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"RUNST" - Einmal Rennsteig und zurück

7.5. bis 11.5.91 - 440 km

Was ist der Rennsteig?

"Ein deutscher Bergpfad ist's!" hat mal einer glasklar erkannt. "Deutsch", weil im Herzen Deutschlands, "Bergpfad" weil auf dem Kammgebirge des Thüringer Waldes verlaufend. Der Rennsteig ist inzwischen wieder 167,9 km lang, manche runden das auf 168 km auf. Er beginnt in Hörschel an der Werra und endet in Blankenstein an der Saale. Erstmals kann man den Original-Rennsteig seit Verschwinden der Grenze wieder komplett absolvieren, weil Anfang und Ende im ehemaligen Sperrgebiet liegen.

Seinen Namen hat der Rennsteig eben nicht von der Tätigkeit "Rennen", sondern nach dem Stand der Forschung von dem Begriff "Rain" = Grenze. So säumen den Rennsteig auf fast seiner ganzen Länge historische Grenzsteine, meistens die alte Grenze zwischen Thüringen und Franken markierend, gleichzeitig Sprach- und Kulturgrenze.

Immer wieder liest man über den Rennsteig, ab und an wird auch im Fernsehen von in Trachten verkleideten Gesangsgruppen in volkstümlichem Habitus, saftiges Grün und vielleicht ein malerisches Wiesental mit einem äsenden Reh vor dem Waldrand im Hintergrund, der Rennsteig besungen: Melodie

"Diesen Weg auf den Höh'n bin ich oft gegangen,
Vöglein sangen Lieder,
wo ich bin auf der Welt, habe ich Verlangen,
Thüringer Wald, wann kehr ich wieder?"

oder so ähnlich...

Mit der dazugehörigen Melodie im Kopf reiche ich meinen Resturlaub ein, um die Himmelfahrtswoche vatertagsmäßig zu nutzen.

Um 6.10 Uhr fährt am Dienstag mein Zug, auf der Fahrt zum Bahnhof höre ich zum ersten Mal in diesem Jahr den Kuckuck - ein gutes Omen. Nachdem der Zug bereitgestellt ist, frage ich den Schaffner, ob der Zug kein Gepäckabteil habe. "Was glauben Sie, wovor Sie stehen, mal her mit der Kiste". In Göttingen muß ich in den Nahverkehrszug nach Eschwege umsteigen. Dieser Zug hat nun kein Gepäckabteil, der Schaffner weist mich am Einstieg gleich hinter der Lokomotive ein. Schnaufend nehme ich im Zugabteil Platz. Da höre ich den Dialog, Schaffner: "Hock dich rein". Antwort: "Es gibt doch noch gute Menschen". So wickelt sich das Gespräch zwischen dem Schaffner und einem herumlungernden Bahntramper ab. Er hat kein Geld, noch weniger eine Fahrkarte. So läßt er seine Begeisterung gleich an mir aus. Er hat die vergangene Nacht auf einer Sperrmüllmatratze in Göttingen verbracht, es hat geregnet. Welcher Wochentag denn wäre, und ob ich was zu "roochen" häte. Damit kann ich nicht dienen, ich bin auch nicht so begeistert über die Gesellschaft und bin nicht sehr gesprächig. Er will nun zu einer Tante in Bebra, um Geld zu besorgen, dann will er weiter an die Saale. Das ist ja auch mein Ziel - nur sicher auf andere Art. Bald wird es meinem Reisegenossen zu langweilig und er geht auf weitere Entdeckungen aus. Nun kann ich mich wieder ungestört auf meine Tour konzentrieren.

In Eschwege angekommen, werden Tacho und Kartenhalter montiert, die Gepäcktaschen festgezurrt, es geht los. Ich bin so eifrig, daß ich natürlich direkt in die falsche Richtung starte, zum Glück bemerke ich das aber schon nach wenigen hundert Metern. Ich habe eine "schizophrene" Straßenkarte: Generalkarte Deutschland Ost, Blatt 6. Da sind alle Einzelheiten im diesseits gelegenen Teil Deutschlands weggelassen, ab der Grenze in östliche Richtung dagegen alles sauber eingetragen. Als ob es keine Wiedervereinigung gegeben häte. Vielleicht wird diese Karte einmal als "Fehldruck" Sammlerwert bekommen. Trotzdem kann ich mich orientieren, ich muß über Oberhone nach Eschwege radeln. Ein Autofahrer fragt mich obendrein noch nach dem Weg nach Eschwege, aber dem kann ich nun doch die richtige Auskunft geben. Statt an der Werra entlang zu fahren, entschließe ich mich für eine anstrengendere Strecke über Weißenborn und Großburschla. Dieser Ort war auf drei Seiten von der ehemaligen Grenze umschlossen. In Weißenborn frage ich einen Mann nach dem Weg nach Großburschla. "Immer geradeaus, da bist Du gleich da". Beim Weiterfahren grüble ich über dieses "gleich da" nach, so leicht dahingesagt könnte man Bände über das alles füllen. Auf abschüssiger Straße quere ich die ehemalige Grenze, hier wie überall noch sehr gegenwärtig. Hier ist wirklich überall "Grenze", manchmal links und rechts gleichzeitig. Trotzdem ist Großburschla ein schmucker Ort, ein altes Fachwerkhaus mit einem Blumenladen wäre ein lohnendes Fotomotiv, aber ich habe meinen Film noch nicht eingelegt.

r02_1 Am Hedrastein

Nun geht es sehr steil bergauf zum Hedrastein, 504 m, einer Klippe hoch über dem Werratal. Hier ist die Grenze so "malerisch", daß ich doch mein erstes Foto schieße. Aus einem parkenden Auto steigt ein Mann mit einer umgehängten Schreibtafel aus, vielleicht ein Botaniker, der sich für die Flora und Fauna in diesem abgelegenen Teil Deutschlands für Seltenheiten interessiert. Nachdem die anstrengende Paßhöhe überquert ist, geht es im wahren Sinne des Wortes hinunter nach "Schnellmannshausen" und weiter nach Creuzburg. Diese Strecke sind wir mit dem Auto schon nach Eisenach gefahren. Heute blühen die Himmelschlüsselchen stellenweise in gelben Feldern, also ist die Natur hier noch nicht so weit, denn bei uns sind sie längst verblüht.

In Creuzburg gibt es eine gleichnamige Burg, die ich in meiner Ungeduld natürlich nicht besichtige. Über die Werra ist eine malerische mittelalterliche Brücke zu bestaunen. Mit 4 frisch erworbenen Coladosen im Gepäk mache ich mich auf die Suche nach der Abzweigung Richtung Sprichra und Hörschel, wo sich der Beginn des Rennsteigs befindet. Ein unscheinbarer Feldweg ist die einzige Strecke, die in Frage kommt. Gut, daß ich allein fahre, da kann mich keiner wegen einer falschen Wegstrecke anmeckern. Der Weg ist schlammig, die ersten Dreckbrocken fliegen in das Getriebe. Dann muß ich auch noch einen Berg erklimmen, immer ungewiß, ob das irgendwohin führt. Aber - oh Wunder - vorbei an einem riesigen Misthaufen, der seine braune Brühe in die ganze Umgebung ergießt, gelange ich nach Spichra, einem Ort am Ende der Welt. Hoch oben die Autobahnbrücke, hier ist eine kleinere Ausgabe der Porta Westfalica, hier heißt das "Porta Thüringia", wo die Werra sich ihren Weg zwischen Thüringer Wald und dessen Vorgebirgen bahnt.

