Mein (Ex)Kollege Pawel K. hat das freundlicherweise perfekt übersetzt:
*"Zum 35sten Jahrestag *
*der Rückkehr Niederschlesiens zu Polen in Ehre denen,*
*die mit dem hitlerschen Angreifer kämpften*
*und die wiedergewonnene Heimat der Piasten aus den Ruinen hoben.*
*12 X 1980
Die Bevölkerung von (Ortschaft) Malczyc"*
Ich mache daneben Rast und schaue zwei
Zeitgenossen zu, die auf ihre Weise auf dem Bordstein sitzend die Zeit
totschlagen. Ein Foto aus der Hüfte: so, die habe ich im Kasten.
Die Landschaft ist nun flach und auf weiteren Nebenstraßen, die in die
gewünschte Richtung führen, nähert man sich Breslau in Erwartung einer
Stadtsilhouette voraus. Stattdessen ein Schild: Powiat Wroclawsk direkt
an einem Rapsfeld. Dann kann es wohl nicht mehr so weit sein. Wenn man
in eine größere Stadt hinein fährt, passiert man immer, und das ist
überall so, hässliche Außenbezirke. Immer dem Hinweis "Centrum" nach
oder in Richtung Kirchturm. Aber den Marktplatz (Rynek oder Ring)
dieser Stadt kann man nicht verfehlen. Staunen! Da ist was los, es
wimmelt vor Menschen. Auf meinem Panoramabild finden sich einige
Schattenkreaturen, die eilig des Weges ziehen. In der
Touristeninformation erkundige ich mich nach einem Quartier. Die lachen
mich aus. "Hier gibt es doch auch ein Hotel Qubus" sage ich.
Freundlicherweise ruft die zuständige Dame mal dort an und es ist
natürlich ein Zimmer frei. Das Hotel ist gleich um die Ecke und jeder
Radfahrer weiß, das hebt die Stimmung. Das Fahrrad kommt mit aufs
Zimmer, weil es gut in den Fahrstuhl passt.
Wenn man anschließend das berühmt Rathaus umrundet, muss man darauf
achten, nicht zu sehr mit offenem Mund vor Staunen herumzulaufen.
Deshalb begebe ich mich in das Restaurant Peking. Wer mich kennt, weiß:
ich liebe die regionale Küche. Danach finde ich einen Buchladen, da
kann man nun endlich die notwendige Straßenkarte erstehen. Die wird
dann später mit der
Schere von allen Regionen befreit, in die man sowieso nicht kommt. So
lässt sie sich leichter falten und man spart Gewicht, das auf einer
solchen Reise stetig zunimmt, wenn man alle Straßenkarten, Stadtpläne,
Prospekte, Flyer oder Eintrittskarten, Rechnungen und Quittungen mit
sich führt. Noch eine unschöne Beobachtung, die nicht kennzeichnend für die
Stadt Breslau sein soll, aber die Begebenheit hat sich nun einmal so
zugetragen.
Da sind sich zwei ins Gehege gekommen, mitten auf dem Platz. Der eine
eher schmächtig mit offenem Hemd und Goldkettchen. Der andere mit
Muskeln bepackt, T-Shirt und Stiefeln. Ehe man sich versieht, klatscht
es kurz und letzterer geht zu Boden. "Das kann nicht angehen" denkt der
wohl, erhebt sich und geht erneut zum Angriff über. Und da kann man
einen sehen, der seine Kampfsporteinheiten wohl erfolgreich gelernt
hat: erneut zwei drei gezielte Schläge und der Muskelprotz wälzt sich
schon wieder auf dem erlesenen Pflaster. "Das geht nun wohl doch an's
Limit" mag er denken und zieht sich schmollend zu einem seiner Kumpels
zurück. Der Sieger schüttelt sich nur kurz die Hände, leider ist aber
sein Goldkettchen gerissen. Dann treffe ich noch auf eine Gruppe Biker
(Motorradfahrer), die haben Schilder an ihren Fahrzeugen: Polen -
Ungarn - Ukraine. Da mögen sie stolz drauf sein, aber ich bin stolzer.
Zurück im Quartier gibt es gut zu tun mit dem neuen Kartenmaterial
(s.o.). Dann entdecke ich eine Perspektive, die vermitteln mag, meine
Lenkertasche sei ans Internet angeschlossen. Je später der Abend, desto
alberner die Gäste. Im übrigen ist mir klar, dass die "Perle" Breslau
einen gewissenhafteren Aufenthalt verdient hätte, Dominsel und so. In
meiner Unruhe scharre ich zuviel mit den Füßen und so wird es am
nächsten Morgen gleich wieder weiter gehen.
4 Sonntag, 22.5., Kluczbork
(Kreuzburg),
118 km
Um aus Breslau heraus zu finden, vertraut man sich am besten den
Uferpromenaden der Oder an. Da lässt sich herrlich radfahren. Heute am
Sonntagmorgen bei schönem Wetter finden dort allerlei Aktivitäten
statt. Radler, Jogger, Skater, Hundeausführer, Angler und Kanuten
rüsten sich. Am Himmel hängen sogar ein paar Fallschirmspringer. So
geht es den Schleifen der Oder folgend in wechselnde Richtungen dahin,
bis ich wieder mal nicht weiß, wo ich bin. Ich suche mir eine
Landstraße, um ein Ortsschild auszumachen. Nach bereits 25 km verkündet
das erste Hinweisschild jedoch, dass man nun gerade die Stadt Breslau
hinter sich lässt. Da bin ich ja noch nicht weit gekommen, trotzdem war
diese Oderpartie sehr schön.
Jetzt haben wir es mit den Maikäfern. Die meisten liegen zermatscht auf
der Straße (Akazienallee). Aber einer fliegt auch schon mal ein
Stückchen neben mir her. Hier gibt es auch viele bewohnte
Storchennester. Ob die Störche auch Maikäfer fressen? Die Hühner mögen
die Maikäfer wie nichts anderes, das weiß ich aus meiner Kinderzeit
(dem "ersten Leben"). Aber Störche sind keine Hühner und klettern nicht
auf Bäumen rum. Hühner allerdings auch nicht. Was einem Solofahrer eben
so alles durch den Kopf geht!
In dem Ort Laskowice (Markstädt)
ist gerade der Gottesdienst zu Ende
und die festlich gekleideten Kirchenbesucher strömen ins Freie oder dem
Frühschoppen entgegen? Ich sitze wohl mit meiner Fantaflasche hinter
irgendeinem Busch. Nun geht es auf einsamen Straßen weiter, durch
Wälder und Auen. Einmal gilt es eine Abkürzung auf unbefestigter Piste
zu erproben, und das ist hinter dem Ort Rogalice (Rogelwitz). Wenn ihr mich
fragt,
wo ich die ehemaligen deutschen Namen her habe: vor vielen Jahren hat
uns unser Neffe Henning mal die alten Vorkriegskarten der ehemaligen
Ostgebiete besorgt, und da findet man alles wieder. An meiner Abkürzung
finde ich in einem schilfbestanden Teich einen Sessel im Sumpf. Ob da
ein Angler es sich gelegentlich gemütlich macht? Wasserdichte Hosen
sind empfohlen.
Zum Abschluss für heute geht es durch ein Naturschutzgebiet mit dem
Namen Stobrawsky Park Krajobrazowy, und da hieß es
früher, glaubt es
mir oder nicht: Forst Peisterwitz,
Forst Bogelwitz oder Forst
Poppelau.
Der Fluss der Gegend heißt Strobrawa
(Stober), und ein Ort hieß früher
Carlsruhe, heute Pokoj. Und ein kleiner Ort heißt Paryz, und wenn man
den mit Google recherchiert, kann man sich vor Eiffeltürmen gar nicht
retten. Genug der Namen - es kommen noch genug -, die Landschaft ähnelt
unserer Lüneburger Heide, da wo sie nicht Heide (wie z.B. am Totengrund
oder Wilseder Berg) ist. Und nun sind wir unversehens in Kluczbork.
Gleich passiert man einen Sozialistenkasten, der einmal ein Hotel war.
Mit angebautem Kongresspavillon. Deren Zeiten sind vorbei. Ein paar
Passanten geben mir den Hinweis auf das Hotel am Rynek. Der Eingang ist
allerdings auf der Rückseite. Da muss man erst mal drauf kommen. Vorne
steht OTEL und hinten HOTE. Hier klaut wohl einer Buchstaben? Ein
freundlicher junger Mann weist mich in ein nettes Zimmer ein. Speisen
kann man gleich gegenüber auf dem Rynek, heute gibt es - oh wie
überraschend - Pizza Mariana. Die ist mit Käse überbacken, zudem wird
noch ein Topf Ketchup (man teilt mir mit: "Tomatensoße" - danke)
gereicht, der wird da noch drüber gekippt. Danach hat man irgendwie
einen dicken Bauch, das zweite Bier ist nur schwer zu schaffen. Also
ein Rundgang danach.
Na, hier ist ja ordentlich was los. In den Wallanlagen findet ein Fest
statt. Es singt gerade ein Kinderchor in Trachtenkostümen. Den Text
verstehe ich nicht, aber die Melodie: "Ach Anneliese..". Da kann man
mitsummen. Auch das nächste Lied kenne ich aus meiner Studentenzeit in
Stuttgart (übrigens dem "zweiten Leben"). Das fängt an: "Droba auf dr
rauhe Alb, juppheidi, juppheida...". Auch hier wird sich der Text auf
polnische Weise anders darstellen. Meine Erinnerungen an dieses nicht
ganz stubenreines Lied funktionieren noch, und wenn ich einen Vers
zitieren darf, dann nur in Kleinschrift:
Droba auf dr rauhe Alb, jubheidi, jubeida,
was machet da die Gipser all, jubheidi heida
Hier a Spritzer, da a Spritzer, gibt all wieder a neue Gipser,
jubheidi und jubeida, Schnaps ist gut für Cholera ...
usw. (findet man auch mit Google unter "Rauhe Alb", diesen Vers
allerdings nicht...)
Die weiteren Lieder - wahrscheinlich Volkslieder - sind mir nicht
bekannt, doch es kann einen womöglich zu Tränen rühren. Wie bei allen
Festen auf
der Welt stehen auch ein paar Figuren herum, die haben sich an anderen
flüssigen Nährmitteln orientiert, aber das kennen wir auch von zu
Hause, da heißt sowas z.B. "Waschefest". Dann wandelt man noch an einer
Galerie von überlebensgroßen Holzfiguren vorbei, gnomhafte Gestalten
von einem wahrscheinlich ansässigen Künstler geschaffen.
5 Montag, 23.5., Czestochowa, 75 km
Weiter geht's - soll ich mal was über das Wetter sagen?
Sagenhaft! Und den Wind? Den gibt es gar nicht, die Nationalflaggen an
den örtlichen Gemeindeverwaltungen hängen schlaff herum und
gelegentliche Rauchsäulen steigen senkrecht auf. Das ist nun nicht mein
Verdienst, aber man kann es genießen und kommt flott voran. Nur die
Straßenverhältnisse sind nicht ganz optimal, es gibt schon etliche
Schlaglöcher, in die man besser nicht hinein fällt. Der einzige größere
Ort auf der heutigen Strecke heißt Olesno
(Rosenberg). Ein Foto von der
Kirche und eines von der arbeitenden Bevölkerung, der ich nun nicht
mehr so richtig angehöre. Gemein ist das ja irgendwie. Die weitere
Strecke auf der Landstraße 494 ist landschaftlich weniger reizvoll. Auf
der Route wird nun irgendwann (noch ein paar weitere Namen) die ehemals
existierende Grenze zwischen Schlesien und Polen, heute Woj. Opolske
und Woj. Slaskie passiert.
Die Grenzorte heißen Bodzanowice
(Grunsruh)
und Podleze Szlacheckie. Und
für diesen Ort gibt es keinen ehemaligen
deutschen Namen mehr.
Da kann man ja mal seine Sprechwerkzeuge strapazieren, um die
Aussprache zu üben. Ich komme nicht einmal mit dem üblichen Gruß
zurecht, der heißt "Dobre". Was immer das heißen mag. Irgendwann wird
mir auch das erklärt, es heißt "Gut". Aus meinem zweiten Leben in
Stuttgart kenne ich den Ausspruch "A Guate!", aber der bezieht sich
mehr auf das Essen (Guten Appetit). Dermaßen verunsichert begnüge ich
mich beim Grüßen (wenn es schon dazu kommt) auf Hello! oder Hei! oder
Winken, das wirkt am besten.
So radelt man vor sich hin, die heutige Etappe ist kurz, und gegen
Mittag taucht ein hoher Kirchturm voraus auf. Man rollt hinein in die
heilige Stadt Polens, wo der gerade verstorbene Woytila allgegenwärtig
ist, die schwarze Madonna Millionen von Pilgern auf mühseligen Wegen
anreisen lässt. Ich begebe mich in die Touristen Information und
bekomme - oh Wunder - ein Quartier in der Pilgerherberge vermittelt.
Die nennt sich Dom Pielgrzyma.
Aber bis ich dahin finde, stolpere ich
wohl durch etliche Klosteretablissements, bis mir einer den richtigen
Weg weist. Ich bezahle gleich mit meiner Visa Card von der VW-Bank (70
Zl) und finde mich dann in einem Zimmer wieder, da könnte ja gleich der
leibhaftige Papst (Stefan Raab: "Ratze") einziehen. Die Bettdecke ist
in der
ansprechenden Purpurfarbe gehalten, über dem Kopfende des Bettes prangt
ein Konterfei der Schwarzen Madonna. Nehmt es mir nicht übel, aber nun
muss ich mich doch erst mal legen und alles überdenken. In der Touristeninformation habe
ich noch etwa wertvolles erstanden, das ist eine detaillierte Karte
1:95000, in der ist eine Radroute Czestochowa - Krakow
eingezeichnet. Der Titel ist "JURA
Krakowsko Czestochowska". Nun
herrscht über den Weiterverlauf der Tour kein Zweifel.
Auch das eher profane Hemden- und Sockenwaschen ist angesagt. Es war
heiß heute.
Irgendwann komme ich wieder zu mir. Die örtlichen Verhältnisse sind so:
die Wallfahrtsanlage Jasna Gora
liegt auf einem Berg über der Stadt.
Eine
schnurgerade Straße zieht sich dort hinunter, an deren Ende ein
rot-weiß geringelter Schornstein die geheiligte Szenerie weniger
sakral
abschließt. Will man von der Pilgerherberge dort hinunter wandeln,
kommt man notgedrungen an der Kirche mit der Schwarzen Madonna vorbei
und kann sich nicht enthalten, dort auch hinein zu schauen, wozu ist
man schließlich hier. Wenn man die heilige Stätte betritt
(Fotografieren verboten), muss man sich unbedingt dem Verhalten der
anwesenden Pilger anpassen. Ich befinde mich gerade inmitten einer
ehrfürchtigen Gruppe, die unversehens auf ein geheimes Kommando von
oben oder sonstwo her auf die Knie fällt. Da kann man schlecht als
Antichrist wie ein Turm in
der Brandung stehen bleiben. Und so falle auch ich auf die Knie, hocke
vor der Schwarzen Madonna wie ein Pilger, wer hätte das gedacht? Dafür
werden wir in zwei
Tagen in Krakau die Engel singen hören - da freut euch schon mal drauf!
An den Wänden der Kathedrale
befinden sich unzählige silberne Plaketten mit Pilgerwidmungen,
Vorhänge von Bernsteinketten und - wie in Lourdes, der Partnerstadt
dieses Ortes - Krücken von anscheinend wundersam geheilten Lahmen und
Siechenden. Die schwarze Madonna selbst ist nichts weiter als eine
Ikone, uralt anscheinend, Wahrzeichen sind ein paar Narben auf der
Wange der Madonna, das kleine Jesuskind unter den Arm geklemmt,
Heiligenschein
inbegriffen. Gerade robbt einer auf Knien um das Allerheiligste herum,
was mag der sich davon versprechen? Es sind auch viele Familien mit
einem Kommunionskind da, die kleinen Mädchen sind hübsch weiß gekleidet
und tragen Blumen in den Händen.
Als erstes begebe ich mich in ein Internetcafe, das erste Mal und etwas
aufgeregt. Die halbe Stunde in dem schummrigen Etablissement kostet nur
wenige Cent (umgerechnet). Und es klappt, ich kann eine Email nach
Hause absetzen, dass es mir gut geht in der Pilgerherberge usw. So
spart man einen Anruf. Im übrigen hat die Stadt nicht viel zu bieten.
Längs der Magistrale mit dem Namen Aleja
Najswietszej Panny ist
ordentlich was los, in den Seitenstraßen wird es schnell ruhiger. Am
Ende gerate ich noch in einen ausgedehnten Trödelmarkt mit einem bunten
Treiben. Was ich eigentlich suche: ein schönes Restaurant, das bleibt
mir verborgen. Nur Pizza essen, das kann man überall - aber ich denke:
nicht schon wieder!
So erkunde ich die Angelegenheit, ausgehend von der Jasna Gora, und
lande
dann in einem vornehmen französisch/russischen Restaurant, alle Tische
festlich eingedeckt. Hier kann man Kaviar bestellen oder auch Haisteak.
