das berühmteste Haus der Stadt (Salva Guarda, Haus zum Schwarzen Adler mit Sgrafitti), so irgendwie mit Bemalungen versehen, alles sehr vornehm.
Das Haus SALVA GUARDA (ein
bedeutendes nationales Kulturdenkmal) wurde im 14. Jh. für die Familie
Dionysios Houska errichtet und im Jahre 1564 vom italienischen Architekten
Ambrogio Balli im Renaissancestil umgebaut. Die Fassade verzieren reiche
Renaissance Sgraffiti mit biblischen Motiven.
Kaiser Ferdinand III., der
hier im Jahre 1650 verweilte verlieh dem Haus die Rechte eines Rittersitzes und
den Titel "SALVA GUARDA" als sichtbares Zeichen seines nunmehr
dauerhaften Schutzes und seiner gleichzeitigen Herrschaftsprivilegien. Die
Hausbewohner sollten so vor Pflünderungen und vor Soldaten geschützt werden.
Und die Rezeption ist noch besetzt, das Zimmer bekomme ich für 30 EUR, das kann man sich sogar leisten. 128 km habe ich nun in den Beinen, man kann sich vorstellen, dass man da fertig ist, ausgekühlt obendrein. Die heiße Dusche war selten nötiger. Zum Essen gehen habe ich keine Kraft mehr, außerdem verfüge ich nicht über eine Münze tschechischer Währung in den Taschen. Also gibt es noch die geschmierten Brote und gekochten Eier von zu Hause, eine Tüte Isostar (die stammt noch aus Norwegen) zum Bereiten eines Erfrischungsgetränks - das war's dann, und ich glaube, da kann man dann auch aufatmend aus den Latschen fallen. Zum Glück habe ich das morgige Quartier in Prag über Internet bereits für drei übernachtungen vorgebucht, da wird es derlei Abenteuer erst mal nicht mehr geben.
(Ich hatte auch versucht, in einem Hotel (Helena) in Litomerice die übernachtung zu reservieren, doch die Bestätigung hatte mich nicht mehr rechtzeitig erreicht, die habe ich erst nach meiner Rückkehr in den Emails gefunden.)
Die
am Zusammenfluss Labe/Elbe und Ohre/Eger liegende Königstadt Litomerice ist von
den gotischen Befestigungsmauern umgeben; innerhalb der Stadt bieten viele
gotische, Rennaisance- und Barokgebäude ihr neuerhaltenes Angesicht an. Zu den
Zierlichkeiten der Stadt gehören erhaltener Markt, historische Kellerräume,
Kirchen, Museen, Galerien.
Mit den Reservierungen per Internet ist das in Sachen Prag perfekt geregelt. Solange man keine verbindliche Buchung durchgeführt hat, bekommt man automatisch zahlreiche Angebote per Email. Ich habe mir die Pension Wurm am Weißen Berge ausgesucht, da kostet das Zimmer mit Frühstück 20.- EUR.
Aber so weit sind wir noch nicht - jedenfalls gibt es heute kein mulmiges Gefühl, was das Tagesziel angeht. Zunächst ist es recht neblig, sodass das Foto von dem schönen Sgrafitti-Haus nur trübe ausfällt. Außerdem ist der ganze Marktplatz wohl sehenswert doch heute ist nicht so viel davon zu sehen. Und als ich die Rechnung bezahlen will, ist leider der Leser für die Visacard defekt. Nebenan ist aber eine Bank, da lässt sich per Eurochequekarte am Bankomat ein ausreichender Betrag an tschechischen Kronen ziehen.
Dann geht es ab in den morgendlichen Dunst, was an den Ufern der Elbe zuweilen auch ganz romantische Stimmungen und Ansichten erzeugt. Ab und zu zeigen sich verschwommen auch eine Burg oder Ruine oder Kirche. Außerdem gibt es irgendwo in der Ferne kegelartige Erhebungen, wie wir sie aus dem Schwabenland als sog. Zeugenberge kennen. Das sind ehemalige Vulkanschlote, die der Verwitterung des umgebenden weicheren Gesteins getrotzt haben. In Roudnice (Raudnitz) wird die Elbe überquert und so langsam kommt die Sonne raus. Ab hier wird die Strecke langweiliger, es handelt sich um die Straße 240, die direkt auf Prag zu führt.
In dem Ort Velvary (Welwarn) trifft man wieder auf so einen großzügigen Marktplatz mit einer skulptur-verzierten Säule in der Mitte. Hier lässt es sich gut rasten und man läuft nicht Gefahr, unter Platzangst zu leiden. Ansonsten bietet die Landschaft nicht so viel. Abwechslung kommt auf, als ein paar Jäger in Lodengrün auf der Bildfläche erscheinen und in der Luft rumballern. Da hatte ich bisher nur Krähen gesehen. Andererseits fegen ein paar Hasen über das Feld, womöglich laufen die um ihr Leben.
Irgendwann zeigen sich die ersten Türme der Stadt Prag - die
sich, wie üblich natürlich durch ausgedehnte Wohnblocksiedlungen ankündigt.
Oder durch tief fliegende Flugzeuge, die sich auf den im Westen gelegenen
Flughafen herab senken. Die Türme - das sind die vom Hradschin, aber das müssen
wir noch lernen und deshalb sind wir hier. Erst mal stellt sich das Problem,
die Pension Wurm zu finden. Nun ist der Weiße Berg (Bilá Hora) eine bekannte Gegend, so dass man von den Passanten
einigermaßen brauchbare Hinweise bekommt. Bald merkt man, dass die Stadt Prag
bergiger ist, als man es erwartet hat (Prag rühmt sich wie Rom, auf sieben
Hügeln angesiedelt zu sein).
Aus dem Lexikon:
Weißer Berg (Bilá Hora), Prag (Tschechische Republik). Dort fand am 8. 11. 1620 die 1. entscheidende Schlacht des Dreißigjährigen Kriegs statt, bei der das böhmische Ständeheer von den Truppen Kaiser Ferdinands II. und der katholischen Liga vernichtend geschlagen wurde (auf kaiserlicher Seite fielen 1500 Mann, auf böhmischer Seite 3000). Am Ort der Schlacht wurde eine Kapelle und 1704-14 eine barocke Marienkirche errichtet.
Nach ein paar
abschließenden Klettereien findet man sich dann auf der Straße mit dem Namen Belohorska
wieder - das ist dann wohl schon ziemlich richtig. Anhand vorher erstellter
Ortspläne finde ich dann auch die Pension, aber nicht gleich den Klingelknopf.
Doch schließlich auch diesen und der Betreiber der Pension lässt mich hinein.
Er spricht kein Deutsch, da geht es nur mit Zeichensprache. Doch dann kommt
doch ein Satz: "Frau Direktor ist krank". Heißt das, dass seine Frau krank und
daher nicht anwesend ist? Dann werde ich in Ruhe gelassen und nach dem
Auspacken mache ich mich sogleich an eine Erkundungsfahrt.
Die führt immer
bergab in Richtung Zentrum, schließlich sind es 10 km, bis man die
Moldaubrücken erreicht. Ich suche nichts anderes als die Touristeninformation,
um einen Stadtplan zu erwerben, damit ich mein Quartier auch wieder finde. Die
Information befindet sich erwartungsgemäß im Rathaus, wo draußen und drinnen
alles von Menschen wimmelt. Anscheinend hat da gerade ein Glockenspiel getönt,
das die Besucher scharenweise anlockt. Würde hier heute der legendäre Prager
Fenstersturz statt finden, würde es glatt ein paar in alle möglichen
Richtungen fotografierende Touristen aus dem fernen Osten erschlagen. Damals
war an der Stelle des Aufpralls angeblich ein Misthaufen, so ist es
überliefert (Der Prager Fenstersturz war aber im Hradschin).
