So stell ich mir den Spreewald vor...
Radtour 15.-22.8.98: Dresden - Sächsische Schweiz - Spreeradweg
An der Spree soll es einen Radwanderweg geben, so steht es in der Zeitschrift RADwelt, 3/97: "Neue Hoffnung an der Spree". Außerdem kann man im Buchhandel aus der Reihe der bikeline-Radtourenbücher das Heftchen "Spree Radweg, Von der Quelle nach Berlin" erwerben und danach Pläne schmieden. So haben wir das jedenfalls gemacht. In den Spreewald wollten wir ja lange schon einmal. Vielleicht klappt es nun auf diese Weise.
Die Spree entspringt in der Oberlausitz. Um dort hin zu gelangen, kann man noch eine andere Fliege mit einer Klappe schlagen: Dresden und die Sächsische Schweiz. Dresden erreicht man von Braunschweig aus ganz bequem, mit einem IC ohne umzusteigen. Dreieinhalb Stunden dauert die Fahrt, so daß wir gegen 11 Uhr schon dort sind und unsere Tour bei strahlendem Sonnenschein beginnen kann. Wir werden von hier aus nach Bad Schandau fahren, wo wir uns für zwei Übernachtungen in einem Hotel angemeldet haben.
Sonnabend, 15.8. Dresden - Bad Schandau. 50 km
Natürlich sollte man sich in Dresden zunächst mal gründlich umsehen. Dazu rollt man die belebte Prager Straße entlang Richtung Elbe. Die Altstadt Dresdens existiert in dem Sinne nicht mehr, zunächst beherrschen riesige Hotelblocks die Szene, das ist eher enttäuschend. Erst in der Nähe der Elbe findet man die "Traditionsinseln", die nach den Bombennächten übrig geblieben, wieder aufgebaut sind oder gerade wieder aufgebaut werden.
Man kann nun auf eigene Faust herumstöbern oder einer der vielen Reisegruppen folgen, an deren Spitze ein kundiger Stadtführer mit einem fransenbesetzten Stock den Ton angibt. Wir haben etwas Mühe, uns mit unseren bepackten Rädern durch diesen Ameisenhaufen zu bewegen. Aber ich denke, wir haben unsere Pflicht getan mit Schloß, Semperoper und Zwinger. Im Innenhof des Zwingers verschlägt es Heidi die Sprache, so etwas habe sie ja noch nie gesehen. Sie war ja auch noch nie in Dresden, ich dagegen schon (1995). Damals hatte man gerade mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche begonnen. Dieses Riesenpuzzle muß man sich natürlich auch anschauen. Mittlerweile ist ein Teil des Kirchengebäudes aufgebaut. Viel kann man davon nicht erkennen, weil sich alles unter einem würfelförmigen riesigen Baugerüst verbirgt. Wie viele km Gerüstrohre man hier wohl zusammen gebaut hat? Da die Restaurationsarbeiten des Schlosses auch noch im Gange sind, wird auch ein späterer Besuch dieser Stadt vielversprechend sein. Heidi quittiert das mit einem Seitenblick auf die Semperoper.
Wir sind bei diesem Wetter begierig aufs Radfahren und kehren dem Elbflorenz, vorbei an einem Raddampfer und einem schwimmenden Hotel den Rücken zu. Wir wählen das aus unserer Sicht rechte Elbufer aus (flußabwärts links). Vor drei Jahren bin ich auf der anderen Seite in ziemliche Schwierigkeiten gekommen. Erst passieren wir einen großen Flohmarkt, an dem ich Heidi nur mit Mühe vorbei lotsen kann. Was sollen wir auch mit einer antiken Truhe oder einer Stehlampe auf dem Gepäckträger.
Nun geht es herrlich durch die Elbauen, gegenüber liegen prächtige Villen, vielleicht sind es auch Schlösser. Wir müssen uns angesichts der Temperaturen anders kleiden. Das ist nicht ganz einfach, weil ein ständiger Strom von mehr oder weniger hektisch dahin bretternden Radfahrern den Weg bevölkert. Die Mountainbiker hört man schon von weitem am Sausen der Stollenreifen, ehe sie dann helmbewehrt und im bunten Renndress vorbei rauschen. "Full Suspension" ist angesagt - das sind Räder mit Federgabel und Rahmenschwinge - wer da was mit anfangen kann.
Ohne Full Suspension kommen wir aber auch zum "Blauen Wunder", der Brücke zwischen Loschwitz und Blasewitz. Es handelt sich bekanntlich um eine der ältesten Brücken, die als Stahlkonstruktion errichtet wurden. Es geht weiter immer schön an der Elbe lang, bis Klein Zschachwitz. Da wird es etwas schwieriger, indem man an einer Baustelle vorbei über eine abenteuerliche Brettertrasse geführt wird. Dann ist man schon an der Fähre hinüber nach Schloß Pillnitz. Wir fahren direkt auf die Fähre, die auch sogleich ablegt. Zwei Damen, die wir gerade überholt hatten, haben das Nachsehen und wir zeigen ihnen die Nase (im Geiste).
Am anderen Ufer schieben wir die Rampe hinauf, neben uns tritt einer energisch in die Pedalen. "Huch!?" erklingt es da nebst einem knirschenden Geräusch, und der energische Pedaleur steht verdutzt mit dem Rad zwischen den Beinen und schaut auf den Boden. Da ringelt sich seine Kette wie eine Schlange auf dem Kopfsteinpflaster. Ehe Heidi zu sehr das Prusten kriegt, stehen wir bereits vor dem Schloß Pillnitz, das auch gerade eingerüstet ist.
Da kann man vom Wasser aus direkt an einer steinernen Treppe anlegen. Womöglich sogar ganz unauffällig, denn dieses Schloß wurde von August dem Starken der Gräfin Cosel zum Geschenk gemacht. Sicher nicht ohne Gegenleistung. Der Innenhof des Schlosses ist bereits restauriert, eine Reisegruppe steht dort, den Kopf im Nacken.
Wir wollen direkt an der Elbe weiter fahren und geraten auf einen schmalen sandigen Weg, der bald in den Wiesen endet. Zum Glück kann man links wieder auf die Straße schieben. In Birkwitz fragen wir lieber ein Ehepaar nach dem weiteren Weg nach Pirna. "Da hinten ist ein Geheimweg, für Mutter und Kind". Das klingt etwas rätselhaft - sehen wir aus wie Mutter und Kind? Nein - sie meinten das Verkehrsschild für Fußgänger, das wir radfahrend ignorieren. Aber der Weg wird immer schmaler und das Elbufer zur rechten immer steiler. Heidi fängt immer mehr an zu schlingern und springt schließlich in Panik vom Rad, so groß ist der Sog von unten. Also doch lieber zu Fuß erreichen wir bald wieder die Straße nach Pirna, die nun nicht so schön ist. Dafür ist dort ein großer Badesee, wo es den Badenden - im Adamskostüm übrigens - besser geht, als uns schwitzenden - allerdings unfreiwilligen - "Spannern". Pirna könnte man sich natürlich auch ansehen, aber ich bin schon wieder am Rechnen, bis Bad Schandau, wo wir das Hotel vorbestellt haben, ist es noch ein ganzes Stück.
Aber wenig später geht schon wieder etwas schief. Ich habe hier eine alte DDR-Karte der Sächsischen Schweiz , vor Jahren erworben auf dem Flohmarkt, da kann man das genau nachlesen. Es handelt sich um den Mackethaler Grund, wo trotz des schönen Namens die Straße steil bergauf führt. Wenn man da weiter fährt, kommt man in dem Ort Zatzschke raus. Das hatten wir eigentlich nicht vor. Zum Glück kommt uns ein Radfahrer entgegen, der bestätigt, daß die richtige Abzweigung wie eine Hofeinfahrt aussehe. Und die haben wir natürlich verpaßt. Macht aber nichts, denn die Strecke wird wieder schön zwischen Häusern und Gärten. Wir finden auch eine schattige Bank, die sicher "privat" ist. Man äugt dann auch ein wenig, wie wir unsere Käsebrote verzehren. Soviel Gastfreundschaft muß sein, denke ich so vor mich hin.
Wir erreichen den nächsten Ort, der so klein ist, daß er sich "Stadt Wehlen" nennt. Hier sollte man wieder die Elbseite wechseln, was durch eine Fähre ermöglicht wird. Es geht danach immer an der Bahn entlang, zum anderen Ufer hinüber hat man nun den entscheidenden Ausblick. Wir finden auch wieder eine schattige Bank - diesmal wohl öffentlich. An der Straße liegt eine Pension, da hat man sich wohl lange Gedanken über die Namensgebung gemacht. Schließlich muß es einem eingefallen sein: "Basteiblick". Und man kann sich zurücklehnen, da liegt sie, die Loreley von Sachsen, also die Bastei. Man erkennt sie erstens an dem Dach eines großen Ausfluglokals, das über die Baumwipfel ragt und zweitens an der Basteibrücke, einem Geländersteg, der zwischen den Felsnadeln luftig dahin führt. Die Besucher der Bastei krabbeln als kleine Punkte in der Gegend herum. Als wir aus unserer Andacht erwachen, stehen schon die nächsten hinter uns und warten auf den frei werdenden Platz.