Ich bin der einzige Gast, also bemüht man sich geflissentlich. Erst mal
ein Bier, und das heißt "La Reserve
Maitre Kanter", 6.1% und
wird in einer dickbäuchigen verzierten Flasche gereicht. Als ich
nachher die Zeche bezahle, stellt sich heraus, dass das Bier allein mit
20 Zl (6 EUR) zu Buche schlägt. Zum Glück habe ich es heute bei einem
Bier belassen. Leider habe ich nicht notiert, was ich gegessen habe und
jetzt fällt es mir nicht mehr ein. Lag wohl an dem Bier, aber das war
lecker.
Am Abend gibt es ein starkes Gewitter, aber da sitze ich schon sicher
in meinem Heiligtum und schaue dem herabprasselnden Regen aus dem
Fenster zu. In den Gängen der Herberge laufen immer wieder Gruppen hin
und her, und einmal vermeine ich vor meiner Zimmertür den Satz zu
vernehmen: "Da schläft Volkswagen". Vielleicht wegen meiner Visakarte
von der Volkswagenbank? Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet.
6 Dienstag, 24.5., Olkusz, 105 km
Bevor ich losfahre, mache ich noch ein Bild von der Schwarzen Madonna,
aber das ist nur ein Konterfei und draußen am Gebäude angebracht.
Leider
ist das Bild unscharf, aber man findet im Internet Bilder der Dame in
allen Variationen.
Von der heutigen Tour verspreche ich mir viel. Sie führt durch den
besagten Jura. Da befinden sich unzählige Felsklippen und schroffe
Erhebungen, manchmal ist sogar eine Burgruine oben drauf. Leider spielt
heute das Wetter nicht mit, es ist sehr diesig und man kann nicht
fotografieren. Es nieselt, aber es herrscht Rückenwind. Die Kamera
wandert heute
aus der exponierten Lenkertasche in die Gepäckabteilung, und das ist
gut so, denn die Wege werden sich heute nicht so optimal präsentieren.
Den Anfang macht ein Schotterweg durch einen Wald. Mitunter muss man
aber auch schieben, weil es zu sandig wird.
So geht es wie oft in solchen Fällen, man folgt dem ausgeschilderten
Radweg eine Weile, doch wenn sich dann eine günstige
Landstraßenverbindung anbietet, zieht man diese dann doch vor. Z.B von
Zarki nach Podlesice, wer es genau wissen
will. Dann probiere ich es
noch einmal mit der Radroute, und da gerate ich wieder auf eine
regelrechte
Querfeldeinstrecke - nicht durch Felder, sondern steil bergauf durch
einen Wald. Das Fahrrad muss teilweise getragen werden. Wie weit kann
man auf diese Weise heute überhaupt kommen? Als es wieder bergab geht,
wird die Strecke etwas besser und man findet sich unversehens an einem
Hotel in dieser gottverlassenen Gegend wieder. Es handelt sich um das
Ausflugsziel Zamek Morsko,
auch hier ein Felsenberg mit einer
Burgruine. Nun ist Schluss mit lustig und ich fahre schließlich den
Rest bis Olkusz auf der
Landstraße 791.
Noch eine Rast im Wald mit einer Schokolade, die noch von zu Hause
stammt. Die heißt "Kernbeißer" und ist mit ganzen Nüssen versehen. Das
bekommt einem meiner verbliebenen Zähne schlecht (Eckzahn unten links).
Aber der hatte schon länger gewackelt. Noch ein Zwischenfall: vor mir
stehen auf der Straße zwei Autos und ein paar Gestalten gestikulieren,
ich solle anhalten. "Stop, Dobre" rufen sie. Falls die Hilfe brauchen,
bin ich - weiß Gott - der falsche, ich habe weder Wagenheber noch
Abschleppseil dabei, und blitzartig fällt mir ein, dass
das auch ein Trick sein könnte, um sich mal eben die Lenkertasche oder
sowas inspizieren zu lassen. Also rausche ich vorbei, obwohl ich wenig
Chancen hätte, wenn die wirklich etwas von mir wollten. Das ist wohl
nicht der Fall, in einem der nächsten Orte werde ich von den beiden
Autos überholt und bin dann auch bald in Olkusz.
Auf dem Ring bzw. Rynek ist vor dem Rathaus ein Stadtplan. Da sind
etliche Hotels eingezeichnet. Zwei davon finde ich nicht. Zurück zum
Stadtplan, und da ist noch eins gleich um die Ecke, Motel Victoria. Da
komme ich gut unter. Zu essen gibt es Chinesisch Huhn, lecker. Dazu
schöne
Musik, z. B. "Mississippi roll along" doch wenn ich mich nicht irre,
nähern wir uns nicht allmählich der Weichsel? Nach zweimal "Desperado"
(Baccara) breche ich zu einem Rundgang auf. Die Stadt bietet aber nicht
viel doch es herrscht ein reges Leben.
Am Abend repariere ich erfolgreich eine Hosennaht (das Knie guckte
raus) mit Sekundenkleber. Aufpassen mit den Fingern, die kriegt man
sonst nicht wieder auseinander. Auch die Augen sollte man sich nicht
zukleben - steht auf der Packung, aber das tut man dann denn doch
nicht...
7 Mittwoch, 25.5., Krakau, 60 km
Wir fahren heute weiter entlang der Radroute, aber meistens irgendwie
parallel dazu, um den schlechten Wegstrecken aus dem Wege zu gehen. Das
Wetter ist wieder optimal. Die nächste Stadt heißt Krzeszowice, wieder
ein Gaumenbrecher. Übrigens plagt mich der Zahn und ich fürchte um
eines der größten Vergnügen beim Radfahren: dem abendlichen Essen.
Hinter Krkretschowitze ist eine Bahnlinie zu überqueren, die Schranken
sind geschlossen. Die Fußgänger und Radfahrer schert das wenig, sie
kriechen unter der Schranke durch. Dann kann man das ja auch so machen.
Dann geht
es in den Wald, und da ist schon wieder eine Schranke. Ein Bauarbeiter
mit Sprechfunkgerät steht außerdem davor und verweigert einem die
Durchfahrt. Mangels sprachlicher Verständigung vermittelt ein "Bum
Bum!"
mit
entsprechender Geste die Erkenntnis, dass es sich um eine Sprengung
in der Nähe handelt. Er zeigt auch auf die Uhr, das wäre dann in 10
Minuten. Da
kann man warten. Bald grummelt es dann auch irgendwo, leider kann ich
nicht mitteilen, um was für eine Sprengung es sich gehandelt hat. Die
Schranke wird geöffnet.
Am Ende des Waldes geht es erst unter einer Autobahn durch und wenig
später drüber weg. Eine schöne Landschaft rings umher. In der Ferne
kann man auch etwas erkennen, was die Stadt Krakau sein könnte. Es
dauert dann noch eine Weile, bis man dort die Randgebiete durchfahren
hat, schließlich aber landet man auf dem berühmten Platz Rynek Glowny
im Zentrum. Das ist ein Ameisenhaufen, wo die Menschen hin und her
eilen, wo sie wohl alle
hinwollen? In den Freiluftrestaurants sitzen die Gäste und sonnen sich.
Mitten auf dem Platz steht das Rathaus - nein, es sind die ehemaligen Tuchhallen,
dort befindet sich auch die
Touristeninformation. Quartier gebe es keins, alles voll. Ob das
stimmt, weiß ich nicht, denn die wollen mir auf eigene Faust ein
Appartement vermitteln. Das hat seinen Preis, den ich lieber nicht
nenne, aber ich füge mich drein, ich bin in einer Notlage. Deswegen
lasse ich mir auf dem Stadtplan auch zwei Zahnärzte markieren. Geld
muss ich in dieser Situation nun auch noch aus dem Bankomat besorgen
(Deutsche Bank) und dann bringt mich einer mit den Schlüsseln zu dem
Appartement. Ein netter Bursche, er studiert und verdient sich in der
Info sein Geld. "You must have much time" sagt er, als ich von früheren
Radtouren berichte. Die Zeit habe ich, aber erst jetzt.
Das Appartement (Ul. Grodzka)
ist wirklich Superklasse und seinen Preis wert
- wenn man es mit mehren Personen bewohnen würde. Da könnte man zwei
Familien unterbringen. Aber ich bin nur ein Einzelmann. Nach dem
Duschen wird nicht lange gefackelt und ich mache mich auf zu der
nächsten Zahnarztpraxis, die müsste in der Nähe des Wawel sein. Damit
erfahren wir auch, was der Wawel ist. Es ist das Königsschloss, eine
Sehenswürdigkeit ersten Ranges. Kein Interesse heute, aber die
Zahnarztpraxis ist an der im Stadtplan markierten Stelle nicht
aufzufinden. Ich
bereite mich innerlich schon vor auf einen Abbruch der Tour und
Rückfahrt
mit dem schönen Zug Wawel
Richtung Hamburg. Da ist aber nun eine Turist
Agency (Reisebüro) oder so, und da kann man ja mal fragen. "I need a
doctor for my teeth" sage ich und fasse mir an den Mund. Ja, da sei
gleich um die Ecke ein 24 h (rund um die Uhr) Cardiologie Zentrum.
Tatsächlich, neben einer Kirche (Augustianska). Nun stolpere ich
hinein, in diese Einrichtung. Gleich in ein Behandlungszimmer. Da geht
es zu wie beim Friseur. In jeder Ecke steht ein Behandlungsstuhl und
die Delinquenten leiden unter surrenden Bohrern. Eine Dame expediert
mich sogleich da wieder raus, immerhin kann ich noch durch Gesten und
"I need help" meinen Wunsch vermitteln.
Kaum im Wartezimmer, da sitzen schon drei andere, werde ich schon
wieder in ein separates Behandlungszimmer gebeten. Zwei Damen kümmern
sich sogleich um mich, leider können wir sprachlich nicht so gut
kommunizieren, die Damen radebrechen nur mühsam in Englisch. Aber die
Sache ist einfach zu beurteilen: der Zahn muss raus, wir einigen uns
auf das Wort "Extract". Es muss aber auch noch geklärt werden, was mit
dem Ersatzteil geschieht, das ohne die Eckzahnbastion nur schlecht
funktionieren würde. "Prothese Specialist, one hour" - wenn das nichts
ist, damit war ja gar nicht zu rechnen. Nun nehmen die Dinge ihren
Lauf, Anästhesie, ob Allergie oder Hypertonie? Hab ich nicht! Also die
Spritze, die soll nach 10 Minuten die Betäubung bewirken. Ich werde
dann gefragt, ob sie auch wirkt und nicke mit dem Kopf, obwohl es nur
leicht kribbelt in der Unterlippe. Von früheren Begebnissen weiß ich,
dass man eigentlich das Gefühl haben müsste, die halbe Gesichtshälfte
hänge einem herunter. Dann kommt die Zange. Geruckel und ein Ruck. Und
nun höre ich die Engel singen!!! Die Dosis der Anästhesie hat die
Ärztin wohl aus Vorsicht vor einem Kollaps bei einem so herein
gestolperten Patienten auf das Minimum beschränkt.
Aber die Sache ist vorbei, Tupfer, und der Engelchor ebbt so langsam ab
bzw.: wie schön, wenn der Schmerz nachlässt. Dann darf ich mich für 20
Minuten wieder in das Wartezimmer setzen.
Dann wird ein fachgerechter Plastiline-Abdruck der
Unterkieferangelegenheit angefertigt und ich werde für eine Stunde
entlassen. Die führt mich zurück in das Appartement, wo ich zwei
Schmerztabletten zu mir nehme und mich erst mal lang mache. Dann wieder
in die Praxis, das Ersatzteil ist inzwischen perfekt ergänzt und sitzt
besser als zuvor. Ich bin wieder ein Mensch!!! Nun bekunden mir die
Damen, dass ich ja auch für die Sache bezahlen müsse und schreiben
einige Zahlen auf ein Blatt Papier. Ich verstehe das nicht, mit den
Zahlen
kann ich nichts anfangen. Und dann stimmt es doch: das Extrahieren
kostet 20 EUR, die Ersatzteilergänzung 15 EUR. Das ist ja nicht zu
fassen! Bei uns wird immer ein Kostenvoranschlag gemacht, den die
Krankenkasse genehmigen muss, und dann zahlt man immer noch ein
Vielfaches der eben genannten Beträge dazu. Ich bedanke mich
überschwänglich, und - wieder in Freiheit - reibe ich mir die Augen,
man könnte heulen vor Glück. Leider komme ich nicht auf die Idee, den
Damen abschließend noch einen Blumenstrauß zu bringen, nun habe ich
hoffentlich doch meinen Dank auf diesem Wege zum Ausdruck gebracht.
So, das war etwas ausführlich, verständlich, oder? Jedenfalls ist mir
meine Unterkunft auf einmal nicht mehr zu teuer, außerdem wird das
Abendessen eingespart, eine Krakauer Wurst ist leider nicht drin. Ein
abendlicher Rundgang in dieser sehenswerten Stadt - die größte Perle
der Tour und die goldene Palme
ist damit verliehen. Obwohl noch viele Perlen auf uns warten. Ich hoffe
ihr kommt weiter mit!
Den Rest des Abends lassen wir es ruhig angehen und man ernährt sich
flüssig. Bier hat auch Kalorien, da braucht man sich um die Bettschwere
dann irgendwann keine Sorgen mehr zu machen. Im Radio höre ich dann
auch
noch die Schlager: The Lion sleeps tonight..., I am sailing... oder
What a wonderful World...
8 Donnerstag, 26.5., Nowy Targ,
94 km
Die Schlüssel meiner Unterkunft muss ich wieder in der
Touristeninformation abgeben, die öffnet leider erst um 9 Uhr. Schön
wär's ja, aber es ist um die genannte Zeit noch keine Menschenseele
anzutreffen. Schließlich taucht eine Dame auf und der übergebe ich die
Schlüssel. So kann ich erst um 9.15 losfahren, bei dem blauen Himmel scharrt
man natürlich wieder mit den Füßen. Aus einer so großen Stadt wie
Krakau ist nur schwierig herauszufinden. Ich vertraue mich einer
sechsspurigen Autobahn an, wo einen der Verkehr kaum belästigt, weil
genügend Platz ist. Die Richtung scheint zu stimmen und ich komme
dann wohl in der Stadt Wielczka
raus, von wo aus eine ruhige Straße mit
der Nr. 964 weiter nach Süden führt.
Nach ein paar Steigungen und holperigen Abfahrten kommt dann schon
wieder eine Straßensperre. Ein Polizist leitet den Verkehr um. Mir
erklärt er wortreich, warum und wieso und wolang. Da ich kein Wort
verstehe, gucke ich immer dümmer drein. Zum Glück versage ich mir die
Körpergeste für eine Sprengung (wie gestern), denn sonst hätte man mich
wohl kaum nach der Dummguckerei durchgelassen. Nach der zustimmenden
Geste des Polizisten mache ich mich eilig um die nächste Kurve davon.
Im nächsten Ort klärt sich die Sache: Hunderte von Menschen nehmen
andächtig an einer Prozession teil. Trachten und Uniformen, ein
Hochwürden unter einem Baldachin, und da wird mir klar: heute ist
Fronleichnam. So stehe ich unversehens inmitten einer Prozession und
bin so frech, ein Foto aus der Hüfte zu schießen. Dann ziehen sie alle
unter Gesängen an einem vorbei - ich bekomme eine Gänsehaut oder sowas!
Als die Strecke wieder frei ist, geht es nach Dobczyce und dann das Tal
an dem Fluss Krzywsorzeka
(das versuche mal einer auszusprechen)
hinauf. Reines Genussfahren! Am Ende des Tales muss man über eine
Passhöhe und hat dort einen herrlichen Rundblick über die Beskiden, so
heißen hier alle Bergzüge. Nach einer Abfahrt stößt man auf die
Hauptstraße 28 nach Rabka Zdroj.
Von dort kann man dann wieder eine
Nebenstraße finden die das Tal Poni
Czanka hinauf führt. Hier fällt
einem erst mals ein eigenartiger Baustil auf: die Häuser haben
sonderbare Spitzgiebel. Schließlich steigt die Straße immer steiler an,
bald wird sie nicht mehr fahrbar und dann zu einer regelrechten
"Killersteigung" (25% vielleicht). Schieben und Fuß vor Fuß setzen ist
angesagt, das
kennt man ja,
Schwitzen. Hinter jeder Kurve erwartet man "die Kante", aber sie kommt
und kommt nicht.
Es kommt ganz anders. Man trifft am höchsten Punkt auf die Hauptstraße
47, so hat man den Höhengewinn verkehrsfrei bewältigt und kann nun mit
dem starken Verkehr (viele Reisebusse) wenigstens bergab fahren. Aber
noch
eindrucksvoller: voraus liegt ein felsiges Hochgebirge mit
Schneefeldern, und das ist die Hohe Tatra, das kleinste Hochgebirge der
Welt - wie es heißt.
Anmerkung über Beskiden und Inselsituation dieses Gebirges
Trotz dieser schönen Aussicht und auch wegen der knapp überholenden
Reisebusse muss man sein Augenmerk verstärkt auf den rechten
Straßenrand
richten, wo so manches Schlagloch droht, denen man schlecht ausweichen
kann, wenn man gerade knapp überholt wird. Na ja, es geht bergab und
man rollt hinunter in die Stadt Nowy
Targ. Da ist bald das Hotel
Limba
in der Nähe des allgegenwärtigen Rynek gefunden. Ein fideler Knabe
steht staunend in der Tür, weil da lange Warteschlangen vor dem
gegenüberliegenden Eisstand (LODY) auf ihr Fronleichnams-Eis hoffen.
