Zurück zum Kapitel Index

Mittwoch, 10.10. Radtour nach Suhl

Wir bereiten uns unser Frühstück selbst, ich hole ein paar Brötchen bei einer unfreundlichen Kauffrau: "die Brötchen sind dort, da ist eine Tüte...". Ein Ei läuft beim Kochen aus. Wieder sind wir um 9.15 startbereit, das Wetter ist heute noch diesig. Wir schwingen uns auf die Räder, es soll Richtung Zella-Mehlis gehen, die Rückfahrt mit der Bahn ist ja schon vorgeplant. Auf Nebenwegen erfragen wir uns die Strecke nach Asbach, dem ersten Nachbarort von Schmalkalden. Alsbald stehen wir vor dem Schau-Bergwerk "Finstertal". Die erste Führung soll um 10 Uhr losgehen, außer uns beiden wartet noch ein dritter Interessent. Der redet was daher von einer Höhle bei Bad Salzungen, deren Name ich mir nicht gemerkt habe. Ich will den noch ein wenig an der Nase rumführen, aber Heidi mit ihrer unbeschwerten Art: "Mein Mann ist auch Höhlenforscher" - sicher leicht übertrieben. Es stellt sich heraus, daß der Kollege aus Rübeland kommt und dort am Betreiben des Schauberkwerks ...... in Elbingerode beteiligt ist.

Zum Gaudi der Führung muß man einen Helm aufsetzen und einen Schäfer-Umhang umknöpfen. Ich erwische einen etwas ramponierten Mantel und vertue mich um ungefähr zwei bis drei Knöpfe. Das sieht anscheinend von außen witziger aus als von innen: "Da hat er schon seine Frau dabei...". Zu dritt genießen wir dann die individuelle Führung, trotz des geringen Umfangs unserer "Gruppe" trägt der Führer mit Pathos seine Geschichte vor. Es bleibt aber genügend Gelegenheit zur Diskussion. Das Bergwerk besteht im wesentlichen aus zwei Stollenteilen. Zwei Schächte stehen voll Wasser, der Wasserspiegel steht aber unterschiedlich hoch, daraus folgt, daß sie nicht miteinander in Verbindung stehen.

Die Auszimmerung der Stollen und die ausgestellten Gerätschaften sind neueren Datums, wir erfahren von den großen Schwierigkeiten, überhaupt so ein Schaubergwerk früher wie heute zu betreiben. Als wir wieder das Tageslicht erblicken, warten bereits eine Schulklasse und ein paar einzelne Personen auf die nächste Führung, das freut einen dann ja auch. Unser Harzer Freund überreicht mir noch Informationsmaterial seines Elbingeröder Betriebes, dann machen wir uns auf die Weiterfahrt.

Durch ein schönes Wiesental geht es in Richtung Steinbach-Hallenberg. Die Sache hat nur einen Haken, es geht einigermaßen bergauf, bald müssen wir schieben. Das erscheint mir weniger schlimm, weil doch die Landschaft so schön ist. Heidi dagegen argwöhnt, daß der ganze Rest der Tagestour in dieser Weise hinaufführt. Hinter jeder Kurve verspreche ich, daß die Steigung da bestimmt aufhört, was schließlich auch stimmt. Es sind wohl so 2 bis 3 km zum Schieben gewesen, Heidi macht glatt 4 km oder mehr daraus, wenn man sie erzählen läßt.

Nun geht es - nicht in sausender Fahrt - sondern vorsichtig bis zaghaft bremsend die steile Abfahrt nach Steinbach-Hallenberg hinunter. An meinem Rad quietschen die Bremsen wie ein Schwein beim Schlachten, das ist besonders an belebten Ortsstraßen etwas peinlich, da man schnell zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses wird.