Vor uns liegt hoch oben der Lilienstein, eine mächtige Felsbastion. Wir aber stehen vor der geschlossenen Schranke eines Bahnübergangs. Trotz der Mitwartenden überkommt es einen von uns, wie ich in solchen Fall lieber formuliere. Zum Glück findet sich ein nahes Gebüsch. Zeit für den anderen von uns, diskret die Karte zu studieren. Als die Schranke sich öffnet, sind wir wieder vereint - doch nein, es überkommt noch einmal. Das Gebüsch ist noch genauso nahe. Weiteres diskretes Studieren der Karte. Als wir zum zweiten Mal wieder vereint sind, schließt sich die Schranke wieder...
Damit sind wir mit dem Zeitplan ein wenig durcheinander gekommen. Im Ort Königstein zu Füßen der gleichnamigen Festung kann man wieder das Elbufer wechseln. Wir verzichten darauf, um zügig auf der Landstraße unser Ziel zu erreichen. Das ist leider wegen des Verkehrs und einer lang gezogenen Steigung nicht so angenehm. Endlich überqueren wir die Elbbrücke und finden uns bald auf dem Marktplatz von Bad Schandau wieder. Leider geht hier der ganze Verkehr sozusagen zwischen Dresden und Prag und umgekehrt hindurch, das macht gewaltigen Lärm. Eine Gruppe von Trikefahrern trägt besonders dazu bei. Ein Trike ist ein Dreirädriges Motorrad, auf dem man mit ausgestreckten Armen wie auf einem Sessel dahin knattert.
Wir erfragen den Weg zu unserem Hotel, das heißt "Parkhotel Haus Carola", ein Haus der Concorde Gruppe. Das Gebäude wirkt recht vornehm, aber Haus Carola liegt daneben und ist nicht ganz so vornehm. Das beste aber ist, daß unser Zimmer nicht zur Hauptstraße hinaus liegt, sondern mit "Elbblick" ganz ruhig gelegen ist. "Das haben wir uns auch verdient" meint Heidi im Hinblick auf die zurück gelegten 50 km bei der Hitze. Recht hat sie! Was wir morgen den lieben langen Tag in Bad Schandau machen sollen, ist dagegen noch nicht so ganz geklärt.
Nun beginnt "Radlers Abend": Bummeln und begehrliches Studieren aller aushängenden Speisekarten an den Lokalen. Wir landen bei den "Elbterrassen", was ja auch zu erwarten war. Sauerbraten mit Weißbrot - die Knödel sind aus -, Schweinekamm mit Sauerkrautpuffern, einer sächsischen Spezialität. Weil es sich hier so schön sitzt, wird die Bierrechnung etwas höher. Und als an den Nachbartischen serviert wird, ist es auch mit den Wespen nicht mehr so schlimm.
Und was es nicht alles zu sehen gibt. Gegenüber führt die Bahnstrecke entlang. Da bringt man Autos aus Tschechien, wahrscheinlich Skodas. Da bringt man Autos nach Tschechien, wahrscheinlich VWs. Auf der Elbe kreuzt die Fähre zwischen dem Bahnhof Schandau und dem Ort hin und her. Einer der "historischen" Raddampfer erscheint. Da spielt eine Jazzkapelle "Mississippi Riverboat". Vom Ufer aus einem Lokal hält man mit dem "Zillertaler Hochzeitsmarsch" dagegen. Oder "Ole, ole, Gran Canaria". Schön ist es hier in Sachsen!
Am Nebentisch babbeln zwei hessische Ehepaare über Knappschaft, Staus zwischen Alsfeld und Eisenach, Knochen- und Fleischchirurgen und damit verbundenen Zipperlein.
Sonntag, 16.8. Ein Tag in Bad Schandau
Wenn man gestern noch nicht wußte, was man heute unternehmen könnte, so darf man schon verraten: der Tag wird optimal genutzt werden.
Gegenüber von unserem Hotel befindet sich ein eigenartiges Bauwerk. Das ist ein Stahlgerüst mit einem spitzen Turm. Es handelt sich um einen Personenaufzug, mit dem man den oben liegenden Ortsteil Ostrau erreichen kann. Also fahren wir heute zunächst mal Aufzug, genießen die Aussicht aus 50 m Höhe und steigen dann noch eine Viertelstunde bergan. Dort oben befinden sich mehr oder weniger gepflegte Villen ganz aus Holz, einheitlich im Stil. Im Reiseführer steht: "Umgebinde- und Fachwerkhäuser". Auch eine Reha-Klinik gibt es, da hat man seine Ruhe, hier oben.
Nach Beenden unseres Rundgangs steigen wir auf dem Lutherweg hinab nach Schandau. Durch den Kurpark erreicht man den Bahnhof der Kirnitzschtalbahn. Das ist so eine Art historischer Straßenbahn, die etwa 10 km talaufwärts führt. Da checken wir ein und kriegen gerade noch einen Sitzplatz. Auf einem Täfelchen steht: 22 Sitzplätze, 83 Stehplätze. Wie das funktionieren soll, entzieht sich unserer Vorstellung. Da geht es nun dieses liebliche Tal hinauf, steile Felsen wechseln mit Feuchtwiesen, wo die Balsamine (Sumpfknöterich) üppig blüht.. Die Endstation befindet sich am Lichtenhainer Wasserfall.
Dort gesellt man sich am besten den sogleich zügig bergan strebenden Fahrgästen zu, es geht dort zum Kuhstall, das ist ein Felsentor. 45 Minuten Weges sind angesagt, wir schaffen es in 40. Im Kuhstall drängeln sich die Menschen, genießen die Aussicht und fotografieren. Heidi hält sich vom Geländer der Felsterrasse fern, verzichtet auch auf die Begleitung zur Himmelsleiter, die mich nun besonders interessiert. Da geht es zwischen zwei Felsen auf einer Eisentreppe steil hinauf, es ist fast dunkel da drinnen. Oben erreicht man einen weiteren Aussichtspunkt. Man kann hier zwischen den Felsen auf luftigen Pfaden herumstromern, ich finde gerade so den Abstieg und komme hinter der Gastwirtschaft wieder raus.
Der Rückweg geht nun ganz flott, weil es bergab geht. Wir suchen noch den Wasserfall, aber der ist wohl trocken gefallen. Und schließlich gondeln wir mit der Bahn wieder hinunter. Etwas müde gehen wir zurück und legen eine Schlummerpause ein, aber dann sind die Lebensgeister wieder erwacht. Es gilt noch, eine Bootsfahrt nach Schmilka zu unternehmen, das dauert gerade eine Stunde und man kann bei einem Kaffee, umgeben von herrlicher Landschaft, in der Sonne dösen. Wir überholen zwei tschechische Lastschiffe, die haben Kiefernholz geladen. Wo das wohl her kommt, an der ganzen Elbe gibt es eigentlich keine Kiefern. Vielleicht von der Havel. Wir beobachten auch einen Güterzug, der seinerseits Holzstämme aus Tschechien nach Deutschland bringt. Import und Export nennt man so was.
Zurück in Schandau finden wir uns heute zur Abwechslung im Garten der Gaststätte Elbgarten ein (Grillteller und Riesenbratwurst). Drei Raddampfern dürfen wir zusehen, die heißen Pirna, Meissen und Gräfin Cosel (das ist die von Pillnitz mit Gegenleistung). Und wieder erklingt das passende Lied in der Nachbarschaft: "Mihischischiiippi, you are on my meiheind..." (Pussy Cat, die mit der Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen).
Was kann man noch berichten: wir diskutieren auf dem Rückweg mit einem Mann über den Preis einer Wohnung in einem Neubau, 306 Tsd. für 80 qm sind da ausgeschildert. "Im richtigen Deutschland vielleicht" formuliert der reichlich intolerant, 7 Jahre nach der Wiedervereinigung. Eine Radlergruppe lagert am Elbufer und grillt bei einem Kasten Bier, am nächsten Morgen werden wir sie in ihren Schlafsäcken ihren Rausch ausschlafend wiedersehen.
Wir schlafen auch gut nach diesem ereignisreichen Tag, einige Mücken lassen sich unter Kontrolle halten.
Montag, 17.8. Bad Schandau - Schirgiswalde, 65 km
Wie kommen wir nun an die Quellen der Spree? Ursprünglich war geplant, von der Elbe aus durch Tschechien zum Prebischtor, dem höchsten Felstor Europas, hinauf zu fahren. Da soll es aber mächtig bergauf gehen, außerdem ist das Prebischtor nur über einen Wanderweg erreichbar, so kann man es jedenfalls der Karte entnehmen. Heidi ist davon nicht so begeistert. Aber vor Ort ergeben sich immer am ehesten andere Varianten. Unsere besteht darin, von Schandau mit der Bahn nach Sebnitz zu fahren, und damit ein gut Teil an Höhe ohne Schweißvergießen zu gewinnen. An der Rezeption kopiert man uns den Fahrplan, und so können wir ganz in Ruhe frühstücken und zum Bahnhof bummeln.