Schon bin ich in Hörschel - der große Moment - es ist 13.30 Uhr, 45 km bin ich nun gefahren. Zwei Arbeiter schaufeln Kohlengrus an der kleinen Kirche hin und her, die frage ich nach dem Beginn des Rennsteigs. "Keine Ahnung, fragen Sie mal da um die Ecke in dem Büro". Um die Ecke befindet sich eine Station des Rennsteigvereins, wo man allerhand nützliches Informationsmaterial bereithält. Früher lag diese Region ja im Sperrgebiet, deshalb hat der Rennsteig hier praktisch gar nicht existiert. Sehr brauchbar ist ein Quartierverzeichnis und eine Wegbeschreibung, alles fotokopiert. "Wir improvisieren noch". "Das ist doch viel schöner" antworte ich, und entrichte 5 DM für die Rennsteigkasse. Jetzt bin ich natürlich im Bilde, wo der Weg beginnt, "hat geklappt" rufe ich den schaufelnden Arbeitern im Vorbeifahren zu. Keine 100 m weiter ist es so weit, anhalten, fotografieren und durchatmen.

r03_1 Beginn des Rennsteiges

Jetzt geht es los. Das heißt Schieben, denn die Steigung beginnt gleich mit Macht. Nun habe ich mit der Motivation natürlich keine Probleme, es geht gleich auf 301 m Höhe, den Eichelberg. Aus meinem frisch erworbenen Informationsmaterial zitiere ich: "Schon offenbart sich eine zauberhafte Aussicht. Der Blick fällt auf das wunderschöne Werratal mit seinen grünen Auen, begrenzt von Dörfern, Wald und Fels, auf das malerische Hörseltal...". Dem ist nichts hinzuzufügen, man kann das schon so sehen. Bald treffe ich auf zwei rastende Wanderer, die diesen Teil des Rennsteigs auch zum ersten Mal "machen", weil das früher nicht möglich war.

r03_2 Wolfsrück

Solange ich in Sichtweite der kauenden Wanderer bin, muß ich "modellradeln", d.h. die Steigung locker nehmen, um zu zeigen, daß die ganze Sache für den Fahrradfahrer kein Problem ist. Nach der ersten Kurve aber springe ich ab und keuche mich aus. Nun geht es gemächlich weiter, endlich kommt die Wartburg ins Blickfeld. Leider versäme ich, zu fotografieren, ein schönerer Blick zeigt sich später nicht mehr. Vor lauter Begeisterung habe ich nicht an das Essen gedacht, ein Hungerhaken kündigt sich an. Ich will aber bis zur Hohen Sonne durchhalten, denn dort befindet sich - wie ich schon weiß - eine Imbißbude. Der Weg bis dorthin geht über "15 Kuppen", wie es in der Wegbeschreibung vermerkt ist. Diese Information ist richtig. Als die ersten Spaziergänger mit Kinderwagen und Oma auftauchen, kann es nicht mehr weit sein.

Endlich die Hohe Sonne - hier waren wir schon einmal, Drachenschlucht usw. Mich interessiert nur der Kaffee und die Bratwurst, die ich verschlinge. Ein Transporter entläd auf dem Parkplatz zwei durchgestylte Montainbiker, auch mit Packtaschen, vielleicht bekomme ich Gesellschaft. Als ich aufbreche, pumpeln die aber noch an der Imbißbude herum, späer habe ich sie auch nicht mehr gesehen. Nun bin ich mitten drin und lasse mir Zeit. Man passiert den verwaisten "Auerhahn", ich entdecke den "Globus", den ich aus einem Reiseführer kenne.

"Mach es wie die Sonnenuhr,
zähl die heit'ren Stunden nur"

ist dort eingemeißelt. Das ist ein gutes Motto - es muß mich angesteckt haben, denn eine so gute Laune habe ich noch auf keiner Radtour entwickelt. Ein Grund sind sicher die vielen interessanten Gespräche und Kontakte, die ich auf dem Weiterweg habe.

r04_2 Globus beim Auerhahn
r04_1 Rastplatz

Die nächste Station ist der Parkplatz Schillerbuche. Diesen Baum vergesse ich, zu bemerken, stattdessen labe ich mich an einem weiteren Kaffee an der dortigen Imbißbude. "Wenn es aufwärts geht, macht die Arbeit auch Spaß" bemerkt der Imbißwirt. Ein Jugendlicher fährt mit Karacho in seinem Ersatzmanta vor, erkundigt sich, ob irgendwelche Farben besorgt seien und rast dann schotterspritzend mit eingelegtem Powerslide davon. "Die fahren sich alle noch tot" - die Statistiken bestätigen es.

Ich zockle weiter. Auf der Landstraße fahre ich hinunter nach Brotterode, wo ich Quartier nehmen will. Gegen 18 Uhr komme ich dort an. Ein älterer Herr steht vor einem Fotogeschät, den frage ich nach der Zimmervermittlung oder einem Tip, wo man übernachten könne. Um die Ecke liegt das Hotel Krone. Bis ich dorthin komme, vergeht noch eine halbe Stunde, so angeregt entwickelt sich das Gespräch. Eintracht Braunschweig, Hansa Rostock und die zugehörigen Trainer werden diskutiert. Aber auch die Situation im Thüringer Wald, wo die Touristen ausbleiben. Hier haben die Leute alle noch Geld von früher, als die FDGB-Urlauber die Orte bevölkerten. Das ist nun vorbei, für die Ossis sind neue Reiseziele angesagt, den Wessis ist es nicht vornehm genug. Meinen älteren Herrn interessiert vornehmlich die Entwicklung der Renten, denn er ist schon in Pension. "Ich mußte noch nie im Leben so viel rechnen". Die Heizungskosten etwa haben sich erheblich verteuert.

Endlich finde ich den Absprung, im Hotel Krone frage ich nach einem Zimmer. Die Bedienung ist etwas unschlüssig, dafür leiert der Koch, der gelangweilt daneben steht, die freien Zimmer runter. Ich bekomme einen Schlüssel und bin erlöst. DM 25.- ohne Frühstück kostet die Übernachtung. Das sei teuer, wird mir später einmal gesagt, ich möchte da nicht meckern. Mein Zimmer ist überheizt, ich auch, da sitze ich bald wie bei einem Sommerurlaub in Südeuropa herum. Erstmal die Fenster auf, reingucken kann keiner. Duschen am Ende des Flurs, wo eine etwas abenteuerliche Duschzelle eingerichtet ist.

Nun geht es mir gut, ein Rundgang ist angesagt. "Platz der Deutsch - Sowjetischen Freundschaft", das gibt es auch noch. Ein Bach durchzieht malerisch das Dorf. Um die Kirche herum dehnt sich ein riesiger Friedhof aus. Es läßt sich nicht herausfinden, warum der so groß ist, die Zahl der Einheimischen gibt das doch eigentlich nicht her. Vielleicht sind auch FDGB-Touristen dabei. Ich hopple ein paar Treppen hinunter und nehme in meinem Hotel das Abendessen ein, Rumpsteak zu erträglichem Preis. Zum Glück läßt die Heizung zur Nacht etwas nach, frieren muß ich jedenfalls nicht.

Brotterode - Friedrichshöhe 90 km

Da ich kein Frühstück bekomme, kann ich nach Belieben starten, das findet sozusagen bei aufgehender Sonne um 7 Uhr statt. Es geht hinauf zur Grenzwiese unter dem Inselsberg, um den ich mich bislang herumgemogelt habe.

