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Montag, 28.6.

Endlich sitzen wir am Montagmorgen um 8 Uhr in dem Eilzug nach Magdeburg mit der schönen Nummer 4711. Schnieke sieht der Zug auch aus. Nagelneue Wagen mit Obergeschoß, wie sie bei der Deutschen Reichsbahn eingesetzt werden. Besonders bequem ist in den geräumigen Waggons die Fahrradmitnahme: das Gepäck kann draufbleiben, fast kann man ohne abzusteigen in den Zug hineinfahren.

Um 9.15 steigen wir in Magdeburg aus, Minuten später sitzen wir auf den Rädern, die Tour beginnt.

Zuerst fällt auf, die Wilhelm Pieck Allee gibt es nicht mehr in Magdeburg, jetzt ist sie nach Fritz Reuter benannt. "Macht ja nichts", die Straße bleibt dieselbe. Zweites Problem, wieviel Brücken führen über die Elbe samt Nebenarmen? Vier, hatte ich mir gemerkt. Aber dann sind es nur drei, weil nach einigem Fahren keine vierte Brücke mehr kommt. Stattdessen umkehren und einen holperigen Weg an der Alten Elbe entlang bis zur B1. Diese müssen wir überqueren. Und das dauert, denn der Verkehr ist so abgestimmt, daß sich die Pulks der Autos und Lastwagen in beiden Richtungen abwechseln und man keine Chance auf eine Traverse bekommt. Reichsstraße 1, von Aachen bis Königsberg, einst und heute wieder Lebensader Deutschlands, sogar ein Buch gibt es über sie.

Ein Lieferwagen hat schließlich ein Einsehen mit uns verlorenen Gestalten und wir hoppeln dankwinkend hinüber.

Kaum diesem mörderischen Verkehr entronnen, befinden wir uns nach wenigen Metern in einem verschwiegenen Auwald, links blinkt die Elbe. Bald soll es wieder den Elbe-Radwanderweg von Cuxhaven bis Dresden geben, noch muß man sich den Weg alleine suchen.

Wir erreichen einen Park, vorbei am Herrenkrug, einem schloßartigen Gebäude, den zugehörigen Rennwiesen, wo sich edle Rennpferde miteinander messen mögen, heute ist alles wie ausgestorben.

Aber so will man es ja haben, Ruhe und kein Verkehr, da blüht man auf. Mit dem Aufblühen hat das noch so seine Weile, es beginnt in Biederitz, einem Magdeburger Vorort, sachte zu nieseln. Nach Befragen einer netten Dame gelangen wir auf einem abenteuerlichen Weg nach Gerwisch, und Lostau. Sandige Trampelpfade, gesäumt von Polstern der leuchtendroten Heidenelken, kleine Wäldchen, blühende Wiesen, Teiche, eine kleine Brücke über den Rest eines Elbarmes.

Doch dann endet die Straße in einem Industriegebiet, wir müssen zwei Kilometer zurück. Wenig später finden wir uns in sumpfigen Elbwiesen wieder, vorne stakt ein Storch, rechts mäht ein Bauer seine Wiese, weiter vorn zieht ein Elbkahn seine Bahn. Das ist alles sehr schön, nutzt uns nur wenig bei der noch bevorstehenden Tagesroute. Auch beginnt Heidi mit Recht an meinem Orientierungssinn zu zweifeln. Schließlich geben wir vor einem mit Brennesseln zugewachsenen Wanderweg die Eroberung der Elbwiesen auf.

Die weitere Strecke führt dann leider weniger reizvoll über die Landstraße nach Burg. Es gibt dort eine Fußgängerzone, wo wir vor einer Bäckerei einen Kaffee trinken können.

Der Regen hat aufgehört, dafür ärgert uns der Wind, der kräftig aus Nordwesten weht. Die Nordkomponente macht uns zu schaffen, wenn die Straße in nördliche Richtung führt. Und das zieht sich über 30 km bis Jerichow hin, das wir am frühen Nachmittag erreichen. Eine wohlverdiente Rast unter blühenden Linden. In Jerichow zeigt sich, wer bibelfest ist. Heidi ist es nicht. "Jerichow, das ist doch irgendwie bekannt" sagt sie. "Die Trompeten von Jerichow" sage ich. "Aber das war doch wohl nicht hier" sagt Heidi...

Nun verlassen wir den Lauf der Elbe und es geht mehr östlich über die Dörfer Richtung Rathenow. Gegenwind haben wir eigenartigerweise trotzdem ständig. Aber wir kommen gut voran, auf Waldstrecken verschont uns der Wind. Bei einer Rast hören wir den Pirol über uns flöten, unser alter Familienpfiff: Ui-u-iu...