Folgendes ist über die Uhr
zu finden:
Weltberühmt
ist die Astronomische Uhr des Rathauses, die außer der Uhrzeit auch das
jeweilige Sternzeichen und das aktuelle Datum in einem schön gestalteten
Kalender anzeigt. Zu jeder vollen Stunde ertönt ein Glockenspiel und die
Apostel erscheinen. Dieses sich stündlich wiederholende Schauspiel zieht jedes
Mal zahlreiche Besucher an.
Schließlich habe ich
meinen Stadtplan und bin damit ein vollwertiger Mensch. Was mich nicht hindert,
am Ende der Cechov Most (Brücke) endlose Treppen mit dem Rad unter dem
Arm hinaufzusteigen. Der Park hier oben nennt sich Letenske Sady, was
immer das heißen mag (Letna Garten).
Nachdem ich die 10
km zurück auf den Weißen Berg gestrampelt bin, ist es auch schon wieder dunkel
und man sucht sich ein Lokal für das Abendessen um die Ecke. Das Restaurant
heißt Pampa und es gibt Schweinesteak mit Steinpilzsauce. über dem
Schlachtfeld des Weißen Berges flammen im Abendlicht rote Wolkenfelder - da
bekommt man ein richtiges Schlachtenfeeling.
Als erstes stelle ich fest, dass ich den Stadtplan auch wenige 100 m von meinem Quartier bei einer Tankstelle bekommen hätte. Ansonsten steht für heute natürlich der Besuch der Stadt Prag auf dem Programm. Auf dem Weg dorthin gerät man geradewegs in das Straßen- und Platzgewirrs des Hradschin. Da geht man durch Torbögen von einem Platz zum anderen, sofern der Platz inmitten der geführten Reisegruppen ausreicht. Die Teilnehmer der Reisegruppen lauschen andächtig ihren Führern, aus denen die Jahreszahlen nur so heraus sprudeln. Manche Touristen sind auch "angeschlossen", d.h. die sind mit Ohr- oder Kopfhörern versehen und beziehen ihre Information von irgendwoher aus dem All oder was? Der Hradschin wird von Schwärmern auch als die böhmische Akropolis bezeichnet. Ich komme mir selbst vor wie im Tal der Ahnungslosen. Schließlich hoppele ich mit meinem Fahrrad unter dem Arm eine kleine Gasse mit vielen Stufen hinunter und komme in der Nähe der Karlsbrücke heraus.
Die Karlsbrücke ist die berühmteste Brücke in Prag und das merkt man gleich am Gedränge. Außerdem haben sich dort allerlei Kleinkünstler und -händler, Portraitisten und andere Maler einquartiert. Am Ende singt eine Sängerin von einer imaginären Partitur in Blindenschrift ab.
Direkt am Ende der Brücke produziert man am besten gleich die berühmte Panorama-Ansicht von Prag, in dem die mächtige Kathedrale des Hradschin über den Häusern der Stadt thront, Figuren der Karlsbrücke im Vordergrund.
Aus dem Internet:
Die Karlsbrücke ist ähnlich wie die Burg
so etwas wie ein Wahrzeichen Prags. Kaum ein Besucher versäumt es, über sie zu
bummeln. Und so kehrt dort auch erst spät abends Ruhe ein. 1357 war ihr
Grundstein gelegt worden, nach dem die Vorgängerbrücke, die Judithbrücke, einem
Hochwasser zum Opfer gefallen war. Jahrhundertelang bildete sie den einzigen
befestigten Brückenschlag über die Moldau und stellte einen wichtigen
Flaschenhals zentraler Handelswege dar. Als Architekten hatte Karl IV. auch
hier Peter Parler verpflichtet, jenen Meister des Prager Veitsdomes. Die
mittlerweile 30 Brückenfiguren stammen aus dem 17./18. Jh. und stellen heute
eine einmalige Freiluftgalerie barocker Skulpturenkunst dar, auch wenn viele
Originale mittlerweile durch Kopien ersetzt wurden.
Zum Glück scheint über allem die warme Herbstsonne, da kann man sich auch mal auf eine Bank verziehen. Dazu suche ich mir die Insel Strelecky Ostrov aus. Die muss man nur mit einer Frohnatur teilen, die es sich in einem Baumstupf bequem gemacht hat und sich des Lebens freut. Ich bummle danach wieder eine Brücke weiter, so habe ich am Ende 4 der 6 Brücken im Moldaubogen überquert. Der Gang durch die Altstadt nervt nun doch, es ist einfach zu voll. Da lässt auch die Aufnahmefähigkeit schnell nach. Da gibt es allerlei Musikanten, Pantomimen und Souvernirhändler, die irgend welchen Tinnef verkaufen. über das Judenviertel schlage ich mich so langsam wieder berg- und heimwärts, nicht ohne noch einmal durch das Gelände des Hradschin zu wuseln. Und dann gibt es doch noch einen Ort am Wege, den man ganz für sich haben kann. Das ist das Kloster Brevnov (Breunau). Das ist eine barocke Kirche mit angrenzenden Klostergebäuden. Hier kommt keiner mehr her, vielleicht gebt es auch zu wenig zu sehen.
Dazu
ist zu lesen:
Die
letzte in Vergessenheit geratene Kapelle, auf die wir Sie heute aufmerksam
machen möchten, befindet sich auf dem Friedhof im Stadtteil Brevnov/Breunau.
Als Friedhofskapelle des Hl. Lazar/Lazarus ließ sie 1762 der 50. Abt des
Benediktinerklosters in Brevnov, Bedrich Grundmann, erbauen. Dies geschah ein
Jahr nach dem großen Barockumbau des Klosters. Die Kapelle ist ein Werk des
italienischen Architekten Anselmo Lurago und steht direkt am Eingang zum
Friedhof. Dieser wurde 1739 im westlichsten Zipfel des Klostergartens
errichtet.
1778
wurde die Kapelle unter dem Abt Stepan Rautenstrauch erweitert. Der Maler Josef
Hager schmückte das Gewölbe damals mit Fresken des Jüngsten Gerichts aus und
bemalte auch den Altar, in dessen Mensa der gotische Grabstein des Abtes Ulrich
aus dem Jahr 1381 gelegt wurde. In der Krypta unter der Kapelle errichteten die
Benediktiner von Brevnov ihre Gruft.
Müde kehre ich in mein Quartier zurück und frage mich, wie ich einen weiteren Tag in Prag zubringen soll. Es sprechen etliche Gründe dafür, bereits morgen weiter zu fahren: Das Wetter ist gut, der Wind günstig und am Sonntag ist der Großstadtverkehr sicher ruhiger. An der Straßenbahn-Endstation der 22 frage ich, ob man das Fahrrad mit der Straßenbahn transportieren könnte. Das geht nicht, da muss man sich also seinen Weg selber bahnen. Es dauert bestimmt eine Stunde, bis ich den richtigen Ausstieg auf dem Stadtplan herausgefunden habe. Danach geht es wieder zum Essen ins Pampa und wir haben 2 Forellen vom Grill. Untermalt wird das Ganze durch Musik von Andrea Bocelli oder Eros Ramazotti (wie auch schon gestern).
So, 24.10. Königgrätz (Hradec Kralova)
Ich verabschiede mich bei dem Pensionsbetreiber, der guckt etwas kariert, sorgt aber dafür, dass ich auch die dritte ausgeschlagene übernachtung mit bezahle. Nun soll es in Richtung Osten weiter gehen. Zuerst wieder runter an die Moldau, inzwischen kennt man die Schleichwege. In Richtung Osten gibt es eine Ausfallstraße, die heißt Podebradska, die als nächstes angepeilte Stadt dagegen Poděbrady. Nach einigen sprachlichen überlegungen und Kombinieren entscheide ich mich für die Podebradska - und sie enttäuscht mich nicht. Außer dass sie sich sehr lang hinzieht, bis man so was wie einen Stadtrand von Prag erreicht. 28 km stehen schon auf dem Tacho, bis es so weit ist.