"Zum Inselsberg 1 KM" steht auf dem Wegweiser zu lesen. Da kann man nicht nein sagen, auf dem Inselsberg muß man doch gewesen sein. Was ist schon ein Km! Dieser Kilometer aber hat es in sich, an den Reitsteinen vorbei geht es mächtig steil hinauf. Unter großen Anstrengungen muß das Rad mitsamt Gepäck einen äußerst steilen Weg hinaufgeschoben werden. Ich hoffe auf ein Restaurant, wo ich mein Frühstück einnehmen kann. Aber nichts da, eine militärische Beobachtungsstation mit Sendetürmen wie auf dem Brocken, alles eingezäunt. Die Aussicht besteht aus Dunst. Ein Mann streicht einen Zaun vor der Skiabfahrt am Nordhang. Ein Lokal soll es weiter hinten geben, aber das hat sicher zu. Selbst ist der Mann, die belegten Brote sind noch nicht alle, und eine Dose Cola Light habe ich auch noch. Dann fahre ich über Kopfsteinpflaster die Fahrstraße hinunter. Dieser Besuch des Inselsbergs war ein Schuß in den Ofen.

r05_1 r05_2 Inselsberg

An der Grenzwiese sitzen die ersten Morgengäste in dem dortigen Hotel auf der verglasten Sonnenveranda beim Frühstück. Nun habe ich keine Lust mehr, da rein zu schneien und nehme den weiteren Verlauf des Rennsteigs ins Visier. Zwei jüngere Herren mit leichten Rucksäcken entsteigen einem Auto. Als ich einmal anhalte, um noch ein Foto vom Inselsberg zu machen, kommen die beiden jüngeren Herrn in flottem Marsch um die Ecke. Jetzt steigt der Weg mächtig an, und ich bemühe mich zunächst wieder im "Modellfahren" bei kleinster Übersetzung. Schneller als die Wanderer bin ich aber auch nicht. So steige ich schließich ab und mache in meiner Not noch ein Foto vom Inselsberg. Mit "Grüß Gott" ziehen die beiden jüngeren Herrn mit ihren leichten Rucksäcken vorbei. Nun kann ich unbeobachtet langsam den steinigen Weg hinaufschieben. Irgendwann ist man immer oben, nun wieder aufgesessen und bald passiere ich die beiden jüngeren Herrn. "Nun komme ich auch mal zum Zuge" sage ich im Vorbeikurven. "Jetzt geht's ab hier" ruft einer zurück. Trotzdem kann man den steil abfallenden Weg wegen der Steine und Querrinnen nur sehr langsam hinuntermanövrieren. Die tief eingeschnittenen quer laufenden Ablaufrinnen würden einen glatt über den Lenker katapultieren. Nur schräg kann man die anfahren, es lebe die Cantileverbremse. Dann aber wird der Weg wieder fahrbarer, schließlich geht es in sausender Fahrt sogar über eine Betonpiste. Lebt wohl ihr jüngeren Herrn mit den leichten Rucksäcken! Am Parkplatz Stockwiese hoffe ich auf eine Imbißbude - leider Fehlanzeige. Stattdessen übt eine Fahrschule zwischen Absperrleinen das Rückwärts Einparken. Da habe ich keinen Bedarf.

Weiter geht es über den Spießberg, ich überhole mühsam einen wandernden äteren Herrn. Mitten im Wald erreiche ich das "Kreuz", eine Schautafel erläutert die historischen Hintergründe. An meiner Cabanossi kauend endecke ich endlich das berühmte Kreuz an einer Böschung.

r06_1 Das Possenröder Kreuz

Bevor meine Cola Light alle ist, marschiert der ältere Herr vorbei, den es offenbar nicht zu einer Rast gelüstet. Ich lasse mir noch Zeit und sortiere ein wenig an den überquellenden Papierkörben herum. Schließlich fahre ich weiter, der Weg gestaltet sich schwierig, meistens muß ich schieben. Dennoch passiere ich schließlich den älteren Herrn, der wasserabschlagend in einer Schonung steht. Um ihn nicht zu stören, fahre ich ausnahmsweise kommentarlos vorbei.

Plötzlich öffnet sich ein Wiesental, ein malerischer Wegweiser läd zu einem Foto ein. Ich bin aber so in Fahrt, daß ich vorbeirausche, bolzgrad geradeaus, rechts bleibt die Kontrollstelle Ebertswiese liegen. Vor mir wieder ein Wanderer, vorbei und eine bequeme Fahrstraße hinunter. Nur das "R", die Wegmarkierung des Rennsteigs ist nicht mehr auszumachen. Inzwischen bin ich so schnell, daß an großes Nachdenken nicht mehr zu denken ist. Da steht ein Mann am Straßenrand und pflanzt Bäume. Energisch bremsend halte ich an, ob ich noch auf dem Rennsteig sei. Nein, der sei da oben, wo ich herkomme. Hier dagegen bin ich schon am Rand des Th. Waldes, es geht weiter hinab nach "Floh", das ist ganz in der Näe von Schmalkalden. Den Floh habe ich wohl im Ohr, denn nun muß ich wohl oder übel die gesamte Abfahrtsstrecke wieder hinaufkeuchen. Schließlich stellt sich raus, daß an dem malerischen Wegweiser der Rennsteig rechtwinklig abknickt, das habe ich bei der sausenden Fahrt vor einer halben Stunde glatt übersehen. Nun aber ein Foto.

r06_2 Ein malerischer Wegweiser

Froh, wieder auf dem Rennsteig zu sein, geht es nun gemächlich weiter gen Oberhof. Da sitzt auch mein älterer Herr rastend und dösend in der Sonne. "Halloh", dann bin ich vorbei. Und - oh weh, vor mir die beiden jüngeren Herrn mit den leichten Rucksäcken. "Hallo !" "Hallöhchen" ruft einer überrascht zurück. "Ich bin auch noch nicht weiter" rufe ich im Vorbeifahren. Ich kalkuliere, was ich mit meinem Fahrrad in drei Stunden an Strecke geschafft habe - nicht mehr als die Fußwanderer.

Die Straße von Schmalkalden nach Trambach - Dietharz wird an der "Neuen Ausspanne" erreicht. Danach geht es wieder steil hinauf zum "Sperrhügel", wo man eine schöne Aussicht hat. Unten muß der Kanzlergrund liegen, den wir schon im Vorjahr beradelt haben. Fotoapparat auspacken und ein Motiv zusammenzustellen ist Zeit genug für die beiden jüngeren Herrn, an der nächsten Wegbiegung aufzutauchen. Gerade noch kann ich vor ihnen aufbrechen, sie verweilen wohl auch erstmal an diesem Ort, sodaß ich das Weite suchen kann. Sechs Wanderer kommen entgegen, "Grüß Gott!". Wie ich mich umsehe, sind die beiden jüngeren Herrn schon wieder hinter mir her. Auf 50 m sind sie schon ran, dann kann ich endlich in den Sattel und losfahren.

r07_1 r07_2 Im Wald und auf der Höh...

Von nun ab ist der Weg bis Oberhof weitgehend ohne Steigungen und gut fahrbar. So verliere ich meine "Bekannten" nun endlich doch aus den Augen. Ein gutes Stück Weg sieht aus wie eine Panzer - Übungsstrecke, der Weg ist tief aufgewühlt, Wasserflächen blinken und spiegeln die Bäume wieder. Neben dem Morast hat sich ein schmaler Trampelpfad gebildet, reichlich garniert mit Baumwurzeln. Da heißt es noch einmal aufzupassen und ab und zu das Rad unter den Arm zu klemmen.

r08_2 Panzer-Übungsstrecke
r08_1 Angespitztes

Mir wird die Strecke bis Oberhof wieder lang, schließlich und endlich kündet zunehmender Spazierverkehr von der Nähe einer Zivilisation. Mein Getränkevorrat ist alle, deshalb lechze ich nach einem Kiosk. Ein paarmal wird ein eigenartiges Asphaltband mit Mittelmarkierung und Laternenbeleuchtung gekreuzt. Das sind die Rollski-Loipen auf denen die zahlreichen Spitzensportler im Skilanglauf in der ehem. DDR ihre Kondition auch im Sommer nicht verkommen ließen.

Endlich die Straße nach Oberhof - Imbißbude - Versorgung gerettet. Nur empfindlich kalt ist es geworden, etwas frierend sitze ich an einem Holztisch hinter meiner Thüringer Bratwurst. Kauend beobachte ich eine Busgesellschaft: "... Alles einsteigen ... Nun steigt doch endlich ein ... wir wollen hier nicht übernachten ... wir wollen noch was von der Welt sehen ...". Als der Bus mit qualmenden Auspuff abdampft, ist auch meine Bratwurst verzehrt, der Durst gestillt, weiter geht's. 2.5 km bis zum Rondell am Rennsteiggarten. Da freue ich mich, denn ich weiß, da ist wieder eine Imbißbude, da waren wir schon einmal Kunde. Bald bin ich da - jetzt gibt es erstmal einen Kaffee und nochmal ein Würstchen mit Salat. Eine andere Busgesellschaft rüstet sich zu einem Marsch zum Beerberg, die Leute sind nur schwer von der Imbißbude wegzukriegen, wo Eis und andere Naschereien erstanden werden.