Nun biegen wir links ab, Richtung Unter- und Ober-Schönau. Rechts oben liegt die Ruine Hallenberg, deren Bergfried ist noch gut erhalten. Die beiden Orte liegen entlang der Straße in einem engen Tal, einige Häuser sind ortsüblich mit Schiefer verkleidet. In Ober-Schönau nimmt die Steigung der Straße wieder zu, an einem Waldweg machen wir erstmal eine Rast und essen unsere geschmierten Brötchen. Dann geht es weiter durch das malerische Tal, zur Linken erheben sich bizarre Felsklippen (Porphyr), die heißen "12 Apostel" oder "Finkenstein". Unvermittelt stehen wir vor einer Abzweigung, laut Karte der Straße nach Zella-Mehlis. Nur ausgeschildert ist sie nicht. Da sie steil bergauf führt, wollen wir kein Risiko eingehen. Ein Ehepaar mit Hamburger Kennzeichen steht auf dem Parkplatz, sie versuchen uns anhand einer Europakarte zu helfen. Da fahre ich lieber ein Stück weiter auf der Hauptstraße, nach einem Kilometer kommt die Gaststätte "Kanzlergrund" in Sicht. Das gibt Sicherheit, dann ist die Abzweigung die richtige. Ich eile zurück, Heidi ist verschwunden. Die Hamburger haben aber extra gewartet: "Ihre Frau ist schon losgefahren". Ein Ortskundiger hatte inzwischen Bescheid gegeben. Ich düse also die steile Steigung hinauf, erst nach gut einem Kilometer sehe ich den blauen Stoff eines Trainingsanzugs durch die Bäume schimmern. Wenn man nicht dabei ist, kann so eine Radsportlerin tatsächlich ungeahntes aus sich herausholen. Heidi wundert sich nur, daß ich ihr nicht entgegen komme, sie hatte gedacht, ich sei auf dieser Strecke vorgefahren. Nicht jeder hat es mit der Ortskenntnis... Nun schieben wir wieder, zum Glück stehen ab und zu Pilze am Wegrand, das lenkt ab. Wir kommen bis unterhalb des Puppbergs auf etwa 600 m Höhe.


Zella-Mehlis

Wieder geht es naturgemäß hinunter, es ist eine recht lange Abfahrt hinab nach Zella-Mehlis. An einigen Punkten hat man einen schönen Ausblick auf den - oder genauer - die beiden Orte. Inzwischen scheint auch die Sonne, im Gegenlicht läßt allerdings die Dunstglocke über Zella-Mehlis nicht so ein angenehmes Gefühl aufkommen. Ab und zu lasse ich das Rad nun laufen, bei der Straßenbeschaffenheit kann man aber kaum über 40 km/h riskieren, Heidi fährt stur halb so schnell. Einmal werde ich durch eine Querrinne auch gehörig gebeutelt. Schließlich landen wir an einer Kirche, und ich versuche auf der Karte eine Ortsbestimmung. Ein freundlicher Mann kommt uns zu Hilfe, wir sind in Mehlis, zum Bahnhof müßten wir nach Zella. Leider ist die weitere Auskunft nicht ganz korrekt, sodaß wir durch ein finsteres Industriegebiet fahren müssen. "Das Werk ist besetzt - wir kämpfen um unsere Arbeitsplätze" ist an einem Metallkombinat zu lesen. Das haben wir am Vortag im Fernsehen gesehen, was sind wir wieder aktuell... Schließlich fragen wir einen, der beim Autowaschen ist, gleich danach sind wir auf der Hauptstraße. Hier ist ein toller Verkehr, allein der Krach durch die vielen Lastwagen geht einem mächtig auf die Nerven. Wieder müssen wir hinaufschieben, bis wir den Bahnhof erreichen. Noch ist es früh am Nachmittag, da könnte man doch bis Suhl weiterfahren, da lernt man das auch gleich kennen.

Da es dorthin immer bergab geht, fällt die Entscheidung nicht schwer. Nur daß die Sonne fast zu warm scheint und der Verkehr einen schier um den Verstand bringt, ist weniger angenehm. Die Luft ist kaum zum Atmen geeignet. Der Ausblick nach Süden auf das Suhler Becken ist schließlich auch deprimierend, Industrieanlagen mit hohen Schornsteinen, Hochhäuser und Plattenbau-Siedlungen.


Suhl

Das alles im Thüringer Wald - schade drum. Zum Glück geht es wirklich schnell hinunter. An einer Ampel rutsche ich bei Dunkelgelb noch durch, Heidi, um etwa 100 Meter hinter mir, ist sogleich auch da. "Ich denke, du hattest rot", "Hatte ich auch" - ist der zugehörige Dialog. Wir rollen durch Suhl, können uns bei dem Radau der knatternden Autos um uns herum kaum verständigen. Wir werden irgendwie an die Wiener Ringstraßen erinnert, die ähnliche Freuden für den Radfahrer bereithielten.

Es geht direkt zum Bahnhof, den wir zum Glück auch bald finden. Es werden gleich die Fahrkarten gelöst, es kostet alles zusammen DM 6.80, das würde bei der Bundesbahn schon der Transport eines einzelnen Fahrrads kosten. Über eine Stunde haben wir noch Zeit, das reicht gerade, um einen Blick nach Suhl zu werfen. Durch eine Unterführung erreichen wir die Ortsmitte. Links riesige Hochhäuser mit Hotels. Die Straße zwischen der Kreuzkirche und dem Marktplatz ("Karl Marx Platz") ist Fußgängerzone. Wie überall Verkaufsstände von fliegenden Händlern. Auf dem Marktplatz können wir endlich unseren Kaffee an einer Imbißbude schlürfen. Der Eindruck von Suhl ist für uns heute wahrhaftig nicht umwerfend und wir beglückwünschen uns, daß wir es mit Schmalkalden glücklicher getroffen haben.