Die Straße 611 verläuft parallel in Sichtweite einer Autobahn, daher ist hier kaum Verkehr. Es geht aber schnurgeradeaus, bis zum Horizont keine Kurve. Wenn der Rückenwind nicht wäre, würde wohl leicht Langeweile aufkommen. So aber kommt man schnell voran. Wenn auch die Landschaft hier nicht so viel zu bieten hat, erfreuen das Auge doch die farbenfrohen Laubbäume. Wie man weiß, zeichnet sich vor allem der Ahorn durch ein ganz besonderes Farbenspiel aus. Daher ist wohl auch das Ahornblatt im Wappen von Kanada zu finden, was wiederum wegen seines "Indian Summer" ein beliebtes Ziel um diese Jahreszeit ist. So was geht einem dann hier in einem ganz anderen Teil der Welt durch den Kopf.
In Poděbrady endlich wird die erste Rast eingelegt, da sind schon 75 km absolviert. Prächtig präsentiert sich hier wieder der große zentrale Platz. Nebenan ist so was wie eine Burg. Die könnte man sich ja auch mal ansehen, aber ich bin wieder zu rastlos und breche bald wieder auf, damit einen nicht wieder die Dunkelheit überrascht.. Bis Königgrätz (Hradec Králové) sind es noch gut 50 km. Da hat man Zeit, über die Geschichte und Namensgebung dieser Orte zu philosophieren. Königsgrätz hat doch wohl mal in den Napoleonschen Kriegen eine Rolle gespielt? Oder war es noch früher zu Zeiten des Friedrich des Großen? Und was heißt Hradec? Hört sich an wie Hradschin, damit hat es wohl was mit königlich zu tun. Kralove muss dann Grätz heißen.
Das kann man nicht so stehen lassen. Unser Freund
Terje
schreibt dazu:
... Jetzt werde ich ein paar von deinen
Überlegungen kritisieren. Bei tschechischen Namen kann man nicht
mathematisch davon ausgehen, dass die Reihenfolge der einzelnen
Wortteile mit der deutschen Reihenfolge übereinstimmt. Man muss
versuchen bei den einzelnen Teile eines Wortes die sprachlichen Wurzeln
zu erkennen. Die Tschechen haben bei dem Namen Königgrätz die
zwei Teile ganz vertauscht. Hradec-Králove. Kralove bezieht sich
auf den König. In slawischen Sprachen stammt der Begriff für
König vom Karl dem Großen, genau wie Cäsar Pate zu den
Begriffen Kaiser und Tsar stand. Hradec hat etwas mit Burg zu tun.
Hradcany (Hradisch) in Prag ist also eine Ableitung
von hrad (Burg) Auf Deutsch ist der letzte Teil vom
Königgrätz -grätz. Ich frage mich, was Grätz
eigentlich bedeutet. In einem deutschen Wörterbuch kann
ich das Wort nicht finden. Ich habe aber die Vermutung, dass grätz
einfach das slawische Wort für Burg ist, also grad. Im
Tschechischen hat eine Lautverschiebung g zu h. stattgefunden. Deshalb
heißt es dort hrad- mit h. In anderen slawischen
Sprachen steht dort ein g (grad-). Nördlich einer
Lautverschiebungslinie, so wie in Polen, hat es diese
Lautverschiebung nicht gegeben, und es kann sein, dass die
Österreicher das örtliche Wort für Burg (grad)
übernommen haben und davor König gesetzt haben.
Weiter nachgeforscht:
Königgrätz
(Hradec Králové), Stadt in Tschechien. In der Entscheidungsschlacht des preußisch-österreichischen
Kriegs am 3. 7. 1866 (auch nach Sadowa benannt) besiegten die
preußischen Truppen unter H. von Moltke die österreichisch-sächsische
Nordarmee unter L. von Benedek und stießen
in der Folge gegen Wien vor.
Damit merke ich so langsam, dass ich zu spinnen beginne. Das mag auch an dem zunehmenden Verkehr liegen, der auf der weiterhin schnurgeraden Strecke schon wegen des Lärms mittlerweile unerträglich wird. Wir passieren noch den Ort Chlumec, wo wohl gerade eine Kirmes oder so was abgehalten wird. Ich finde mich für eine Rast in einem mit Müll angereicherten Bushäuschen wieder. Man kann es nicht immer schön haben.
Noch ein Stück weiter auf dieser hektischen Straße und dann hält man es nicht mehr aus und biegt in die Botanik ab. Das hätte man schon viel eher tun sollen, aber dann hätte das mit dem "Vortrieb" nicht so gut geklappt. Aber nun geht es durch Orte wie: Libčany, Hvozdnice, Hřibsko, Plačice. Das zergeht auf der Zunge! Dafür ein Kirchlein, Wein- und Obstberge, Alleen. Das erfreut das Auge! Damit ist man dann unversehens in den Randbereichen der Stadt Hradec Kralove angelangt. Es war heute morgen noch nicht sicher, ob das in einer Tagesetappe zu schaffen ist.
Als ich den Marktplatz erreiche, bin ich im Paradies. Keine Touristen, ein Hotel (Pod Vezi) und ein chinesisches Restaurant gleich um die Ecke. Das Hotel ist nagelneu renoviert, man fühlt sich, als wäre man der erste Gast. In besagtem Restaurant um die Ecke verzehre ich einen Berg laut Speisekarte "Knusprig gebackenes Ente" nebst zwei Bier für 8 EUR. Und der anschließende (nötige) Rundgang beschert auch noch romantische Eindrücke, ob mit - oder ohne Beleuchtung. Es ist alles perfekt, damit bekommt Königsgrätz vorab die goldene Palme dieser Tour!
Zurück in dem gemütlichen Hotelzimmer kann man auch per Satellit Receiver Deutsche Programme empfangen. Ich ziehe mir statt Pilcher (ZDF) ein paar Hits rein (MDR): "You win again" (Bee Gees), oder "Distant Lands are not so far away" (The other ones)! Wenn man das auf sich selbst bezieht, kommen einem fast die Tränen.
Mo, 25.10. Sumperk (Mährisch Schönberg)
Nach diesem angenehmen Aufenthalt in Königgrätz werden wir uns heute den westlichen Partien des Riesengebirges nähern. Man hat auch gelernt, dass die Hauptverbindungsstraßen unbenutzbar sind. Nach gründlichen Kartenstudium kann man aber auch immer Nebenstraßen finden, die nicht nur verkehrsärmer sondern auch noch landschaftlich wesentlich reizvoller sind.
Dennoch muss man aus der Stadt raus die Landstraße 11 benutzen bis zu dem Ort Tyniste, da geht es dann auf den Strecken 305, 317, 315 über Chocen, Usti, Lanskroun und Zabreh nach Sumperk. Bis Usti geht es entlang des Flusses Ticha Orlice, einem Nebenfluss der Elbe. Leider scheint heute die Sonne nur spärlich, da ergeben sich nicht so viele Möglichkeiten zum Fotografieren. Besonders am Ende der heutigen Etappe sind die ersten ernsthafteren Steigungen zwischen Lanskroun und Zabreh zu bewältigen, die Berge rings umher erheben sich mittlerweile so an die 600 m. Besonders schön ist ein Wiesen- und Waldttal entlang des Flüsschens Moravska Sazawa, das dann als Morava in Bratislava in die Donau mündet. Damit hat man gerade eine Wasserscheide Elbe/Donau überschritten. Hier muss man nun über einen Berg, dann hinunter in ein Quertal und gegenüber alles wieder hinauf.
So kommt es, dass man in Sumperk für heute auch wieder einmal genug hat. Die Touristeninformation ist in einem alten Gebäude (Paulinenhof, Pavlinův dvůr), wo auch das Museum untergebracht ist. Man empfiehlt mir für die übernachtung die Villa Ancora gleich um die Ecke. Das ist wieder ein Haus erster Klasse, die übernachtung kostet etwa 30 EUR. Dafür kann man hier sein technisches Talent an einer High-Tech Duschkabine erproben. Durch "Learning by Doing" findet man schließlich den richtigen Hebel heraus, nachdem man unabsichtlich die eine oder andere Hochdruckdüse betätigt hat. Das "Goody" auf der Bettdecke ist aber leider nur Seife.