Einen Besuch des Rennsteiggartens lohnt sich heute nicht, die Natur ist noch recht weit zurück, da blüht wahrscheinlich nicht so viel. Der weitere Rennsteig verläuft parallel zur Straße Richtung "Schmücke". Zwei Mädchen auf Rennrädern überholen mich, wenig später taucht eine ganze Meute hechelnder Rennfahrer auf. Da steht auch schon ein Betreuer am Straßenrand. Ehe ich zu Wort kommen kann: "Komme ich auch in die Wertung?" - oder so - faucht der seine Schützlinge in rüdem Ton an "Mehr Rhytmus, nicht so lahm " usw. Ich schlage mich rechts in die Büsche, wo der Große Beerberg, mit 982 m die höchste Erhebung des Thüringer Waldes, überquert wird. Die Aussicht gibt nichts her, es ist zu dunstig. Ich kehre wieder auf die Straße zurück, wo man doch bequemer vorankommt. Bald wird die "weltbekannte Schmücke" erreicht, eine Ansammlung von unansehnlichen Häusern. Über den Mordfleck erreiche ich die "Alte Tränke", ein Rastplatz an einem Wiesenbach. Ich lasse mir eine Fanta aus der Dose schmecken.

Der Rennsteig verläuft immer weiter direkt neben der Straße, da bin ich mit dem Fahrrad natürlich lieber auf der Straße. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit laut Tacho steigert sich auf diesem Abschnitt von 9.5 auf 11 km/h. Bahnhof Rennsteig, die Ortschaft Allzunah, Dreiherrenstein werden passiert. Vor Neustadt begebe ich mich wieder auf den Wanderweg, der durch eine schöne Wiesenlandschaft führt. Ein Mann pusselt in einem Brennesselfeld herum. "Morgen gibt's Spinat" sagt er. Er erntet die Brennessel mit bloßen Häden, das sei er gewohnt.

r09_1 Neustadt am Rennsteig

Hinunter nach Masserberg geht es weiter, wo ich über den Eselsberg mich wieder dem Original Rennsteig anvertraue. So langsam muß ich mir über ein Quartier Gedanken machen, voraus liegen eine ganze Reihe von Orten um einen Talkessel herum. Bis dahin aber ist der Rennsteig sehr unwegsam, teils morastig oder mit ungenießbarem Schotter provisorisch befestigt. Da muß wieder geschoben und getragen werden. Endlich ein schöner Fahrweg nach Friedrichshºhe.

Hier befindet sich der Gasthof Rennsteig, wo man laut Quartierverzeichnis auch übernachten kann. Die Wirtsleute verweisen mich an eine Adresse gegenüber, wo eine Frau für ein Ferienhaus verantwortlich ist. Da werde ich herzlich begrüßt, darf zu dem Ferienhaus schon vorfahren, die Kinder zeigen mir den Weg, die Frau kommt mit dem Trabbi nach. Jetzt erfahre ich erstmal, wo ich bin.

r10_1 Friedrichshöhe

Friedrichshöhe ist die kleinste Gemeinde der Ex-DDR mit vor kurzem 29, jetzt 30 Einwohnern. Es gab zwar einen noch kleineren Ort im Sperrgebiet aber der durfte statistisch nicht in Erscheinung treten, den gab es praktisch nicht. In der vereinigten Bundesrepublik sind außerdem die Halliggemeinden noch kleiner. daß ich nun gerade hier ein Zimmer bekomme, ist ja besonders witzig. Die Übernachtung mit Frühstück kostet DM 19.-. Im Haus sind komfortable Aufenthaltsräume mit Farbfernseher, die Zimmer sollen im Sommer mit "Naßzellen" ausgerüstet werden. Außer mir ist noch ein Gast im Haus, ein junger Naturschutzvolontär, man will hier eine Naturschutzzentrum einrichten. Das Haus gehört dem Landkreis, die Frau ist für die Organisation verantwortlich. Weiter wird mir erzählt, an einflußreichen Stellen säßen immer noch die Stasi- und SED- Seilschaften, über die Vergabe von Arbeitsplätzen u.dgl. werde immer noch ein massiver Druck ausgeübt. Kaum zu glauben, aber an anderer Stelle wird mir genau das gleiche erzählt. Und zwar aus Erfahrungen, nicht vom Hörensagen.

Nach dem Einrichten und Auffrischen gehe ich zum Essen in den Gasthof. Leider komme ich etwas ungelegen, denn die ganze Familie setzt sich gerade selbst zum Abendessen nieder. Mir wird vorgeschlagen, Soljanka, oder Spiegelei oder belegte Brote. Also nehme ich eine Soljanka und Spiegeleier. So kommt die Wirtin durch meinen Hunger zu spät zum eigenen Abendbrot am Nebentisch. Das tut der guten Laune aber keinen Abbruch. An dem anderen Nebentisch sitzt ein weiterer Einwohner, der in Sachen Ölheizung tätig zu sein scheint. "Der erste Tank ist immer gleich leer, weil die Leute so weiterheizen, wie früher".

Am nächsten Tag dem Himmelfahrtstag erwartet man hier eine Menge Rennsteigwanderer. Gut gesättigt verfüge ich mich in mein Domizil, wo ich mir noch das Pokalhalbfinale Bremen gegen Köln reinziehe. Zur Halbzeit steht es 4:1, das Endergebnis habe ich mir nicht gemerkt.

Friedrichshöhe - Blankenstein - Lobenstein 60 km

Himmelfahrtstag - in der Nacht hat es noch einmal Frost gegeben, wie man an den weiß überreiften Dächern erkennen kann. Aber der Himmel ist blau, gute Aussichten für diesen Tag. Um 8.30 kann ich nach dem Frühstück losfahren, es folgen die Orte Limbach (im Tal) und Steinheid (auf der Höhe). Ab Limbach fahre ich prompt wieder in einen falschen Weg ein, das ist aber ein komfortabler Waldweg parallel zum Rennsteig. Links unten liegt der Stausee der Schwarza, die kaum der Quelle entsprungen schon zur Arbeit herangezogen wird. Das übrige Schwarzatal ist für seine Schönheit berühmt, leider kann man auf einmal nicht alles sehen. Oberhalb der Schwarzaquelle erreicht man wieder die Straße, die ich bis Neuhaus dem wurzelverknoteten Rennsteig nebenher vorziehe. Ein Fuhrwerk mit Himmelfahrtszechern kommt entgegen, auf dem Kutschbock schwenkt einer eine Flasche Jägermeister und nimmt einen tüchtigen Schluck (es ist erst kurz nach 9 Uhr...). Vor Neuhaus sticht ein überladener Wegweiser ins Auge, da sind alle möglichen Wanderziele fern und nah vermerkt. "Budapest 2500 km" - ob das über Rom geht?

r10_2 Wo soll's denn hingehen?

Neuhaus ist kein schöner Ort, Wohnblocks verstellen die Landschaft, die das hier sicher nicht verdient hat. Zum Glück geht es bald links raus an einen Waldrand, wo der Rennsteig auf einem Wiesenweg naturnäher verläuft. In Ernstthal endet meine Wanderkarte, hier beginnt das ehemalige Sperrgebiet, was naturgemäß kartografisch weniger gut dokumentiert ist. Nun ist die Wegbeschreibung des Rennsteigvereins (aus der Vorkriegszeit) und die Wegmarkierung der einzige Anhaltspunkt für den weiteren Verlauf des Weges. Es geht nach Spechtsbrunn, hier ist der Weg sehr belebt, man kommt immer wieder in Gespräche mit Wanderern. Ich bin so ziemlich der einzige Radfahrer, werde aber deswegen nicht angemacht, wie man das manchmal schon gehört hat. Es ist natürlich selbstverständlich, daß auf einem Wanderweg die Wanderer das Vorrecht haben, da fährt man schon mal bescheiden hinter einer Gruppe her, bis sich eine Überholmöglichkeit ergibt.