Dort stellt sich heraus, daß man uns einen alten Fahrplan ausgedruckt hat, aber wir haben Glück, unser Zug fährt in Kürze. Hätten wir noch mehr gebummelt, wären zwei Stunden verloren gewesen. Urlaubszeit ist kostbar! Wir verladen erst mal die Räder im bereitstehenden Zug, dann fällt einem ein, daß man die Fahrkarten vor der Fahrt an einem Automat entwerten muß. Ein Anstreicher auf einer Leiter liefert die nötigen Informationen, wie das zu bewerkstelligen ist. Also eile ich zurück in den Bahnhofsraum und habe so meine Not mit dem Entwerter. Eine Frau neben mir genauso, da gibt der Entwerter die Fahrkarte nicht wieder heraus. Da muß schließlich auch geholfen werden. Endlich habe ich unsere eigenen Kontrollabschnitte durch mehrmaliges Umknicken vielfach abgestempelt und eile zurück zum Zug, der sich schon zur Abfahrt anschickt. Heidi hat sicherheitshalber mit dem Schaffner angebändelt, damit man nicht ohne mich abfährt.
Als ich schnaufend eintreffe, wird der Triebkopf der Bimmelbahn Schandau - Bautzen gerade wieder abgestellt. 10 Minuten dauert es dann noch mit der Abfahrt, inzwischen ist unser Stress verraucht. Nun erteilt uns der freundliche Schaffner eine Lektion über das Tarifsystem des öffentlichen Nahverkehrs der Oberlausitz. Wir verstehen nur Bahnhof und müssen uns belehren lassen, daß wir die Fahrradkarten auch noch hätten entwerten müssen. Das übernimmt aber unser freundliche Schaffner, wozu ist er schließlich da.
Total entwertet können wir uns endlich der Landschaft widmen. Es geht kurvenreich durch zahlreiche Tunnel das liebliche Tal des Sebnitzbaches entlang. Wenn der Zug in einem der abgeschiedenen Orte einmal hält, stecken der oder die diensthabenden FahrdienstleiterInnen, der Lokführer und unser Schaffner kommunikativ die Köpfe zusammen, man setzt sich auch schon mal auf einer Bahnhofsbank zusammen. Wir genießen diese Gelassenheit, genau das sucht man ja immer in unserer rastlosen Zeit. Pfeifend setzt sich der Zug dann wieder in Bewegung und wir kommen trotz oder wegen aller Gelassenheit pünktlich in Sebnitz an.
Auf die Pünktlichkeit wäre es nun wahrlich nicht angekommen, finden wir uns doch sogleich schiebend auf einer steilen Straße wieder. Genauso steil geht es wieder hinunter und wir sind bald am Grenzübergang. Beide Ausweise gezückt, aber niemand nimmt Notiz von uns, außer einer Beamtin, die uns auf den Übergang für Fußgänger einweist. Heidi murmelt etwas von einem Stempel, wobei sie vergißt, daß das mit einem nagelneuen Personalausweis in Plastik, fälschungssicher eingeschweißt, wohl schlecht möglich ist.
So betreten wir das Neuland Tschechien ungestempelt und schieben eine Straße hinauf. Da hat man Muße, die Szenerie zu überdenken. Die Preise hier für Zigaretten, Getränke oder Benzin sind wohl so günstig, daß viele Autos aus der BRD sich an Tankstellen und einschlägigen Kaufläden versammeln. Es scheint auch schummerige Nachtclubs zu geben, was ich heimlich seitwärts schielend registriere. Das alles lassen wir hinter uns und fahren durch einen Wald. Es gibt eine sonderbare Blume hier, die hat gleichzeitig gelbe und rote Blütenblätter. (In unserem Bestimmungsbuch "Was blüht denn da" ist die Blume nicht zu finden, am ehesten kommt ihr der Wachtelweizen nahe, aber der blüht nur gelb.)
Die Landschaft ist leicht wellig, da geht es auf und ab, was Heidi mit Unmut quittiert. Bei genauerem Studium der Straßenkarte muß ich zugeben, daß wir uns so mittlerweile auf 500 m Höhe hinaufschrauben (-schieben). Ein langer Anstieg, bis man wieder hinab rauschen kann nach Sluknov (Schluckenau). Ich bin im Moment überfragt, wie die wechselvolle Geschichte dieser Region mit den ehemals deutschen und heute tschechischen Ortsnamen sich zugetragen hat. In Schluckenau jedenfalls verspüren wir Durst und erstehen für eine blanke DM eine Flasche Brause. Wir machen auch eine kleine Ortsbegehung mit Standbild, Kirche und Marktplatz. Dort machen wir uns auf einer Bank über die Brauseflasche her. Gegenüber sitzt ein Student, liest in einer Partitur und formt mit der Linken synchron zu seinen Noten die Bewegungen eines Zupfinstruments nach. Ein schwarzer Typ nähert sich. Wenn der nun einfach mit einem unserer Räder samt Gepäck davon fahren würde, wie würden wir da gucken? Aber das macht er nicht, sondern schlendert weiter.
Wir fahren weiter auf einer weniger schönen Landstraße nach Rum und Burk, ehemals Rumburg. Da findet sich eine Touristeninformation, in die ich mich sogleich begebe, um Informationen zu erhalten. Das hätte ich lieber nicht tun sollen. Eine Dame versucht meine Wünsche zu erfahren, muß aber mangels Sprachkenntnis eine Kollegin herbei rufen. Diese wiederum eröffnet auf meine Frage nach dem Grenzübergang, daß dieser seit heute(!) gesperrt sei. Bis Mai nächsten Jahres(!). Solange wollen wir nicht warten. Man könnte aber über Varnsdorf (Warnsdorf) ausreisen. Das sind so an die 15 km Umweg, mit Bergen noch und nöcher. Mit dieser Information beglücke ich meine liebe Gattin, die von der bisherigen Strecke sichtlich genervt ist. "Mit mir nicht!". Also irren wir erst mal in Rum Buk rum, nicht achtend der Schönheiten der Stadt, sofern vorhanden. Wir stehen vor einer steil ansteigenden Straße in der Mittagssonne. Nach Prag soll es da gehen. "Mit mir nicht!". Also alles zurück. Auf dem Marktplatz stellen wir fest, daß wir zweimal im Kreis Rum ge Bukt sind.
Anhand der Karte entschließen wir uns, den gesperrten Grenzübergang doch zu probieren, notfalls mit Gewalt. An der Touristen-Info von vorhin finden wir die richtige Strecke - natürlich alles wieder bergauf - schiebend. Heidi zweifelt an mir und ich an mir auch. Aber da ist die Abzweigung zur Grenze, schlicht BRD verheißend. Vor der Grenze stauen sich die Schwerlaster. Wir schieben daran vorbei, kein Schlagbaum, keine Kontrolle, kein Problem.
Doch da stehen drei bundesdeutsche Grenzbeamte ins Gespräch vertieft. Nun muß man es genau wissen und wir nähern uns forsch. Ja dieser Grenzübergang sei nur für den Transit-Schwerlastverkehr vorgesehen, Fußgänger oder Radfahrer aber könnten passieren. Außerdem gebe es allerlei weitere Übergänge, das alles hat man weder der Straßenkarte noch den vorbildlichen Informationsdamen in Rum Buk entlocken können.
Aufatmend bereisen wir nun wieder das Vorzeigeland der Deutschen Bundesrepublik. Dazu müssen einige Ampelkreuzungen überwunden werden, bis wir am Bahnhof von Neu-Gersdorf auf den ausgeschilderten Spree-Radwanderweg stoßen. Was ist nun mit den Quellen der Spree? Drei an der Zahl gibt es davon, die eine liegt auf einem Berg (Kottmarwald, 583 m) und ist dadurch für uns unerreichbar. Die andere sei durch Rohrleitungen wegen Ortszwistigkeiten an einen genehmeren Platz verlegt worden (Pfarrborn). Die dritte Quelle soll sich in Ebersbach befinden - und wir können stolz verkünden: wir haben keine von den drei Quellen zu Gesicht bekommen. Nun sind wir keine Prinzipienreiter, da stört uns das nicht so sehr. Wir verfahren uns lieber in den Orten Güst und Haineberg, wo man mit der Wegausschilderung wohl nicht so gründlich war. Zwei Einwohner helfen uns ein bißchen, den natürlich steil ansteigenden Weg zum Gasthof Hempel zu finden, von wo aus man eine tolle Aussicht hätte. Wir mogeln uns aber lieber ein wenig unterhalb herum, tangieren die grüne Grenze nach Tschechien und sind dann doch auf der richtigen Strecke. Da gibt es ein herrliches Schwimmbad (Neuspremberg), wo eine Erlebniswasserrutsche jauchzende Badegäste zu Wasser führt.