Und
ich dachte, das sei ein Kino.
Der fidele Knabe heißt Robert und versieht den Hoteldienst. Wieder bin
ich so glücklich, so fein unterzukommen, für 10 EUR. Leider ist
festzustellen, dass am Hinterrad meines Sykkel (Fahrrad) aus Stord
Norwegen - hallo Terje-, eine Speiche gerissen ist, zum Glück auf der
guten Seite,
d.h.
nicht auf der Ritzelseite. So muss vor dem Duschen diese
Angelegenheit erledigt werden. Vier Ersatzspeichen führe ich mit. Kein
Problem, "You are fast" sagt Robert und ich sage in "Lübke Englisch":
"I did it not for the first time". Er könnte nun auch in gleichem Stil
antworten: "That overrushs me".
Bedenken bleiben trotzdem, wenn nun eine Speiche nach
der anderen
reißt, kommt man bei drei verbliebenen Ersatzspeichen auch nicht so
weit. Und die Straßenverhältnisse sind eben nur suboptimal. Und das
gestern ein Gast da war, der zu Fuß aus Deutschland gekommen sei, das
erzählt mir mein Robert auch noch. Essen gibt es im Restaurant
gegenüber, leider habe ich das Gericht nicht protokolliert, aber es war
keine Pizza.
Jedenfalls wohl ein Gericht, an dem man nicht zu schwer zu beißen hat.
9 Freitag, 27.5., Bardejov, 124 km
Eigentlich sollte es an dem Fluss Dunajec
weiter gehen, aber ich gerate
auf eine Straße (49), die in südliche Richtung genau auf die
Felsenpartien der Hohen Tatra zuführt. Das ist ja auch nicht schlecht -
bei der Aussicht! Um meinem (groben) Plan zu folgen, geht es dann
doch irgendwann links ab, das heißt Richtung Osten.
Kopfschirm
Eine Reise in Richtung Osten und Süden hat den Nachteil, dass man in
den Morgen- und Vormittagsstunden der Sonne entgegen fährt und dabei
die
für das Fotografieren gut beleuchteten Szenen oftmals nur im Blick
zurück erhascht. Außerdem blendet es mitunter, deshalb kann ich auf
einen Kopfschirm bzw. Baseballmütze nicht mehr verzichten. Dass ist
auch gut gegen Sonnenbrand, der bei mir sogar unter den Kopfhaaren
entstanden war. Den Sonnenbrand auf Armen und Oberschenkel pflege ich
mit Penatencreme(!) zu behandeln. Was einem Kinderpopo gut tut, hat
auch seine Wirkung auf die von der Sonne strapazierte Haut.
Die Strecke ist so gut wie verkehrsfrei und führt über Orte wie
Lapsze Wyzne oder Lapsze Nizne. Auch ein Berg ist zu
überqueren, dann
rollt man hinab zu dem Stausee des Flusses Dunajec, und dort ist der
Grenzübergang in die Slowakei. Danach wird an der nächsten Wechselstube
die Geldbörse geleert und das restliche polnische Geld in Slowakische
Kronen umgetauscht. Der Kurs ist etwa 1:10, d.h. die Kronen haben
also eine Null mehr aufzuweisen.
Gleich hinter der Grenze begleitet mich - zumindest akustisch - mal
wieder ein Kuckuck. Der hat wohl keine Sprachprobleme, die Kuckucke
hören sich überall gleich an. So auch der Pirol mit seinem Ui-U-Io.
leider ist dieser gelbe Vogel, der bei uns wohl schon selten ist, aber
auch nicht zu Gesicht zu kriegen. Später sehe ich noch eine Bachstelze
mit gelber Brust, mal sehen, wie dieser Vogel heißt.
Es handelt
sich offenbar um die Schafstelze, oder Gebirgsstelze, die beide in
Mitteleuropa und auch in den Balkanländern vorkommen.
Unterhalb des Stausees herrscht ein reger Floßbetrieb, wo die
jauchzenden Touristen in Shorts und mit Sonnenhüten sich von
landesüblich(?) gewandeten Flößern den Fluss hinunter staken zu lassen.
Sie erreichen erstaunliche Geschwindigkeiten: bis 15 km/h, das kann man
ermitteln, indem man auf der Landstraße nebenher fährt. Diese ist
übrigens in vorbildlichem Zustand, ein Umstand, der einem an allen
Grenzübergängen auffällt. Vielleicht sind da schon EU-Mittel geflossen.
Nach angenehmer Fahrt verlassen wir nun das Tal des Flusses Dunajec und
fahren auf der Straße 543 nach Star
Lubovna. In einem Dorf kann man von der
Hauptstraße über die Dorfdurchfahrt abbiegen und findet sich schon
wieder in einer anderen Welt. Da sind hübsche kleine Häuschen. Als ich
mir einen Rastplatz gesucht habe, tritt eine ältere Frau aus ihrem
Hoftor, mit Kopftuch und Leggins, die fast bis unter die Achselhöhlen
reichen. Sonst trägt man wohl noch einen weiten Rock darüber, aber sie
weiß ja nicht, dass da ein vor sich hinkauender Radler, von weit her
angereist, Eindrücke sammelt. Auf ein Foto verzichte ich. Als ich ein
paar Häuser weiter aber einen Schuppen fotografiere, läuft mir ein Mann
mit nacktem Oberkörper und Handkarre ins Bild, das war gar nicht
vorgesehen.
Wir begeben uns auf die Strecke 68, die direkt nach Presov führt und
leider stark befahren ist. Eine andere Alternative ist die Straße in
Richtung
Bardejov, und ich meine
gelesen zu haben, dass das einer der schönsten
Orte hierzulande sein soll. Außerdem sind das 11 km weniger und auf der
Straße 77 dorthin herrscht nur spärlicher Verkehr. Es muss noch einmal
das Tal gewechselt werden, das bedeutet eiene Steigung zu bezwingen,
dann kann man an dem Flüsschen Topla
hinab rollen. Es zeigen sich auch
die ersten Zigeuner und deren Behausungen, die sich meistens an den
Ortsrändern zu befinden scheinen. Einmal geht einer am Straßenrand mit
einem kleinen Mädchen und einem kleinen Jungen an der Hand am
Straßenrand entlang. Außerdem schiebt er noch eine Karre mit drei
weiteren Kindern vor sich her. Was für ein tolles Bild wäre das, aber
im Reiseführer steht, Zigeuner sollte man um Himmels willen nicht
fotografieren, sie würden dann glauben, man stiehlt ihnen ihre Seele.
Also lässt man's lieber.
Wir kommen für heute in Bardejov an, und da kann wohl kein Besucher
enttäuscht sein. Es gibt einen herrlichen zentralen Platz mit Rathaus
und Kirche. Die Hausgiebel sind alle vorbildlich restauriert, als wenn
man hier das Verschönern der Häuser in der Volkshochschule lernen
würde! Also
gleich ein Panoramabild in der Nachmittagssonne. Nun muss ich mal
wieder eine Unterkunft suchen. Gleich hinter der Kirche ist ein großer
Kasten und da steht HOTEL dran. Ein junger Mann vor der Tür folgt mir,
wie ich da erwartungsvoll Rad und Gepäck hinein schiebe. Was er mir
anbieten könnte? Es handelt sich um eine Bar, Hotel - das war einmal.
Mit meinem Rad an der Bar einen trinken, das wäre ja nicht schlecht,
aber eigentlich hatte ich das
nicht vor. Also schieben wir wieder raus und der junge Mann zeigt in
eine Richtung, wo eine Unterkunft zu finden sei.
So werde ich für heute Gast der Pension
Semafor, da ist alles erst
kürzlich renoviert oder ausgebaut und entsprechend ordentlich
eingerichtet. Nach dem Duschen treibt es mich zum Essen und der nette
Herr Kaminski (Ingenieur) empfiehlt mir das Pizzalokal BELLO hinter der
Kirche, gleich neben dem ehemaligen Hotel. Dort kann man auf einer
überdachten Holzterrasse speisen. Es ist warm heute und viele Gäste
bevölkern dieses und andere Freiluftrestaurants. Ich bekomme eine prima
Pizza, aber leider, leider spielt das Messer nicht die Rolle, die ihm
zugedacht ist. Da kann man nach Herzenslust säbeln und hebeln, das
nützt alles
nichts. Also versuche ich bei der Bedienung zu reklamieren, ob ich ein
anderes Messer bekommen könnte. Da winkt sie nur ab, da hätte man kein
besseres. Leider bin ich zahntechnisch nicht in der Lage, die Pizza
einfach abzubeißen, wie es andere Gäste nach ebenfalls vergeblichem
Herumsäbeln tun. So habe ich für den heutigen Abend nach der ganzen
Strampelei auch etwas für die Armmuskeln getan.
Zurück in der Pension Semafor meint der nette Herr Kaminski, beim
nächsten Mal solle man eines seiner
Messer mitnehmen. Das merkt euch mal, liebe Leser, falls ihr nach
Bardejov kommt, was zu wünschen wäre.
10 Samstag, 28.5., Kosice, 89 km
Eine hübsche junge Dame, die sehr nett mit den Augen klimpern kann,
serviert mir das Frühstück (Spiegelei mit Schinken). Das wird die nette
Frau Kaminski sein. Man hätte schon einmal Australische Radler zu Gast
gehabt, und das seien alles Vegetarier gewesen...
Das Wetter hat sich so entwickelt, dass die übliche Fahrradkleidung
wegen der Hitze nicht mehr angesagt ist, sondern in solchen Fällen
genieße ich das Fahren in Turnhose und offenem Hemd, dass dann neben
dem Fahrtwind um einen herum flattert. Die Route führt nun über die mit
545 bezifferte Strecke, kein nennenswerter Verkehr, leicht hügelige
grüne Landschaft. In einem Ort (Janovce)
werde ich hereingelegt.
Aufgrund einer vielversprechenden Beschilderung mache ich einen
Abstecher in Erwartung einer historischen Holzkirche. Es handelt sich
aber nur um eine mickrige Holzkonstruktion, 3 m hoch und weiter nicht
sehenswert.
Viel sehenswerter ist eine Szene, die ich im Vorbeifahren nur im
Augenwinkel einfange. Aber dann sofort gebremst, ein paar Meter zurück,
und - ich will nicht angeben, aber so ein Foto gelingt nicht jeden Tag
und könnte bei einem Wettbewerb einen Preis gewinnen: ein Einwohner,
schmunzelnd und in Eintracht mit seiner offensichtlich geliebten Kuh.
Vielleicht das fast beste Foto der Tour.
Leider - oder nicht leider -, muss ich Moment (Do, 16.6., 20.15)
meine Berichterstattung unterbrechen. Im Fernsehen (NDR III) kommt ein
Bericht über die abenteuerliche Schmalspurbahn im rumänischen Wassertal
- hallo Terje! Darüber später mehr.
Nun geht es wieder weiter, wir biegen ein auf die vierspurige
Europastraße
73, voraus die Trasse, rechts Rapsfelder. Wenn man sich nicht sicher
ist, ob diese Strecke für Radfahrer überhaupt erlaubt ist, können einen
die hin und wieder in der Gegenrichtung käfernden Radfahrer beruhigen.
Es gibt auch eine Randstreifen, wo Platz genug ist. Im Gegensatz zu den
Entgegenkommenden rolle ich aber bergab mit Rückenwind. Die Stadt
Presov kommt näher, zunächst
nicht so ansprechend - wie immer,
Industrieanlagen und viel Verkehr.
Das Zentrum präsentiert sich dagegen wieder wie ein Bilderbuch, noch
dazu
bei der Beleuchtung heute morgen - oder besser mittag. Die Kirche steht
inmitten der Flanierzeilen, es ist kein geschlossener Platz wie
in Bradejov, sondern eine langgestreckte Straßenszene. Oberbusse mit
Stromabnehmern fahren auf der Fahrbahn. In der Kirche hat gerade eine
Hochzeit stattgefunden, nun wird fotografiert und das Brautpaar muss
sich zweisam an einem Trinkbrunnen laben. Ich versuche auch, mein Foto
von dem Hochzeitspaar zu schießen, aber so richtig wird das nichts. Das
Panorama dagegen ist sehenswert. In der Touristeninformation versuche
ich noch mein Glück, eine Karte a'la Czestochowa für eine Radstrecke
nach Kosice zu erstehen. Aber das glückt nicht. Ich bin wieder auf eine
der unzureichenden Skizzen aus dem Internet angewiesen.
Es reicht aber aus, eine ansprechende Nebenstrecke zu finden. Bei einer
Rast ertönt plötzlich ein vernehmliches Klappern, und wenn man sich ein
paar Meter von dem schattenspenden Plätzchen entfernt, hat man freie
Sicht auf ein Storchennest, wo sich ein glückliches Paar gerade
überschwenglich begrüßt. Ein paar Zeitgenossen sitzen nebenan auf einer
Treppe, jeder mit einer Flasche Bier oder so was in der Hand, die Zeit
ab. Die kümmert das alles nicht so, die sind das gewohnt - das Klappern
meine ich.
Es gibt nun seitab rechts einen Ort, der heißt Kysak, und von da
aus kann man dann ganz gemütlich im Tal eines Flusses namens Hornad die
Reststrecke nach Kosice abfahren. Vorher gilt es dazu noch die eine
oder andere Steigung zu überwinden. Das ist weiter kein Problem,
abgesehen von der Hitze. Bei Steigungen schaue ich mir immer die Blumen
am Wegrand an, besonders, wenn geschoben werden muss. Und Blumen gibt
es genug.
Wir erreichen Kosice, das umgeben ist von riesigen Siedlungsblocks.
Aber wir wissen ja schon, der Kern
ist schmackhaft. So ist es auch hier. Am Hotel Amabassador fahre ich
allerdings doch lieber vorbei. Trotzdem stolpere ich dann schließlich
doch in eine nicht so preiswerte Einrichtung, und die nennt sich Hotel
Slovan. Aber man kann dort mit Fahrrad und Gepäck durch die
automatischen Türen bis zur Rezeption vordringen, das schätze ich immer
besonders. Mein Zimmer ist im 8. Stock, da wird erst mal ein
Panoramafoto gemacht, dann geduscht, Socken gewaschen und aufgehangen,
für einen selbst wird eine Weile abgehangen.
Ein Rundgang in Kosice. Da ich an keiner Stadtführung teilnehme, kann
ich über historisches nicht so viel - bzw. gar nichts - berichten. Es
reicht mir immer schon wenn man auch so ins Staunen kommt. Jedenfalls
herrscht ein reges Leben, eine Hochzeitsgesellschaft ist auch hier
zugange und lächelt einem Fotografen zu. Ich stehe etwas abseits,
deswegen lächelt mir keiner zu, trotzdem finden wir ein Bild der
Veranstaltung nun auf diese Weise im Internet. Dann besuche
ich wenigstens den Dom von innen, da spielt gerade einer auf der
Orgel nach der Melodie "Tochteher Zion, freuhe freue Dich..." Als das
Stück endet, klatscht einer - wie unfein, das hätte der mal bei der
Schwarzen Madonna versuchen sollen (da kamen die Gesänge allerdings aus
der Konserve).
So, nun gehen wir wieder mal Pizza (Pizzeria
Modena) essen, wo soll man
auch sonst hin. Da die Osteuropäer offensichtlich Pizzafans sind, bin
ich hier ja bestens aufgehoben. Langweilt vielleicht ein wenig - immer
nur Pizza? Man kann aber auch den kleinen Mädchen am Nebentisch
zuschauen, die verzückt in ihr Handy funkeln und sich hin und wieder
SMS-Mitteilungen quer über den Tisch zukommen lassen, wie das nur
funktionieren mag?
Nun ist man selber ja auch nicht von gestern - oder? In den
Hotelauslagen entdecke ich spät am Abend (21.30), dass es einen
Internetraum für kostenlose Benutzung gibt. Da lasse ich mir noch an
der Rezeption den Schlüssel geben und beantworte meine Mail von vor ein
paar Tagen. Dass die dann an mich selbst geht und nicht an meine liebe
Tochter Stefanie, fällt mir erst später ein. Das lässt sich aber am
nächsten Morgen noch beheben. Ich hatte mir tatsächlich die Mail selber
geschickt. Sie war schon angekommen. (So kann es kommen, wenn
man 34 Jahre lang beruflich in Sachen EDV tätig war)
11 Sonntag, 29.5., Tokaj, 88 km
Für die Weiterfahrt von Kosice gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine
ist, sich östlich auf Nebenstraßen in die Büsche und Berge zu schlagen.
Die
andere ist, genau in Richtung Süden auf der E 71 26 km direkt zur
ungarischen Grenze zu fahren. Ab da könnte man - wieder auf
Nebenstraßen
- die weltbekannte Weinstadt Tokaj anfahren. Nun ist heute am
Sonntagmorgen kaum Verkehr, außerdem finde ich die Abzweigung "in die
Büsche und Berge" nicht. Damit steht das Tagesziel ja wohl fest. Nach
einer guten
Stunde angenehmer Fahrt auf der schnurgeraden Europastraße ist die
Grenze erreicht. Zu den Grenzformalitäten ist hier wie bei allen
anderen Grenzübergängen nichts weiter zu sagen - sie sind problemlos.