Tatsächlich sind wir kurz nach 5 Uhr in Rathenow. Hier hat unser eingeplanter Gastgeber ein Sportgeschäft. Nun haben wir 110 km zurückgelegt, ich staune über Heidis Unverdrossenheit, wie sie diese nicht leichte Strecke bewältigt hat. Ich muß aber versprechen, daß es nicht jeden Tag so weitergeht. Soll es ja auch nicht, nur dieser Ort Wassersuppe, das ist schon ein Ziel.

Rathenow ist ein scheußlicher Ort. Alles Neubauten, der Verkehr geht mitten durch. Eine Telefonverbindung mit unseren Gastgebern kommt nicht zustande, so sind wir vom Vorabend nur halbangemeldet. Eine Enttäuschung muß ich Heidi noch bereiten: bis Wassersuppe sind es noch weitere 15 km, das hatte ich wohl vorher nicht so klar präzisiert.t.

Nach einer Kaffeerast in Rathenow wird aber das auch noch wacker bewältigt. Die letzte Abzweigung belohnt uns mit spiegelglatt asphaltierter Straße und Rückenwind. Dann Wassersuppe, ein winziger Ort an einem verschwiegenen See. Die Ruhe schlägt einem geradezu entgegen. Hier verirrt sich nur selten ein Auto her.

Als wir uns zu unserer Adresse durchgefragt haben, winkt uns eine Frau zu, das ist Frau B. "Hier wird man sogar eingewinkt" freuen wir uns. Hinter einem Getreidefeld liegt ein strohgedecktes Haus, dahinter ziehen sich die Wiesen hinab zum Schilfgürtel des Sees. Herzlich werden wir aufgenommen, erstmal ein erfrischender Apfelsaft. Das Haus ist selbst erbaut, zum Teil mit Ziegelsteinen aus der ehemaligen Ziegelei. Auf einigen Steinen ist eingeritzt Wasrsup, das sind schon fast Museumsexemplare. In früheren Zeiten war der Ort zu feuchten Jahreszeiten durch Überschwemmungen von der Umwelt abgeschnitten und nur mit dem Boot zu erreichen. Daher vielleicht der lustige Name.

Frau B. ist Lehrerin, jetzt sind Ferien. Ihr Mann war Sportlehrer, hat sich aber vor einem Jahr selbständig gemacht und betreibt nun ein gutgehendes Sportgeschäft in Rathenow. Nur die Zeit ist knapp seitdem. Wenig später erscheint auch der Hausherr mit seinem bedruckten VW-Bus bärtig und in sportlicher Kluft. Um im Training zu bleiben, wird uns erzählt, legt er oftmals die 15 km von Rathenow laufenderweise zurück. Wenn ihm die Strecke zu kurz ist, läuft er auch schon mal um den See herum. Mir fällt es erst jetzt auf, daß es sich gerade um den See handelt, den sich Kollege B.im Vorjahr als Geheimtip für ein ruhiges Wochenende auf dem Campingplatz bei Ferchesar ausbaldowert hat.


In Wassersuppe
Frau B. ist ehrenamtliche Bürgermeisterin und begibt sich alsbald auf eine Gemeindeversammlung. Wir suchen die Seeterrassen auf, da kann man gut essen. Auf der Terrasse findet die Gemeindeversammlung statt, da geht es um den Bau eines Bürgersteiges und die Organisation beim Schneeräumen. Als die Versammlung zuende ist, finden sich alle an der Theke ein.

Wir sind inzwischen mit dem Essen fertig und schlendern noch durch das Dörfchen. Die Kirche ist sehenswert, auf einem Ziegeldach erhebt sich ein Türmchen in Fachwerk. Derlei Kirchen werden wir noch mehrfach zu sehen bekommmen. Ein Gutsbetrieb mit einem Schlößchen ist leider sehr heruntergekommen. Ein Wappen kündet von besseren Tagen.


Kirche in Wassersuppe
Unsere Gastgeber bereiten uns einen gemütlichen Abend. Der Kamin wird entzündet, eine Flasche Wein, Jg. 86 geöffnet. Der Wein hat wenige Wochen zuvor im Keller auf Tauchstation gelegen, als heftige Regengüsse in der Region einen Katastrophenalarm auslösten. So ist auch hier der Keller abgesoffen. Dem Wein hat es offensichtlich nicht geschadet.

So manches erfahren wir noch über Land und Leute. Die Landwirtschaft ist allerorts stark eingeschränkt worden, so werden die die Seen umgebenden Wiesen nicht mehr gedüngt. Seitdem hat sich die Wasserqualität drastisch verbessert. Seltene Vögel nisten in den Schilfgürteln. In diesem Ort ist man ökologisch - nicht zuletzt durch das Zutun unserer Gastgeber - vorbildlich eingestellt. Neusiedler haben es nicht leicht, Land zu erwerben, da man die Ursprünglichkeit so weit wie möglich erhalten will.

So wird es einigermaßen spät, bevor wir in unseren Schlafsäcken verschwinden.

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