Wir aber dürfen schwitzen und über den Hänscheberg (393 m) bergan schieben, die Strecke ist in 20 Jahren vielleicht eine Allee, indem man viele Bäume links und rechts gesetzt hat. Entgegenkommende Radler brausen bergab. Alles geht vorbei, auch wir fahren irgendwann wieder bergab, nun an der wirklichen Spree, nachdem sie mit ihren drei Quellbächen zu Potte gekommen ist. Irgendwo auf der Strecke steht Bodo mit dem Bagger und der baggert noch. Aber wir werden rücksichtsvoll vorbei gelassen. Aber die Spree ist ab hier leider gelb verlöhmt.
Am Stausee von Sohland machen wir Rast. Da sind Oma, Mutter und Sohn auf der Nachbarbank in die Natur vertieft. Aber nicht so ganz, denn der Sohn möchte auf die Wippe des angrenzenden Spielparks, wo aber sein Gewicht gegen das seiner Mutter nicht ausreichend ist. Nun läßt sich noch eine Tochter aus dem Gebüsch herbeirufen, um das Gleichgewicht herzustellen. Es entzieht sich unserer Kenntnis, ob das alles nun so richtig geklappt hat, fahren wir doch auf herrlicher Strecke weiter gen Schirgiswalde, das uns durch die hoch gelegene Kirche und ein ansprechendes Ortsbild begrüßt. Hier können wir wohl guten Gewissens Quartier nehmen.
Heidi entdeckt das Hinweisschild auf die Info, damit hat sie die Verantwortung für das Hinaufschieben. Ein Mann mit einer Schubkarre schaut uns erwartungsvoll entgegen. "Sie vermieten doch sicher ein Zimmer", so nähern wir uns gleichermaßen erwartungsfroh. Leider hätte er schon besetzt, aber vielleicht bei Schwager oder Schwester gleich nebenan? Daraus wird nichts, die sind auch schon besetzt. Aber seine Frau, die habe das Touristenbüro unter sich, bis 17 Uhr, das sind noch 10 Minuten. Wir fahren alles wieder runter, was wir gerade hinauf geschoben sind und finden das "Bürgerhaus", wo Frau Herold das Regiment führt. "Einen schönen Gruß von ihrem Mann", da guckt sie aber. Nun gelingt es, zwischen vielen "Jetze" und "Denne" ein Quartier in den Marktstuben zu ergattern. Da sind wir vorhin schon längst vorbei getingelt. Ein schönes Gespräch haben wir jedenfalls mit Frau Herold, man versuche alles Erdenkliche, diese schöne Ecke der Lausitz für den Tourismus zu erschließen.
Wir freuen uns, daß wir - wie es im Prospekt heißt - die "Perle der Oberlausitz" entdeckt haben. Natürlich führt uns der Rundgang zuerst hoch hinauf zur Kirche, "Kath. Pfarrkirche, 1735 im böhmischen Landbarockstil erbaut" (aus bikeline abgeschrieben). Da steht sogar die Kirchentür offen. Leider verbietet sich aber eine weitere Annäherung, befindet sich doch eine Schar ältlicher Damen murmelnd ins Gebet vertieft um Vergebung ihrer Sünden bittend. Welche Sünden begeht man in Schirgiswalde?
Wir suchen eine Telefonzelle, gehen zum Bahnhof. Der ist weitab von weitreichenden weltverbindenden Verkehrslinien, Bautzen - Zittau und Zittau - Bautzen, alle zwei Stunden. Die Bahnhofsräume sind mit Brettern zugenagelt. Eine Dame mit Kind sucht erfolglos nach dem Bahnhofsrestaurant, sie sei erst gestern angekommen. Genau so wenig finden wir eine Telefonzelle. Am Abend sitzen wir vor unseren Markstuben und lauschen dem vorbei rauschenden Verkehr. Mit der Zeit ebbt der ab, dafür nehmen die Aktivitäten einiger Jugendlicher zu. Man versucht, seine Stärke durch die vorhandene Motorisierung zu beweisen. Immerhin können wir aber auch wieder einem Ehepaar am Nebentisch zuhören, die eineinhalb Stunden dazu benötigen, sich für ihre morgige Unternehmung eine Busverbindung zusammen zu stellen. Die Frau diktiert ihrem Gatten alle Abfahrtzeiten, der abschließend zufrieden bemerkt: "Böhmische Dörfer für die Autofahrer". Die Frau sagt dann noch: "Wie machen wir das nun morgen?". Schließlich brechen sie auf, um die Bushaltestelle zu suchen, wo sie morgen abfahren wollen.
Dienstag, 18.8. Schirgiswalde - Spremberg, 98 km
Die Vorausplanung der weiteren Tour macht uns ein wenig Sorgen. Zwischen Bautzen und Spremberg gibt es entlang der Spree wenig Übernachtungsmöglichkeiten, da sich dort die Braunkohle breit macht und dem Tourismus wenig Anreiz bietet. Man wird sehen.
Die Strecke bis Bautzen ist wieder sehr schön, über Wiesen und Felder oder durch Waldschluchten entlang der Spree. Verfallende Mühlen und Industriegebäude. Einmal liegt quer über den Radweg der Länge nach ein Mensch ausgebreitet. Wir nähern uns schaudernd, hat es etwa einen Unfall gegeben? Als wir heran sind, hebt der Bursche aber den Kopf und guckt verdutzt. Was das nun wieder sollte? Wir machen, daß wir weiterkommen.
Wenn man Bautzen besichtigen will - was man nicht versäumen darf - muß man die Spree verlassen und auf der stark befahrenen Straße hinauf schieben. Man gerät direkt auf den Hauptmarkt. Die Altstadt von Bautzen ist vorbildlich restauriert, fast ist noch alles zu taufrisch, das muß erst mal wieder Patina ansetzen. Im Informationsbüro versuchen wir, ein Quartier auf der weiteren Strecke auszuhandeln. Das funktioniert nur insoweit, daß man uns die Telefonnummer eines Hotels in Uhyst nennt, auf halber Strecke bis Spremberg. Jetzt brauchen wir nur noch eine Telefonzelle.
Da fragt man am besten eine vorbei schlendernde Polizeibeamtin, die in der Morgensonne ihren schweren Dienst versieht. "Eine Telefonzelle?" - sie schaut ratlos im Kreis herum, aber das haben wir vorher auch schon getan. Schließlich fällt ihr doch eine ein, gleich um die Ecke. Nun werden wir keck. "Sie als Polizistin müssen wir noch was fragen, was ist denn aus dem berüchtigten Stasigefängnis geworden?" Das sei heute Gedenkstätte und befinde sich im Justizgebäude. Es werde immer mit dem "Gelben Elend" verwechselt, das aber eine ganz normale Justizvollzugsanstalt sei und schon zu Zeiten des ersten Weltkrieges existiert habe. Sie will uns noch den Weg dorthin beschreiben, aber so genau wollen wir es auch wieder nicht wissen. Natürlich fällt in diesem Zusammenhang auch auch der Name Kempowski.
Kleine Nachgeschichte: Eine Woche nach unserer Rückkehr stellt Walter Kempowski in Braunschweig sein neues Buch "Heile Welt" vor. Bei dieser Gelegenheit kann es Heidi nicht lassen, ihm einen schönen Gruß aus Bautzen auszurichten. Schön sei es da jetzt geworden, sagt sie noch dazu. Die Reaktion des Schriftstellers: "Da muß ich nicht wieder hin". (Er hat dort 8 Jahre unfreiwillig verbracht, man lese "Ein Kapitel für sich")
Wir verabschieden uns von der Polizistin mit dem Hinweis, daß sie ja keine Telefonzelle brauche, da sie ein Handy bei sich führe. Bei dem Wort "Handy" gibt sie Heidi spontan die Hand.
In der Telefonzelle erfahren wir, daß das Hotel in Uhyst anscheinend nicht mehr existiert. Wir beschließen, einfach drauf los zu fahren, irgend etwas wird sich schon finden. Vorher schieben wir noch durch die Gassen um die Ortelsburg entlang der mächtigen Festungsmauern. Später fahren wir unterhalb dieser Anlage wieder an der Spree. In den aufragenden Felsen wächst die Hauswurz, die trifft man sonst in freier Natur nur selten an.
Es geht weiter über eine ruhigen Landstraße, zur Rechten glänzt der Wasserspiegel der Talsperre Bautzen. Hinter uns liegen erstaunlich hoch die Bergkämme der Oberlausitz, kaum zu glauben, daß wir da durch gefahren sind. Aber die Spree hat uns ja den Weg leichter gemacht. Ein radelnder Urlauber begegnet uns. "Wie läuft's heute?" "Ganz gut, wenn's nicht zu heiß wird!" "Schön, was ihr da macht!" Da sind wir uns einig.