In Spechtsbrunn gibt es ein Wirtshaus, da herrscht ein ordentlicher Trubel. Ich schaue mir einen großen Schiefersteinbruch an. Der Thüringer Wald ist hier in das "Schiefergebirge" übergegangen, wenig später wird man sich im Frankenwald befinden. Über eine Anhöhe erreicht man freies Feld mit weiter Aussicht, schließlich die "Kalte Küche", ein früher bedeutender "Gebirgspaß". Schon erkennt man die Grenzanlagen, vorbei an einer lärmenden Gruppe stehe ich plötzlich im Grenzstreifen. Und nicht nur das, vor mir ist ein tiefer Graben gezogen, 2 Meter hohe, fast senkrecht stehende Betonplatten machen ein Durchqueren des Grabens, zumal mit dem bepackten Fahrrad, unmöglich. "Drüben" stehen Jugendliche und sehen schadenfroh zu. Ich tue so, als wäre alles ganz normal und schiebe erstmal an dem Graben längs. Die Möglichkeit, auf eine vergessene Mine zu geraten, fällt mir ein. Bald aber finde ich eine Stelle, wo eine Betonplatte umgekippt wurde, um über den Graben zu steigen. Auf dem Lochplattenweg fahre ich weiter, dann muß ich nochmal durch den vertrackten Graben - bin ich nun hüben oder drüben oder umgekehrt - oder was - ?.

r11_1 r12_2 Grenzeindrücke

Nach einigem Bemühen und Fragen ist es aber geschafft, man befindet sich nun auf dem Teil des Rennsteigs, der auf einem kurzen Stück durch Franken bzw. Bayern verläuft. Allerdings ist der Rennsteig hier auch nur ein besserer Radweg neben einer Straße, die deutlich die bundesdeutsche Autoraserei konsequent unterstützt. Ich passe mich dem an, indem ich stellenweise mit der größten Übersetzung (aus 21 Gägen) fahre. Schwupps - bin ich in Steinbach am Walde. Hier kann ich nun endlich aus einer funktionierenden Telefonzelle zu Hause anrufen.

Ein paar Kinder fahren mit mir hinauf zur Ziegelhütte um die Wette und gewinnen. Danach folgt der berühmte "Wappenweg", an dem die schönsten Grenzsteine mit einem oder mehreren Wappen verziert sind.

r12_1 Ein Wappenstein

Kurioserweise verläuft dieser Weg genau an der "alten Zonengrenze" entlang. So ergeben sich denkwürdige Perspektiven: im Vordergrund ein alter Wappenstein aus dem 17. Jahrhundert, dahinter ein schwarz rot goldener Grenzpfosten, wo das Hoheitsemblem der DDR von Souvernirjägern längst herausgemeißelt wurde, alles eingerahmt von den Drahtgeflechten der Grenzzäne. Womöglich noch ein weiß aufgepinseltes "R" als Wegmarkierung auf einem Zaunpfahl, da wo früher etwa die Selbstschußanlagen angebracht waren. Hier verdient der Rennsteig seinen Namen als "Grenzweg" wirklich. Daß Archälogen in Jahrtausenden, falls die Menschheit noch solange existiert, Spuren dieser Grenze der Jetztzeit nachweisen können, braucht kaum angezweifelt zu werden. Nun geht es ständig hin und her zwischen diesen Grenzanlagen, alle Augenblick muß man durch die Zäune klettern.

Auf einem steilen Waldweg lassen sich gerade eine Dame und deren Tochter, die auch mit dem Fahrrad unterwegs sind, von entgegenkommenden Wanderern fotografieren. Wie ich den Weg hinaufgeschoben komme, habe ich Mühe, nicht mit auf das Bild zu kommen. "Ich will nicht erpreßt werden" - "Wir sind doch nicht von der Stasi" - "Weiß man das" ... Als die "Stasi-Leute" sich verzogen haben, stellt sich raus, daß Mutter und Tochter mit Auto und Anhäger aus Dresden angereist sind. Da der Vater nicht mehr so mobil ist, will er ihnen von Blankenstein mit dem Moped entgegenkommen. Falls ich ihn treffen sollte, soll ich ihn grüßen. Ich frage noch nach dem Namen: Familie W. Inzwischen durchfahre ich nach dem x-ten Grenzübertritt das Dörfchen Brennersgrün. Hier ist alles mit Schiefer verkleidet, das hat ein besonders geschlossenes und einheitliches Ortsbild zur Folge. Man passiert weiterhin, immer unmittellbar an der Grenze, verwaiste militärische Horchanlagen. Schließlich führt ein lang ansteigender Grasweg hinauf nach Grumbach. Da steht ein einsamer Mopedfahrer, den Sturzhelm noch auf dem Kopf. "Hier geht's weiter" will er mir helfen, und weist auf den in den Wald einbiegenden Wanderweg. "Sie sind Herr W." sage ich zielsicher. Stimmt natürlich. Er ist ganz glücklich zu hören, daß bei seinen Lieben alles in Ordnung ist. Obwohl wir noch ein paar Minuten schwatzen, erscheinen die beiden aber nicht am Horizont. Da mache ich mich auf die Weiterfahrt.

Viel Bemerkenswertes ereignet sich auf dem Rest des Rennsteigs nun nicht mehr, ein Gespräch noch mit einem in Hausschuhen auf der Landstraße schlurfenden Opa, der hatte Zeit seines Lebens Sorgen mit dem Dachdecken. Die Strecke wird immer schneller, da es schließlich nur noch bergab geht. Einen Trecker mit Himmelfahrtskommando im Anhänger kann ich mühelos hinter mir lassen. Am Ortseingang von Blankenstein erreiche ich mit 52 km/h die bisherige Höchstgeschwindigkeit. Im Ort aber heißt es krätig bremsen und hinabrollen zum Ende - oder Beginn, je nachdem - des Rennsteigs. An einer Straßenabzweigung ist eine große Schautafel, da mache ich ein Foto.

r13_1 Endstation

Doch der Rennsteig geht noch weiter, eine Treppe hinunter, um ein Haus herum, dann steht man vor einem verwahrlosten Grundstück an der Saale. An der Ufermauer ist ein großes weißes "R" aufgemalt, das mag nun wirklich die allererste Markierung darstellen. Das ganze ist aber weniger romantisch als das andere Ende dieses "deutschen Bergpfads" in Hörschel.

Es geht mir wie immer, wenn ich auf einer Tour mein Ziel erreicht habe: Ernüchterung und Stimmungsabfall. Eine Weile schaue ich neben einem Beobachtungsturm von der Brücke herab einer Forelle in den trüben Wassern der Saale zu. Einmal in der Minute macht sie eine Bewegung, um sich ein paar cm weiter zu bewegen. Als ich mich überzeugt habe, daß die Forelle tatsächlich noch lebt, mache ich mich "beruhigt" auf die Weiterfahrt.

Doch wohin? Es ist schon fortgeschrittener Nachmittag, da braucht man nicht mehr allzuviel zu leisten. Zwei abgekämpfte Radler aus Erlangen schieben plötzlich neben mir am Berg. Sie wollen nach Saalburg, wo sie an einer Ruderfreizeit teilnehmen, heute haben sie schon 160 km in den Knochen. Wo ich noch hinwolle. Ich sage: "Das würde ich auch gern wissen" - eine sicher nicht sehr informative Antwort. Während die beiden zügig ihren Weg fortsetzen, mache ich erstmal ein Foto von der riesigen Papierfabrik oberhalb Blankenstein.

r14_1 Papierfabrik hinter Birken

Große Berge aus Holzspänen warten auf die Verarbeitung. Was dabei übrigbleibt und an Abfall anfällt, wird durch ein mannshohes Rohr in die Saale verfrachtet - das hatten mir die beiden Radfahrer noch erzählt.