In der Info hatte man mir ein P in den Stadtplan gemalt, und P steht für Pizzeria. Die heißt Farao und ist recht schummrig. Auf dem Rückweg mache ich noch ein paar Schleifen durch das Zentrum, leider wird es nun immer so früh dunkel, dass man nicht mehr so viel davon hat. Da sitzt eine Frau auf einer Bank, etwas verrenkt. Die kann man ruhig ansprechen, die tut einem nichts - denn sie ist aus Bronze.
Im Fernsehen kann man "Wer wird Millionär" gucken - das Wissensniveau der Kandidaten scheint sich nicht besonders gehoben zu haben. Derweil zerschneide ich die überdimensionale Karte der östlichen Tschechei, den ganzen südlichen Teil werde ich gar nicht brauchen. Die Weiterfahrt wird entworfen, da gibt es eine abenteuerlich aussehende Straße genau auf der Grenze zu dem Natur- oder Nationalpark CHKO Jeseniky. Wenn das Wetter mit spielt, könnte man sich morgen mal um diese Angelegenheit kümmern.
Di, 26.10. Jesenik
Es ist sehr dunstig, aber trocken, da kann man das mit dieser Zickzackstraße ja einmal versuchen. Dazu muss man bald nach Sumperk links abbiegen und fährt durch das lang gezogene Dorf Novy Malin stetig bergauf und in den Wald. An Wegekreuzungen sind Wegweiser aufgestellt und man kann die Höhenmeter, auf denen man sich gerade befindet, ablesen. Erst sind es so um die 400 m, dann über 600 und am Schluss hat man dann die Höhe von 770 m erreicht. Und das fast gänzlich verkehrsfrei, auf diese Straße verirren sich heute höchstens ein paar Pilzsucher.
Und so geht es wie immer: wenn man gerade richtig auf der Höhe ist muss man alles wieder runter, dieses Mal nach Rymarov (...) auf 590 m Höhe. Hier fungiert ein Tabak- und Zeitschriftenladen als Touristeninformation. Ich frage nach einer Unterkunft auf der weiteren Wegstrecke, die mir allerdings keineswegs schon klar ist. Ja, nach Jesenik sollte man fahren, eine größere Stadt, allerdings auf der anderen Seite des Riesengebirges. Aber da wollte ich eigentlich auch hin, ich wusste nur noch nicht wie. Die ursprünglich geplante Mährische Pforte über Ostrava (Mährisch Ostrau) bedeutet eine erheblich längere Strecke und die führt wahrscheinlich auch durch ausgedehnte Industriegebiete.
Von Rýmarov nach Jesenik geht es etwa 40 km quer durchs Gebirge auf den wenig befahrenen Straßen 445 und 450. Durch das Tal der Moravice geht es immer leicht aufwärts. Hier ist man touristisch auf der Höhe bis hin zu mondänen Sporthotels, die vorwiegend im Winter zum Skisport frequentiert werden. Schließlich erreicht man hinter dem Ort Karlova Studanka über 1000 m Höhe, muss dann allerdings unfreiwillig wieder ein paar hundert Höhenmeter runter und findet sich in Vildly wieder, das ist nur eine Ansammlung von wenigen Häusern. Wenn man hier Rast macht, gefällt das einigen Dackeln nicht, die lautstark protestieren. Man muss nun noch einmal bis auf 930 m Höhe klettern, dann hat man diesen "Doppelpass" geschafft.
Die restlichen 20 km bis Jesenik auf 523 m Höhe geht es dann bei mäßiger Steigung hinunter, da braucht man weder treten noch bremsen. Am Tagesziel begebe ich mich sogleich in die Touristeninformation am Marktplatz (da ist sie meistens im Rathaus), und bekomme ein Quartierverzeichnis in die Hand gedrückt. Die erste Privatpension ist besetzt - oder man will mich nicht aufnehmen, vielleicht stehen die Haare von der Abfahrt zu sehr in alle Richtungen? Um die nächste Ecke findet sich aber das Hotel Staric, da komme ich aufatmend unter. So nobel wie die vergangenen zwei Unterkünfte kommt einem das hier nicht vor, im Internet ist aber zu lesen, dass es sich hier um eines der ältesten und traditionsreichsten Gebäude der Stadt handelt. Das Fahrrad verschwindet dann auch gleich in irgend welchen Kellergewölben. Es gibt eine interessante Preisliste: Fahrradversorgung 25 Kr., Frühstück 50 Kr., Hund aufs Zimmer 100 Kr. Um das auf EUROs umzurechnen, muss man das jeweils durch etwa die Zahl 30 teilen. Die übernachtung kostet schließlich 470 Kr.
Zum Abendessen findet sich dann ein uriges Restaurant am Marktplatz, da lässt man sich heute Schweinerippen mit Ei und Speck schmecken. Hinter einem Pfosten, um dem allgegenwärtigen Fernsehen zu entgehen, schäkere ich abwechselnd mit dem Dackel Dori und dem Handy-Telefon, mit dem ich immerhin aus dieser abgeschiedenen Sitzposition mit zu Hause Kontakt aufnehmen kann. Das glaubt man dann immer gar nicht.
Mi, 27.10. Glatz (Klodzko)
Nun geht es nördlich in Richtung polnische Grenze wieder auf einer rot markierten Hauptstraße mit der Nummer 60. Es ist aber so gut wie kein Verkehr dort. Leider hat man von der Riesengebirgslandschaft bzw. Altbatergebirge heute gar nichts, denn es ist neblig und in den höheren Lagen nieselt es leicht. Man muss die Handschuhe anziehen, die dann wiederum als Scheibenwischer für die Brille gut zu gebrauchen sind. Der erste Ort heißt Zulova (Friedeberg). Da kann man sich nur auf eine feuchte Bank setzen, wenn man den Regenumhang drunter legt. In Javornik (Jauernig) thront hoch oben eine Burg, die lässt sich durch den Dunst nur schlecht fotografieren. Derweil stehe ich in einem überdachten Eingang und schaue dem Nieselregen zu. Dann ist man schnell am Grenzübergang und befindet sich damit in Polen bzw. dem früheren Schlesien. Die nächste Stadt wäre Paczkow (Patschkau). Ich biege aber vorher in eine Nebenstraße links ab und gerate in das erste Dorf, das sich langgezogen an einem Flüsschen hinzieht. Es heißt Goscice (Gostal). Es ist einen Versuch wert, die Straße bis ans Ende zu fahren, dort ist schon wieder die Grenze und dahinter liegt Bila Voda, das kann ich sogar übersetzen, das heißt Weißwasser. Dort gibt es wohl ein Kloster. Doch leider kann man die Grenze hier nicht überqueren, da ist nur ein verrammeltes Tor.
Damit muss ich mich auf die Hauptstraße mit der Nummer 46 in Richtung Glatz begeben. Das ist weniger angenehm, dort ist ein reger Verkehr, vor allem auch durch Schwerlaster und Tankzüge. In der Stadt Zloty Stok (Reichenstein) geht es erst mal in ein Bushäuschen zum Rasten. Da kommt ein älterer Mann heran gebummelt. "Englisch, Niemetzky?" fragt er. "Aus Deutschland" sage ich, und darauf gibt er mir die Hand. Irgendwie rührend, danach brummelt er noch etwas und zieht dann weiter. Wir hatten bei früheren Polenbesuchen die Erfahrung gemacht, dass die Leute meistens irgendetwas von einem wollen, das ist diesmal nicht der Fall.