Unterhalb der Staumauer der Talsperre quert man nun hinüber zu einer Kette von Fischteichen, durch die der Radweg mitten hindurch führt. Aber man bleibt trocken. In dem anschießenden Ort Malschwitz finden wir mal einen netten Krämerladen. In den meisten Orten gibt es keine Einkaufsmöglichkeiten, da die kleinen Läden sich gegen die Einkaufszentren auf der grünen Wiese nicht halten können. Das kennen wir, wir wohnen auch auf dem Dorf. Hier aber kann man mal einen Schnack machen. Wir versuchen natürlich, eine Auskunft über eine Quartiermöglichkeit zu bekommen, aber da sind die guten Leute auch überfragt.
Mit frisch erworbenen Getränken und Proviant finden wir alsbald einen netten kleinen Teich mit einer Bank, wo man eine wunderschöne Rast machen kann. Libellen schwirren umher, im Teich blüht das Pfeilkraut. Später kann man feststellen, das Pfeilkraut kommt an der Spree häufig bis üppig vor. Auf der Weiterfahrt gibt es einen Storchenrekord. Da ein Bauer sein Feld bestellt, haben sich gleich 16 Störche in der Hoffnung auf Nahrung eingefunden. Ein 17. Storch steht schmollend abseits. Das ist der Opa, beschließen wir. Wir kommen an einer Papierfabrik vorbei "Pappen und Kartonagen". Die Mühlenanlage und ein alter Speicher bieten sich als Fotomotive an.
So kommen wir nach Uhyst, dem eigentlich geplanten Ziel des Tages. Dabei ist es gerade erst Mittag. Eine kleine Rundfahrt ergibt, es existiert anscheinend keine Übernachtungsmöglichkeit. (Doch!) Aber das ist im Moment nicht lebenswichtig, vielleicht kommen wir doch noch bis Spremberg. An der auf den ersten Blick barocken Kirche machen wir Rast. Das Barock entpuppt sich als aufgemalte Attrappe von Säulen und Fenstersimsen.
Es folgt nun eine Schnitzeljagd, denn der Spreeradweg ist ab hier nicht weiter ausgeschildert. Der Weg durch einen "aufgefüllten Tagebau" wie es heißt, ist nicht auffindbar. Es gibt eine andere Variante über den Ort Lippen. Dort fahren wir einem Schild nach, das einen Radweg markiert. Nur die Richtung stimmt nicht. Es geht am Rand einer stillgelegten Kuhle, viele qkm groß, dahin: "Betreten verboten, Lebensgefahr". Es ist abzusehen, daß diese Kuhle ganz umfahren werden muß, so an die 5 km kann man abschätzen. Da läßt sich ein Sandweg erkennen, der quer durch die Kuhle führt. Und dahinter eine Ortschaft, das ist nach der Karte Lohsau. Ob man unter Einsatz seines Lebens diesen Weg befahren kann? Ich erkunde das erst mal zu Fuß. Unterhalb der Böschung steht aber eine Schutzhütte für Wanderer, das ist ein gutes Zeichen.
So radeln wir alsbald quietschvergnügt durch das verbotene Gelände. Links und rechts Wasserflächen und Sumpflöcher, da kann sicher kein Mensch, ohne sein Leben zu riskieren, seinen Fuß hin setzen. Und so kommen wir tatsächlich auf diese originelle Weise nach Lohsa, wo man an einem Teich mit Seerosen wieder eine Rast verdient hat. Die weitere Strecke ist nicht so schön, aber interessant. Bis zu dem Ort Burg (der dritte dieses Namens bisher) fährt man an einer riesigen Grube entlang, leider mit Gegenwind. Ab Burg aber ändert sich die Richtung wieder und es wird weniger anstrengend. Rechts wird eine stillgelegte Grube zu einem Badesee, der heißt "Bernsteinsee". Findet man in der Braunkohle auch Bernstein? Wäre vielleicht möglich.
In Spreewitz sind wir wieder auf der richtigen Strecke, wie der Name sagt. Wir wählen aber die Landstraße, damit wir heute doch noch nach Spremberg kommen. Man passiert das berühmte Kraftwerk "Schwarze Pumpe", die Sonne trübt sich ein. Aber das ist doch wohl wetterbedingt, die Zeiten, wo man hier am Tag mit Licht fahren mußte, sind vorbei. Kurz vor 18 Uhr sind wir in Spremberg, wo wir in der Touristeninformation uns gerade noch ein Zimmer im Hotel "Zur Post" vermitteln lassen können. "Hier sind zwei müde Radfahrer, die haben 100 km hinter sich" flötet die nette Dame ins Telefon. Die Vermittlung kostet weiter nichts als einen Fünfziger in die Kaffeekasse in Gestalt eines Sparschweins.
Unser Zimmer im Hotel "Zur Post" ist luxuriös (für unsere Verhältnisse). Man muß erst mal lernen, wie die Mischapparatur der Dusche funktioniert. Der Spiegel ist neigungsverstellbar. Alles funkelnagelneu. Das haben wir uns verdient - heißt es mal wieder.
Der Rundgang in Spremberg vermittelt gemischte Eindrücke. Der Marktplatz wird auf der einen Seite von alten Gebäuden oder nagelneuen Geschäftshäusern begrenzt. Auf der anderen Seite stehen klotzige Plattenbauten. Davor befindet sich eine Baustelle, wo ein Geschäftszentrum entsteht. Vielleicht ergibt sich nach dessen Fertigstellung ein ansprechenderes Ambiente. Ursache dieses Sammelsuriums sind wieder die Zerstörungen im Krieg, die Russen haben von oben in die Stadt geschossen und 65 % zerstört. Was in der Zeit des Sozialismus an alter Bausubstanz vielerorts noch verdorben wurde, weiß man ja.
Mit unserem Hotelier und einem Gast, der aus Spremberg stammt, führen wir noch ein Gespräch, das uns einige Informationen vermittelt. So erfahren wir, daß das Kraftwerk für über 1 Mrd. instand gesetzt worden ist, mit vorbildlicher Umwelttechnologie usw. Während der Bauzeit hatte unser Hotelier keinen Mangel an Gästen, wie die Zukunft werden wird, ist dagegen ungewiß. "Und der Biedenkopf, der gräbt uns das Wasser ab" läßt sich der Senior vernehmen. Wir befinden uns nämlich mittlerweile im Bundesland Brandenburg, die Braunkohlegruben dagegen liegen weitgehend in Sachsen. Es dauert Jahre, bis so eine Kuhle voll Wasser läuft, was dem Wasserstand der Spree weniger gut bekommt.
Hier paßt der schöne Spruch, der im bikeline-Heft allerdings bei den Spreequellen zitiert wird:
"Wull'n mer de Berliner fubb'm,
brauch mer ock de Spree zustubb'n."
An dieser Stelle muß noch ein weiteres Thema eingefügt werden: die Sorben. Wir wissen nicht mehr, wo es war irgendwo in der Lausitz, als uns erstmals die Beschilderung von Ortsnamen in "Polnisch" auffielen. Natürlich handelt es sich nicht um Polnisch, sondern um die Sprache der Sorben, die wendischen bzw. slawischen Ursprungs sind. Sonst haben wir bei der Durchfahrt von der sorbischen Kultur nichts wahrgenommen. Es gibt etliche Museen über die Sorben. Wenn man das Glück hat, als zahlender Tourist einem Heimatabend beizuwohnen, wird man sicher einige Sorben in Trachten und bei alten Liedern und Tänzen bewundern können.
Mittwoch, 19.8. Spremberg - Burg, 70 km
Das Motto für unser heutiges Ziel hat uns der Senior auf den Weg gegeben: "Wollen sie Hektik, fahren sie nach Lübbenau, wo am Hafen die Warteschlangen an den Bootsstegen stehen. Wollen sie es ruhig, fahren sie nach Burg, da kann man am Hafen stundenlang zugucken." Also auf nach Burg!
In der Nacht hat es geregnet und der Morgen ist trübe. Es fehlt die Farbe in der Landschaft, als wir wieder auf herrlichem Weg an der Spree entlang fahren. Aber an der Talsperre Spremberg, einem ausgedehnten Erholungsgebiet, kommt die Sonne zum Vorschein. Man fährt hier durch die Bülower Heide, es ist August und die Heide blüht, wie man sieht.
Wir nähern uns allmählich der Stadt Cottbus, vorher lassen wir uns bei Frauendorf von einem Hinweisschild auf einen Park verführen. Den finden wir leider nicht, machen dafür eine Rast im Grünen an einer Brücke. Auch hier wächst üppig das Pfeilkraut. In Kiekebusch stoßen wir wieder auf den Radweg, der in Richtung Cottbus führt. Als ich auf einer Brücke einmal die Karte umblättern muß, kommt ein Mann auf seinem Fahrrad daher. "Habt ihr euch verloofen?" In einer Plastiktüte an seinem Lenker baumelt sein Biervorrat, dem er offensichtlich schon reichlich zugesprochen hat. Er will uns partout auf den Weg lotsen, den er selber weiter fahren will, aber wir suchen doch lieber unseren eigenen Weg. Aber die Gartenanlage der Buga (BundesGartenschau, die vor einigen Jahren hier stattfand) verpassen wir leider, die liegt wohl hinter dem Stadion des FC Cottbus.
