Radtour Münsterland und Niederrhein
10. - 16.9.99, 400 km
Dienstag: Schermbeck - Xanten,
8.40 - 12.45, 50 km trp, 31.1 kmh max, 14.7 kmh avg

Von der Schlösserroute verabschieden wir uns, denn im Gebiet des Niederrheins hat man nicht Kosten noch Mühen gescheut, die Münsterländer zu übertrumpfen. So ist die "Niederheinroute" entstanden, mit 1215 km und 820 km Verbindungswegen nennt sie sich Deutschlands längste Radroute. Daneben gibt es aber auch noch den Rheinradweg, eine "Römerroute", eine "Kulturroute", eine "Grenzlandroute" und diverse lokale Rundwanderwege. Da ist es nicht immer ganz einfach, sich in dem Schilderwald zurecht zu finden.

Wir fahren - es ist wieder grau und diesig heute morgen - auf der Römerroute, die durch einen Römerhelm gekennzeichnet ist, über die Brücke der Lippe und gleich danach über den Wesel-Datteln-Kanal, im ZickZack durch die Wälder, wieder zurück über den Kanal aber nicht über die Lippe. Und dort liegt dann Schloß Gartrop. Das ist leider nicht zugänglich und von der Rückseite sieht es recht unansehnlich grau aus. Wir machen Rast an einer Bank, ein Brunnen mit einem Betondeckel daneben macht einen neugierig. Aber man sollte besser nicht versuchen, den Deckel hoch zu heben, weil man dann mit den Sandalen im Modder versinkt...

Es geht weiter im ZickZack nach Art der Römer, bis man in Krudenburg wieder einen bemerkenswerten Ort erreicht. Hier gibt es Gassen mit hübschen Häusergiebeln, fast wie in Holland. Mauern einer ehemaligen Burg sind auch noch zu erkennen.(abgeschrieben: Krudenburg ist ein altes Treidelschifferdorf mit einer denkmalgeschützten Dorfstraße aus der Mitte des 19. Jahrhunderts).


Schill-Denkmal bei Wesel
Wir fahren jetzt etwas sandiger und hügeliger durch die Drevenacker Dünen und können gerade noch vermeiden, uns für einen Reitweg mit knöcheltiefem Sand anzuvertrauen. Dann aber sind wir schon in Wesel, wo wir uns nun erst einmal das Schilldenkmal ansehen. Es gibt auch in Braunschweig eins, dort sind 14 Schillsoldaten 1809 abgeurteilt und erschossen worden, wie ich inzwischen in Erfahrung gebracht habe. Hier in Wesel sind 11 Soldaten des Schillregiments füsiliert worden, und das Denkmal an diese Begebenheit ist nach einem Entwurf von Schinkel (der allgegenwärtige) erbaut worden, ob es schön aussieht, sei dahin gestellt. Zu lesen ist: "Sie starben als Preußen und Helden am 16. Sept. 1809". Da sind wir für den 190. Jahrestag genau um zwei Tage zu früh dran. Einen Radelfreund gab es unter den "Helden" damals auch schon und der hieß Friedrich Felgentreu!


Willibrordi Dom
Bekannt ist die Stadt Wesel eigentlich durch den Ausruf "Wie heißt der Bürgermeister von Wesel???", den man vor einer Echo werfenden Kulisse erschallen lassen sollte. Selbstironisch haben die Weseler Bürger dieser Tatsache Rechnung getragen und vor dem Berliner Tor einen "Esel von Wesel" in Bronze aufgestellt. Wie der Bürgermeister tatsächlich heißt, ist vielleicht momentan noch offen, denn die Kommunalwahlen waren gerade gestern. In der Touristeninformation besorgen wir uns ein paar Unterlagen über die Stadt, in denen mehr drin steht, als ich hier aufschreiben kann. Wir begnügen uns mit einer Umrundung des Willibrordi Domes, der uns in seiner grauen Schlichtheit nicht so ganz zusagt - da sind wir von der romantischen Straße her wohl versaut...