An der nächsten Bank ziehe ich 200 Zloty aus dem Bankomat, die restlichen Tschechischen Kronen will man in der Bank allerdings nicht wechseln. Warum weiß ich nicht. Wenn das Wetter schön wäre, könnte man von hier eine Nebenstraße nach Süden fahren und dann ein Tal (Biala Ladecka) hinunter nach Glatz. Das empfiehlt sich heute nicht, oben hängt alles voller regenschweren Wolken. Mit gemischten Gefühlen geht es wieder auf die Hauptstraße und man kämpft um sein Leben. Zudem folgen auch einige ernste Steigungen, die bei knapp überholendem Schwerlastverkehr besonders unangenehm sind. Nach etwa 10 km ziehe ich mich auf einen Rasplatz mit Hütte zurück. Da entdecke ich auf der Karte ein kleines Sträßchen, das nun links hinunter führt in einen Ort namens Jaskowa (Hannsdorf). Und das ist ein Glücksfall! Es handelt sich hier um ein wohl typisches Straßendorf, das sich wieder an einem Flüsschen entlang zieht. Vor Begeisterung mache ich gleich ein Panoramfoto, wo die eine oder andere "polnische Wirtschaft" zu bewundern ist. Die Talseite gegenüber ist etwas erhöht, da haben sich früher wohl die wohlhabenderen Anwesen befunden. Heute ist nicht alles mehr im besten Zustand.
In dieser Umgebung könnte man noch länger weiter fahren, aber am Stadtrand von Glatz endet die Herrlichkeit. Das Zentrum der Stadt Glatz liegt auf einem Berg und ein altes Kastell erhebt sich darüber. über eine urige Brücke (Most Gotycki) schiebt man hinauf und erreicht den Marktplatz. In der Information (es ist früher Nachmittag) markiert man mir auf dem Stadtplan das nahegelegene Hotel Marhaba, wo ich problemlos unterkomme.
Aus
dem Internet:
Die
Festung wurde in XVII Jh. von dem holländischem Ingienieur- Cornelius Vallrawe
errichtet. Man kann die Bastionen, Höfe und Kasematten mit Ausstellungen
besichtigen. Von den Aussichtplatformen hat man herrliche Aussicht auf die
Stadt und den südlichen Glatzer Kessel.
über die Stadt Glatz, dem Zentrum des Glatzer Berglandes, gäbe es wohl viel zu berichten. So ein Nachmittagsspaziergang gibt da nicht so viel her. Auf das Kastell steige ich nicht hinauf, es ist zu kalt und windig, die Aussichten trübe. Nun gibt es da auch einen geheimnisvollen unterirdischen "Touristengang" von der Unterstadt bis zum Kastell. Der ist leider aber auch verriegelt und verrammelt.
Der Gang wurde nach dem 2-ten Weltkrieg hergerichtet
und zur Besichtigung freigegeben. Der Einlass zu diesem Gang befindet sich
unterhalb der Pfarrkirche. Der Weg ist beleuchtet und in einigen Nischen stehen
Figuren und archäologische Fundstücke.
Die Fußgängerzone dagegen ist sehr belebt, es halten auch hier schon die westlichen Allerweltsgeschäfte Einzug - stellvertretend für alle wie immer Mac Donald's. Neben einem Gymnasium lande ich wieder in einer Pizzeria, wo es mir bei Schulmädchengekicher und Rappermusik bestens schmeckt.
Am Abend habe ich dann wieder einige Zeit damit zu tun, die Tagesstrecke auf der Karte zu markieren, damit man das später noch nachvollziehen kann.
Do,
28.10. Waldenburg (Walbrzych)
Im Morgennebel gibt es einige Schwierigkeiten, aus der Stadt heraus zu finden, man will schließlich nicht nach Breslau oder Gleiwitz, so wie es hier ausgeschildert ist. Ich kann mich aber nach dem Ort Bierkowice durchfragen, und dort beginnt meine Nebenstrecke und bald radele ich wieder so ein Langdorf entlang, das heißt Gologlowy und ist an dem Fluss Scinawka gelegen. Später nennt sich das Dorf dann auch Scinawka-Dolna. Damit befinden wir uns inzwischen wieder in einem anderen Wasser-Einzugsgebiet, nämlich dem der Neisse bzw. Oder.
Bald gibt es eine kleine Straße direkt an der Tschechischen Grenze, auch die mag so an die 700 m hoch führen. Schließlich gerät man wieder auf die Straße 381, die durch ein schönes Tal führt. Auf einer weiteren Nebenstrecke nähere ich mich der Stadt Waldenburg quasi "von hinten" - schön, aber anstrengend.
Die ganze Zeit grüble ich über den Namen Waldenburg nach. Schließlich bin ich in der sog. "Flüchtlingsstadt" Espelkamp zur Schule gegangen. Dort sind fast alle Straßen nach Städten oder Flüssen im Osten des ehemaligen Deutschlands benannt. So gibt es auch einen "Waldenburger Hof". War das eine Kneipe in Espelkamp oder was? Irgendwann dämmert es mir: das war die Adresse der Wohnung meiner Mutter.
Damit bin ich also in Waldenburg, was sich zunächst durch einen brausenden Verkehr auszeichnet. Es dauert lange, bis ich so etwas wie das Zentrum erreiche. Eine Touristeninformation ist zwar ausgeschildert, aber ich kann sie nicht finden. Ein Hotel sehe ich auch nicht. Nachdem ich das erste Mal im Kreis gefahren bin, frage ich eine Frau auf der Straße nach dem Touristenbüro. Das versteht sie nicht - bedeutet mir aber, ihr Vater könne Deutsch und sie wohnten gleich um die Ecke. So stehe ich unversehens im Flur einer Familie in Waldenburg.
Die Leute sind rührend um mich bemüht und versuchen zu telefonieren, das klappt anscheinend leider nicht so ganz. Wenig weiter gäbe es aber das Hotel Sudety wird mir schließlich auf den Weg gegeben und wir verabschieden uns herzlich. Das Hotel Sudety ist allerdings so ein alter Kasten aus sozialistischer Zeit. Nun gut, so etwas möchte man ja auch einmal von innen sehen. Man hat offensichtlich Mühe,diesen Kasten innen und außen in anständigem Zustand zu erhalten.
Ich breche noch einmal auf, um das "wahre" Zentrum zu finden. Das muss ich mit dem Fahrrad machen, weil das Hotel natürlich nicht besonders zentral liegt. Nun kurve ich durch die belebten Straßen, suche noch einmal vergeblich die Touristeninformation und komme schließlich zu dem Schluss: die braucht man hier gar nicht! Stattdessen schauen ein paar Fördertürme zum Kohlenabbau hinter einer Halde hervor (inzwischen wohl stillgelegt). Nachdem ich auch die verfügbaren Kirchen umrundet habe, muss ich mit dem Eindruck zurück fahren, dass diese Stadt nicht sonderliches zu bieten hat. Vielleicht irre ich mich aber auch und lasse mich gern eines besseren belehren.
Darum
etwas ausführlicher:
Waldenburg
(poln.
Walbrzych), Kreisstadt inmitten
des Waldenburger Berglandes, 400-500 m hoch gelegen. Gründung etwa 1290, 1305
Burgdorf "Waldenberc", 1400 Verleihung des deutschen Stadtrechts.
1532 erste Bergordnung. Offene Marktsiedlung mit rechteckigem Ring.
Marienkirche von 1714, evangelische Kirche 1785-1788 nach Plänen von Carl
Gotthard Langhans, Rathaus 1855, barocke Bürgerhäuser am Ring. Im 20.Jh.