Auf dem Marktplatz in Cottbus widmen wir uns einer anderen Aufgabe. Ich habe auf die Reise nichts zu lesen mitgenommen. Heidi liest gerade "Dotterblumen und blaue Libellen" von Editha von Münchhausen über deren Kindheit im Spreewald. Das hatte ich aber schon vorher gelesen. Also stöbern wir in einer Buchhandlung nach regionaler Literatur. Auf Nachfrage zeigt man uns ein Regal, das mit Büchern eines einzigen Schriftstellers gefüllt ist, der in Spremberg geboren ist. Den Namen haben wir noch nie gehört, er heißt: Erwin Strittmatter. Das ist genau das richtige und wir erstehen die beiden Werke Ole Bienkopp und Tinko. Das erstere Werk sei auch verfilmt worden. (Verfilmt worden ist "Der Laden") Also: dieser Einkauf hat sich gelohnt!
Eine Rast zu Füßen der Kirche St. Nicolai, und dann zieht es uns weiter. Zwischendurch muß ich eine Bemerkung einflechten, was unsere flüchtigen Eindrücke der Sehenswürdigkeiten am Wege angeht. Es ist unmöglich, eine Stadt vom Kaliber Bautzen oder Cottbus ihr gerecht aufgrund einer Durchfahrt mit Fahrrad und Gepäck zu würdigen. Dazu müßte man Museen besuchen, eine Stadtführung mitmachen, herum bummeln, die Umgebung kennen lernen. Da wäre man ja wochenlang unterwegs. Doch da es so schön ist, in freier Natur zu radeln, bildet das letztendlich immer den Schwerpunkt unserer Fahrradtouren. Man kann ja auch ein andermal wiederkommen.
Eine Lust, wie es weitergeht. Im Sonnenschein oder im Schatten des Auwaldes kommen wir an die Spreewaldmühle, als technisches Denkmal ausgewiesen. Im dunklen Innenraum zwischen den mahlenden Gestängen sitzt einer und wartet auf zahlende Besucher. Ein Foto von dem sich drehenden Wasserrad ist allerdings kostenfrei.
Es steht nun die Entscheidung an, ob man auf einem kürzeren Weg der Spree folgt oder die Route durch die Peitzer Teiche wählt, was 10 km mehr kostet. Ich lasse es nicht auf eine Diskussion ankommen und lotse Heidi auf die Abzweigung nach Lakoma (klingt wie La Paloma). Auf dem kurzen Stück Straße überholt uns ein Bus mit der Aufschrift: "Der Cottbusser Postkutscher". Aus dem Gedächtnis rezitieren wir sogleich den Zungenbrecher:
Der Cottbusser Postkutscher putzt den Cottbusser Postkutschkasten.
Heidi meint, das müßte heißen: Der Potsdamer Postkutscher... usw. Zu einer phonetischen Diskussion ob lieber Cottbus oder Potsdam kommt es nicht
(der Wechsel C-b-P-k-p-C-b-P-k-k klingt jedenfalls besser als P-d-P-k-..., ach was weiß ich...).
Ich merke, daß Heidi merkt, daß wir 10 km Umweg ansteuern. Was heißt hier Umweg? Da wir irgendwann wieder zu Hause ankommen werden, war die ganze Tour ein Umweg. Da hätte man ja gleich zu Hause bleiben können, das wäre dann kein Umweg. Aber jeden Tag so eine Gewalttour, das müßte ja auch nicht sein. So fahren wir leider uns gegenseitig anknirschend auf eines der schönsten Teilstücke des Spree-Radweges zu. Hinter den grünen Wiesen qualmt das Kraftwerk Jänschwalde schneeweiße Wolken in den Himmel. Alles nur Wasserdampf vermutet der Optimist. Ein gar nicht mal unmalerischer Kontrast auf dieser Strecke. Die Kühltürme des Kraftwerks stehen wie die Kegel: 3 x 3, vielleicht sind es auch mehr.
Aber dann geht es an den tiefblauen Teichen entlang, die Karpfen springen vor Lust. Ein Rudel Schwäne, Enten oder Blesshühner sowieso und auch die Schwarzkittel der Fischteiche: die Kormorane. Man lese mal das Buch: Die Auflehung von Siegfried Lenz. Irgendwo unterwegs haben wir aufgeschnappt: die Kormorane fressen hauptsächlich die Billigfische, Weißfische oder so was. Wenn dann auch schon mal ein Aal oder Karpfen dabei ist, das kann schon mal passieren. Jedenfalls sind die Kormorane bei Teichwirten unbeliebt.
So sitzen wir inmitten der Peitzer Teiche auf einer Bank, hinter uns zischen gelegentlich sportliche Rennradfahrer vorbei, wo kann man schöner rasen? Ich fotografiere, Heidi rechnet die noch verbleibenden Kilometer bis Burg zusammen. Daß wir die gesamte Reststrecke (25 km) mit Gegenwind fahren werden, behalte ich für mich. Nun wollen wir noch einmal betonen: die Peitzer Teiche sind ein absoluter Höhepunkt. Auch der Ort Peitz lädt zum Verweilen ein, aber wir fahren durch.
Man kann eine Abkürzung fahren, wenn man sich Richtung Drehnow orientiert. So sicher bin ich mir da allerdings nicht, wie immer bei meinen Abkürzungen. Aber es geht gut, man findet wieder zurück auf den ausgeschilderten Radweg, der nun schnurgeradeaus an einem Fließ - so heißt das hier - namens Malxe entlang führt. Dann auf einem Damm, schön erhoben dem Gegenwind ausgesetzt. So gondeln wir also wortlos dahin, ich breche den Wind und mache mir Gedanken über den Belgischen Kreisel oder den Wallonischen Pfeil und hoffe, daß Heidi mit ihrem Gesundheitslenker das Windloch hinter mir findet. Die Landschaft ist weit und grün, ab und zu grüßt ein Kirchturm einer Ortschaft. Aber hier geht es nur stur auf dem Damm der Spree voran. Endlich erreichen wir die Straße nach Burg, passieren den bevölkerten Parkplatz am Bismarckturm, den wir verschmähen.
Der Tourismus hat uns wieder, und wir wollen einen Spreewaldtag in Burg verbringen. Dazu gilt es, ein geeignetes Quartier für zwei Übernachtungen auszukundschaften. Wie immer in die Info, direkt am Hafen von Burg zu finden. Gleich um die Ecke könnten wir ein Zimmer bekommen - also nichts wie hin. Nach einigem Hin und Her mit dem Hausherrn und einer vom Hausputz genervten Gattin wird uns ein winziges Zimmer für DM 70.- angeboten. Und wir seien mit dem Fahrrad da. "Ja, wenn sie mit dem Auto da wären, müßten sie hinten herum fahren und dann auf dem Platz parken..." usw. Wir antworten, daß wir erst mal unser Gepäck abladen wollen. Heidi aber hat das Grausen gepackt. Ich empfange den Befehl: "Du gehst noch mal in die Info, was kostet ein Hotel - in so ein Loch muß ich nicht für 70 DM". Das ist nun auch wieder wahr.
Also gehe ich noch mal in die Info, wo einiges los ist. Auch die dortige Dame ist schon genervt, aber sie schafft es gerade noch, uns zu einem Quartier im Hotel "Alter Bahnhof" zu verhelfen, das gerade mal DM 20.- mehr kostet. Also ziehen wir eben dort ein. Das Zimmer ist ganz nett und wir sind für uns, das heißt, wir müssen uns nicht erklären lassen, wo man am besten sein nicht vorhandenes Auto abstellt. Der Bahnhof war bis in die 70er Jahre in Betrieb. Inzwischen hat man eine Art Museum daraus gemacht. Da kann man alte Waggons und allerlei altertümliches Bahninstrumentarium besichtigen. Die Touristen erscheinen zahlreich und fotografieren mit Lust.
Wir machen den üblichen Rundgang und suchen uns ein Lokal aus. Vorher noch zum Hafen, dem gepriesenen. Da ist aber nicht so viel los, Imbißbuden und weiter keine Stimmung. Wir gehen noch einmal in die Info, wie das mit dem Kahnfahren wohl so funktioniere usw. Wir bekommen einen Plan, wo mit einem Markierstift die Abfahrtsstellen gekennzeichnet werden.
Auf den zweiten Blick bietet der Ort Burg eigentlich nicht allzu viel. Man munkelt, daß die Gemeinde Burg flächenmäßig die größte der Bundesrepublik ist, da es sich um eine weit über das Land verteilte Streusiedlung handelt. Unser Abendessen im Gasthof Bleske gegenüber der Kirche ist insoweit bemerkenswert, daß es einen Fischtopf gibt mit 2 Stück Aal, ein ordentliches Stück Karpfen und Hecht, gereicht mit original Spreewälder Soße. Das ist sehr lecker. Heidi schreibt anschließend eine ganzen Stapel Ansichtskarten an die Lieben zu Hause. Da steht überall das gleiche drin. Als wir die Bedienung nach Briefmarken fragen, bietet sie an, die Karten an sich zu nehmen, zu frankieren und zur Post zu bringen. Das wirkt sich positiv auf das Trinkgeld aus. Die Karten sind dann auch alle pünktlich angekommen.