Bald hinter der Grenze kann man nun wieder auf Nebenstraßen begeben,
die ja auch landschaftlich interessanter sind, als die leidigen
Schnellstraßen. Da bietet sich ein netter Rastplatz an, nebenan eine
Wiese mit Heuhucken, wie wir sie von früher (erstes Leben) kennen,
heute sieht man bei
uns immer nur diese unansehnlichen weißen Plastikpakete. Unter so einer
Heuherberge sollte man mal nächtigen, wenn man nicht zu Heuschnupfen
neigt. An der Straße sind nun Schilder einer Euroveloroute angebracht.
Dann ist man ja wohl richtig.
Eurovelo ist eine Organisation, die in ganz Europa Fernrouten
entwickelt, die Nordsee Runde gehört auch dazu. Man kann aber auch vom
Norkap bis nach Gibraltar gelangen,, wenn einem gerade mal danach
ist...
Die Ortschaften sind gemütliche ländliche Straßendörfer. Heute am
Sonntag geben sich die Bewohner der Muße hin, mancher mit einer Flasche
Bier in der Hand. Die kleinen Dorfläden und Bars sind geöffnet. Zur
Linken zieht sich ein bewaldeter Höhenzug dahin, der heißt Zempleny
oder so. Über den müssen wir irgendwann hinüber. Das zieht man mal
möglichst lange hinaus. Vorher noch eine Burg, Boldogkö Varalja, da
könnte man einen Abstecher bergauf machen. Das lassen wir lieber, für
ein Foto tut es auch der Zoom, leider ist es etwas dunstig. Nun müssen
wir über das kleine Gebirge. Eine winzige Straße führt ein Tal hinauf,
gut zu fahren bis auf den Straßenbelag, der ist etwas hoppelig. So ist
auch die Abfahrt, da wird man nicht so schnell.
Die Ungarische Ebene mit dem Fluss Bodrog
liegt vor uns. Dort sind
"schwimmende Wiesen", die nicht nur nach einem Hochwasser unter Wasser
stehen. Daher gibt es hier auch so viele Störche. Wie man später
erfährt, reisen auch Ornithologen aus ganz Europa zu Exkursionen
hierher an. Die müssen dann ja wohl paddeln. Als ich einmal ein
Blumenbeet fotografiere und mich hinterher umdrehe, fährt gerade ein
schwer bepackter Radtourist vorbei. Das ist ein rollender Campingplatz,
er grüßt nur unwillig und ist schon vorbei, da hätte ich auch gern ein
Bild gemacht.
Wir nähern uns einem hohen Berg mit einem Sendeturm auf dem Gipfel. Das
ist der Hausberg von Tokaj, Kopasz
(Glatzberg) 515 m, genannt. Damit rollen wir in die
Stadt Tokaj ein. Dort findet gerade ein Weinfest - wo auch sonst -
statt. Vorher hatte
ich ein Pensionsschild gesehen, da kehre ich gleich ein bei Frau
Josefne Kovacs. Für 20 EUR samt Frühstück beziehe ich eine ganze
Wohnung. Da hätten noch mehr Platz und Frau Josefne ist etwas
enttäuscht, dass ich allein bin. Aber sie denkt wohl: "Lieber den Spatz
in der Hand als den Storch auf dem Telegrafenmast". Der wohnt gleich
nebenan und zuweilen hört man das Klappern. Ich bekomme sogleich etwas
zu trinken samt Kuchen, da ist man gleich wie zu Hause!
Nach dem Duschen geht es natürlich gleich zum Weinfest. Dort sind viele
Weinstände, wo man den berühmten Tokajerwein verkosten kann. Ich gerate
aber
in die Touristeninformation, die heute natürlich geöffnet ist. Ich
frage nach einem Quartier auf der weiteren Strecke, und die netten
Damen melden mich gleich telefonisch für den nächsten Abend in einer
Pension an in einem Ort, den man am besten mit einem Schluck Wasser im
Mund aussprechen sollte: Gergelyiugornya.
Das hebt die Stimmung. Wenig weiter ist ein schönes Restaurant mit
Freisitz. Dort wird uns nun eine gebratene Forelle gereicht, aufrecht
platziert
mit Zitronenscheiben auf dem Rücken. Nun kann man bei einer gebratenen
Forelle ja die Flossen, kleinen Gräten und sogar den Schwanz mitessen.
Da bleibt nicht viel übrig.
Ein Rundgang ist angesagt. Es gibt viele Restaurants (Tavernen), die
befinden sich in unterirdischen Gängen. Diese Gänge hat man zur
Weinlagerung angelegt, in diesem feuchtkalten Klima soll sich dort ein
aromatisierender Edelschimmelpilz (Botrytis
cinera) entwickeln und dem Tokajerwein dadurch zu
seiner Berühmtheit verhelfen. Im Rakoczkikeller
sollen 24 derartige
Gänge zusammentreffen. An der Brücke ist der Zusammenfluss von Bodrog
und Theiss. Wenig weiter ein munterer Platz, der nicht mehr zum alten
Stadtkern von Tokaj gehört. Letzter ist übrigens unerwartet klein,
gerade mal längs einer Straße von vielleicht 700 m Länge. Der besagte
Platz ist heute von einer Motorradmeute beherrscht, denen es
hauptsächlich darum zu tun ist, im Pulk möglichst geräuschvoll ihre
Macht - was immer sie dafür halten mögen - zu demonstrieren.
Auf dem Rückweg erstehe ich, wie es sich gehört, zwei Flaschen
Tokajerwein: "2003 Tokaj Muscot
Lunel". Ich muss Frau Josefne
schließlich eine Freude machen. Eine Weile verweile ich noch auf dem
Kirchplatz, da erklingt Musik, wie wir sie auf dem Oktoberfest in
München erwarten würden. Später versucht ein Moderator, einige Leute zu
einem gemeinsamen Tänzchen zu animieren. Das gelingt auch so halbwegs
unter den Kommandos - in Ungarisch natürlich: Vor, zurück und links und
rechts usw. Ein Herr schnallt das nicht und wieder nicht, bedankt sich
aber nach Ende
des Tanzes überschwänglich mit Handschlag bei dem Moderator. Danach
singt der Moderator, anscheinend auch des Sanges mächtig: "Dirty old
Town", was der schönen Stadt Tokaj alles
andere als gerecht wird. Seit heute morgen habe ich dagegen das Lied im
Ohr:
"Dort drunt im schönen Ungarland,
wohl an dem schönen Donaustrand,
da liegt das Land Magyar...
Dunja Dunja Dunja Tisa,
Bas maderem trem kordijar
Te-de-rei, te-de-ra, te-de-rei, te-de-ra
Als Blankenstein-husar. ".
Fragt sich noch, was es mit dem "Blankenstein Husar" auf sich
hat.
Im Internet kann man ermitteln, dass die letzte Strophe dieses Liedes
wegen "Türkenfeindlichkeit" heute aus den Liederbüchern verbannt werden
sollte. Sie lautet:
"Im letzten Dorf da
kehrt ich ein
und trank dort den Tokajerwein,
Tokajer aus Magyar,
Tokajer du bist mild und gut,
du bist das reinste Türkenblut
fürn Blankensteinhusar."
Das Blankensteiner war eines der ungarischen Husarenregimenter (um
1792), die wohl nicht nur gegen die Türken sondern auch gegen die
Franzosen zu Felde gezogen sind.
Als ich zurück im Quartier bin, wartet Frau Josefne schon, sie hat ja
sonst nichts zu tun. Dass die eine Flasche Wein für sie sein soll, kann
sie
gar nicht glauben, freut sich dann aber doch. Leider kann sie ihn nicht
trinken, neue Hüfte und Arztverbot. Wir können uns nur durch
Zeichensprache oder aufgemalte Symbole (ich habe Fisch gegessen)
verständigen. Einmal meine ich zu verstehen "Papa kaputt" soll wohl
heißen, sie sei Witwe. Man kann bei der heutigen Wärme schön
draußen sitzen, aber dann vertreiben einen die Mücken. Ich ziehe mich
dann auch bald in meine Wohnung zurück, ich müsse noch schreiben, mache
ich klar, so eine Unterhaltung ohne gemeinsame Sprache ist eben doch
anstrengend. Endlich allein lasse ich mir das Fläschchen Wein
schmecken, man wird sich vorstellen können, dass es mir nicht schlecht
dabei geht.
12 Montag, 30.5., Gergelyiugornya, 100
km
Nach dem Frühstück mit Rührei und Schinken kann ich gut gestärkt
aufbrechen. Meine Trinkflasche fülle ich an einem der Brunnen auf.
Somit kann ich den Verbrauch eines Radfahrers "eichen": 1.5 Liter
Tokajer Brunnenwasser auf 60 km! Zunächst geht es auf die stark
befahrenen Straße 38, die man aber bald verlassen kann. Dann gibt es
streckenweise sogar gute Radwege neben der Straße, das würde man in
Ungarn gar nicht erwarten. Blühende Akazien, ungezählte Storchennester,
urige Dorfbilder. Hinter den Häusern (vorne die Giebel und Hoftore,
dahinter die Hühnerwirtschaft) sieht man immer wieder eigenartige
Schuppen. Allmählich finde ich heraus, dass sie wohl zur Lagerung von
Brennholz, vielleicht auch von Maiskolben dienen. Ansonsten kommt man
an einer Schafherde mit Schäfer vorbei, und dann sehe ich mein
Mohnfeld. Zu der Panoramaufnahme sind 5 Fotos nötig. Auch einer dieser
Ziehbrunnen taucht auf, der gehört ja nun unbedingt zum Klischee über
Ungarn. Hier ist aber keine Puszta, sondern es gibt hauptsächlich
Maisfelder oder Wiesen.
Aus
dem Internet:
Echte Puszta, fast baumloses Öd- und Weideland, überlebte nur in den
Naturschutzgebieten Hortobágy und Bugac. Länger als
anderswo ist
der Weg, den die Sonne hier zurücklegt. Unendlich ist der Horizont, er
ist wie ein runder Tisch über den sich die hellblaue
Glasglocke des Himmels, von keinem Wölkchen getrübt, wölbt. Im Sommer
wird
die
endlose weite Steppe hitzeflimmerndes
Pferde- und Reiterland, über dem die >déli-bab<, die ungarische
Fata-Morgana, in der Luft zerflossene Erscheinungen
inszeniert, weiße Häuser, grasende Rinder, ein Ziehbrunnen, hinter dem sich die
dunstrote Sonne
dem Untergang nähert.
Ich fahre heute nur in Turnhose mit freiem Oberkörper. Die
Einheimischen tun das auch, da fällt man wohl nicht aus der Rolle. Vor
einem größeren Ort aber sollte man das Hemd überstreifen. Dieser eine
Tag reicht immerhin für einen kleinen Sonnenbrand. Am Ende dieser
Tagesetappe erreichen wir die größere Stadt Vasarosnameny, und 2 km
weiter das Ziel "Gergeldireinen". Nun muss ich die Pension suchen. In
einem Geschäft kehre ich ein und frage nach dem Weg. Da stellt sich
heraus, dass die Pension im selben Haus ist, das Hinweisschild hatte
ich übersehen. Die Unterkunft ist einfach.
Natürlich freut man sich auch über ein schönes Zimmer. Aber wenn
es auch nur ein einfaches Quartier ist, ist man nach einem
anstrengenden Tag genauso froh, dass man gut untergekommen ist. Das
wird mir jeder Radfahrer bestätigen, der auf diese Weise unterwegs ist.
Abends gibt es immer genug zu tun, und zum Ausbreiten der Straßenkarte
zur weiteren Planung reicht das Bett allemal.
Zum Essen muss ich aus diesem Nest (man wirbt mit einem
Erlebnisschwimmbad mit Rutsche und einem "Seidensand u. individuell
gelaunten Strand", der sich an den verlehmten Flussufern kaum vermuten
lässt) allerdings 3 km in die o.g. Stadt zurück fahren, wo es in
dem Hotelrestaurant Feher mit
Freisitz ein Gericht namens "Holzteller"
gibt. Das sind drei unterschiedliche Steaks, wobei allerdings das
letzte Gräten(?) hat. Das lasse ich dann lieber über. In der Pension
versucht man dann noch, das Fahrrad in einer Garage unterzubringen.
Leider bekommt man die Tür nicht auf. Wäre das nicht jetzt, sondern am
nächsten Morgen passiert, da hätte man dumm dagestanden. Das Rad
verbleibt also lieber im Treppenhaus und wird abgeschlossen. Dafür kann
ich am Morgen eine verdutzte Dame von ihrem PC wegscheuchen und schnell
eine mail nach Hause schicken, damit man dort mal wieder weiß, wo ich
bin.
13 Dienstag, 31.5., Satu Mare, 65 km
Der heutige Tag ist landschaftlich weniger interessant, obgleich in
Ungarn zu radeln natürlich nicht das schlechteste ist. Es gibt
schnurgerade Strecken, die durch den starken Rückenwind aber durchaus
Vergnügen bereiten. Da grübelt man so vor sich hin.
Fällt mir doch da ein Spruch nicht ein von Giovanni Trappatoni ("Ich
habe fertig"). Irgendwas mit Strunz? Ein paar Kilometer weiter purzelt
es aus dem Gedächtnis: "Was erlauben, Strunz!".
So geht es einem eben manchmal unterwegs, wenn man langsam wunderlich
wird,
aber das gehört auch dazu.
Irgendwann gibt es dann auch Storchengulacs, d.h. rein symbolisch,
Gulasc heißt der Ort und ein
Storchennest ist gleich über dem
Ortsschild. Wir nähern uns der Grenze nach Rumänien, dem Land der
Träume, die noch ohne Inhalt sind. Da wird man problemlos abgefertigt -
keine weiteren Fragen. Auf der schnurgeraden Hauptstraße 19A fahren wir
nach Satu Mare (Sothmer). Die
deutsche Partnerstadt ist Wolfenbüttel
(10 km von zu Hause),
na das ist ja eine Überraschung. Leider empfängt mich der Staat
Rumänien mit ein wenig Regen und in der quirligen Stadt suche ich nun
wieder ein Hotel. An dreien davon bin ich vorbei gestolpert, wie später
festzustellen ist.
Zunächst findet man mich an einem Bankomat wieder, wo ich für's erste
2.500 Lei ziehe. Mit dieser Währung muss man sich erst mal vertraut
machen, denn ich verfüge nun gerade über die Barschaft von umgerechnet
10 EUR. Später bin ich schlauer und ziehe 4.000.000 in Worten: vier
Millionen, das sind ca. 115 EUR, der Höchstbetrag, den man hier
in
einem Bankomat bekommen kann. Dafür reicht das bei einigermaßen
sparsamem Auskommen eine Woche. Ab erstem Juli d.J. wird man - wie
überall ausgeschildert ist - dieser Währung kurzerhand vier Nullen
entziehen. Das wird sich dann Leu Nou (Singular) oder Lei Noi
(Plural) nennen und drei neue Lei werden etwa ein EUR sein. In Polen
hat man das vor etlichen Jahren auch schon praktiziert, als man mit den
Gigazlotys nicht mehr zurande kam.
Mittlerweile bin ich am Bahnhof angelangt, und gegenüber befindet sich
ein Hotel namens Casablanca.
Tatsächlich kann man sich dort
einquartieren und zwar für 20 EUR, die ich wegen zunächst fehlender Lei
wundersamerweise auch in der EUR-Währung bezahlen kann, ein paar davon
sollte man ja immer im Brustbeutel haben. Nun dürfen wir unser Zimmer
betreten - und das ist ja ganz erstaunlich komfortabel. Ein richtiger
Tisch mit vier Stühlen, da kann man ja richtig "arbeiten". Nach dem
üblichen Duschen und Sockenwaschen ("Laundry" sagt der Engländer) kann
man sich in die Stadt aufmachen, um etliche Einkäufe zu tätigen. Als da
sind: Straßenkarten im nächsten Bücherladen. Die beste ist die
Huberkarte von ganz Rumänien
im Maßstab 1:6000.000, aber sehr
detailliert. Die andere Karte - die letzte im Regal - ist eine Karte
von Siebenbürgen (Szekelyföld, M 1:250.000) auch mit den deutschen
Ortsnamen. Das ist ein Glücksfall, beide Karten kosten je ca. 3 EUR,
für den Preis hätte man die zu Hause kaum bekommen, außerdem hätte man
sie die ganze Zeit mitschleppen müssen.
Das ist auch ein Problem des Radtouristen: wenn man die
verfügbaren
Unterlagen schon zu Hause besorgt, tut das dem mitgeführtem Gewicht
nicht gut. Unterwegs erhält man mitunter bessere und preiswertere
Karten (z.B. in Touristeninformationen oder Tankstellen), die man bei
uns gar nicht bekommen würde. Und das beeinflusst wiederum die
Routenplanung, aber so bleibt es auch unterwegs immer spannend.
Wir müssen noch weitere Besorgungen machen. Eine Telefonkarte für die
öffentlichen Telefone gibt es für 100.000 Lei = 3 EUR. Damit habe ich
dann später vier Gespräche nach Deutschland geführt und die Karte ist
noch nicht alle geworden. In einem vorher übersehenen Hotel bekomme ich
einen Stadtplan (City Map), und danach kann ich mich endlich um ein
Restaurant kümmern. Auf dem Wege bettelt mich ein Junge an, aber ich
habe keine Lust, die Geldbörse aus sicheren Tiefen an die Oberfläche zu
befördern und womöglich um mehr als ein Almosen erleichtert zu werden.