Als nächsten größeren Ort mache ich auf meiner unzureichenden Karte Lobenstein aus, das ist gut 10 km entfernt. Neben einer kleinen Eisenbahnstrecke geht es ein Wiesental hinauf, das landschaftlich recht reizvoll ist. Aber bei mir ist die Luft völlig raus und ich quäle mich so voran. Der Wind bläst obendrein von vorn. Dann überholt mich ein Wartburg mit einem Anhäger, grünes Moped hinten drauf. Fahrräer und weitere Insassen fehlen. Der Fahrer macht sich aber weiter nicht bemerkbar, obwohl Mopedfarbe und Wartburg sich mit den persönlichen Kenndaten der W.von vorhin decken. Ob da was schiefgegangen ist? Vielleicht aber haben die beiden Damen den Weg abgekürzt und sind direkt nach Lobenstein gefahren. Über solches nachdenkend, wird einem die Zeit etwas kürzer, schließlich sind die endlosen 10 km zuende. Es geht noch einmal steil hinauf in den Ort, oben erkennt man schon die Reste der Burgruine. Erstmal frage ich mich nach einem Hotel durch, wo ich für den stolzen Preis von DM 40.- ein Zimmer bekomme. Es heißt HO Hotel Oberland. Auf einem Bett liegt als "Goody" eine Rolle Dr. Hillers Pfefferminz. Ich wähle aber das andere Bett aus, da liegt nur ein Päckchen Reiseseife. Wie ich mein Gepäk entflechte, fällt mir der "Spiegel", den ich mir für die Hinreise gekauft hatte, wohl ein paar 100 g schwer, entgegen. Auf der Titelseite "Der Schalck Skandal" mit entsprechendem Konterfei. Womit hat der das verdient, über den ganzen Rennsteig geschleppt zu werden? Papierkorb !

In einem Badezimmer, wo die Badewanne auf Holzklötzen steht, mache ich mich frisch. Dann breche ich zu einer Ortserkundung auf. Erstmal zum Bahnhof, wie sind die Verbindungen zur Außenwelt. Um 8.21 morgens fährt ein Zug nach Saalfeld, der nächsten Kreisstadt, für die 40 km braucht der zwei Stunden.

Dann marschiere ich durch den Ort und hinauf zur Burgruine. Vorher vergewissere ich mich in dem "Berghotel Alter Turm", daß ich dort späer auch noch was zu essen bekommen kann. Die Burgruine ist kaum noch eine solche, der Bergfried ist zur Zeit wegen Bauarbeiten geschlossen, eine halbfertige Treppe zeugt aber davon, daß man bei der Arbeit ist. Der daneben liegende kleinere Wehrturm ist ganz marode, durch einen Mauereinsturz kann man in das kreisrunde Innere hineinsehen. Laut Reiseführer soll hier ein Cafe entstehen. In einem Hof am Aufstieg zur Burg wird kräftig gegrillt und Alkoholisches konsumiert. Da muß ich auf dem Rückweg ein zweites Mal vorbei. Man nimmt aber keine weitere Notiz von mir - warum auch. Um weitere lautstarke Himmelfahrtskommandos in den Straßen mache ich möglichst große Bogen. Ich besichtige noch die reizvolle Altstadt und begebe mich erstmal wieder in mein Komfortzimmer.

Zur angemessenen Zeit mache ich mich auf den Weg zum Abendessen, betrete das Lokal "Alter Turm" mit der Frage "Wo soll ich mich denn hinsetzen ?" Eine hilflose Gebärde des Wirtes, "Sie sehen ja...". Trotz Himmelfahrt ist kein weiterer Gast da, obwohl das Lokal tiptop hergerichtet ist; der Wirt ist gelernter Koch und wirtschaftet mit seiner Frau. "Wie lange können Sie das denn durchhalten?" frage ich. "Diesen Sommer muß was passieren, sonst ist es aus". Er habe tolle Angebote aus Westdeutschland, trotzdem bleibe er erstmal da. Das verdient schon höchste Anerkennung. Die einheimischen Gäste danken es ihm, indem sie die Ausflugsattraktion des nahen Frankenlandes vorziehen. Ich bestelle einen "Turmspieß", der senkrecht stehend auf einem Holzteller serviert wird. Kein Vergleich mit den früheren Einheits-Speiseangeboten. "Ich werde für Sie Werbung machen, soviel ich kann" versichere ich der Frau Wirtin. Das habe ich hiermit getan.

Währenddessen hat sich doch noch eine fidele Schar Wanderer eingefunden und konsumiert munter. Mit dem Rücken zu Ihnen sitze ich die ganze Zeit und mache meine Tagesnotizen, darüber nachgrübelnd, ob das zu Stasi-Zeiten womöglich anders ausgelegt worden wäre. "So primitiv waren die nicht" meint die Wirtin. Als ich mit Essen, Notizen und Lobensteiner Bier vom Faß fertig bin, mache ich mich auf den Heimweg und bin mit dem Ausgang des Tages doch noch zufrieden.

Lobenstein - Friedrichsroda - Tabarz 137 km

Pünktlich nehme ich am Morgen mein Frühstück ein, immer noch unschlüssig, was ich jetzt genau machen soll. Noch vor 8 Uhr könnte ich los, der Zug würde erst in über einer halben Stunde fahren. Es scheint windstill, außer Hochnebel ist das Wetter vielversprechend. Also auf geht's, es geht die 40 km bis Saalfeld immer an der Eisenbahn entlang, da kann man jederzeit umdisponieren. Von Lobenstein geht es erstmal immer schneidig bergauf, bald schon dampfe ich im Morgennebel wie ein Ochse, der aus dem warmen Stall kommt. In einem Wiesentälchen liegt linkerhand der anmutige Ort Helmsgrün. Schließlich ist eine freie Hochfläche erreicht, eine Wasserscheide zwischen zwei Nebenflüssen der Saale. Dann geht es steil hinunter nach Wurzbach. Ab hier fährt man das Tal hinunter, zu meiner Überraschung habe ich Rücken- d.h. SO-Wind. Das macht natürlich Spaß, auch landschaftlich ist es hier wunderschön. Da der Verkehr recht mäßig ist, kann man die vorbeifliegenden Wiesenauen und kleinen Ortschaften auch mit Genuß zur Kenntnis nehmen. Ich beglückwünsche mich, daß ich mich nicht auf die Bahn gesetzt habe, da wäre mir diese Genußstrecke entgangen. 20 km geht es bergab. So komme ich bald nach Leutenberg, dem Ort der 7 Täler. Ein hübsches Städtchen, ein anmutiger Marktplatz, wo ich wieder mal Getränke einkaufe. Oben thront eine Burg. Die Sonne bricht durch und taucht alles in ein transparentes Zwielicht - eine romantische Atmosphäe.

Das war aber auch erstmal der Höhepunkt, denn nun wird das Tal breiter und der Verkehr dichter. Zudem überholt mich gegen 10 Uhr der Zug aus Lobenstein, ich dagegen habe noch so 10 km bis Saalfeld vor mir. Ich erreiche das Tal der Saale, das Wasser ist ganz braun. Das liegt wohl leider nicht an der Schokoladenfabrik in Saalfeld. Die Felsen an den Ufern der Saale dagegen sind rot und bilden manchmal hübsche Klippen. Saalfeld liegt verkehrsgünstig am Schnittpunkt der mittelalterlichen "Kupferstraße" mit der "Böhmischen Straße" (Reiseführer).

r16_1 Saalfeld

Daher begebe ich mich sogleich zum Bahnhof, um die Mºglichkeiten einer weiteren Bahnfahrt auszukundschaften. In der Auskunft schreibt man mir eine abenteuerliche Verbindung nach Eisenach auf, da braucht man 4 Stunden für 150 km und muß zweimal umsteigen. Inzwischen scheint die Sonne und der Ostwind weht munter. Ich diskutiere mit mir selber: Gibt es was schlimmeres, als bei Sonne und Rückenwind am Rande des Thüringer Waldes entlang zu fahren? Sicher: sich 4 Stunden auf der Bahn herumzuquälen. Jetzt bin ich befreit, die Entscheidung über den weiteren Tagesverlauf ist gefallen. Erstmal Richtung Innenstadt über die Saalebrücke. Dichtester Verkehr, ohne Ampel kaum über die Straße zu kommen. Dann wird die Fußgängerzone erreicht, endlich wieder eine Thüringer Bratwurst an einem Würstchenstand.