Donnerstag, 20.8. Burg - Lübben, 30 km
Der Tag verläuft anders als geplant, denn wir hatten das Zimmer für zwei Nächte genommen. Der erste Grund ist, daß Heidi schlecht geschlafen hat, da hat wohl eine Tiefkühltruhe zu laut gebrummt, ich habe davon nichts gehört. Der zweite Grund ist der Wetterbericht, der verheißt nichts gutes für die nächsten Tage. Der heutige Tag dagegen wird uns noch einmal einen wolkenlosen Himmel bescheren. Da liegt es nahe, das Ganze anders zu machen.
Wir melden uns bei der Dame des Bahnhofshotels ab, was sie natürlich bedauert. Bald fahren wir in der Morgensonne zwischen den grünen Wiesen zu dem Ort, wo wir eine Bootsfahrt machen wollen. Wir haben uns das Waldschlößchen bei Burg Kauper ausgesucht. Gegen 10 Uhr beginnen die Bootsfahrten. Wir sind vorher da und haben genug Zeit, uns zu informieren und zu orientieren. Man hat die Wahl zwischen einer vierstündigen Fahrt mit Mittagseinkehr oder einer zweistündigen Schnuppertour. Man muß zunächst warten, bis sich genügend Fahrgäste einfinden. Da legt bereits ein Boot ab, das ist besetzt mit schnatternden Damen, die bei jedem Schaukeln des Bootes - Flachkahn genauer gesagt - schrill aufkreischen. Im Flachkahn kreist der Flachmann. "Mit so einer Truppe fahre ich jedenfalls nicht mit" teile ich Heidi mit. Es kommt auch besser, denn bald sind so an die 10 Fahrgäste beisammen und der Fährmann, mit dem wir uns schon unterhalten hatten, bittet zur Schnuppertour.
Und nun geht es los, geruhsam stakt der Fährmann am Heck des Flachkahns, der lautlos dahin gleitet. Sogleich müssen wir eine Schleuse passieren, das ist noch eine der altertümlichen Art. Ein paar Kinder bedienen sie und sagen Gedichte auf. Mit einem Bakschisch wird das belohnt. Mit einer Kurbel ziehen die Kinder ein Schott hoch, so daß das Wasser aus der Schleuse sich auf das in diesem Fall niedrigere Niveau senken kann. Das muß behutsam geschehen, denn sonst gibt es einen Schwall, der den Kahn zum Schlingern bringt. Die Kinder beherrschen das. "Haben wir früher auch gemacht, ein kleines Taschengeld dazu verdient" meint der Fährmann dazu.
Zur linken liegt ein typisches Spreewaldhaus, aus Holz erbaut, da soll Theodor Fontane eine seiner vielen Übernachtungen bei seinem ausgedehnten Trip durch die Mark Brandenburg gebucht haben. Doch nun kann man sich auf die eigentliche Stimmung bei dieser Bootsfahrt konzentrieren. Und das ist eine himmlische Ruhe. Der Kahn gleitet dahin, die Sonnenstrahlen blinken durch das Blätterdach der Schwarzerlen, auf dem Wasser huschen die Wasserläufer, Libellen zucken über das Wasser. Wir haben nun das angenehmste Publikum an Bord, denn jeder respektiert diese Atmosphäre, es fällt kein lautes Wort. Der Fährmann plaudert derweil unterhaltsam, als wenn er mit jedem von uns in ein persönliches Gespräch vertieft wäre. Man muß aufpassen, daß man nicht einschlummert, wie es einem Fahrgast weiter hinten sitzend widerfährt.
Ich kann nur einige Eindrücke dieser Bootsfahrt wieder geben: ein Schwalbennest unter einer Brücke, da schauen die Jungen mit klüsigen Augen über die Nestkante und warten auf die Eltern. Ein Paddelboot mit zwei Insassen überholt uns, die haben aber das Paddeln noch nicht gelernt, denn sie eiern im einem unbeholfenen Zickzack dahin. Eine kleine Holzbrücke über ein Fließ, mit einer Pforte oben drauf. Der Fährmann: "Das ist die Mannheimer Brücke. Wenn die Pforte offen ist, ist die Frau beim Nachbarn, ist sie geschlossen, ist der Mann daheim". Das ist aber auch einer der wenigen Scherze. Im übrigen erfährt man viel über das Leben im Spreewald gestern und heute. Das System der Fließe und Kanäle hat man durch drei Stau-Ringanlagen beherrschbar gemacht. Überschwemmungen gebe es nicht mehr, eher sei der Wasserspiegel zu niedrig. Wir wissen ja schon: die Braunkohlegruben, wo Biedenkopf das Wasser abgräbt.
Weiter geht es um das Problem Naturschutz, Tourismus und landwirtschaftliche Nutzung der Wiesen und Wälder. Da gibt es einige Konflikte. Jeder Flachkahn wird heute vom TÜV kontrolliert, gegen Gebühren. Ein Fährmann muß eine Prüfung ablegen, gegen Gebühren. Man will sich um eine Zulassung als Kurregion bemühen, was eine Kurtaxe nach sich ziehen würde. "Der Theo hält überall die Hand auf" - so wird das formuliert.
Wir kommen an die zweite Schleuse, die uns wieder auf das Anfangsniveau hinauf bringt. Diese Schleuse ist mit Hilfe sechsstelliger Fördergelder in massivem Beton erbaut. Trotzdem ist die Bedienung weit komplizierter, als die der alten Schottwehre. Und hier sind auch keine Kinder. Es wird uns noch eine Ringelnatter beschert, die sich durchs Wasser schlängelt.
Den Abschluß der Bootsfahrt bilden Passagen durch Feriengrundstücke, da hat man sich nicht gescheut, mannshohe Gurkenfässer mit Dach darauf zu Schlafquartieren umzufunktionieren. "Sehr geeignet für Liebespaare" heißt es. Die zugehörigen Grundstücke sind zwar gepflegt, aber nicht der Landschaft angepaßt gestaltet. Rosen Rasen Rhododendron. Lassen wir das Lästern. Zwei Stunden Dahingleiten mit dem Flachkahn durch die Fließe des Oberspreewalds, das war noch schöner als das Motto dieses Berichts: "So stell ich mir den Spreewald vor".
Wir sind ganz andächtig, als wir wieder auf unsere Räder steigen. Und bleiben es auch, denn die Landschaft, die folgt, ist ein Traum. Wir durchfahren den Ort Leipe, wo man auch auf einem Fließ herum schippert. Dann kommt man in den Hochwald, der Fahrweg ist von Birken gesäumt. Kurz vor Lübbenau gelingt ein Foto von einem Idyll: Kahn, Fließ, Spreewaldhaus und Birken. So stellt man sich den Spreewald vor. Wie man ihn sich aber auch vorstellen muß, erleben wir anschließend in Lübbenau.
Dort geht es wie auf einem Jahrmarkt zu. Busse, Freßbuden, Warteschlangen an Bootsanlegern, Menschenmassen vorn und hinten. Wir ziehen auch einen Vorteil aus der Sache und Heidi bemüht sich um einen Linseneintopf. Ich suche schon mal eine Bank aus. "Gruppe drei an Anleger zwei" tönt es durch ein Megaphon. Wir überdenken noch einmal unsere Bootsfahrt, die gerade zwei Stunden zurück liegt und wissen, das haben wir genau richtig gemacht. Aber wir haben auch wieder ein nettes Erlebnis. Neben uns auf der Bank sitzt ein Rentnerehepaar aus Berlin, Prenzlauer Berg genauer gesagt. Der ältere Herr eröffnet, daß er den Spreewald seit 20 Jahren bereise, früher als Jugendgruppenleiter. "Frag den mal aus" sage ich zu Heidi, die gerade mit dem Linseneintopf die Szene betritt. "Hat sich viel verändert, vor allem nach der Wende" erfahren wir. "Früher gab es hier nichts als Mücken, heute werden die mit Chemie bekämpft, dafür gibt es immer weniger Vögel".
Also hier muß man bemerken, daß wir zu dieser Jahreszeit den Spreewald zu bereisen auch so unsere Bedenken wegen der Mücken hatten. Das hat sich nicht bestätigt, obwohl Heidi einen empfindlichen Stich auf der Fußsohle mitten durch die Hornhaut zu beklagen hat. Daß man aber gegen die Mückenplage mit der chemischen Keule angeht, kann man sich weniger vorstellen, sind doch die sumpfigen Waldgründe viel zu unwegsam. Außer man geht da mit dem Hubschrauber zu Werke, aber das werden die Naturschützer kaum zulassen. Vielleicht liegt es auch am trockenen Wetter, jedenfalls hat uns die Mückenplage nicht heimgesucht.