"Linksrheinisch bzw. "Es kommt gerade ein Schiff"
Als wichtigste Information nehmen wir aus Wesel mit, daß die Fähre in Bieslich heute nicht verkehrt, daher müssen wir uns gleich auf die richtige Rheinseite schlagen, um nach Xanten gelangen zu können, und das ist linksrheinisch. Also überqueren wir die Rheinbrücke und ich mache schnell ein Foto, "weil gerade ein Schiff kommt". Weiter hinten im Dunst ist die Rampe einer ehemaligen Brücke in den Wiesen zu erkennen. Auf einem Deich machen wir Rast und gucken den Schiffen zu ("wenn mal eins vorbei kommt" - vgl. unsere spätere Erkenntnis in Emmerich). Leider hat sich der Dunst vom Morgen jetzt gegen Mittag immer noch nicht verzogen. So ist die Stimmung auf der verbleibenden Reststrecke leicht vom Dunst geprägt.


Hafentempel im APX

Römisches Grabmal
Gegenüber von Bieslich gucken wir uns dann doch den Fähranleger an. Da sitzen eine Menge Leute im Cafe und wir bilden uns ein, die feixen alle, weil sie wohl denken mögen, daß wir vergeblich auf die Fähre hoffen. Da haben sie sich aber geschnitten. Wir rollen direkt nach Xanten genau zum "Archäologischen Park", den wir gleich besuchen wollen nach dem Motto "Was weg ist, ist weg".

Während ich dies schreibe und auch das Internet hin und wieder befrage, finde ich eine ganz großartige Webseite, die ich hier unbedingt empfehlen muß:

http://www.bauwesen.uni-dortmund.de/nmi/forschung/xanten/german/xanten_stadtplan.html

Jetzt brauche ich eigentlich nichts mehr aufzuschreiben. Nun also doch: Eintrittskarten lösen und Fahrräder abstellen, die darf man nicht mit hinein nehmen, weil die Römer noch keine Fahrräder hatten. Obwohl man sie gut gebrauchen könnte, das Gelände ist weitläufig. Zunächst zum Hafentempel, den man als Torso rekonstruiert hat. Dann zum Capitol, da sind nur ein paar Grundmauern und ein Säulenfundament erkennbar. Dahinter braust die Bundesstraße, und hinter dieser sollen noch viel mehr Überreste der ehemaligen römischen Stadt im Untergrund liegen. Dann geht es zu einem Gebäude, in dem allerhand Spiele zur Verfügung stehen, hier tobt sich die Zahnspangengeneration aus. Vor dem Gebäude sind Bauteile der römischen Wasser- und Abwassertechnik (ganz erstaunlich fortschrittlich) sowie Grabplatten aufgestellt.


Blick auf Xanten mit moderner Kunst

Amphitheater mit Baukran
Am beeindruckendsten ist sicher das Amphitheater, wenngleich es etwas steril rekonstruiert ist. Auch die Verteidigungsmauern kann man betreten, und wenn es nicht so diesig ist wie heute, hat man hier einen wunderschönen Blick auf die Stadt und den Dom. Zum Abschluß wandelt man noch durch Baderäume und Zimmer einer römischen Herberge, dann ist man allmählich müde und "überrömert".

Kaum haben wir den archäologischen Park verlassen, bricht die Sonne durch und es wird wieder mächtig warm. Wir machen unseren obligatorischen Gang zur Touristeninformation, nachdem ein Angestellter des Rathauses nach dem zweiten Umrunden des falschen Gebäudes selbstpersönlich heraus eilt um uns den rechten Weg zu weisen. Wegen eines Quartiers fragen wir dann gleich um die Ecke bei Hoevelmanns. Da ist leider nur noch ein Dreibettzimmer frei, aber nach der Devise "Der Spatz in der Hand...usw." können wir einen Zweibettenpreis aushandeln und bekommen das Zimmer, es hat sogar einen Balkon und eine Minibar (letztere ist eigentlich nur wichtig wegen ihres Kühlschranks). Damit können wir die Stadt Xanten auf uns wirken lassen.


Marktplatz vor dem Dom

Kriemhildmühle
Wir beginnen unseren Rundgang mit dem Dom St. Viktor. Vor diesem ist eine Kreuzigungsgruppe aufgestellt, und ein kundiger Herr erläutert seinen Zuhörern gerade, daß dies eine Nachbildung sei, das Original befinde sich im Museum. Und bei dem guten Schächer hole gerade ein Engel die Seele in Form eines kleinen Kindes ab, während bei dem bösen Schächer dieses gerade der Teufel tue. Das wäre uns natürlich glatt entgangen.