Da ich den Reiseführer aus Gewichtsgründen nicht dabei habe, trete ich dem "selten geschlossenen Ensemble historischer Bauten" am Marktplatz sicher etwas verständnislos mit dem Gedanken "Alles ist ja noch nicht kaputt" gegenüber. daß es hier in der Nähe die berühmten "Feengrotten" gibt, bekomme ich aber mit, doch ich muß ja weiter. Durch das Blankenburger Tor verlasse ich den Innenstadtbereich und befinde mich bald auf einer ruhigen Nebenstraße Richtung Bad Blankenburg. Hier treiben die Russen noch ihr Unwesen: große Kasernengelände und Wohnviertel nach militärischer Wohnkultur. An einem Berghang ein großer Gelände-Übungsplatz, hier lernen sicher die Panzer den Purzelbaum. Fotografieren verboten. Ein Soldat, der aussieht wie ein Konfirmand, bewacht das Ganze mit seinem Gewehr. So schlägt man die Zeit tot, das alles kostet auch noch Geld und woanders leben die Menschen im Elend.

Dann belehrt ein Schild am Straßenrand, daß es hier einen 5 Schlösserblick zu bestaunen gibt. Wegen des Dunstes kann ich nur zwei entdecken. Durch Blankenburg bin ich schnell hindurch, es hat auch so seine Vorteile ohne Reiseführer, das "banaust" sich viel besser. Auf der B88 geht es glatt dahin Richtung Königssee. In Rottenbach zweigt eine Straße Richtung Nordwesten nach Stadtilm ab. Da geht es durch das Rottenbachtal, das klingt ganz vielversprechend. Ein Blick auf die Karte zeigt, daß man den weiteren Weg über Arnstadt und an den berühmten "Drei Gleichen" nehmen kann, das überzeugt. Vor einem kleinen Ort namens Milbitz befindet sich ein Höhleneingang am Straßenrand. Er ist zugemauert, aber natürlich längst wieder aufgebrochen. Ein starker Luftzug kommt heraus. Ich habe aber keine Taschenlampe mit. "M-W Höhle" steht mit Kreide an der Wand.

r17_1 Geheimnisvolle Türen

Wenig späer erreiche ich dann noch eine Sehenswürdigkeit: die Klosterruine "Paulinzella". Sie ist recht beeindruckend, mich interessiert aber ebenso ein Imbißrestaurant mit Außenterrasse und Blick auf die Klosterruine. "Ich lebe für die Küsse der Nacht..." (Andrea Jürgens ?) klingt es lautstark und schmelzend stereophon aus einem Kassettenrekorder. Das macht an, da bestelle ich gleich eine Bratwurst. Mit der Wurst, das dauert ein bißchen, da kann ich weitere Studien treiben. Zwei Hiesige begrüßen sich: "Wie siehst Du denn aus?" - "Hab mich im Spiegel auch erschrocken" (gestern war ja Himmelfahrt). Den einen von den beiden hält ein Trainingsanzug gerade noch zusammen. Der genehmigt sich zur Anhebung seines Äußeren und Inneren erstmal einen doppelten Cognac am Tresen. "...und alles kann gescheh'n, bis der Morgen erwacht..." trällert es weiter aus den Lautsprechern. Dann bekomme ich meine Bratwurst, die Portion ist viel zu reichlich für unterwegs. Alles schaffe ich auch nicht, mit der sakralen Schlagerweisheit "...ich hab' Dir nie den Himmel versprochen, weil es den auf Erden gar nicht gibt..." im Ohr verlasse ich diesen heiligen Ort.

r17_2 Klosterruine Paulinzella

Über einen Berg erreicht man aus dem Rottenbachtal das Tal der Ilm und die wieder verkehrsreiche B87 nach Stadtilm. Schnell weiter Richtung Arnstadt, mit dem Hohen Kreuz ist noch eine markante und hochgelegene Lokalität zu bewältigen. In Arnstadt begebe ich mich sogleich in die hier schon wieder sehr malerische Innenstadt. Auf einem Platz, den ich für den Marktplatz halte, lasse ich mir bei einer hübschen Imbißwirtin einen Kaffee servieren. Da möchte man ja gar nicht wieder weg.

r18_1 Arnstadt

Schließlich gebe ich, den Kaffee lobend, das Einweggeschirr zur weiteren Verwendung zurück und lasse mir den Weg zu den Drei Gleichen erklären. "Da hoch und dann über den Marktplatz".

Auf dem Marktplatz steht eine Gruppe mit Käppis und Schulterbändern, Mitglieder einer traditionsbewußten Studentenverbindung, die wohl hier eine Exkursion machen. Ein Denkmal eines jungen Mannes, erst die Aufschrift verrät, daß es sich um den jungen Bach handelt, der hier in Arnstadt gewirkt hat. Nochmal frage ich nach dem Weg. Eine Dame weist mich auf eine Einbahnstraße hin, "aber da dürfen Sie nicht fahren". "Ich schon" vermelde ich siegesgewiß und bin kurz darauf auf der Straße nach Mühlberg.

Die drei Burgen, genannt die "Drei Gleichen" grüßen schon eine ganze Weile von ferne, nun liegen sie direkt vor einem. D.h. sehen kann man zuerst nur die erste, die Wachsenburg, denn die anderen beiden Burgen bzw. deren Ruinen, die Mühlburg und die Burg Gleichen liegen noch verdeckt in Blickrichtung. Nur die Wachsenburg ist intakt, sie beherbergt ein stilvolles Hotel (lt. Reiseführer). Mitten in einem Rübenfeld steht ein neu erbauter Hochsitz, da klettere ich hinauf wegen eines Fotos auf den Ort Röhrensee. Ein vorbeifahrendes Auto hupt, ob zum Gruß oder wegen meiner Ordnungswidrigkeit weiß ich nicht.

r19_2 Röhrensee

Auch Mühlberg zu Füssen der Mühlburg ist ein hübscher Ort, ein vorbildlich restauriertes Fachwerkgebäude sticht ins Auge.

r19_3 r20_1 Mühlberg

Auf der Weiterfahrt nach Wechmar heißt es, des öfteren zurückzublicken, denn hier hat man alle drei Burgen im Visier.

Dann leiste ich mir den Schabernack, die drei Burgberge mit einem Berg Misthaufen dazwischen zu fotografieren. Es soll ja keine Ansichtskarte werden. "Die vier Gleichen" wird das Bild getauft.

r19_1 r20_2 Die vier Gleichen

Als Tagesziel habe ich mir Friedrichroda ausgesucht, dazu muß ich mit weniger Genuß die B247 entlangfahren. Nach einer Abkürzung über eine Nebenstrecke erreiche ich die B88, die am Nordrand des Thüringer Waldes entlangführt. Es wird wieder bergiger, wo ein Aufstieg, ist auch eine Abfahrt - das wußte schon Till Eulenspiegel, der sich bergauf immer auf die Bergabstrecke freute und umgekehrt.

r21_1 Friedrichroda

Endlich der Blick auf Friedrichroda, von oben sieht es ganz nett aus. Ich frage mich zum Rathaus mit der Zimmervermittlung durch, aber die hat nun kurz vor 18 Uhr schon geschlossen. Ich beschließe, daß mir Friedrichsroda doch nicht so gut gefällt und ich noch ein wenig weiterfahren kann. In einem Kaufladen bekomme ich den Tip, nach Finsterbergen zu fahren, da findet heute ein großes Tanzvergnügen statt. Das ist natürlich verlockend, aber Finsterbergen liegt auf einem Berg und zum Tanzen ist vielleicht auch nicht die richtige Zeit. Am Ortsausgang von Friedrichroda frage ich nochmal ein Ehepaar, das die Terrasse vor einem neu zu eröffnenden Lokal fegt, nach Quartiermöglichkeiten. Sie meinen, privat wäre das kein Problem und empfehlen mir einen stillen Waldweg für die Weiterfahrt. Es geht vorbei an der Marienglashöhle, wieder mal keine Zeit zu einem Besuch.