Wir verabschieden uns von unseren netten Banknachbarn, die heute abend wieder nach einem schönen Tag zu ihrem Prenzlauer Berg mit der Bahn zurück fahren werden. Wir schauen uns noch ein wenig in Lübbenau um. Der Marktplatz ist eine große Baustelle, wir suchen wieder die Natur. Nicht schwer zu finden, wenn auch die Höhepunkte wohl hinter uns liegen. Der Spreewald - wie man sich ihn vorstellt - zeigt sich nun nicht mehr. Immerhin geht es doch abenteuerlich über ein paar Plankenwege durch Sumpfgelände.
Man passiert dann vor Lübben bald eine riesige Reha-Klinik (Orthopädie und Onkologie), nagelneu erbaut, ein Traum aus Glas und Stahl. Uns interessiert natürlich zunächst wieder am ehesten die Touristeninformation, in der ein Quartier nunmehr nur gegen die Gebühr von DM 5.- vermittelt wird. Das Quartierverzeichnis ist aber kostenfrei, und wir lassen uns vor der Paul Gerhardt Kirche nieder, zu Füßen jenes Choraldichters. "Befiel Du meine Wege" steht an seinem Denkmal. Er ist außerdem in dieser Kirche beigesetzt. Ein Besuchergruppe verschwindet nach der Kirchenbesichtigung auch konsequenterweise in einer Gruft, da wird sich der Paul freuen.
Wir ergattern ganz in der Nähe das letzte Zimmer in der Pension am Markt. Hier wird es morgen das Frühstück aus einem Schrank geben, wo sich eine kleine Küche mit allem Notwendigen aufklappen läßt. Unser Rundgang führt uns dann natürlich zum Schloß. Da steht an der Tür: "Wappensaal heute wegen einer Veranstaltung geschlossen". Deshalb gehen wir mal rein. Da kommt schon eine bebrillte Dame um die Ecke geschossen und expediert uns schleunigst wieder hinaus. Nebenan ist ein Gartenrestaurant, da sitzen sommerlich gekleidete Gäste. Aber an einem Tisch sind auch Herren in Anzug und Weste am Speisen. Man dreht die Köpfe, was wir wohl so neugierig zu gucken haben. Ich habe ja meinen Rucksack dabei, vielleicht ist da eine Bombe drin? Wenig weiter stehen eine Anzahl Polizeiautos, die Polizeibeamten langweilen sich. Die kann man ja gleich mal fragen, wer sich hier die Ehre gibt. Es handelt sich um einen Herrn Seite und es wird bald eine Wahlveranstaltung der CDU stattfinden. Wir wünschen ein gutes Gelingen der Mission und bummeln weiter, bis wir einmal um das Schloß herum sind.
Wir landen in dem überdachten Biergarten eines Lokals am Markt, wo es auch noch interessant wird. Zunächst bedient uns beflissen ein Knabe mit Zahnspange. Dann finden sich ein paar Burschen in Handwerkerkluft ein, das Gepäckbündel am Knotenstock. "Rolandschacht Leipzig" steht auf den Bündeln. Dann kommen immer mehr, schließlich ist das ganze Lokal voll mit Handwerksburschen. Als einer sich zur Toilette begibt, ergreife ich die günstige Gelegenheit, ein Bier muß sowieso raus. Die Burschen gehören tatsächlich einer Handwerkerzunft an, wo man noch nach altem Kodex drei Jahre durch die Welt zieht. Einer ist mit der Wanderschaft gerade fertig geworden, da begleiten ihn die anderen, so 20 an der Zahl, nach Hause. Heute sind sie von Königs-Wusterhausen her gewandert, morgen werden sie eine Kahnfahrt nach Lübbenau unternehmen. Der Wirt des Lokals vermittelt netterweise einen preiswerten Kahnführer und spendiert für die Fahrt ein Fäßchen Bier. Bei so interessanten Beobachtungen sind es auch bei uns mal wieder ein paar Bierchen mehr geworden, und der Knabe mit der Zahnspange bekommt ein Extra-Trinkgeld.
Freitag, 21.8. Lübben - Beeskow, 65 km
Leider ist die Schönwetterperiode nun vorbei, nach unserem Frühstück aus dem Schrank brechen wir in einen trüben Morgen auf. Eine lange Strecke führt wieder durch ausgedehnte Fischteiche, die heute statt blau eher grau aussehen. Zur Führung des Spreeradweges ist nun zu bemerken, daß seit Lübbenau wiederum keine Beschilderung existiert. Anhand des bikeline-Heftchens kann man sich zwar einigermaßen orientieren. In dem Ort Schlepzig gibt es eine hübsche Fachwerkkirche. Hier verlassen wir den auf der Karte verzeichneten Radweg und fahren erst auf einem Feldweg, dann auf der Landstraße nach Lübbenau. In Leibsch soll eine Schleusen- und Wehranlage sehenswert sein.
Da der Himmel immer grauer wird, verzichten wir auf den Abstecher zu dieser Schleuse. Am Neuendorfer See machen wir in gedrückter Stimmung eine Rast. Da fliegt wenige 100 m von uns entfernt ein Vogel mit mächtigen Schwingen über den See, das ist weder ein Reiher noch ein Storch. Das kann nur ein Fischadler sein, der erste, den wir überhaupt je zu Gesicht bekommen.
Das hebt zwar die Stimmung ein wenig, aber nicht lange. Auf der Strecke nach Alt Schadow fängt es an zu regnen, kein vereinzelter Schauer, sondern es regnet sich ein. In Alt Schadow müssen wir angesichts der Wetterlage und der Qualität der weiteren Wegstrecke leider unsere Spree-Expedition enden lassen. Im bikeline sind ab hier längere Sandstrecken angekündigt. Die Landstraße dagegen führt direkt nach Beeskow, wo wir dann Quartier nehmen können. So absolvieren wir diese 30 km bei Regen, und ich denke, darüber gibt es nichts besonderes zu berichten.
"Beeskow ist nicht so schlimm, als es klingt" dieses Zitat von Theodor Fontane ist in der Touristeninformation am Marktplatz zu lesen. Störend ist hier vor allem der brausende Verkehr, der mitten durch den Ort führt. Die Dame in der Info bedauert das auch. Nach einigem Hin und Her vermittelt sie uns telefonisch ein Quartier einen Ort weiter: Pension Zur Birke in Neuendorf. Wir machen uns auf den Weg, inzwischen stürmt es auch noch. An der Abzweigung nach Neuendorf müssen wir an einer Bushaltestelle eine Beratung einlegen. Heidi meutert. "Was sollen wir in dem Kaff?". Aber wohin sollen wir heute auch noch fahren, das hat ja so alles keinen Zweck.
So sind wir dann bald in der Pension, wo wir uns erst mal wieder aufwärmen können. Da wir Geld brauchen, müssen wir am Nachmittag dann doch noch einmal zurück nach Beeskow zur Bank und machen eine kleine Rundfahrt durch den Ort. Der ist sicher ganz hübsch, auch eine Burg gibt es, aber wir sind nicht so richtig in Stimmung. Es werden Nägel mit Köpfen gemacht, am Bahnhof bringen wir die Abfahrtszeiten der Nahverkehrszüge für den morgigen Tag in Erfahrung.
In unserer Pension bekommen wir am Abend einen Strammen Max serviert. Und am nächsten Tag geht es mit dem Wochenendticket für 35.- DM und viermal umsteigen in 7 Stunden heimwärts. Die Entwicklung der Wetterlage in den nächsten Tagen bestätigt unsere Entscheidung. Dafür ist dieser Bericht heute - einen Mittwoch danach, schon fertig.
Wie die Tour sonst weiter gegangen wäre? Man hätte sich durch
die
angekündigten Sandstrecken gekämpft, vielleicht wäre das aber
auch gar nicht
so schlimm gekommen. Man hätte dann den Schwielochsee umrunden können
- oder wer Umwege(!) nicht mag, hätte auch den
direkten Weg nach
Beeskow nehmen können. Die Reststrecke führt im Zickzack bis nach
Fürstenwalde. Und dann verließen sie ihn, jedenfalls den
bikeline Radführer. Ab Fürstenwalde soll man mit der
Bahn nach Berlin fahren, obwohl da noch laut Karte reizvolle Passagen
mit
Müggelsee, Schmöckwitz oder Köpenick auf der Strecke
liegen. Eine andere Variante wäre ein Schiff der weißen Flotte
gewesen, mit dem man Berlin-Mitte bis Potsdam durchquert hätte.
Hinweis eines Ortskundigen
Das bleibt nun leider Theorie.
Das Resume über den Spreeradweg. Am Oberlauf bis zur Braunkohlenregion bzw. Grenze nach Brandenburg hat man sich viel Mühe mit Wegführung und Beschilderung gegeben. In der Braunkohle läßt der landschaftliche Reiz naturgemäß nach. Ab Spremberg ist die Tour landschaftlich am schönsten und hat natürlich mit dem Spreewald ihren Höhepunkt. Von Lübben bis Berlin ist wohl noch einiges zu tun.