Eingemeindung der in den umliegenden Tälern gelegenen Nachbarorte. Im 19.Jh.
bedeutender Leinenhandel. Mittelpunkt des Waldenburger Kohlenreviers,
Steinkohlenbergbau, Steinkohlenchemie, Chemische Industrie, Hüttenwerke,
Maschinenfabriken, Stahlbau, Pozellanfabriken, Textilindustrie, Schuhindustrie
sowie andere Unternehmen. 1818 Errichtung der ersten mechanischen
Flachsgarnspinnerei auf dem europäischen Festland. 1834 erste Porzellanfabrik
der Welt mit Steinkohlefeuerung. Die Waldenburger Firma Krister gehörte zu den
großen Pozellanhersteller Europas, desgleichen die Firma Thielsch in
Waldenburg-Altwasser. Berglandmuseum, Stadttheater. Nördlich von Waldenburg
Schloß Fürstenstein und die durch ihre Dahlienzucht berühmte Gärtnerei
Liebichau. 1939: 65000 (mit Vororten 110000), 1975: 128000 Einwohner. 1975
wurde Waldenburg Sitz einer Wojewodschaft.
... und erstaunlicherweise:
In Hinsicht auf historische Baudenkmäler gehört Walbrzych zu
der Spitzengruppe der polnischen Städte, Neben der ganzen Bau-,
Palast-und Parkkomplexe finden Sie hier auch viele Sakralbauten, Ruinen
und Überreste der Ritterburgen und Festungen sowie zwar viel
jüngere, aber genauso interessante Denkmäler der technischen
Architektur.
Ich beschließe den Abend im Restaurant des Hotels, wo man leidlich essen kann. Alles macht hier den Eindruck, als habe es schon "bessere Zeiten" gesehen, wobei diese Zeiten gemeinhin eher zu den "schlechteren" zählen. Also habe ich auch diese Erfahrung gemacht - und kann mich am Abend gründlich der weiteren Planung dieser Tour widmen.
Fr, 29.10. Karpacz (Krummhübel)
Beim Frühstück gerate ich an einen Kellner, der sich bereitwillig über die neue Situation nach dem EU-Beitritt Polens äußert. Seine begleitende Handbewegung ist ein abschätziges Abwinken. Es geht vor allem darum, dass die westlichen Konzerne (Lidl, Media Markt, Aldi, Schlecker,...) die ortsansässigen Kleinbetriebe (z.B. Brauereien) verdrängen und gleichzeitig auch noch die ohnehin niedrigen Löhne drücken. Während er sich immer mehr aufregt, sehe ich zu, dass ich mit dem Frühstück fertig werde, ich kann schließlich nichts dafür.
Das Ende der Radtour ist nach der gestrigen gründlichen Planung abzusehen. Nachdem ich herausgefunden habe, wo die Schneekoppe (Snietzka) liegt, zieht es mich an einen Ort, der ihr zu Füßen liegt, und man wird sich denken können, warum.
Von Waldenburg geht es zunächst auf der Landstraße zu der Stadt Boguszow-Gorce (Gottesberg). Hier war (oder ist) wohl das Zentrum des Kohlereviers, man sieht viele Abraumhalden und kann sich nur wundern, welche Mengen man da aus dem Untergrund zutage gefördert hat. Existieren die Hohlräume da unten alle noch? Hoffentlich geht das gut.
Als ich an der Stelle bin, wo man auf die Nebenstraße Richtung nächstes "Langdorf" abbiegt, ist weiter vorne etwas Trubel. Ein Tanklastzug steht schräg und einige Leute beugen sich über etwas auf der Straße. Ich sehe zu, dass ich auf meiner Nebenstraße verschwinde, höre aber bald die Sirenen der Krankenwagen. Mein Langdorf heißt heute erst Witkow, dann Jaczkow und ist an einem Bach namens Lesk angelegt. Dieser mündet in den Fluss Bobr. Durch dessen Tal führt nun eine Strecke, die zu den absoluten Highlights der Tour gehört. Das liegt natürlich auch am Wetter, denn die Welt präsentiert sich wieder sehr farbenprächtig.
Irgendwann fällt mir die Markierung eines Radweges ER-6 auf. Wir müssen uns noch etwas gedulden, bis wir näheres darüber erfahren. Wir kommen in den Ort Janowice Wielkie (Jannowitz). Da überholt mich ein Mountainbiker, der will auch nach Karpacz. Allerdings auf der Strecke über Karpniki (Fischbach), während ich lieber an dem Fluss Bobr (Bober) bleiben möchte. Er dreht extra noch einmal um, weil er denkt, ich kann mich nicht orientieren. Offensichtlich versteht er nicht, dass man nicht immer die kürzeste Route wählen muss.
Zwischendurch
mal wieder was für die Bildung:
Der
Bober (polnisch Bóbr) ist ein Fluss im südwestlichen Polen.
Er entspringt bei Bober (tschech. Bobr) nahe Schatzlar im tschechischen
Rehorngebirge und fließt in etwa parallel zur Lausitzer Neiße durch Schlesien
nach Norden, durchquert die Städte Hirschberg, Bunzlau
und Sagan
und mündet dann bei Crossen in die Oder. Der
Bober ist auf seiner ganzen Länge von 268 Kilometern nicht schiffbar. In den
Verhandlungen der Alliierten um das künftige Gebiet Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von den USA und Großbritannien zuletzt noch die Oder-Bober-Linie statt
der Oder-Neiße-Grenze als deutsche Ostgrenze
vorgeschlagen, die Sowjetunion verweigerte aber die Zustimmung dazu.
Ich kann mir sogar sehr viel Zeit lassen, weil es gar nicht mehr weit ist. So staunt man erstmal über das Schloss Schildau, wo man eifrig restauriert und ein sicher mondänes Hotel einrichtet. In Myslakowitze (Erdmannsdorf) verliere ich dann doch ein wenig die Orientierung und fahre einmal im Kreis um die Kirche herum. Ein Rollstuhlfahrer, der in einem Hof sitzt, mag denken, ich habe einen Doppelgänger, nachdem ich zweimal an ihm vorbei gefahren bin.
Schließlich geht es nur noch bergauf und wir sind schwitzend am Ziel in 600 m Höhe und das ist Karpacz. Der alte deutsche Name ist "Krummhübel", dann heißt Kar = Krumm und Pacz = Hübel oder was?
Dazu teilt
Terje mit:
Den Namen Karpacz kann ich nicht deuten, aber
ich glaube nicht, dass es so einfach ist wie karp=krumm und
acz=Hübel. Da werde ich mit der Zeit einen deutschsprechenden
Polen fragen. Für mich ist Karpacz dafür bekannt, dass bei
diesem Ort eine norwegische Stabkirche steht. In Bergen mit mir hattest
du damals eine solche Kirche gesehen. Als die Norweger in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Stabkirchen zugunsten
größerer Kirchen abreißen wollten, hat Wilhelm der I
eine Kirche gekauft und sie bei Krummhübel aufführen
lassen. Sie steht aber jetzt in Polen. Schade, dass du auf deiner Fahrt
die Stabkirche Wang verpasst hast.
In der Touristeninformation darf man mich nicht direkt vermitteln, sondern ich bekomme einen Ortsplan und ein Verzeichnis mit hunderten von Pensionsadressen in die Hand. Ich brauchte nur irgendwo zu klingeln, wird mir gesagt. Außerdem greife ich mir aus einem Regal die interessante Broschüre: "Turystika rowerowa w Euroregionie Nysa". Da sind die ausgeschilderten Radrouten ER-1 bis ER-7 beschrieben. Die Route ER-6, auf die ich heute gestoßen bin, heißt "Doliny Bobru", ist über 100 km lang und führt von Lubawka (Liebau) über Kamienna Gora (Landeshut) über Jelenia Gora (Hirschberg) nach Boleslawiec (Bunzlau). Es gibt sogar eine Radroute von Karpacz nach Zittau, die als ER-2 ausgeschildert ist. Mal sehen, ob man damit etwas anfangen kann.