Damit wir nicht weiter so unwissend herum stolpern, erstehen wir im Dom erst einmal ein Informationsheft, und zwar das "(nicht nur) für Kinder", da muß man sich beim Lesen nicht so anstrengen. Nun gibt es viel zu bestaunen und ich beschränke mich auf weniger: Der Marienaltar beeindruckt durch seine geschnitzten Darstellungen, mehr noch durch die unter dem Altar befindliche Schnitzerei (Predella) "Wurzel Jesse". Um das anzufertigen - Jahrhunderte vor unserer Zeit - mußte man wohl schon eine ruhige Hand und vor allem viel Zeit haben. Nun kann man noch hinunter in die Krypta steigen, wo es noch Reste der vormaligen Urkapelle zu sehen gibt. Sonst hat man den Raum übertrieben modern gestaltet. Es wird auf Schautafeln der Naziopfer der Stadt gedacht.

Wieder an der Oberfläche begeben wir uns schnellstens wieder an die frische Luft, diesmal haben wir aber wirklich eine ausführliche Besichtigung hinter uns gebracht. Damit das so bleibt, kaufen wir in der Buchhandlung auch gleich ein handliches Heftchen über Xanten, das wir nun in der Folge aufgeschlagen vor uns her tragen. Daneben den zurecht gefalteten Stadtplan. So ziehen folgende Sehenswürdigkeiten an uns vorbei bzw. wir an ihnen: Gotisches Haus und Evangelische Kirche (geschlossen), Klever Tor (leider eingerüstet), Rundturm am Nord- und Westwall, Kriemhildmühle, Arme-Mägde-Haus, Karthaus und Gartenpavillon mit Renaissance Erker. Genügt das?


Der Hl. Viktor

Domtürme
Nein, da muß irgendwo noch eine Statue des Hl. Viktor an einer Mauer hängen, die haben wir noch nicht gesehen. Bei der dritten Domumrundung finden wir schließlich auch diese. Bis zum Essen entspannen wir dann auf dem Balkon unseres Etablissements, das heißt mich haut es direkt in die Horizontale, kein Wunder nach diesem so eindrucksvollen Nachmittag. Zum Abendessen haben wir uns wieder den schönsten Platz zum Draußen-Sitzen ausgesucht, und das ist zwischen Rathaus und Marktplatz ein jugoslawisches Restaurant Niederstraße/Karthaus.

Leider wird der Abend auf dem Balkon durch einen kräftigen Regenguß vorzeitig beendet.

Mittwoch: Xanten - Emmerich,
9.00 - 14.45, 58 km trp, 27.4 kmh max, 14.5 kmh avg

Nach dem nächtlichen Regen ist natürlich an diesem Morgen wieder nichts anderes zu erwarten als Frühdunst. Wir fahren noch einmal an dem Arch. Park (Abk.: APX) vorbei und geraten dann unabsichtlich in den Ort Lüttringen, und drehen ebenso unabsichtlich eine Ehrenrunde um den Xantener Nordsee - jedenfalls um das, was man davon sehen kann. Dann erreichen wir doch wieder eine richtige Route, die hier erhöht mit guter Aussicht auf einem Deich entlang führt. Als die Nebel sich auflösen, müssen wir leider den Deich verlassen und radeln auf schnurgerader Strecke durch die Felder - es sind auch Maisfelder(!) dabei.


Düffelsmühle
Unversehens gerät man an die Düffelsmühle mit umgebenden Golfplätzen. Ich mache ein Foto und Heidi erkundet neugierig den Hinterhof. "Ich mache für Sie auf" sagt da ein freundlicher Herr und lockt uns in eine Scheune mit 5000 qum (!) Ausstellungsflächen für Antiquitäten. Kaum hinein geraten, gucke ich mir mal den Preis für einen Intarsienschrank an: 18 Mille! Ham wer grade nich dabei! Oben sei auch noch ein Stockwerk, sagt der beflissene Herr, aber das brauchen wir nicht mehr. Mitnehmen könnten wir ja sowieso nichts, "mit den Rädern" sagen wir. Das sei ja auch gar nicht nötig usw. "Hier stehen ja Millionen rum" staunen wir, "wo bekommt man das nur alles her?" "Das ist in 45 Jahren aufgebaut worden" ist die Antwort. "Bis ein andermal" und wir sind wieder um die Ecke.

Nun geht es ab nach Kalkar. In dem Ort Hanselaer brettern wir an einer hübschen Backsteinkirche vorbei. Als wir später über einen Prospekt verfügen, können wir nachlesen: "die St. Antonius Kirche ist die schönste Dorfkirche des Niederrheins". Kalkar erfreut(?) sich noch einer anderen zweifelhaften Berühmtheit: hier sollte mal ein "Schneller Brüter" entstehen, nach Milliardeninvestitionen hat man dann kalte Füße bekommen und das Projekt in "Kernwasser Wunderland Freizeitpark" umfunktioniert. Wie strahlen da die Gäste! (Aber keine Bange, hier hat ja niemals was gestrahlt). Ein Ort ganz in der Nähe heißt übrigens auch noch Kehrum.