Eine Weile läuft er neben mir her, bis man ihn abschüttel kann. Man
weiß noch nicht, wie es hier so läuft. Nun finde ich eine weniger
elegante Fast Food Station, die heißt "Hello Margot", und da muss man
am Tresen bestellen, gleich bezahlen, und wird dann draußen im Freien
unter dem Vordach versorgt. Als ich gerade die letzten Bissen hinunter
schlinge, taucht ein Kopf über der Abzäunung zur Straße auf, und das
ist der bettelnde Junge von vorhin, nun möchte er mitspeisen.
Es wird in Rumänien weniger gebettelt, als wir es noch vor
Jahren in Polen erlebt hatten ("Tochter krank, keine Rente..."). Im
folgenden wird ja zu lesen sein, was sich meinerseits noch ereignet
hat. Und das hält sich in Grenzen. Das nur als Anmerkung, falls jemand
wegen solcher Befürchtungen nicht so gern nach Rumänien reisen würde...
Damit findet man mich in der Unterkunft wieder, wo ich gut versehen mit
Kartenmaterial alles weitere in Augenschein nehmen kann. Eine sehr
wertvolle Unterlage ist noch das Kartenblatt "Rumänien per Rad" (s.
Linkliste). Die hatte ich mir nun tatsächlich schon zu Hause besorgt
und die liegt nun ausgebreitet auf meinem Zimmerbett in Satu Mare. Da
gibt es vorgezeichnete Radrouten kreuz und quer durch Rumänien, da hat
man geradezu die freie Auswahl.
Vor dem zu Bett gehen, noch ein Blick auf den gegenüberliegenden
Bahnhof, da ist natürlich auch eine Uhr - so spät ist es schon? Na ja,
wir haben eine Zeitgrenze überschritten und müssen die Uhr eine Stunde
vor stellen. So hat die Nacht eine Stunde weniger, aber davon bekommt
man noch keinen "Jet-Lag".
14 Mittwoch, 1.6., Sapanta, 97 km
Wenn es kein Frühstück in der Unterkunft gibt, kann man früh starten,
heute um 7.30. Wir werden zunächst laut o.g. Broschüre die Radroute
Nr. 1 in Richtung Maramures
an der nördlichen Grenze Rumäniens zur
Ukraine befahren. Und das geht ja wirklich heiter los. Schlaglöcher,
insgesamt schlechte Straßenverhältnisse, die Gepäcktaschen hüpfen, die
Kamera wandert mal wieder besser zwischen das weichere Gepäck. Aber
sobald man die Außenbezirke der Stadt verlassen hat, offenbart sich ein
reges Landleben. Die Menschen arbeiten in Handarbeit auf den Feldern,
immerhin haben sie meistens ein Pferdchen und einen Wagen, mit denen
sie die Ernte, z.Zt. hauptsächlich Heu, einfahren können. Eine
Bahnstrecke führt linkerhand entlang, da klötert hin und wieder ein Zug
mit manchmal offen stehenden Abteiltüren vorbei.
Nun haben die Verantwortlichen, die die Radroute Nr. 1 im
Rumänien entworfen haben, offenbar im Schilde geführt, dem
Neuankömmling gleich eine Strecke zu präsentieren, die ihn ggf. wieder
umkehren lässt. Es geht nämlich schließlich auf eine unbefestigte
Piste, die mit beladenem Rad nur schwer passierbar ist. Dafür ist sie
völlig frei von jeglichem Verkehr, da kann man dann fahren, auf welcher
Seite man will - ob Rechts- oder Linksregelung. Es ist zu sagen, dass
das eine Art "Aufnahmeprüfung" sein mag, denn später werden sich die
Verhältnisse nicht mehr ganz so abenteuerlich darstellen, bis auf
einmal, aber das wird noch eine Weile dauern.
Nach dieser Schotterstrecke (ca. 10 km), Umrunden von Gänsen, Hühnern
und Hunden, die gern auf der Straße sich wie tot dem Schlummer
hingeben, erreicht man nach insgesamt 28 km mit dem Ort Apa wieder eine
Nationalstraße, die 5 km Erholung bietet bis zu dem Ort Seini. Da muss
man nach Norden abbiegen und es gibt Steigung und Gegenwind. Ist man
bisher immer mit meistens Rückenwind leicht in südliche Richtungen
geradelt, darf
einen das nicht ärgern. Die Landschaft wird reizvoller, das liegt an
den Steigungen - ohne Berge: keine Ausblicke.
Einen größeren Ort gibt es, und der heißt Negresti Oas bzw. Certeze.
Danach geht es weiter Richtung Norden auf die Ukrainische Grenze zu,
die ohne Visum leider nicht zu überschreiten ist. Aber dort sollen die
Straßenverhältnisse noch schlechter sein und außerdem steht dieser
Staat nicht auf dem Programm. In Ober-Certeze bzw. Huta Certeze sind
viele Neubauten in Arbeit, wie zu lesen ist, hängt das womöglich mit
einem vergangenen Erdebeben zusammen, nichts genaues weiß man nicht.
Per Google kann das nicht bestätigt werden, vielleicht
verspricht man sich hier in der doch ansprechenden Landschaft auch eine
touristische Zukunft?
Es gilt nun den kleinen Pass Huta (587
m) zu überwinden. Das ist kein
Problem, die Steigung ist mäßig, vielleicht 7%. Dafür
bessert sich mit jedem Höhenmeter die Aussicht. An einer Kirche vorbei,
dann ein Parkplatz und man hat es geschafft. Die Abfahrt kann man nicht
genießen, die ist zu holperig und im dichten Wald recht dunkel. Erst im
Tal, man ist nun wieder an dem
Fluss Theiss, hier Tysa wird
die Straße besser. Es sind nur noch wenige
Kilometer bis Sapanta, dem
heutigen Tagesziel. In Sapanta darf man auf
ein Quartier hoffen, gibt es doch hier den - man darf wohl sagen
weltberühmten "Lustigen Friedhof". Wir werden sehen, was es sich damit
auf sich hat.
Das Quartier bietet sich an mit einem Hinweisschild: "Pensiunea
MINUTA". Nach hundert Metern ist man vor Ort, ein kleiner Junge wuselt
herum: "Oma komm mal, da ist einer" das mag er wohl über den Gartenzaun
rufen (natürlich auf Rumänisch). Besagte Oma erhebt sich aus ihrem
Kartoffelbeet und preist
sogleich mit ihrem goldverbrämten Zahnwerk die obere Etage dieses
Anwesens an, wo es ein schönes Zimmer gibt. Da stehe ich dann wenig
später in der Unterhose herum, als die Dame mich zum Essen bittet:
"Mengare" oder so. So findet man sich in der unteren Diele wieder, eine
nicht mehr ganz heiße, aber fettige Kartoffelsuppe wartet schon, etwas
undefinierbar das ganze, weiße fetthaltige Fleischstückchen enthaltend,
Rippchen und was sonst so dranhängen mag. Die Verpflegung ist sehr
willkommen, auf einem Teller lassen sich auch noch Schinkenstücke,
Wurstscheiben und Gurken abstauben. Zwischendurch präsentiert die
Hausherrin ein selbstgebackenes Brot, das fällt ihr nun leider aus
Versehen alles auf den Boden und es muss aufgekehrt werden. Kann ja
auch mal passieren!
Dann wird ein Wodka gereicht, nachschenken solle man auch noch. Da
halte ich mich doch lieber zurück. Nun erscheint wohl der Rest der
Familie, zurück von der Feldarbeit. Die Hacken und Feldwerkzeuge werden
an die Wand
gestellt, und dann machen sich auch alle über die Suppe und sonstige
Verpflegung her. Auch ich werde nicht übersehen, schon hat man ein
Deutsch-Rumänisches Wörterbuch zur Hand. Es tut mir leid, ich bin an
die rumänische Gastfreundschaft noch nicht so recht gewöhnt, und die
Abendsonne ist noch so verlockend, dass ich mich mit dem Zeichen des
Fotografierens alsbald aus dem Staube mache. Sicher nicht so
vorbildlich für einen Gast - ich weiß!
Um den "Lustigen Friedhof" zu finden, fahre ich wie immer in die
falsche Richtung. Aber das ist insoweit interessant, als man an eine
Baustelle gerät, wo gerade zwei nagelneue Kirchenbauten - allerdings im
traditionellen Stil - errichtet werden. Man will wohl in diesem Ort
eine weitere Attraktion anbieten, das riecht leider ein klein wenig
nach Disney-Land. Nach weiterem Herumirren finde ich dann schließlich
doch besagten Friedhof, er befindet sich natürlich neben der Kirche, wo
sollte er auch sonst sein? Da hat man nun das, was man schon im
Fernesehen gesehen hat und was in jedem Reiseführer über Rumänien
abgebildet ist: die farbenfroh bemalten Grabmale, wo man auf
Holzbrettern charakteristische Eigenheiten der Verstorbenen aufgemalt
hat. Meistens den Berufsstand, ob Lehrer, Landwirt, Traktorfahrer oder
Spinnerin.
Es wird auch gerade ein neues Grab ausgehoben. Da hat man Mühe,
eimerweise das Wasser aus der Kuhle zu befördern. Dann mögen es die
Verblichenen da tief drunten doch nicht so gemütlich haben? Als
ich den Friedhof wieder verlasse - stundenlang sollte man sich dort
aufhalten - werde ich von einer Dame abgefangen, die mir nun mit den
Worten "Ticket, Ticket" 90.000 Lei (3 EUR) für die Besichtigung und das
Fotografieren abknöpft. Das kann man verschmerzen - nach der langen
Anfahrt? Und auf der Straße erlausche ich ein Gespräch zwischen
Schwaben, einer ist mit dem Radl da wie ich ("I hob a Gangschaltung mit
drei Gäng, und wennst ihr weiter hinter mir her fahret, treffe mir uns
im Remstal wieder"). Im letzten Jahr hätte es hier furchtbar geregnet,
antwortet das Ehepaar, die waren also schon öfter hier. "Morge werde
ich fotografiere, wenn die Sonn scheint, aber die 3 EURO zahl ich nich
nochamal, i bin doch a Schwab" meint der Radler abschließend. -
Entschuldigt mein schlechtes Schwäbisch!
Nun trinke ich noch ein Bier in einer Bar (Tuborg Strong, 7.8%), damit
ist die Bettschwere gesichert. Im Quartier ein abschließender Blick aus
dem Fenster auf den Hühnerhof, wo sich selbige auch zu Bett begeben,
und dann tue ich selbiges auch. Kuh, Sau und Ferkel geben angenehme
Geräusche von sich, da schläft man selig ein. Die Nachttischlampe ist
noch zu erwähnen: die entstammt der neuesten Technik (Sensorschalter).
Man muss nur deren Fuß berühren, dann geht sie an, oder wird heller,
oder noch heller, oder wieder aus. Da kommt man ja kaum wieder davon
los! Um 23.45 Uhr, ich war
schon im Tiefschlaf, geruht aber der Hofhund ein Gebell anzustimmen,
das ungelogen ohne Pause bis 2.00 andauert. Es scheint keinen außer mir
zu stören. Als höflicher Gast kann man ja nun schlecht irgend etwas
dagegen unternehmen. In meiner Verzweiflung fresse ich eine ganze Tafel
Schokolade auf.
15 Donnerstag, 2.6., Borsa, 102 km
Ein bisschen Schlaf gab es dann doch noch, und - erwachend -
kann man hören, wie die ganze Familie wohl wieder zur Feldarbeit
aufbricht. Auch die Hausherrin scheint zu ihrer Tagesarbeit
entschwunden zu sein. Auf dem Tresen in der Diele steht noch die
fettige - aber nun kalt erstarrte - Suppe von gestern, dazu ein
undefinierbarer gelber Brei, Hirse- oder Maisbrei? Da verzichte ich
irgendwie auf ein mögliches Frühstück, bezahlt hatte ich ja schon
gestern. Unbemerkt kann man aufbrechen und ich weiß, damit bin ich
nicht der höflichste Gast dieser Herberge gewesen. Ihr mögt es besser
machen, wenn ihr denn mal dort einkehrt.
Wir fahren nun in dem weiten Tal noch ein wenig an der Theiss entlang,
die hier die Grenze zur Ukraine bildet. Von dort grüße der eine oder
andere graue Fabrikschlot. Es folgt der größere Ort Sighetu Marmatiei. Laut
Reiseführer Rumänien (Marco Polo), gibt es hier ein ehemaliges
Gefängnis
aus den Zeiten von Maria Theresia, das hat grausige Zeiten bis zum Ende
des Sozialismus erlebt. Heute ist das Gebäude ein Museum, gut
restauriert und von außen gar nicht so grausig. Da es noch nicht
geöffnet hat, tut es meinem Vorankommen keinen Abbruch.
Zwischendurch die Bemerkung, dass in diesem Bericht die
historischen Hintergründe sicher etwas zu kurz kommen. Wer daran mehr
interessiert ist, mag bessere Quellen finden. Es gibt einen Autor von
Reiseberichten, der eröffnet den Besuch eines jeden Ortes mit den
Worten: "erst mals urkundlich
erwähnt...". Die dazu notwendigen Informationen entnimmt man
entweder den örtlichen Informationsunterlagen oder in Zeiten des
Internet googelt man das aus. Hier und im folgenden stehen die
Erlebnisse im Vordergrund, die auch schon mal in ein Abenteuer ausarten
können - wir werden ja sehen!
Von Sighetu Marmatiei hat man zwei Möglichkeiten, die Maramures zu
erkunden. Die Hauptstraße führt entlang des Flusses Viseu. Die kleinere
Straße führt durch das Iza-Tal
und ist auch von "Rumänien per Rad" so
empfohlen (Route 1). Und ich muss schon sagen, das ist die
"Königsetappe", was die Mannigfaltigkeit der Beobachtungen angeht. Hier
erlebt man all das, was man so an Klischees im Hinterkopf mitgebracht
haben mag. Das ganze ist wie ein Freilichtmuseum einschließlich der
Bewohner. Die arbeiten auf den Feldern in reiner Handarbeit, die Wiesen
werden mit der Sense gemäht, das Heu mit der Heugabel gewendet und
schließlich per Pferde- oder Rindergespann abtransportiert. Nach einem
Foto bekreuzigt sich die Führerin eines solchen Gespanns allerdings.
Auf
den Feldern für Kartoffeln und anderen Hackfrüchten wird das Unkraut
mit
Hacken entfernt. So herrscht ein munteres Treiben, auch auf der Straße,
wo die Einwohner zu Fuß oder auf Fahrrädern ihren Feldern zustreben.
Wenn einer eine Sense geschultert hat, heißt es Abstand halten. Denken
wir uns mal zurück in eigene Erinnerungen, so muss man schon in das
"erste Leben" abtauchen, als wir in den 50er Jahren einen Teil der
Kindheit in Südhorsten, Kreis Schaumburg-Lippe, verlebten. Damals
arbeiteten die Landfrauen auch noch auf den Feldern, Rübenverziehen
u.dgl. Als dann die Trecker und Landmaschinen aufkamen, war es damit
vorbei.
Die Menschen in diesem Tal leben teilweise offensichtlich von der
Selbstversorgung. Einmal werde ich durch Zeichen - wenn ich sie richtig
verstehe - aufgefordert, doch lieber zu helfen, als da so nutzlos in
der Gegend rumzufahren. Das gibt einem schon zu denken, fährt man da
vollgestopft mit Lei-Millionen und blanken EUROS im Brustbeutel in der
Gegen herum? Und hier muss man schwer arbeiten, um seinen
Lebensunterhalt zu sichern?
Aber auch für die Kultur hat man noch etwas übrig: es gibt hier die
berühmten Holztore mit kunstvollen Schnitzereien, vielleicht das
Ergebnis langer Winterzeiten. Von malerischen Kirchen mit ihren spitzen
Türmen z.B. in Barsana) gar
nicht zu reden. Der Fluss Iza wird zuweilen
von abenteuerlichen Hängebrücken überquert, ein Radfahrer macht es vor
- schiebenderweise. Aber ich muss da nicht hinüber, ich bleibe auf der
Straße, die hier übrigens in bemerkenswert gutem Zustand ist.
Lasst uns noch die Schafherde passieren, wo die weißen Hirtenhunde das
Geschäft besorgen, die Schafhirten dagegen mit kunstvollen Pfiffen die
Sache dirigieren. An einem Rastplatz trollt eine Frau herbei und hockt
sich an den Bach, um Wäsche und Schuhe zu waschen. In ihrem Eifer
bekommt
sie es nicht mit, dass ein Foto "aus der Hüfte" geschossen wird. Und
dann noch ein "Preisfoto", das die Stimmung perfekt wiedergibt: Zwei
Frauen linsen durch eine Zaunspalte, um einen Schnack zu machen. Vor
jedem Haus steht ohnehin eine Bank, auf der ältere nicht mehr
arbeitsfähige Einwohner am Straßenleben teilhaben.
Dann raste ich in dem Ort Salistea
de Sus. Da gibt es eine Schule und die ist gerade aus. Ich labe
mich an einer Banane. Da kommt ein Knabe zögerlich herbei, ob man
englisch sprechen würde - das würden sie in der Schule lernen. "So we
can talk and you will know, why you learn Englisch" sage ich zu ihm und
er freut sich. Da steht aber auch schon der Rest der Schülerschaft um
mich herum. Dass man aus Deutschland mit dem Fahrrad angereist ist -
das können sie kaum verstehen. Abschließend frage ich, ob ich ein Foto
machen soll, und ehe ich die Kamera ausgepackt habe, steht die ganze
Korona aufgebaut wie zu einem Klasssenfoto da. Und es wird ein gutes
Foto, das man sich alle gleich mal auf dem Sichtfenster (Display)
anschauen können.
