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Mittwoch: Alkmaar - Groningen 210 km

An diesem Tag steht mir die längste Etappe meines bisherigen und einstweilen zukünftigen Radlerlebens bevor, aber das weiß man am Morgen noch nicht. Bei herrlichem Wetter und Rückenwind geht es in Richtung Nordholland. An der Nordspitze wartet der Abschlußdeich des Ijsselmeers, von dessen Befahrung ich mir den Höhepunkt der Tour verspreche. Vor dem Vergnügen die Arbeit, ersteinmal am Nordholland - Kanal entlang und auf einsamen Nebenstrecken, natürlich immer topfeben, geht es knappe 50 km durch typisch holländische Landschaft.


Am Nordhollandkanal

Kurz vor der Küste liegt eine Siedlung namens "Anna Paulowna", das hört sich so nach russischen Emigranten an. In "Van Ewijcksluis" erreiche ich die Küste, hier ist schon ein kleiner Damm zu überfahren, der das Amstelmeer von der See trennt. Dann fährt man noch durch die beiden Orte "Hippolytushoeff" und "Den Oever". Es wird nochmal Proviant eingekauft, dann geht es an die Überquerung des Abschlußdeiches.

Aber Moment - da, wo der Deich beginnt, wird das Rad erstmal abgestellt, es wird tief durchgeatmet und der Blick nach Seemansart in die Ferne gerichtet. Da es recht diesig ist, kann man die andere Uferseite des Ijsselmeers, die knapp 30 km entfernt ist, natürlich nicht sehen. Ansonsten bietet sich ein herrliches Bild, die Sonne spiegelt sich in den Wellen, Seevogelgeschrei liegt in der Luft, ein paar Schiffe ziehen vor dem Horizont vorbei. Die Insel Texel kann man schon erkennen. Während ich mein Reisebrot verzehre, fahren schon eine ganze Menge anderer Radtourer vorbei, hier ist offensichtlich das Nadelöhr. Der Autoverkehr hält sich in Grenzen, mit keinem Autofahrer würde ich jetzt tauschen.


Der Abschlußdamm Ijsselmeer

Schließlich fahre ich los, der Rückenwind ist hier auf dem Damm so stark, daß man kaum zu treten braucht bzw. ein tolles Tempo fahren kann. Der Radweg liegt auf der Seeseite des Dammes, die Autofahrer müssen mit der anderen Seite vorliebnehmen. Als die Mitte des Damms erreicht ist, ist weder hinten noch vorne Land in Sicht. Irgendwann tauchen voraus die Konturen von Häusern und Bäumen auf, so nähert man sich wieder dem festen Land. Bei dem Tempo werden die 30 km in einer guten Stunde zurückgelegt. Eine wohlverdiente Rast bietet sich in dem malerischen Ort Harlingen an.

Für die nun folgende Strecke durch Westfriesland sollte man sich genügend Zeit nehmen und sich reizvolle Orte und Straßen möglichst in Küstennähe heraussuchen. Ich sehe dagen schon das Ziel der Ankunft mehr oder weniger vor Augen und habe keine Lust mehr auf irgendwelche Umwege. So geht es erstmal - weiter in sausender Fahrt - nach Leeuwarden. Auch das ist ein hübscher Ort, die Hauptgeschäftsstraße zieht sich an den beiden Seiten eines Kanals entlang. Ich kehre in einer Imbißbude ein, und denke über die Weiterfahrt nach, bis Groningen sind es noch gute 60 km, das ist noch zu schaffen. Ich habe bloß schon über 100 km an diesem Tag hinter mir. Die Rechnung aber geht auf, vor Einbruch der Dunkelheit müßte ich in Groningen sein.


Kanal bei Groningen

Erstmal aber gilt es, aus Leeuwarden herauszufinden. Das gelingt mir ganz und gar nicht, zu sehr fahre ich nach Gefühl und lande in irgend einem Industriegebiet. So eine halbe Stunde Zeitverlust muß ich wohl dafür anrechnen. Entlang der Hautptstraße fährt es sich danach einigermaßen angenehm, da ja alles mit vorzüglichen Radwegen ausgestattet ist. Sonst bietet die Landschaft wenig Abwechslung, Windmühlen und Kirchtürme der entfernt liegenden Dörfer ziehen vorbei. Man fährt durch grüne Wiesen und überquert viele Wasserläufe oder Kanäle. So geht es an diesem Spätnachmittag etwas stupide bis Groningen, das ich so gegen 19 Uhr erreiche.

Jetzt gibt es wieder einen gehörigen Schrecken. Auch hier ist der Bär los, neben einem riesigen Rummelplatz komme ich an einem Platz vorbei, der für die nationalen Rollschuhmeisterschaften abgesperrt ist. Gar nicht daran zu denken, hier um diese Zeit noch ein Hotelzimmer zu bekommen. Ein paar Mal stelle ich noch Erkundigungen an, merke aber, daß es keinen Zweck hat. Hinter Groningen ist der Hund verfroren, da kommt kaum ein größerer Ort. Ich will trotzdem weiterfahren, notfalls fahre ich die Nacht durch, sofern ich nicht vorher vom Rad falle, bin ich spätestens in den Morgenstunden in Deutschland.

Nun kann gebummelt werden, es ist sowieso alles egal. Groningen ist recht groß, es dauert eine Weile, bis der Stadtrand erreicht ist. Zum Auffrischen der Getränke finde ich noch ein Imbißrestaurant, wo ich auch nochmal nach Quartier frage. Einen km weiter, sagen die freundlichen Leute, sei ein "Weghaus" für Schiffer, Fernfahrer oder sonstwie Reisende, da sei sicher noch was zu bekommen. Das kann ich gar nicht glauben, und mache mich mit neuer Hoffnung auf den Weg. Eine neuerliche Panne kündigt sich außerdem an, noch kann ich mit der Luftpumpe gegenhalten.

Bald finde ich das Weghaus: Übernachtung kein Problem und billig ist es außerdem. Wenn ich noch essen möchte, möge ich das innerhalb der nächsten halben Stunde tun, danach mache die Küche zu. Also ab aufs Zimmer, geduscht und wieder runter. Selten hat mir das Essen nebst dem wohlverdienten Bier so gut geschmeckt. Danach bin ich bald fällig, erstmals habe ich die 200 Tageskillometer überschritten, und das spürt man.

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