Wir unterstellen mal, daß Kalkar durchaus finanziell von dem ganzen Debakel profitiert hat (ähnlich Gorleben). Man hat nämlich hier auch noch die Touristik Agentur Niederrhein eingerichtet, in einem nigelnagelneuen Gebäude neben der Mühle. Die wollen wir doch mal testen. Wir brauchen nämlich für die nächsten Tage eine Bahnverbindung zurück nach Espelkamp von einem halbwegs verkehrsgünstigen Ort. "Links- oder Rechtsrheinisch?" fragt uns die Dame. Sie blättert dann noch eine Weile lustlos in örtlichen Busfahrplänen herum, da geben wir es besser auf. Einen Ortsplan und ein Infobatt von Kalkar bekommen wir aber.


Marktplatz in Kalkar

Nun das eigentliche und positive: Kalkar ist ein besonders hübscher Ort, besonders der Marktplatz mit einer ausladenden Linde in der Mitte lädt zum Verweilen ein. Das tun wir auch. In die Kirche mit einem weiteren hochberühmten Schnitzaltar kommt man leider bis zum Jahr 2000 wegen Restaurierungsarbeiten nicht hinein. Vor der "belebten historischen Kulisse am Markt" findet sich nun eine größere Gruppe Tagesfahrer ein und man schwärmt sternförmig aus in die umliegenden Bäcker- und Lebensmittelgeschäfte.


Burg Kleve
Wir verlassen Kalkar nach Norden über die Straße "Op de Wacht" und danach geht es auf einem schmalen Weg so richtig durch die Botanik. Man landet dann an dem Badesee Wisseler See, und von da aus soll die Rheinroute so ziemlich im ZickZack weiter gehen. Sonderbarerweise geraten wir aber auf schnurgerader Landstraße nach Kleve. Man sagt, der Name Kleve stammt von dem Wort "Kliff" her, und das bestätigt sich schon von weitem, weil die "sagenumwobene" Schwanenburg und die Kirche von einem Höhenzug herab grüßen. Wir schieben da erst einmal durch die Fußgängerzone, die hier wie überall aussieht, bis wir oben an der Burg rasten. In den Burggebäuden befindet sich allerorts das Amtsgericht, und viel ist so von außen nicht zu sehen, obwohl die Burg eine geschichtsträchtige Vergangenheit hat.

Also behandeln wir Kleve ein wenig stiefmütterlich, brechen bald wieder auf und fahren verkehrsreich um die Innenstadt herum, und finden - oh Wunder - genau den richtigen Ausstieg mit dem Symbol des Römerhelmes. Rechts voraus liegt noch ein schloßartiges Anwesen, doch das ist in keiner Karte verzeichnet, "Privat" steht dann auch an der Zufahrt, da macht man besser, daß man weiter kommt, und dann ist man in Düffelward am Alten Rhein. Jetzt geht es wieder auf dem Deich entlang, und das ist gut für die Aussicht. In Griethausen machen wir eine Extrarunde durch das Dorf. In der Kirche ist anhand von Fotografien dokumentiert, daß hier die Turmkonstruktion fast über den Häuptern zusammengebrochen wäre, hätte man sie nicht gründlich restauriert.


Alte Eisenbahnbrücke

Hängebrücke bei Emmerich

Ein wenig weiter befinden sich die Reste einer ehemaligen Eisenbahnbrücke und von weitem sieht man schon die längste Hängebrücke (500 m) Deutschlands bei Emmerich. Die Frage ist nur, wie kriege ich Heidi über diese luftige Konstruktion, wo sie doch in einer solchen Umgebung immer leicht ins Schlingern gerät. Doch es geht ganz gut, es kann sogar zwei entgegenkommenden Radfahrern ordnungsgemäß ausgewichen werden. So kommen wir heute wieder sehr zeitig in Emmerich an, da der Himmel sich etwas grau verfärbt zeigt, ist das vielleicht auch ganz gut so. Unsere Tour ist mittlerweile genau auf 398 km angewachsen und Heidi drängt auf die Erkundung einer Bahnverbindung zurück, was wir dann später am Bahnhof erledigen können.