Damit sind wir am Ende dieses schönen - ich sage mal, in Europa
einzigartigen - Tals angelangt an einem Ort namens Sacel. Von dort muss
man noch ein wenig klettern um in das o.g. Paralleltal mit der
Hauptstraße 18 zu gelangen.
Hier liegt ganz in der Nähe jenes "Wassertal" ( Viseu de Sus)
mit der abenteuerlichen Schmalspurbahn - hallo Terje! Ich bin dagegen
nicht so ein ausgefuchster Eisenbahnfan und habe diese Attraktion mal
wieder nicht auf dem Programm.
Die Restrecke nach Borsa -
dem Tagesziel - ist dann auch nicht mehr so
erbauend, zum Schluss Betonpiste mit handbreiten Zwischenfugen. Auch
der Ort Borsa ist nicht ganz das, was man sich hier erwartet hat, in
der Gegend des höchsten Gipfels dieser Karpatenregion, dem Pietrosul, 2302 m. In einer
Seitenstraße findet sich eine Pension mit angeschlossener Pizzeria,
dort kann man ein Zimmer bekommen (10 EUR), das allerdings das bisher
und weiterhin armseligste ist. Das Fenster des winzigen Zimmers geht
nur auf einen horizontalen Lichtschacht hinaus, der zwar begehbar ist,
aber an seinem Ende auch nur einen zweifelhaften Ausblick auf
Wohnblocks oder einen vermüllten Fluss bietet. Unten auf dem Platz ist
ein Trödelmarkt und ein paar arme Hunde fristen dort ihr Dasein. Einer
ist wohl krank, dem hängt irgendwie hinten was raus. Er hat sich aber
eine für ihn passende Pappkiste organisiert, in die er jedesmal mühsam
wieder hinein klettert, nachdem er - ängstlich wie er ist - vor jedem
vorbeilaufenden Passanten das Weite suchen muss.
Auf der Suche nach einer Verpflegungsmöglichkeit gerate ich in ein
eigenartiges Etablissement "Restaurantul
Perla Maramuresului, Motel". Von außen eine Mischung zwischen
China und Mexiko. Da kann man sich nicht enthalten, dort einzukehren,
es gibt auch ein annehmbares Schweinekottelett und die zwei Biere sind
auch nicht schlecht. Und die bedienende Dame macht am Schluss nach
einem wirklich kleinen Trinkgeld noch einen schönen Spruch: "When you
come back I waiting for you". Sollte man sich das merken?
Das erste mal benutze ich hier meinen Leinenschafsack.
16 Freitag, 3.6., Vatra Dornei, 92 km
Frühstück gibt es in dieser Unterkunft natürlich nicht, obwohl heute
ein richtiger Karpatenpass, Prislop
1416 m, auf einen wartet. Und
weiterhin diese leidige Betonpiste, immer bergauf. Schon bald merke
ich, dass auf nüchternen Magen dazu die Kräfte nicht reichen werden.
Die ersten Magazin Mixt - wie es hier heißt - haben aber schon früh um
7 Uhr geöffnet, sodass man mit Bananen, Keksen und Kuchen das Frühstück
ersetzen kann. Oberhalb der Stadt Borsa hat man in einem grünen Tal,
hier sieht es aus wie im Allgäu, wohl ein Touristenzentrum in Arbeit,
jedenfalls wird viel gebaut. Aber im wesentlichen der Landschaft
angepasst, keine Hotelkästen oder dergleichen.
Danach wird man in die Botanik entlassen. Es fahren kaum Autos, bis auf
einige Fahrzeuge mit offener Ladefläche, die transportieren Kühe. Da
handelt es sich um eine Art Almauftrieb - wie wir sehen werden.
Zunächst geht es stetig bergauf im grünen Wald, die hoch oben
brummenden Fahrzeuge zeigen an, dass man noch eine ganze Weile zu
klettern hat. Also mal eine Rast an einem Bächlein, da kommen auch
schon zwei klapperige Autos der Marke Dacia daher und halten an. Mich
bemerkt man gar nicht - sie haben eine Panne. Den zwei Autos entsteigen
drei Männer, drei Frauen und drei Kinder. An den bunten Gewändern der
Frauen errät man sogleich, mit welcher Volksgruppe wir es hier zu tun
haben. Ein Foto aus der Hüfte? Ich breche es ab, die Männer schauen
herüber.
Im Rumänienführer ist zu lesen, dass man auf keinen Fall
Zigeuner fotografieren sollte - aber das habe ich , glaube ich - schon
weiter oben geschrieben. Für dieses Mal bin ich vernünftig und kann
unbehelligt weiter ziehen.
Vier Stunden nach dem frühen Aufbruch heute morgen erreiche ich nach 25
km die
Passhöhe. Da wird gerade so ein "Almauftrieb" abgewickelt. Die Kühe
werden über eine Rampe von dem Transportfahrzeug herunter geführt und
streben eilig den saftigen Weiden zu. Ein Hirtenjunge begleitet das
wieder mit jenen melodischen Pfiffen, die o.g. Pirolvögel sind gar
nichts dagegen. Auf der Passhöhe sind etliche Schulklassen einigen
Bussen entstiegen, die machen wohl einen Ausflug. Einer der Busse hat
eine heimatliche Aufschrift: "Ems -
Dollart - Tours, Wessel Gruben". da
fühlt man sich wie zu Hause. Sonst ist auf dieser Passhöhe nicht viel
zu sehen.
Es geht an die Abfahrt in das Tal des Flusses Bistritja, und da ist die
Straße weder steil noch in zu schlechtem Zustand, sodass es einmal ganz
nach Wunsch rollt. Das Tal der Bistritja (Bistritz) gehört nicht zu
den vorgeschlagenen Radrouten - bis auf den oberen Teil -, hätte es
aber verdient, und wir werden ihm nun über 100 km weit folgen. Das
schöne ist, dass es die ganze Zeit leicht bergab gehen wird. Es
herrscht hier schon wieder eine andere Kultur, was die Bauweise der
Häuser angeht. Sie sind häufg verziert durch eine bemalte Querleiste.
Nun fallen einem auch die oftmals kunstvoll gestalteten Brunnen auf, wo
die Wasserversorgung mittels Handrad, Kette und Schöpfeimer vor sich
geht.
Die Straßenverhältnisse bleiben erwartungsgemäß nicht so gut - bald
trifft man auf Arbeitertruppen, die erst große Flächen der
schadhaften Stellen auffräsen und dann wieder verfüllen und neu
asphaltieren. Leider sind diese Reparaturstellen dann aber auch
Stolpersperren. Als Radfahrer hat man den Vorteil, einspurig auf
zwei Rädern ggf. in Schlangenlinien um diese Hindernisse herumkurven zu
können, sofern der Verkehr das zulässt. Die PKWs, auch Trabbis(!)
darunter, und vor allem Busse und Schwerlaster tun sich da schwerer,
die müssen ja immer zwei Spuren optimieren, und da kracht es dann
manchmal schon gewaltig und man fragt sich, wie so manches betagte
Fahrzeug hier nicht in kürzester Zeit verschlissen wird.
Tagesziel sollte der Ort Jacobeni
sein, dessen Entfernung auf jedem
Kilometersteinen dieser Strecke als verheißendes Ziel angekündigt ist.
Die
Kilometersteine in Rumänien sind sehr informativ. In beide Richtungen
werden die nächsten Ortschaften angekündigt und oben drüber der Ort,
der am Ende der jeweiligen Verbindungsstraße liegt. Und das ist eben
hier, wie erwähnt, Jacobeni. Leider ist dieser Ort eine Enttäuschung.
Eine Unterkunftsmöglichkeit zeigt sich nicht, stattdessen einige
Industrieanlagen. Andererseits ist hier der Ort der Entscheidung: hält
man sich weiter nordöstlich (E576), würde man nach Campulung Moldovenese und bald
danach in das Gebiet der Moldavischen Klöster mit den berühmten
Außenmalereien gelangen. Ich wollte aber nach Siebenbürgen und bleibe
der Bistrijta treu, wo man nach wenigen Kilometern den Touristenort Vatra Dornei erreicht.
Da ist an Hotels kein Mangel, 15 an der Zahl sind auf dem Stadtplan
verzeichnet, aber da bin ich schon im ersten besten - dem besten -
Hotel Carol abgestiegen. Nach
den vergangenen einfachen Quartieren eine
Wohltat und unterm Strich, was den Durchschnitt der Übernachtungskosten
angeht, vertretbar.
Dafür gibt es dort einen Fitnessraum (Folterkammer), die habe ich aber
nicht nötig, oder eine Sauna, die nicht in Betrieb ist, und die habe
ich auch nicht nötig. Nach Duschen und Wäsche machen (das Fahrradtrikot
ist nach einer Stunde trocken, wenn man es ins Fenster hängt) breche
ich auf zu einem denkwürdigen Abendessen. Wie so oft in eine Pizzeria,
da weiß man, was einen erwartet. Weiß ich eben nicht - heute.
Denn ich bestelle eine Pizza GIANT, weil die ja wohl für den Hunger
ausreichen wird. Dafür ist die Wartezeit etwas länger, die nach mir
angekommenen Gäste sind schon am Essen. Und dann kommt der Koffer, der
Tisch muss frei geräumt werden, und da steht nun so ein halber
Quadratmeter Pizza vor mir. Die anderen Gäste gucken verdutzt. Das war
nun nicht zu erwarten gewesen, wie soll man das schaffen?
Das ist mir vor Jahren schon einmal in England (Monmouth)
passiert, wo ich an eine "Familienpizza" geraten war, und ich mit den
Worten verabschiedet wurde: "He must be hungry, I thought".
Es ist mir peinlich, dass mir das in diesem Land passiert, wo so viele
Menschen nur für ihre leibliche Versorgung von morgens bis abends
arbeiten müssen. Nun mache ich mich ans Werk und schaffe gerade etwas
mehr als die Hälfte, wobei die Randteile auch noch ausgespart werden.
Die Bedienung fragt dann auch ganz höflich "Shall I pack it?" Ich
verstehe nur "Baghuette" und lehne dankend ab. Und doch erscheint sie
wieder mit einem Pappkarton, aber was soll ich mit dem, der passt nicht
in die Packtaschen, höchstens hochkant. Und morgen früh ist ein
Frühstücksbuffet zu erwarten, da kann man auch nicht den ganzen Abend
an einer Pizza rumkauen. Ich zahle (11 EUR mit Bier) und mache mich mit
meinem geschwollenem Bauch aus dem Staube.
Weit komme ich damit nicht, in einem Internetcafe kann ich noch allen,
die
es interessiert, mitteilen, wie gut es mir geht. Und dass Rumänien gar
nicht so rückständig ist, wie man immer denkt. Das ist nun reiner
Sarkasmus - leider.
17 Samstag, 4.6., Bicaz, 132 km
Nach dem Frühstück, von dem ich mir mehr versprochen hatte, geht es bei
bestem Wetter und prima Straße weiter in besagtem Tal hinunter. Das ist
reines Genussradeln in wunderschöner Landschaft und urigen Dörfern.
Doch man muss auch mal eine Rast einlegen. Dazu eignen sich hier immer
sehr gut die kleinen Mäuerchen, die sich an Querbächen befinden, die
sind kniehoch und man kann da prima drauf sitzen. Da kommt ein fideler
Bursche heran geschlendert, begrüßt mich mit Handschlag und setzt
sich daneben. Viel hat er zu erzählen, leider kann ich zwar alles prima
finden, mehr aber auch nicht. Dann mache ich klar, dass es weiter geht
-
als ob wir uns nun schon eine Ewigkeit kennen würden, endet das mit
einer Umarmung und er ruft mir in voller Lautstärke ins Ohr: "Drum
Bull". Später entnehme ich einem Reisemagazin: "Drum Bun" und das heißt
gute Reise. Also das war ja ein echter Kumpel! Dafür gibt es auch ein
Foto nach bewährtem Muster: voraus fahren, Zoom rein, aus der Hüfte
geknipst und dann ab die Post. Mein Kumpel hat wohl nichts dagegen und
winkt fröhlich. Wir werden in dieser Sache heute noch ein anderes
Erlebnis haben.
Nun kann ich z.B. einen Angler ablichten, der steht mitten im Wasser
und merkt nichts davon. Oder eine Graugans, der das auch nichts
ausmacht. So geht diese Teilstrecke (87 km) auf angenehmste Weise unter
den Rädern weg. Dann wird der Stausee Lacul
Izvorul Muntelui erreicht. Ich hatte schon davon gelesen, hier
dümpeln entsorgte Plastikflaschen auf dem Wasser, aber das auch nur an
einer Stelle. Trotzdem müsste das nicht sein! Genau hir gibt es auch
ein Hotel mit Restaurant, Parkplatz usw. Nun beginnt eine
Panoramastraße, die meistens hoch oben über dem See dahin führt und
wunderschöne Ausblicke bietet. Das ist einigermaßen "sportlich"
denn bei einigen Zuflüssen muss man immer wieder hinunter auf das
Niveau des Sees. In dem Ort Hangu
gibt es laut Ausschilderung eine "Pension Intim", nicht
dass da irgendwer etwas falsch versteht!
Nun steht mir das zweifelhafteste Abenteuer dieser Reise bevor.
Voraus zieht ein Treck meiner geliebten Zigeuner des Weges. Das sind
zwei Pferdchenwagen mit Kindern und habseligem Gepäck. Zwei bunte
Frauen verschwinden gerade im Gebüsch, da schaut man lieber in eine
andere Richtung. Als ich an dem Treck vorbei fahren will, läuft ein
Busche neben mit her und bettelt aggressiv um etwas Essbares. Hätte ich
doch die Pizzareste von gestern mitführen sollen? Aber anhalten ist
besser nicht angesagt, schon gar nicht würde ich eine Tasche öffnen. Da
es bergauf geht, kann ich mit einem kurzen Antritt der Geschichte
entfliehen.
An der nächsten Kurve sticht mich der Hafer. Wie wäre es nun mit dem
längst überfälligen Foto? Das hätte ich lieber lassen sollen! Erstens:
das Foto verwackelt, weil die Truppe noch zu weit weg ist. Zweitens:
sie haben das wohl bemerkt und drittens: plötzlich trabt das Pferdchen
an und in unerwarteter Geschwindigkeit hinter mir her. Und kommt mit
Galopp unter Pfiffen und Rufen immer näher? Nun könnt ihr einen
erleben, der mehr Angst als Vaterlandsliebe entwickelt. Volle Pulle den
Berg hinauf, das Herz rast. Und eine Weile kommt das Getrappel immer
noch näher? Das Geräusch werde ich nie wieder vergessen! Nach zwei
Kurven ist es überstanden, ein paar sicher nicht einladende Rufe werden
mir hinterher gesandt und ich fahre mit unvermindertem Tempo weiter
bergan, die Steigung will und will nicht enden. Was hätten die mit mir
gemacht, wenn sie mich mit der Peitsche oder so eingefangen hätten?
Vielleicht haben sie auch nur ein lustigen Wettrennen machen wollen?
Glaube ich aber weniger!
Jede Steigung endet einmal, und bergab werde ich ja wohl den
notwendigen "Sicherheitsabstand" zusammen fahren. Und nun ärgere ich
mich mächtig über mich selber, wie kann man sich in so eine Situation
bringen? Das wird mir nicht noch einmal passieren, und ich meine, das
sollten auch alle beherzigen, die ähnliches zu unternehmen gedenken.
Die Reststrecke bis Bicaz (20
km) wird selbstredend ohne weiteren
Aufenthalt und in zügigem Tempo absolviert. Die Straße führt sogar über
die Staumauer, die den Lacul Izvorul Muntelui abschließt. Dann geht es
schnell bergab und wir erreichen den Ort Bicaz. Der liegt zwar im
schönsten Sonnenlicht da, ist aber ansonsten eine Enttäuschung, nachdem
man auf so etwas wie gestern (Vatra Dornei) gehofft hatte. Ein paar
unansehnliche Wohnblocks, das ist schon alles. Ich frage ein paar Leute
nach einem Hotel, die wollen mich zur Staumauer zurückschicken, da gebe
es eins. Da müsste man ja alles wieder zurück fahren und bergauf? Nein
- es gibt auch ein Motel hier, mit Restaurant und Bar und
Aussichtsterrasse. Da komme ich unter und werde in ein einfaches Zimmer
einquartiert, ein großer Schäferhund bewacht das Anwesen, aber der ist
friedlich und nett. Meinen Ausweis muss ich abgeben.
Auf der Freiterrasse mit schöner Aussicht kann man dann auch sein
Abendessen einnehmen,
leider ist die Speisekarte nur in Rumänisch. Auf der Speisekarte wähle
ich das erste Gericht der Fischkategorie, das heißt "Pastau Prajata"
und bin gespannt, was da kommen mag. Und es ist - wie erhofft -
tatsächlich eine gebratene Forelle. Nach deren Verzehr noch ein
Rundgang.