Aber dann werde ich doch aufgehalten. Eine ältere Dame fegt den Weg vor ihrem Grundstück am Ortseingang von Tabarz. Da spinnt sich ein längeres Gespräch an. Ihr erster Mann ist im Krieg geblieben, der zweite hat im Krieg ein Auge verloren, aber nie eine Rente erhalten. Nun ist alles beantragt und eingereicht, aber tun tut sich nichts. Sie haben auch ein Gartenhaus für Feriengäste, doch sei es noch im Umbau, sonst "hätte sie mich genommen" meint die Dame.

Die Dame empfiehlt mir aber das Hotel "Felsenthal" in Tabarz. Das finde ich schließlich auch. Es sei noch ein Zimmer frei, sagt der Chef. Da aber bei allen Zimmern die Schlüssel von außen stecken, folgere ich, daß nicht nur ein Zimmer frei ist. Mir genügt eines, eine Bullenhitze schlägt mir wieder entgegen. Frischmachen und leicht bekleidet entspanne ich mich erstmal, es ist immer der schönste Moment eines Fahrradtages, nach getaner Arbeit glücklicher Besitzer eines sicheren Nachtquartiers zu sein. Ich wandere noch durch den Ort, ein kleiner Bach durchzieht es. An vielen Stellen verraten graue Schwaden im Wasser mehr oder weniger gut sichtbare Einlaßrohre.

Meinem Appetit tut das keinen Abbruch. Endlich esse ich mal thüringisch: Sauerbraten mit Klößen. Mundet ausgezeichnet. Das Restaurant im Felsenthal ist voll besetzt, schließlich setzen sich auch zwei jüngere Männer an meinen Tisch. Sie rauchen auch "Marlboro". Nachdem ich ihnen eine Zigarette anbiete, sind wir bald in ein angeregtes Gespräch vertieft. Der eine kommt aus der Gegend von Rostock, der andere wohnt am Ort, arbeitet aber in Baden Württemberg, das ist mit viel Fahrerei verbunden. Er hat drei kleine Kinder. Seine Frau arbeitet bei einem Supermarkt, der vom "Westen" übernommen worden ist. Die hat man reingelegt, indem sie erst eine Halbtags- und dann Kurzarbeit verschrieben bekam. Dadurch reduziert sich das Kurzarbeitergeld erheblich. Da kann man die Unzufriedenheit verstehen. Überall die Frage, wie es weitergehen soll. Nicht zu spät verabschiede ich mich, zum Glück hat sich mein Zimmer etwas abgekühlt und ich kann gut schlafen.

Tabarz - Eisenach - Bebra 77 km

Die letzte Etappe meiner kleinen Reise zeichnet sich nun ab, über Eisenach werde ich wieder die Bahnstrecke Fulda - Hannover ansteuern. Wann welche Züge fahren, weiß ich aber nicht, es ist Sonnabend, das erschwert die Angelegenheit womöglich. Der Morgen beginnt nicht sehr vielversprechend. Das Frühstück ist ab 7.30 angesagt, ich stehe also um 7.15 auf und bin pünktlich in der Gaststube. Keine Menschenseele weit und breit. In der Haustür steckt der Schlüssel, so kann ich hinaus und hinter dem Haus hinter einem Bretterverschlag mein Fahrrad aus dem Schuppen holen. Ich schnalle schon mal die Packtaschen auf und kehre dann hoffend auf das Frühstück in die Gaststube zurück. Immer noch keiner da.

Das morgendliche menschliche Rühren meldet sich, für einen Radfahrer aus organisatorischen Gründen sehr wichtig. Auf der Toilette findet sich kein Papier. Blitzschnell stibitze ich eine Rolle aus der Damentoilette nebenan. Dann gibt es noch Probleme mit der Spülung - aber das will ich mal hier nicht breittreten. Nun wieder in die Gaststube - wie mache ich das wenigstens mit der Bezahlung. Ich suche mir Kugelschreiber und einen Zettel und schreibe: "Wegen meiner Zugverbindung mußte ich pünktlich losfahren, anbei DM 20.-, M.W., Zimmer 7". Bevor ich mein Angebinde auf der Theke ablegen kann, erscheint ein verschlafenes Mächen im Morgenmantel. Sie sei krank, die anderen hätten wohl verschlafen. Gerne aber mache sie mir das Frühstück. Das nehme ich dankend an, habe dabei selbst ein schlechtes Gewissen. So kann ich wenigstens ordnungsgemä meine Rechnung bezahlen. Danach ist das Mächen wieder verschwunden und ich mache mich auf den Weg. Es nieselt leicht aber erträglich. Dafür ist es herrlich ruhig, kein Mensch läßt sich blicken und ich fahre durch ein paar kleine Orte. Dann die einzige kritische Situation: ich fahre einen steilen von Wasserrinnen zerfurchten Weg hinunter, da kommt mir in einer Kurve plötzlich frontal ein bergaufschnaufender Wartburg entgegen. Unter beiderseitigem Vollbremsen gelingt es uns, ohne Feindberührung aneinander vorbei zu lavieren.

Bis Eisenach geht es meistens weiter bergab, so sind die 20 km heute morgen schnell abgespult. Weit vor Eisenach immer wieder Schilder an der Straße: "Sei so nett, Motor aus". Also Staugebiet - oder Eisenbahnübergang. Da ich meine Zeit einteilen muß, fahre ich durch Eisenach immer der Nase nach, links die Bahnstrecke, an deren Begrenzungsmauer alle weitschweifenden Blicke zerschellen. Schließlich komme ich in einem Industriegebiet zum Stehen, hinter einem Cirkus im Vordergrund thront oben die Wartburg und schält sich aus dem Morgennebel.

r22_1 Circus vor Wartburg

Wieder mal bin ich falsch gefahren, eine Fußgängerbrücke über die Hörsel entläßt mich aber aus der Sackgasse.

Nun an einer im Wiederaufbau befindlichen Bahnstrecke entlang, das ist die Werra-Talbahn, mit der man wohl was vor hat. Dann bin ich - oh Wunder - wieder in Hörschel: der Kreis hat sich geschlossen. Wenig weiter vor Wartha ist eine Brücke über die Werra, dann färt man wieder durch die Grenzanlagen und ist auf bundesdeutschem Terrain (im alten Sinne). Dafür kann ich in Herleshausen der aufatmenden Familie per Telefon mein Wohlbefinden mitteilen.

r22_2 Porta Thüringiensis

Aber noch ist die Schlacht nicht geschlagen, ich visiere erstmal den Bahnhof Sontra an, bis dort sind es gut 20 km. Es wird nochmal anstrengend, bis Nentershausen ist eine langezogene Steigung zu bewältigen. Dort an der Kreuzung gerate ich ins Grübeln: Sontra 8 km, Bebra 17 km. Sontra ist ein kleiner Ort, da halten nur Nahverkehrszüge, Bebra dagegen bringt als Umsteigebahnhof auch die weitreichendsten Fernzüge zum Stehen. Eine kurze Kalkulation: das macht eine halbe Stunde Unterschied, dafür ist meine Heimfahrt gesichert. Also auf nach Bebra, nochmal ist ein langer Berg dazwischen, zwei Müllfahrzeuge fahren hupend an mir vorbei. Eine lange Abfahrt belohnt die Mühen, um 14.10 erreiche ich den Bahnhof. Erster Blick auf die Abfahrtstafel: 14.12 Nahverkehrszug nach Göttingen. Während ich an den Fahrkartenschalter trete, fährt der Zug gerade ab. In Sontra häte ich diesen unter Vermeidung der weiteren Strapazen bequem erreicht. So bleibt nur eines: Fahrrad als Gepäck aufgeben, in einen IC (Parzival von München nach Hamburg) hüpfen, bis Hannover Stehplatz einnehmen, und dann in den Zug nach Braunschweig. Dieser fährt zum Hohn nach Leipzig, also in die Richtung, aus der ich zwei Tage lang komme. Dafür teile ich das Abteil mit zwei älteren Damen aus Bitterfeld. "Pflanzen wachsen bei uns nicht, nicht mal Gräser" - "Und die Menschen?" - "Wir sind daran gewöhnt". Mit dem Taxi nach Hause - der Alltag hat mich wieder, den Rennsteig aber, den habe ich!


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