Zuerst aber wollen wir uns ein Quartier besorgen, im Touristenbüro erhalten wir die notwendigen Unterlagen und beschließen, ein Zimmer mit Rheinblick an der Rheinpromenade zu suchen. Dort gibt es zwei Möglichkeiten: "Onder de Poort" und "Rheinblick". Natürlich suchen wir gleich das erste auf - wegen des Namens. Und die Verheißung der Wirtin: "Ich gebe Ihnen das Balkonzimmer" ist natürlich entscheidend. So sind wir bestens versorgt, allerdings - das muß auch gesagt sein - handelt es sich um ein einfaches Quartier. Aber wenn man einen Balkon hat, kann es einem ja gar nicht besser gehen.

Nun aber zum Bahnhof. Auf dem Weg dort hin treibt uns ein Regenschauer erst in eine Buchhandlung, wo man einen Bildband über die Niederrhein-Region erstehen kann, der auf ein Viertel seines Preises herunter gesetzt ist. Davon kaufen wir gleich zwei Exemplare. Dann kaufen wir uns in einem Haushaltsgeschäft noch ein Wasserglas für 80 Pfennige, damit man das Bier nicht aus dem Zahnputzbecher trinken muß, wenn man schon am Abend einen Balkon mit Rheinblick hat.

Und dann sind wir am Bahnhof, wo uns ein beflissener Beamter eine Zugverbindung nach Espelkamp aus dem Computer zieht. "Soll ich nun auch gleich die Karten lösen?" frage ich meine liebe Frau, denn ich könnte glatt noch ein wenig weiterfahren, bis Bocholt oder so. "Ja was denkst du denn!" - und wir checken ein. Fahrkarten, Radtransport, IC_Zuschlag und -Reservierung machen zusammen DM 192.-. Da schluckt man leicht! "Freust du dich denn auf zu Hause?" - "Überhaupt nicht!", man darf raten von wem von uns beiden welche Aussagen stammen.

Aber es ist so, daß die Wetterprognose für die nächsten Tage ungewiß ist, gesehen haben wir ja schon eine ganze Menge, und die Kosten der Reise in dieser Form sind auch nicht unerheblich. Um Zahlen zu nennen, die Übernachtungen zwischen DM 100 und 150, Abendessen um DM 50, nur das Radfahren ist kostenfrei. Mit den Fahrkarten in der Tasche ist es endgültig: der letzte Abend. Der wird eingeleitet im Restaurant Syrtaki (entsprechende Musikuntermalung im Hintergrund) bei Sardinengericht und Rinderleber (Quittung liegt vor).

Dann aber sitzen wir endlich bei einbrechender Dunkelheit und strömendem Regen auf unserem überdachten Balkon und genießen den Rheinblick zwischen Baumwipfeln hindurch. Im Vordergrund beleben Hundebesitzer die Szene, und im Hintergrund - nichts da mit "da kommt gerade ein Schiff" - nein, da kommt eines nach dem anderen. Das ist wie auf der Autobahn, rheinaufwärts, rheinabwärts, mehrspurig. Es wird ausgewichen, überholt, beigedreht, gewendet und auch schon mal an der Kaimauer angelegt. Das ist schon hoch interessant, wenn auch eine abendliche Ruhe sich nicht so recht einstellen will. Die Frage ob und wie die Lastkähne in stockdunkler Nacht ihren Weg finden, läßt sich nur dahingehend beantworten, daß sie ihren Weg finden. Wie sie das bewerkstelligen, ob mit Radar, GPS oder Nachtsichtgerätschaften bleibt uns Laien im Unklaren.

Nachdem ich mehrmals verkündet habe: "Jetzt fährt der letzte durch!" - Heidi hat schon das Bett aufgesucht und einen Psychothriller mit dem Titel "Böse Liebe" in Arbeit, da gebe ich es auf. Es geht immer so weiter mit "Da kommt gerade ein Schiff". Zu sehen ist nun absolut nichts mehr, nur die donnernden Dieselaggregate und vorbei gleitenden Positionslichter sind noch auszumachen. Als die Balkontür von innen geschlossen wird, zeigt sich der Segen der schallisolierten Verglasung und wir können ganz gut schlafen, wobei man beim Einschlafen mal ausrechnen kann, wie viele Schiffe hier wohl an einem Tag durchfahren. Eine andere Art von Schäfchenzählen, ein Resultat kann ich aber nicht nennen, ich bin wohl vorher eingeschlafen.