Während in dieser Motel-Disco-Bar die Musik an diesem Samstagabend
schon mal lauter gedreht wird, erklingen aus der nahen Kirche pastorale
Gesänge und vom angeschlossenen Friedhof kommt einer mit geschulterter
Schaufel, der ist guter Dinge und wohl zufrieden mit seinem Tagewerk.
Auf einer Bank schläft einer, der hat wohl ein wirksames Schlafmittel
intus. Das wär's dann für heute!
18 Sonntag, 5.6., Niklasmarkt
(Gheorgheni), 58 km
Dieses Motel ist ein 24 h Betrieb, das nennt man "Non Stop"
hierzulande. Trotzdem habe ich gut geschlafen und von irgendwelchem
Rämmidämmi nichts gehört. So versuche ich am Sonntagmorgen gegen 7.00
Uhr ein Frühstück zu bekommen. Die zuständige Dame händigt mir zwar
meinen Ausweis wieder aus, um den ich schon gebangt hatte, setzt sich
aber dann lieber wieder rauchend zu ihren Kumpels. Also mache ich mich
aus dem Staube.
Es stehen heute drei Attraktionen auf dem Programm. Zunächst aber ein
riesiges Betonwerk: Carpat Beton,
offenbar liiert mit Heidelberg Zement
- wie auch immer. Hoffentlich bauen die nicht auch noch die berühmte
Bicaz-Klamm auseinander, die
uns nun erwartet. Zuvor kommen tatsächlich
zwei Radtourer aus Deutschland mit Mountainbikes des Weges. Die sind
das sechste Mal in Rumänien, da kann man denen nichts erzählen. Sie
wollen zu den Moldawischen Klöstern, die mein Programm leider nicht
enthält. Nun geht es durch besagte Klamm, wo die Felsen eng aneinander
rücken und sich steil aufragende Wände beiderseits der Straße
auftürmen. Ob man da hochklettern kann - Freeclimbing und so? Leider
ist kein derartiger Wagehals auszumachen. Stattdessen jede Menge Buden
mitten in der Schlucht. Die bieten von Souvernirs, Töpefereiartikeln,
Häkeldecken bis zu Korbmöbeln allerlei an. Das ist weniger romantisch.
Am Ende der Klamm führen einige enge Serpentinen hinaus, bis man den
Roten See (Lacu Rosu) erreicht. Das ist ein Touristenzentrum mit allem,
was dazu gehört. Die Besonderheit dieses Sees besteht darin, dass dort
einige Baumreste aus dem Wasserspiegel ragen. Es hat im Jahre 1838 ein
Erdrutsch stattgefunden und der dabei vernichtete Wald zeigt sich heute
eben auf diese Weise, das Holz soll inzwischen versteinert sein.
Damit befinden wir uns am Anstieg zu dem Pangarati Pass, 1256 m. Wie so oft
bei Anstiegen schaut man sich da mal die Blumen an, und neben dem
gefleckten Knabenkraut entdeckt man auch eine wildwachsende blaue
Akelei. So ist der Anstieg nicht so langweilig, die Passhöhe bietet
nichts besonderes. Vorbei an Familie und Gesellschaften, die sich in
der schönen Natur gelagert haben und Picknick- oder Grillaktivitäten
entwickeln, sind wir schnell in Gheorgheni
oder Niklasmarkt. Und hier
ist mal wieder ein Hotel nach Wunsch, direkt am zentralen Platz Pta Libertati,
das heißt Hotel Rubin. Und
diesen
Nachmittag kann ich "abhängen", bin ich nun wirklich in Siebenbürgen
angelangt? Ich hänge also eine Weile im Park herum, fotografiere
Menschen aus der Hüfte, und mehr ist dann für heut nicht zu tun. Mit
gegrillter Leber - lecker - wird der Fahrradtank aufgefüllt, und im
Fernsehen
gibt es Boxen.
Ein Anruf zu Hause: da verpasse man nichts, es sei kalt und regne
andauernd. Hier geht aber auch gerade ein Gewitterguss nieder, aber
bisher kann ich mich ja nicht beklagen.
19 Montag, 6.6., Schässburg
(Sighisoara), 112 km
Es gibt ein gutes "Früschtück" - so steht es auf der
Speisekarte. Heute fahren wir wieder auf der Radstrecke Nr. 2, die
durch eine einsame Waldgegend führt. Zunächst muss man noch einen
kleinen Pass bewältigen, der heißt P.
Sicas und ist 1000 m hoch. Pech
ist nur, dass man etwa auf Passhöhe sozusagen durch einen Steinbruch
führt und ab da die Strecke auf 40 km Länge nicht mehr befestigt ist.
Das bedeutet ein Schlagloch nach dem anderen, die so dicht liegen, dass
sie nicht umfahren werden können. Dafür herrscht hier kein Verkehr, man
wird wissen warum. Der anfängliche Nieselregen wächst sich nun auch
noch zu einem regelrechten Regen aus, da sind die Schlaglöcher
natürlich mit Wasser gefüllt und man könnte deren Tiefe nur durch Loten
ermitteln. Da müsste man allerdings oft absteigen. Doch das muss ich
nun doch, denn ein paar Waldarbeiter ziehen gerade mit einer
Zugmaschine und Seilwinde Baumstämme quer über die Straße. Als sie eine
Pause machen, kann ich das Fahrrad hinüberwuchten und schlage dabei mit
dem Schienbein an. Bei der nächsten Rast ist festzustellen, da ist Blut
geflossen, aber es ist nicht weiter schlimm.
Die einzig mögliche Fahrweise auf dieser Strecke ist die, sich
möglichst eng an die Grasnarbe am Rand der Straße zu halten. Oftmals
auch nur auf der linken Seite, aber das spielt hier keinerlei Rolle.
Vorteilhaft ist allerdings, dass man bei etwas Gefälle kaum zu treten
hat. Was wäre das für ein Genuss, hier bei gutem Wetter und guter
Straße hinunter zu fahren. Die Landschaft ist nämlich wunderschön,
immer durch Wälder, ab und zu eine verschlafene Ortschaft. Wir
erreichen schließlich einen Stausee, danach ist die Straße wenigstens
befestigt, wenn auch weiterhin ziemlich holperig. In einer Ortschaft
sehe ich eine Kreatur, wie ich sie noch nie zu Gesicht bekommen habe.
Ist das ein Schaf? Nein, es ist wohl ein Hund, der noch nie beim
Friseur war. An dem hängen halbmeterlange Zotteln herunter und vorn und
hinten kann man nur an der Richtung des Ganges unterscheiden. Leider
ruht der Fotoapparat in der Gepäcktasche.
So kommen wir endlich in eine Stadt, die drei Namen hat. Der erste ist
wohl der rumänische, der zweite ungarisch, da hier auch viele Ungarn
siedeln bzw. gesiedelt haben. Der dritte ist der deutsche Name. Wie wir
wissen, hat das Land Siebenbürgen 700 Jahre lang eine deutsche Kultur
geprägt. Und die letzten 15 Jahre nach dem Ende des Sozialismus haben
genügt, dieser langen Tradition ein Ende zu machen. Da sind sie alle in
den "goldenen Westen" abgewandert. Schade eigentlich, denn dieses Land
ist so schön.
Ach ja, damit man mal wieder seine Sprachfähigkeiten probieren kann,
die Stadt heißt Odoheiu Secuiesc
oder Szekelyudvarhely oder Oderhellen. Sonst kann ich da
nichts berichten, denn man steht nur wie ein begossener Pudel herum.
Von dort geht es immer an dem Fluss Tarnava
Mare entlang. Der führt
heute bei dem Regen einige Wassermassen zu Tale. Einmal mache ich auf
einer Brücke halt, doch als zwei Lastautos gleichzeitig über diese
rattern, wird einem das Erzittern der Brücke zu bedenklich. Anscheinend
hält sie es aber aus.
Wir durchfahren noch die Stadt Kreutz,
da sehe ich auch nichts
bemerkenswertes. Nach schnurgerader Strecke und weiterem Geholper stößt
man dann endlich auf die E60, wo man mal wieder daran erinnert wird,
was eigentlich eine Straße ist. So ist man am Schluss dann doch schnell
in Schässburg. Diese Stadt
empfängt einen mit unschönen Wohnblocks aus
der Ceaucescu-Zeit, aber das ist in diesem Land bei fast allen Städten
so, mögen sie in ihrem Kern noch so schön oder gar Weltkulturerbe sein.
So muss ich bei dem ersten Foto der Stadtkulisse die Kamera hoch genug
halten, um den ringsumher brausenden Verkehr auf der Europastraße nicht
mit in das Bild zu bekommen. In der Hautgeschäftsstraße wird es dann
ruhiger. Die heißt übrigens Str. H.
Oberth, weil jener Weltraumpionier
hier seine Schulzeit verbracht hat. Deswegen hat man es in der
Raumfahrt wohl so weit gebracht...
Ich bin auf der Suche nach einem Hotel, die gibt es hier zahlreich. Ein
Mann spricht mich an, dem wohl mein Gepäck und der sich unschlüssig
drehende Kopf aufgefallen ist. Der will mich gleich vermitteln oder
einladen, aber wir können uns nicht verständigen, in Ungarisch
vielleicht? Habe ich leider mit Frau Josefne (s.o. in Tokaj) auch schon
vergeblich versucht. So zockele ich weiter die Straße entlang und finde
genau, was ich suche: Hotel Claudiu,
und dort buche ich für zwei
Übernachtungen, es muss mal ein Ruhetag eingelegt werden, noch dazu in
dieser schönen Stadt, die eines der Ziele dieser Reise ist. Als ich das
Zimmer betrete, muss ich gleich ein Foto machen, ehe das ganze Gerödel
aus den Packtaschen die Szene verunziert. Hier stimmt alles, vom
Zahnputzbecher bis zur Minibar. Da kostet übrigens eine Flasche Wodka 3
EUR, aber da lasse ich die Finger davon. Eine Flasche Bier kostet 1.50
EUR, da sollten sich die "westlichen" Hotels mal ein Beispiel nehmen.
Dort benutzt man die Minibar nämlich meistens nur als Kühlschrank für
Getränke aus dem Supermarkt. Auch der Ausblick ist interessant, zwar
nicht über die Dächer der Stadt, aber auf einen Hinterhof mit einer
interessanten Konstruktion von - sagen wir mal - kommunizierenden
Regenrinnen.
Danach lande ich wieder in einer Pizzeria und gehe noch einmal um den
Stundturm, dem Wahrzeichen Schässburgs. Eine gründlichere Besichtigung
hebe ich mir für morgen auf, da werde ich genügend Zeit haben.
20 Dienstag, 7.6., Schässburg
Hier gibt es sogar ein Frühstücksbuffet und die Rezeptionsdame
kommt extra mit hinunter in das Restaurant, um mein Treiben diskret
hinter der Bar zu überwachen. Danach begebe ich mich in einen
Internetladen, denn wir verpassen nichts - es regnet leicht. Nun kann
ich endlich die zahlreichen Spam-Mails löschen und Grüße an zu Hause,
Freunde und (ehemalige) Kollegen schicken.
Im Laufe des Tages klart es auf und der fällige Rundgang kann
stattfinden. Hinter dem Stundturm ist ein kleiner Platz mit
Souvernirbuden. Da steht auch das Dracula-Haus. Die omnipräsente
Legende um Dracula hängt mir allerdings zum Hals raus, deswegen bin ich
nun wirklich nicht hier. Also links ab und bergauf, da steht man schon
vor dem "Schülergang", das ist eine überdachte Treppe hinauf zu der
"Deutschen Bergschule". Für heute ist der Gang gesperrt, da finden
Filmaufnahmen mit einer Theatergruppe statt. Also muss man außen rum
und gerät dabei auf den Bergfriedhof,
der einer der schönsten
Siebenbürgens sein soll. Wahrhaftig haben die hier ruhenden (alles
deutsche Namen) eine schöne Aussicht. Aber ihre Hinterbliebenen werden
wohl inzwischen in deutschen Landen weilen?
Dann geht es in die Bergkirche,
da muss ein geringes Eintrittsgeld
gezahlt werden. Fotografieren ist aber nicht erlaubt. Das wohl, weil
man
lieber die Ansichtskarten verkauft, und unsere fernöstlichen Freunde,
die hier auch schon hergefunden haben, bedienen sich auch eifrig. So
müsste man sich hinsetzen und aufschreiben, was man so sieht. Oder
abschreiben, denn man kommt ein Blättchen mit Informationen mit auf den
Weg, muss es hinterher aber wieder abgeben. Belassen wir es einmal mit
einer Sammlung kostbaren Truhen (Henndorfer Truhen und so...), die man
aus dem ganzen Lande zusammengetragen hat und hier ausstellt, nachdem
sie z.T. mit Hilfe von Exkursionsgruppen aus Deutschland (Hildesheim)
restauriert
worden sind.
Nun aber zum Stundturm, den muss man ja bestiegen haben. Auch das ist
nicht umsonst, aber es gibt ein Vergünstigungsticket für "Foreigners",
damit kann man auch die angeschlossenen Museumsräume besichtigen. Ein
Raum ist jenem legendären Herrmann Oberth gewidmet, wie er an allerlei
Raketen gebosselt hat. Auch in Peenemünde war man - wie wir wissen -
mit nicht ganz so hehren Zielen zugange. In einem anderen Raum ist ein
interessantes Modell der mittelalterlichen Stadt zu sehen. Die Stadt
ist von einer Befestigungsmauer mit etlichen Wehrtürmen umgeben und
befindet sich eben auf diesem Berg. So viel scheint sich seit früheren
Zeiten nicht verändert zu haben - deswegen Weltkulturerbe. Beim
weiteren Aufstieg sieht man einmal das Uhrwerk der Turmuhr, sowie die
hölzernen Figuren, die Stunden und Wochentage anzeigen. Die haben ein
"Hohlkreuz", soll heißen, sie sind hinten ausgehöhlt, vielleicht um
Gewicht einzusparen?
Nun hat man aber eine tolle Aussicht über die alten Dächer, das
ist schon eine recht verwinkelte Sache dort unten. Zum Abschluss ein
Blick in die Folterkammer, da werden auf Schautafeln "technische
Zeichnungen" jener Zeit erläutert. Streckbank, Fingerquetsche,
Stachelwalzen, alles da, auch den Galgen hat man nicht vergessen, mit
dem
dann wohl die Folterqualen abgeschlossen wurden. Da haben die Menschen
jener Zeit Heiligtümer und zeitlose Kunstwerke geschaffen, und dann
so was?
Damit sind wir wieder unter den Lebenden, es gibt noch ein Omelett mit
Käse. Schließlich klingt dieser Tag in Schässburg aus und man darf
schon
wieder weiter planen.
21 Mittwoch, 8.6., Fagaras, 90 km
Nach dem Frühstück (unter Aufsicht) kann es wieder losgehen, doch mit
der Visacard auschecken kann man nicht, der Apparat ist kaputt (33 EUR
pro Nacht mit Frühstück). Da muss der Bankomat noch einmal mit ein paar
Millionen aushelfen. Heute wollen wir einige der legendären
Kirchenburgen sehen. Die lassen nicht lange auf sich warten. Wir sind
auf der Landstraße 106 (Radroute 8) unterwegs, und die ist in einem
sehr guten Zustand. Das Wetter ist noch etwas dunstig, die Bergkämme
hängen in den Wolken bzw. umgekehrt. Wir kommen in den Ort Apold, da
liegt ein Hund selig schlummernd am Straßenrand und eine Katze ihm
gleichtuend oben drauf. Das hätte die mal bei unserem Hund Otto
(Beagle) versuchen sollen. Und da ist sie, die erste Kirchenburg in
Apold oder Trappold. Leider ist sie nicht im besten Zustand.
Ich habe mitunter ein kleines Problem, im Nachhinein die Bilder
den richtigen Orten zuzuordnen. Das ließe sich vermeiden, indem man
unterwegs die Angelegenheiten notiert. Aber man ist ja kein Bürokrat,
außerdem stets sicher, dass man die Dinge später auf Reihe bekommt. Dem
ist leider nicht so. Aber von der Kirchenburg in Apold findet sich ein
Bild im Internet - besser als meines und bei Sonnenschein.
Wenn man ein Stück weiter gefahren ist, lohnt sich noch einmal ein
Blick zurück, wie diese Kirche mit den Wehrtürmen über dem Ort thront.
Der nächste "urige" Ort ist nach einer kleinen Bergüberschreitung
Bradeni, Henndorf, auch dort
eine Kirchenburg und ein See. Dann geht es
schnurgerade nach Agnita, Agnethen.
In den Ort muss man einen Abstecher
machen, weil die weitere Straße schon vorher abzweigt. Aber es lohnt
sich. Hier gibt es eine gut erhaltene Kirchenburg. Danach wird die
Strecke immer schöner und die Orte auch. In Gross-Schenk gibt es eine
herkömmliche Kirche mit spitzem Turm, in Klein-Schenk dagegen wieder
eine Kirchenburg - wenn es denn nun schon interessiert. Einem Storch
begegne
ich noch, er auf der Wiese, ich allerdings nicht. Der schlingt
tatsächlich gerade was runter, einen Frosch oder eine Maus? Er verrät
es nicht und wendet sich weiteren Beuteopfern zu. Die Jungen im Nest,
falls es sie schon gibt, mögen es ihm danken, wenn er dann alles wieder
rauswürgt.