So sind wir nicht traurig, daß unsere Zeit in Suhl zuende geht, und trotten zurück zum Bahnhof. An der Bahnhofsstraße fällt uns ein Gebäude auf. Es ist wohl ehemals ein Kino gewesen, über dem Eingang steht "Ernst Thälmann Versammlungsstätte". Jetzt befindet sich ein Supermarkt mit Textil-Billigware darin. Wieder auf dem Bahnhof entdecken wir auf dem Fahrplan, daß unser Zug, mit dem wir eine Station bis Zella fahren müssen, nicht für den Transport von Fahrrädern eingerichtet ist. Das sorgt wieder für Spannung. Womöglich bleiben wir hier in dem schönen Suhl hängen oder müssen die "idyllische" Straße nach Zella zurückfahren. Bald läuft der Zug ein, doch da gibt es Abstellplätze für Kinderwagen in einigen Waggons, dort passen auch die Fahrräder hinein. Wie immer benehmen wir uns dabei etwas hektisch, weil ich zu spät entdecke, daß die Räder ja aneinander gekettet sind, und dann erst den Schlüssel suchen muß. Im Zug verschnaufen wir dann, nach wenigen Minuten sind wir schon in Zella, wo wir umsteigen müssen. Also ausladen, ich will schon - hopp, hopp - zum Hauptbahnsteig überwechseln, Heidi fragt lieber einen Beamten, wo unser Zug nach Schmalkalden abfährt. Na, der steht schon ein Gleis weiter, hat sogar einen Gepäckwagen. Nur ein Schaffner ist nicht zu sehen. Da laden wir die Räder auf eigene Faust ein, es geht etwas umständlich über den Personeneinstieg und um eine Ecke herum durch eine schmale Schiebetür. Als das mit einigem Getöse vollbracht ist, kommt der Schaffner aus seinem Gehäuse am anderen Ende des Gepäckwagens. "Was ist denn hier los?" "Na, alles schon erledigt" bin ich ganz stolz, werde aber belehrt, daß das Betreten des Gepäckwagens für Fahrgäste nicht gestattet sei. Ernstere Konsequenzen ergeben sich für uns nicht. Ein Glück, daß es die Wende gegeben hat, aber sonst wären wir ja sowieso nicht hier...


Fahrplan aus Porzellan

Für die knapp 30 km nach Schmalkalden benötigt dieser Zug nun im folgenden über eine Stunde. Mehrmals sind wegen der eingleisigen Strecke Züge aus der Gegenrichtung abzuwarten. Da hat man genügend Gelegenheit, die Landschaft und Dörfer zu betrachten. Bei der tiefstehenden Sonne leuchtet das Herbstlaub farbenfroh. In zwei Tunnels wird es dagegen stockdunkel, es gibt auch keine Beleuchtung im Abteil. Die mitfahrenden Schulkinder treiben ihren Schabernack, zum Glück nicht mit uns. Sie tun uns leid, die müssen jeden Tag diese Tortur der ätzend langweiligen Fahrt über sich ergehen lassen. In Schmalkalden steigen fast alle Fahrgäste aus, das Entladen der Räder erfolgt diesmal ohne Probleme.

Wieder "zu Hause"! Wir gehen noch kurz einkaufen, eine Frau beim Blumenstand: "Brauchen die Stengel auch Licht?". Heidi findet 50 Pfennig. Wenig später freundet sie sich mit der Aufwärterin der öffentlichen Bedürfnisanstalt an, die ist seit 8 Uhr auf den Beinen, da weiß man, was man geschafft hat. Für die 50 Pfennig, die gerade gefundenen, ist sie ausnahmsweise zu einem weiteren Diensteinsatz zu bewegen. Ich fotografiere inzwischen die drei "Puppenhäuser", die sollen bald restauriert werden. Da müssen wir in ein paar Jahren wohl mal wieder vorbeikommen.

Heute wollen wir im Pfalzkeller an der Burg speisen. Es geht eine Treppe hinunter in ein geschmackvoll eingerichtetes Gewölbe. Gäste sind nicht zu sehen, daher suche ich die Bedienung, die hinter einem Vorhang auftaucht. Wir vergewissern uns, daß wir da auch richtig sind. Alles OK., wenig später erscheinen auch weitere Gäste, die haben wir wohl angelockt. Das Essen schmeckt gut, nur das Bier rutscht heute nicht, ob das vom Radfahren kommt? So kugeln wir schließlich zurück in unser Quartier. Im Fernsehen wird ein Bericht von einem Harley Davidson (Motorräder) - Treffen in Amerika gesendet. "Die unendliche Freiheit im Sattel...". Unsere Freiheit ist: bergauf schieben und bergab bremsen - was machen wir falsch?

Nächster Tag