Donnerstag: Rückfahrt
2 km

Wer sich wundert, daß da 2 km angegeben sind: die dienen nur dazu unsere bisherigen 398 Kilometer auf runde 400 aufzurunden. Unser Zug nach Duisburg wird erst um 11.37 fahren, so lange müssen wir uns in der Stadt Emmerich die Zeit vertreiben. Wir laufen noch einmal alle Straßen ab, gelangen sogar in die St. Martini Kirche, über die es einiges zu berichten gäbe, wenn man aus der dort erhältlichen Broschüre abschreiben wollte. Diese Kirche ist in den späten Kriegstagen aufgrund ihrer strategisch günstigen Lage (aus Sicht der Angreifer vom anderen Rheinufer) auch stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Ein Stich aus dem Jahre 1735 (Jan de Beyer) aber zeigt, sie sieht heute recht ähnlich aus zu damals, stellt also ein historisch bedeutsames Baudenkmal dar.

Nun gut, wir laufen noch ein wenig herum, sind rechtzeitig am Bahnhof und begeben uns in den Zug, der leider nur nicht abfährt. Wir werden in Duisburg ganze 13 Minuten Zeit zum Umsteigen haben, die schmelzen nun so nach und nach auf 3 Minuten zusammen. Freundlicherweise macht uns der Schaffner dann später irgendwann darauf aufmerksam, er hätte zwar durchgerufen, könne aber für nichts garantieren. Bis Duisburg ändert sich nichts wesentliches an diesem Umstand, und dort geht es dann so zu:

kaum hält der Zug, werfen wir in fliegender Eile die Gepäckstücke auf den Bahnsteig,
die Räder werden rausgewurstelt,
die Gepäckstücke aufgeladen, ab zur Treppe,
Räder unter den Arm geklemmt, der Fahrstuhl würde zu lange dauern,
in der Unterführung rauf aufs Rad und von Bahnsteig 3 bis 12 zwischen den Passanten durchgekurvt,
Treppen wieder rauf,
der Zug fährt gerade ein (IC 620, Passau - Dresden),
wieder aufs Rad und bis zum ersten Wagen nochmal zwischen den Passanten durchgekurvt,
eine breite Tür öffnet sich, das Gepäck muß nicht abgeladen werden, gemütlich einsteigen - es ist geschafft, und schon fährt der Zug an...

Entschuldigung, aber wir mögen diese Bahnabenteuer besonders gern. Diesmal haben wir jedenfalls eine Bilderbuchaktion hingelegt. Zum anderen wundert es einen während der Fahrt dann immer, daß man da alles mit dem Fahrrad in der Gegenrichtung zurückgelegt haben soll. Es ist nun außerdem noch paradox, daß wir mit diesem Zug auch noch um die drei Stunden eher in Braunschweig ankommen würden, aber leider müssen wir zu unserem Auto in Espelkamp, und dann noch zwei Stunden Autobahn absolvieren. Aber Anne und Roland haben uns ein schönes Abendessen bereitet und es gibt ja auch manches zu erzählen.

Zum Schluß die angekündigte Rahmenhandlung betr. unseres Hundes Ajax. Den hole ich am nächsten Tag im Beisein unserer Tochter Stefanie vom Tierheim ab. Der Hund ist nicht wieder zu erkennen und wirkt ganz apathisch. Hat er einen Schock? Auch zu Hause äußert er weder Freude noch andere Reaktionen. Mit hängender Zunge liegt er in der prallen Sonne und scheint bewegungsunfähig zu sein. Wie es Heidis Art ist, ruft sie wutschnaubend im Tierheim an, was man denn da mit dem Hund gemacht habe und so. Tatsächlich erscheinen kurz darauf zwei Mädchen vom Tierheim und bringen den Hund zum Tierarzt. Als sie wieder zurückkommen, ist unser Ajax mopsfidel, er hat eine Spritze gegen Verdauungsbeschwerden bekommen.

Doch am nächsten Tag - inzwischen Sonntag - sieht es nicht anders aus. Wir warten ab, obwohl er sich leidend gibt. Und schon am Montag ist das Luder schon wieder ausgerissen? Und heute, am Dienstag - schon wieder? Und tut trotzdem immer noch leidend? Vielleicht ist er auch nur beleidigt.

Also dürfte man eigentlich gar nicht wegfahren, und wenn man es denn schon tut, sollt man sich immer wieder auf zu Hause freuen!


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