Nun schlagen wir das Bilderbuch für heute zu, indem wir für die letzten
Kilometer auf die Hauptstraße mit der fatalen Nummer 1 oder E 68
einbiegen. Machen wir noch die Beobachtung, dass die Fenster der Häuser
zur Straße hin hermetisch durch Rollläden verschlossen sind, sind sie
unbewohnt oder blüht ein Leben dahinter? Mit Hunden, Hühnern und
Gänsen? Wir wollen es hoffen. Schnurgerade geht es nach Fagaras mit
reichlich Verkehr, da ist man froh, wenn man ankommt.
Die übliche Suche nach einem Hotel endet in einer Seitenstraße an der
Pension Flora (22 EUR), wo man
mal wieder ein ausgewachsenes Wohnzimmer
beziehen kann. "Deutsch, Stuttgart, München" werde ich begrüßt. Und
einen Kaffee bringt man sogleich: "Kaffee nix kosten". Die Stadt ist
nicht so anheimelnd, da ist die Durchgangsstraße verkehrsreich und
vierspurig, gesäumt von den üblichen Wohnblocks. Eine Art Wasserburg
gibt es auch, die passt hier irgendwie nicht hin, war aber sicher
früher da als das Drumherum. Nach einigem Suchen finde ich tatsächlich
ein sehr nettes Lokal, dazu muss man nur ein Gebäude durchqueren, an
dem "Fast Food" ausgeschildert ist. Das ganze nennt sich dann Crama Bulevard und bietet auf der
Rückseite eine Freiluftterrasse und eine Kellertaverne. Ich verziehe
mich in den Keller, an der Luft war man ja den ganzen Tag, außerdem ist
es wieder etwas regnerisch. Ich genehmige mir wieder - entschuldigt
meinen Abwechslungsreichtum - eine Forelle, dazu heute mal, weil man
hier so nett sitzt, drei
Bier, alles zusammen 8 EUR. Der junge Mann, womöglich heißt er ADI, wie
es auf seinem T-Shirt angeheftet ist, bringt sogar noch Zahnstocher
vorbei - als ob er hellsehen könnte!
22 Donnerstag, 9.6., Brasov
(Kronstadt), 83 km
Es wird die letzte Etappe werden - leider - aber die Stadt Brasov hatte
ich als Endstation ausersehen, und von dort soll es einen Nachtzug nach
Wien geben. Zunächst ein ordentliches Frühstück in der Pension Flora,
dann hinaus in den Sonnenschein, der allerdings einen ordentlichen
Gegenwind aus Richtung Osten mit sich bringt. Da sind die ersten 14 km
bis Sercaia bei gefährlichem
Verkehr eine lange Strecke. Und alles schnurgeradeaus. Zur rechten
liegt die beeindruckende Kulisse des Fagaras-Gebirges
mit bis zu 2500 m
hohen Gipfeln wohl der höchste Gebirgsteil der Karpaten. Sieht ganz
ähnlich aus wie die Hohe Tatra oder die Alpen bei Föhn. Darauf kann man
sein Augenmerk nur schwerlich richten, wenn einen gerade ein
Schwerlaster mit null Seitenabstand bei Gegenverkehr überholt.
Endlich kann man abbiegen auf die Straße 73 A (Radroute 3), die durch
das Sinca-Tal hinauf führt. Das ist nun noch einmal eine Traumstrecke,
gute Straße (zunächst) durch ein waldreiches Tal, das schließlich immer
enger und verwunschener wird, und man fragt sich, wie man da wohl
wieder raus kommt. An den steilen Hängen hat man kleine Äckerchen
angelegt, mit Kartoffeln und was man sonst so braucht. Im letzten Ort
versammelt man sich wohl gerade zu einer Beerdigung, jedenfalls sind
Einwohner mit Kränzen unterwegs. Ein anderer Einwohner dagegen wäscht
gerade seine Hemden im Bach.
Aus dem Tal geht es raus wie immer: über eine Steigung. Vor mir schiebt
einer mit dem Moped rechts in den Wald, der kennt wohl eine Abkürzung.
Das stimmt, denn als ich die Passhöhe erreiche kommt er gerade aus den
Büschen raus, trotzdem hat er länger gebraucht als ich. Er fährt dann
im Leerlauf die Abfahrt runter, die nun leider wegen der ungenießbaren
Oberfläche eben kein Genuss ist. An der nächsten Tankstelle sehe ich
den
Mopedfahrer wieder - aha, der hatte kein Benzin mehr.
Damit sind wir in dem Ort Zarnesti.
Um den zu sehen, muss man wieder
einen Abstecher machen "Centru" ist angesagt. Das kann man aber auch
bleiben lassen, außer man will die hässlichsten Wohnblocks sehen, die
es bisher zu sehen gab. Einige sind wohl nie fertiggestellt worden,
trotzdem leben da Menschen. Es ist alles sehr verwahrlost, im
Hintergrund drohen Industrieanlagen. Auf ein Foto verzichte ich -
nachher kriege ich womöglich wieder die Hucke voll? Doch dann ist da
eine Markthalle, die sieht ganz urig aus. Als ich die Kamera auspacke,
werde ich schon von einem kleinen Jungen angebettelt, und da wird das
mit dem Foto wieder nichts.
Im Internet sieht die Recherche über diesen Ort ganz anders aus:
der eigentliche Ort befindet sich anscheinend hinter diesen
fürchterlichen Blocks und ist ein Zentrum für alle Arten von
Abenteuersportarten zwischen Free Climbing und River Rafting und hat
außerdem noch eine große Geschichte. Damit man hier nicht falsches
verbreitet..., man kann sich ja auch mal irren!
Das Phänomen ist ein anderes - nicht so wichtig für die Stimmungsbilder
der letzten Kilometer - aber für den Radelgenuss: ich habe nun einen
extremen Rückenwind, da kenne sich einer aus. Da kann einen auch keiner
die 5 km seitwärts nach Schloss Bran
locken, was es für mich mit dem
Dracula auf sich hat, habe ich ja schon mit einem Satz abgewürgt. Das
ordnen wir mal in die Kategorie "Disneyland" ein. Sorry!
Lasst uns nach Brasov segeln, vorbei an der Stadt Rosenau mit einer
Burg auf dem Berg. Da muss ich nicht hoch, ich habe ja den Zoom in der
Kamera. Dann kommt man nach Brasov. Und das ist fürchterlich. So einen
Verkehr habe ich auf der ganzen Fahrt und auch sonst noch selten
erlebt. Nun muss man wohl einsehen, dass hier im Karpatenknick etliche
Verkehrsströme zusammen treffen. "Centru" ist angesagt, und da geht es
rechts ab, eine lange Straße rauf und die heißt Str. Lunga. Man kommt auch
direkt an den ersten Hotels am Platze vorbei, dem Aro Palace und dem
Capitol, beide nicht dem
bisher gewohntem Preisniveau gerecht werdend.
In der Touristeninformation zeichnet man mir auf dem Stadtplan einige
Billigpensionen ein, und auf dem Weg dorthin gerate ich an das Hotel
Coroana in der Str. Republicii.
Ja und das ist es doch, das im
Rumänienführer als
Traditionshotel bezeichnet wird und gar nicht so teuer sein soll? Na
ja, 45 EUR kostet es schon, aber dafür ist man am Ende der Reise
angekommen und
nahe dem Zentrum untergebracht. Soviel Luxus muss sein. Das Zimmer ist
auch sehr gut,
nur die Badewanne nicht ganz sauber - sorry. In den beiden Nobelhotels
erkundige ich mich später auch nach dem Zimmerpreis, die kosten 60-90
EUR, nur zur Warnung!
Bevor man sich irgendwie in der schönen Stadt Brasov umschaut, muss die
Angelegenheit mit der Rückreise geklärt werden. In der
Touristeninformation winkt man gleich ab: es sei gerade ein
Eisenbahnerstreik, da ginge gar nichts. Die gleiche Auskunft bekomme
ich an der Rezeption des Hotels. Also auf zum Bahnhof, das sind
allerdings 3 km durch Stadtbereiche, die nicht zu den schönsten von
Brasov gehören. Am Bahnhof (man pumpt gerade den vom vorherigen Regen
überfluteten Vorplatz frei) bekomme ich am Schalter für Auslandsreisen
problemlos ein Ticket nach Wien für den Zug morgen abend. Nur bezahlen
(100 EUR) kann ich nicht, die Lei reichen nicht und die Creditkarten
funktionieren nicht. Also alles wieder zurück, noch mal ein paar
Millionen aus dem Bankomat, das Fahrrad aus dem Hotel geholt, und so
ist der erneute lange Weg zum Bahnhof ein Klacks. Nun kann ich die
Fahrkarte einlösen, eine Fahrradkarte gibt es dagegen nicht.
Für eine Stadtbesichtung bin ich nun nicht mehr geschaffen, ich freue
mich auf das Chinarestaurant an der Piata
Sfatului, das ist in dem
Reiseführer als womöglich bestes Lokal in ganz Rumänien beschrieben?
Als ich eintrete - oh je, kein weiterer Gast - muss ich die
Kellner aufschrecken, die an einem Tisch vor sich hin dösen. Das
Interieur ist allerdings bemerkenswert, zum Glück habe ich die Kamera
dabei und kann unauffällig ein Foto machen. Die Bedienung ist nun sehr
beflissen und ich erhalte ein Entengericht mit Pilzen. Da hat wohl
einer
mit dem Beil die Entenkeule in Stücke gehauen, denn man muss um einige
Knochensplitter herum kauen. Nun gut, man wird satt, das ist
schließlich die Hauptsache.
23 Freitag, 9.6., Brasov
Das Frühstück ist leider nicht das, was man erwarten könnte, es wird in
einem Cafe um die Ecke eingenommen. Nun wollen wir uns endlich den
Sehenswürdigkeiten der Stadt zuwenden. Von dem zentralen Platz Sfatului
war schon die Rede. Da baut man heute morgen die Stände zum Verkauf von
hölzernen oder tönernen Kunstwerken, Souvernirs, Blumen oder Obst auf.
Es gibt zahlreiche Bänke, wo sich die ersten Flanierer in die Sonne
setzen. Ich strebe der "Schwarzen
Kathedrale" zu, die keineswegs
schwarz ist. Ihren Namen hat sie von einem Brand während der Bauzeit
(vor einigen Jahrhunderten), da sei wohl einiges schwarz gewesen. Man
muss ein wenig Eintritt zahlen und nun weiß ich wieder nicht mehr, was
da alles zu sehen war. Nur die Schautafeln über die
Restaurierungsarbeiten (vorher - nachher) - die sich über Jahre
hingezogen haben, sind mir in Erinnerung.
Dann interessiert mich die "Seiler
Gasse", Str. Sforii, das soll eine
der engsten Gassen Europas sein. Da patroulliert auch gerade ein
Uniformierter auf und ab. Die Polizei ist übrigens in dieser Stadt gut
vertreten, so dass man keine Angst vor Taschendieben oder dgl. haben
muss. Nun gibt es einen Aufgang zur Stadtmauer und darüber die
Seilbahnstation hinauf zum Belvedere,
dem Aussichtspunkt 700 m höher.
Das muss man gesehen haben! Von der oberen Station sind es dann noch 15
Minuten Weg bis zur Aussichtsrampe, wo in mächtigen Buchstaben "Brasov"
angezeigt wird, damit man immer weiß, wo man ist. Der Ausblick ist
tatsächlich grandios und die Kameras schnurren. Ich mache wie immer ein
Panoramafoto, einmal von links nach rechts durchgezogen. Den Platz und
die schwarze Kirche kann man heranzoomen, die sehen aus wie Spielzeuge
von hier oben.
Nun setzen wir uns eine Weile auf einer Wiese in die Sonne und finden
alles prima! Dass man gut her gekommen ist, eine Fahrkarte hat und das
Wetter so schön ist. Nur der Wind weht recht heftig aus westlicher
Richtung, da hätte man einen schönen Gegenwind gehabt, wenn man noch
eine Etappe nach Sibiu
(Herrmannstadt) oder so drangehängt hätte. Dann
geht es wieder hinunter, nun ist es erst Mittag und der Tag ist noch
lang. Noch ein Blick in die russische Kirche, da bleibe ich lieber
draußen, drinnen wartet man schon, womöglich muss man noch eine Kerze
für sein Seelenheil erstehen und den anderen bereits vor sich hin
schmelzenden Lichter zugesellen?
Den Nachmittag hänge ich ab in einem kleinen Park. Dort ist auch ein
Gedenkstein an die Opfer der Revolution 1989. Es war mir nicht bewusst,
dass diese doch so blutig stattgefunden hat, denn diese Stadt hat so an
die 50 Opfer zu beklagen. Um die Ecke ist ein riesiger Supermarkt -
alles vom feinsten. Das bedeutet sicher nicht, dass der Lebensstandard
bereits westliches Niveau erreicht hätte, kaufen können hier nur die,
die auch entsprechend verdienen, und das mag der kleinere Anteil der
Bevölkerung sein. Gerne hätte ich meiner lieben Frau Heidi eine
Pralinenschachtel mitgebracht, da steht nämlich "Heidi" drauf. Aber
meine Lei reichen nicht mehr. Für eine Fanta und ein paar Kekse reicht
es gerade noch.
Am Hotel hole ich gegen 16 Uhr Gepäck und Fahrrad ab, und bin dann -
Rentnersyndrom - zwei Stunden zu früh am Bahnhof. Die müssen nun auch
noch abgehangen werden. Endlich auf dem Bahnsteig stelle ich mit
Schrecken fest, dass der Zug keinen Gepäckwagen mitführt, das kann ja
heiter werden - und wird es dann auch, zur Nachahmung nicht empfohlen. Als der
Zug pünktlich einfährt - von einem Eisenbahnerstreik keine Spur -
steige ich mit dem Rad unterm Arm in den Wagen, wo mein Liegeplatz
reserviert ist. Man hilft mir sogar dabei und niemand murrt, dass man
sich nun kaum mit dem jeweiligen Gepäck an mir und dem alles
versperrenden Rad vorbei zwängen kann. Da erscheint auch schon die
dralle Wagenschaffnerin samt Kollegen, die sprechen zum Glück
Wienerisch. Das ginge ja nun ganz und gar nicht, in diesem Zug würden
keine Fahrräder transportiert. Das Rad müsse mit in das Abteil - die
Mitreisenden werden sich freuen, wenn da ein Fahrrad sich mit auf der
Liege räkelt. Doch dem Kollegen, der sonst nicht viel sagt, fällt was
ein: da ist doch ein unbenutztes Dienstabteil? Das wird nun aufgesperrt
und das Rad passt tatsächlich hinein. Ich könnte die beiden
Bahnschaffenden schier umarmen.
Endlich fährt der Zug an, die schroffen Karpatengipfel zeigen sich noch
einmal in ihrer ganzen Schönheit, ich komme gar nicht weg vom Fenster,
bis die Berge in der Ferne verblassen. Außerdem höre ich aus den
Fahrgeräuschen eine frohe Melodie nach der anderen heraus, was man
verstehen wird. Und da kann man gut schlafen (obere Liege, Kopfkissen
und Leinenbezug vorhanden). Nachts um zwei Uhr ist allerdings die
Kontrolle an der ungarischen Grenze. Da bauen zwei Zollbeamte die
Oberbeleuchtung im Abteil aus und kontrollieren mit Taschenlampen, ob
über der Deckenverkleidung vielleicht ein blinder Passagier, Drogen
oder vielleicht auch ein Fahrrad versteckt sind. Das ist nicht der Fall.
Gegen 9 Uhr morgens sind wir in Wien, wo allerdings ein Anschluss nach
Passau mit Radbeförderung nicht so einfach zu finden ist. So geht es
erst einmal nach Linz, wo man Zeit genug hat, eine Stadtbesichtigung
vorzunehmen. Am Spätnachmittag bin ich erst in Passau, wo ich in
dem
mir aus dem Jahr 1987 bekannten Hotel "Wilder Mann" in der Nähe des
Flüssedreiecks Donau/Inn absteige. Und ich gehe noch einmal chinesisch
essen (Jasmin, Residenzplatz). Und diesmal ist das Gericht erstklassig,
sorry Brasov.
Am Sonntag geht es nach Hause, das ist zunächst nur mit dem
Wochenendticket angesagt, da alle ICs ausgebucht sind, - das bedeutet 7
mal umsteigen und über 12 Stunden Fahrzeit. Die Fahrradabteile quellen
über vor Fahrrädern, so 30 an der Zahl. "Aber es sind doch gar keine
Ferien?" "Das sind die Rentner!" bekommt man zur Antwort. In dem
Weltort Plattling fällt schon
mal der erste Anschlusszug aus, sodass der ganze Fahrplan für diesen
Tag durcheinander kommt. Aber ich habe mir drei Versionen ausdrucken
lassen, da bleibt man im Bilde. Regensburg,
Hof (Vogtlandbahn), Zwickau, Leipzig sind die nächsten
Stationen. In Leipzig kann ich schließlich in einen abfahrbereiten IC
mit leerem Fahrradabteil hüpfen, der direkt über Braunschweig fährt,
man muss allerdings für die zwei Stunden, die ich nun früher zu Hause
bin, 25 EUR nachbezahlen. Das lässt sich verschmerzen, denn dann ist
die Freude meiner lieben Frau Heidi und natürlich Hund Otto unbändig,
als wir drei uns nach all den überstandenen Abenteuern glücklich in den
Armen bzw. Pfoten liegen.