Entsprechend dem vorher ergangenen Ratschlag klingele ich einfach irgendwo (Pension Jaskier). Da äugt eine Dame von oben vom Balkon und scheint zu überlegen, ob ich ein vertrauenswürdiger und lohnender Gast sein mag. Ich sage etwas von zwei Nächten, Fahrrad und Schneekoppe - da werde ich akzeptiert. Schon wenige Momente später sieht man mich am offenen Fenster ein Panoramafoto von der Zimmeraussicht auf den benachbarten Park produzieren. Danach ein Rundgang bei schönstem Sonnenschein. Hoffentlich bleibt das Wetter morgen so - ihr wisst schon, was ich vor habe?
Der Ort Karpacz ist touristisch durch Winter- und Wandersport voll erschlossen. Sicher könnte mancher westliche Urlaubsort sich hier eine Scheibe abschneiden. Hoffentlich kommen nicht noch im Zuge des "Neuen Europa" etliche Mammuthotels hinzu!
Zu Abend essen wir in der Pizzeria Verde. Wenn man früh genug zum Essen geht (so gegen 18 Uhr), ist man meistens der einzige Gast. Gegen 20 Uhr füllt sich dann das Lokal, und dann kann man schon wieder aufbrechen und "zu Hause" die Strecke des Tages markieren, Notizen machen und den morgigen Tag überdenken. Leider gibt es das Frühstück erst ab 9 Uhr.
Sa, 30.10. Schneekoppe 1602 m
Nun hat es sich doch herum gesprochen, dass heute eine Bergbesteigung auf dem Programm steht. Ich will mit dem Fahrrad so weit wie möglich hinauf fahren und wähle die Strecke "Dr. M. Orlowicza". Da ist gleich am Anfang, wenn man die Straße verlassen hat, eine "historische" Pflasterstrecke, wo die Steine faustgroße Erhebungen bilden. Unmöglich, dort zu fahren, ich habe Angst um die Kamera, die in der Lenkertasche auf und nieder hüpft. Dann kommt man an einen großen grünen - war es ein Hochwasserbehälter? Dort ist wieder eine asphaltierte Straße (Olimpijska) und man hätte es auch einfacher dorthin haben können. Am Hotel Orlinek nahe der Skisprungschanze beginnt der eigentliche Aufstieg mit einem leicht ansteigenden gut zu fahrenden Waldweg. Der führt in weitem Bogen um die Quelltäler zweier Bäche (Bystrzyk und Wilczy Potok) herum. Hier an der Schneekoppe entspringen im übrigen auf dieser Seite zwei kleine Flüsse, der eine heißt Lomnica und der andere Lomniczka. Da kenne sich einer aus! (Der zweite heißt wohl Kleine Lomnitz).
An letzterem Bach liegt die Schr. Nad Lomniczka und die heißt auf Deutsch Melzergrundbaude, 1000 m. Hier muss das Fahrrad zurück bleiben, denn nun wird es steinig. Der Weg ist wohl erst kürzlich hergerichtet worde und es fehlt nicht viel, da könnte man hier einen Kinderwagen lang schieben. Das tut dem Abenteuer etwas Abbruch, trotzdem habe ich zuweilen eine Gänsehaut. Ich will erzählen warum.
Aus den frühen 40er Jahren existiert ein in Schönschrift auf Pergament verfasstes Werk mit dem Titel: "Wie wir uns fanden". Das handelt davon, wie meine Mutter und mein Vater bei einem gemeinsamen Urlaub in Petzer (heute Pec) auf der anderen Seite der Schneekoppe sich ganz allmählich näher gekommen sind. Dieses Werk befindet sich wohlbehütet bei meinen Akten über die Ahnen. Und heute laufe ich leibhaftig in der Gegend herum, wo sich diese Dinge ereignet haben und der ich letztlich meine Ursprünge verdanke? Da kann man schon eine Gänsehaut bekommen.
Der Aufstieg wird über der Waldgrenze wildromantisch. Wie eine hohe Wand ragt der Grat der Schneekoppe vor einem auf. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass man da heute noch hinauf kommen soll. Man kreuzt dann bald einen Bach, wenn der mehr Wasser führt, soll das wohl ein Problem sein, eine Brücke gibt es nicht. Der weitere Aufstieg zieht sich im Zickzack den Hang hinauf, manchmal wie eine Treppe. An ein paar Felsen hat man Erinnerungstafeln an Bergopfer angebracht, da sind auch welche aus dem Himalaya (Annapurna) dabei.
Man kommt dann an der Schr. Pod Sniezka, 1394 m, heraus und ab hier wimmelt es von Menschen. Ein Sportler in grellem Dress rast immer hin und her. Vielleicht macht der Höhentraining. Die übrigen Menschen können nur mit irgendeiner Seilbahn hier herauf gelangt sein. Es sind sogar Kleinkinder dabei. Die alle zwängen sich nun wie auf einer Ameisenstraße zwischen die Geländer des "Zickzackweges", der auf dem Grat hinauf zum Gipfel führt. Auf dem Gipfel hat man eine ultramoderne Wetterstation erbaut und da wimmelt es noch mehr von Menschen. Ich mache mal eine Rechnung: wenn innerhalb einer Minute 5 Menschen an einem vorbei kommen, dann sind das in einer Stunde 300 und in 10 Stunden 3000. Die Gänsehaut ist mir inzwischen vergangen.
Dazu folgende Information:
Den Karkonoski Nationalpark und die Schneekoppe
besuchen jährlich über 1,5 Mio. Touristen. Die touristische Infrastruktur
umfasst 112 km Wege, 10 Lifte und 12 Berghütten. Die attraktivste Saison für
Wanderungen in den Karkonoszen ist die Zeit von Mitte Mai bis Mitte Oktober.
Mit der viel gerühmten Aussicht klappt es leider nicht, immer wieder ziehen Wolkenfetzen über den Gipfel. Manchmal kann man einen Blick in die Tiefe werfen, schnell ist das Bild dann wieder verschwunden. Manchmal scheint sogar die Sonne einmal kurz. Ich setze mich noch in eine Ecke um ein Erinnerungsbild für eine gute Freundin zu machen. Die hatte mir zum Geburtstag eine Mütze gestrickt mit der Auflage, dass ich sie bitte auch benutzen möge. Da muss nun ein Bild her, auf der Schneekoppe mit der Mütze auf. Allerdings kommt man sich reichlich blöd vor, wie da die vorbeilaufenden Menschen sich wundern, was dieser Knabe da, mit ausgestreckten Armen die Kamera auf sich gerichtet, so treibt. Entsprechend werden auch die Fotos: Schön blöd! Aber nichts gegen die Mütze - die ist schön warm.
Dann geht es wieder an den belebten Abstieg auf dem Zickzackweg. Es gibt auch noch den Jubiläumsweg, der sich schräg am Hang entlang zieht und langweiliger aussieht. Der weitere Abstieg in den Melzergrund ist dagegen geradezu einsam, wo kommen dann die ganzen Menschen her? Wahrscheinlich fahren die alle mit den Seilbahnen von Karpacz oder Pec da rauf. Dabei ist das schönste einer Besteigung der Schneekoppe der Auf- und Abstieg. Wenn man die Karte genau anschaut, entdeckt man auch noch andere Möglichkeiten mit dem Fahrrad hinauf zu fahren, da wäre man womöglich noch höher gekommen. Aber so ist das auch OK und ich finde mein Fahrrad unversehrt wieder.
Die Abfahrt nach Karpacz dauert nur Minuten - so kommt es einem vor. So bin ich am frühen Nachmittag wieder zurück und das gibt Gelegenheit zu einer gänzlich ungewohnten Tätigkeit: einem Mittagsschläfchen. Am Abend findet man mich eine Pizzeria weiter als gestern. Da spielt man ein Lied "W're all living in America, Coca Cola wunderbar" - da kann man nur mit den Zähnen knirschen. Wäre einem der Ausgang der Präsidentenwahl in jenem Land eine Woche später schon bekannt gewesen, hätte man noch mehr geknirscht.
Die letzte Etappe steht bevor. Heute hat man übrigens von Sommer- auf Winterzeit umgestellt. Wenn man dann erst um 9 Uhr das Frühstück einnehmen würde, wäre es eigentlich schon 10 Uhr. Daher habe ich bereits am Vortag bezahlt und finde nun ein Lunchpaket am Lenker hängend, als ich quasi im Morgengrauen aufbreche.
Aus Karpacz wird man nur entlassen, wenn man noch mal 200 Meter klettert - außer man würde zurück auf die langweilige Landstraße fahren. Ich wollte ja doch die mit ER-2 ausgeschilderte Radroute ausprobieren. Das geht gleich schief, weil ich wohl bei der Abfahrt die entsprechende Abzweigung übersehe. Man stößt aber bald von alleine wieder auf die Markierung und es geht hier durch ein paar verschwiegene Dörfer. An einem Anschlagbrett sind sogar Busfahrten nach Köln und anderswo hin angeboten - hier, mitten in der Botanik.
Es macht Spaß, hier zu fahren, doch dann werde ich von dem ER-2 gründlich reingelegt. Der Weg wird dermaßen steinig, dass man nur schiebend vorwärts kommt. Danach eine ewige Steigung durch den Wald und auf holperigem Weg alles wieder runter. So geht das über 10 km nur durch den Wald, was einem sehr lang vorkommen. Endlich kommt man in Szklarska Poreba (Schreiberhau) raus und weiß wieder, wo man ist. Dies ist auch ein belebter Touristenort. Ich halte mich nicht lange auf und vertraue ab hier lieber der Landstraße.
Es ist noch einmal ein Aufstieg zu bewältigen - der letzte ernsthafte dieser Tour. Danach folgen herrliche Kilometer immer leicht bergab. Einmal fahre ich über 5 km ohne zu treten mit 45 km/h. Das macht Spaß. So kommt man unversehens nach Swieradow Zdroj (Bad Flinsberg). Das ist der letzte Ort vor der Grenze zurück nach Tschechien. Es ergeben sich noch ein paar schöne Blicke auf das Gebirge, das hier Iser-Gebirge heißt. Dann ist man schon an der Grenze und muss seinen Ausweis herzeigen. Der wird kurz durch einen Scanner gezogen. Aber noch bin ich unbescholten.
In Tschechien ist der Radweg ER-2 nicht ausgeschildert, soweit ich sehen kann. Man kommt zunächst nach Nove Mesto, da ist nicht viel zu sehen. Nicht weit von hier in Hejnice ist eine bedeutende Klosterkirche, aber ich habe keine Lust auf einen Umweg.
Daher
spiele ich lieber Trittbrettfahrer und finde im Internet:
Der
berühmte Wallfahrtsort mit der Kirche Maria Heimsuchung liegt im bezaubernden
Tal des Flüsschens Smědá unter den nördlichen Hängen des Isergebirges. Das
uralte Städtchen, dessen Hintergrund der steil abfallende Ořešník bildet.
über die Entstehung des Wallfahrtsorts und der Gemeinde erzählt eine uralte
Legende von einer hölzernen Marienstatue, die die wunderbare Heilung einer
Familie bewirkte. Als ein Zimmermeister an jenem Ort den Bau einer hölzernen
Kapelle beendet hatte, brachte er über ihrem Eingang die Aufschrift ANNO DOMINI
MCCXI an. Diese Jahrezahl wurde später auf das Balkenband der gotischen Kirche
übertragen, womit es zum einzigen Zeugen über die Entstehung von Hejnice wurde.
Die Kirche Maria Heimsuchung, im Jahre 1729 vom Baumeister T. Haffenecker an
der Stelle der einstigen Kappele und frühern Kirche erbaut, ist ein herrlicher
Barockbau von einem der besten Architekten jener Zeit, J. B. Fischer von
Erlach. Im Innern der Kirche kann man eine sehr wertvolle Plastik bewundern.
Das anliegende Franziskaner-Kloster ist heute das Europäische Zentrum der
geistlichen Erneuerung. In der Stadt sind viele Fachwerkhäuser erhalten
geblieben. In der Kirche Maria Heimsuchung werden im Rahmen geistlicher und
Orgelmusik hervorragende tschechische Musikkünstler vorgestellt.
Auf der (langweiligen) Straße nach Frydlant mache ich dann aber doch einen Umweg in das Dorf Krasny Les, wieder ein Langdorf und hübsch zu fahren. So kommt man nach Frydlant, und auch das kann einem mit seinem Markplatz und den Giebeln der angrenzenden Häuser gefallen. Zudem bekomme ich hier ganz individuell ein Glockenspiel von der Rathausuhr geboten, es ist gerade 13 Uhr (eigentlich 14 Uhr).
Bald überquert man schon wieder die Grenze, nun nach Polen. Dort gerät man zwischen die gewaltigen Tagebauanlagen für die Braunkohle. Trotzdem ist die Straße auf der Karte grün markiert, dh. landschaftlich schön. Ist sie vielleicht auch, einige Wälder rings rum. In einem Dorf mit dem Namen Opolno Zdroj (Bad Oppelsdorf) mache ich eine Rast und setze mich zu Füßen der Kirche nieder. Da kommt ein Mann vorbei, dem ist das nicht geheuer. Ob mir etwas fehle oder ob ich etwas brauche, Wasser vielleicht oder was? Sehr nett von ihm. Aber dann erzählt er mir einiges - leider kaum verständlich - über den Ort und die Umgegend. Wenn ich es richtig verstehe, hat es hier Glasindustrie gegeben und der Ortsname geht auf einen Herstellungsbetrieb für Kühler von Fahrzeugen der Marke Opel zurück. Da ich kaum zu Wort komme, habe ich Mühe, mich zu verabschieden.
Mehr habe ich über den Ort nicht gefunden:
Bad
Oppelsdorf (Opolno Zdroj), bis 1945 ein renommierter Kurort. Die Entdeckung
schwefelhaltiger Quellen im 19. Jahrhundert führte zur Gründung eines damals
modernen Badeortes mit regen Kurbetrieb. Heute ist Bad Oppelsdorf nur noch ein
Schatten seines einstigen Ruhmes. Außerdem ist der Ort "Vorbehaltsfläche" für
den Tagebau.
Wir rollen die letzten Kilometer bis zur Grenze, da gibt es natürlich
vorher noch den obligatorischen Polenmarkt, wo man seine letzten Zlotys auf den
Kopf hauen kann. Beim Grenzübergang ist nun mein Abenteuer "Neues Europa" zu
Ende. Dafür rausche ich zuguterletzt mit Glanz und Gloria an der Stadt Zittau
vorbei. Das liegt daran, dass der Radweg auf dem Neissedamm einfach zu
einladend ist. Als sich leise Zweifel über die Strecke einstellen, ist man
schon am Dreiländereck. Da ist natürlich eine Raststation, besonders für
Fahrradfahrer aufgebaut. In der gesamten Region gibt es eine Vielzahl von
ausgeschilderten Radrouten, z.T. auch grenzübergreifend.
Damit rollen wir aus, zurück nach Zittau, zum Bahnhof zum Fahrkarten
kaufen und dann zum Hotel Dreiländereck, wo ich nun schon zum dritten Mal
logiere. Darauf hatte ich mich schon gefreut, aber das ist nun nicht mehr so
preiswert. Das Lokal Klosterstübl, wo wir 2001 gespeist haben, hat wohl
dicht gemacht. Nicht nur als Ersatz bietet sich an: gleich neben der Kirche das
Historische Wirtshaus. Da gibt es Kassler mit Grünkohl. Im
Hintergrund säuseln Lieder wie "I did it my way" (Sinatra) oder "All
I need is the air that I breathe" (Hollies). Dem kann ich diesmal nur zustimmen. Auf dem Rückweg sehe ich, dass die
Pizzeria schräg gegenüber rappelvoll ist. Aber das musste ja auch nicht noch
einmal sein.