Um 9.15 steigen wir in Magdeburg aus, Minuten später sitzen wir auf
den Rädern, die Tour beginnt.
Zuerst fällt auf, die Wilhelm Pieck Allee gibt es nicht mehr in
Magdeburg, jetzt ist sie nach Fritz Reuter benannt. "Macht ja
nichts", die Straße bleibt dieselbe. Zweites Problem, wieviel
Brücken führen über die Elbe samt Nebenarmen? Vier, hatte ich mir
gemerkt. Aber dann sind es nur drei, weil nach einigem Fahren keine
vierte Brücke mehr kommt. Stattdessen umkehren und einen holperigen
Weg an der Alten Elbe entlang bis zur B1. Diese müssen wir
überqueren. Und das dauert, denn der Verkehr ist so abgestimmt, daß
sich die Pulks der Autos und Lastwagen in beiden Richtungen abwechseln
und man keine Chance auf eine Traverse bekommt. Reichsstraße 1,
von Aachen bis Königsberg, einst und heute wieder Lebensader
Deutschlands, sogar ein Buch gibt es über sie.
Ein Lieferwagen hat schließlich ein Einsehen mit uns verlorenen
Gestalten und wir hoppeln dankwinkend hinüber.
Kaum diesem mörderischen Verkehr entronnen, befinden wir uns nach
wenigen Metern in einem verschwiegenen Auwald, links blinkt die Elbe.
Bald soll es wieder den Elbe-Radwanderweg von Cuxhaven bis Dresden
geben, noch muß man sich den Weg alleine suchen.
Wir erreichen einen Park, vorbei am Herrenkrug, einem schloßartigen
Gebäude, den zugehörigen Rennwiesen, wo sich edle Rennpferde
miteinander messen mögen, heute ist alles wie ausgestorben.
Aber so will man es ja haben, Ruhe und kein Verkehr, da blüht man
auf. Mit dem Aufblühen hat das noch so seine Weile, es beginnt in
Biederitz, einem Magdeburger Vorort, sachte zu nieseln. Nach Befragen
einer netten Dame gelangen wir auf einem abenteuerlichen Weg nach
Gerwisch, und Lostau. Sandige Trampelpfade, gesäumt von Polstern der
leuchtendroten Heidenelken, kleine Wäldchen, blühende Wiesen,
Teiche, eine kleine Brücke über den Rest eines Elbarmes.
Doch dann endet die Straße in einem Industriegebiet, wir müssen zwei
Kilometer zurück. Wenig später finden wir uns in sumpfigen Elbwiesen
wieder, vorne stakt ein Storch, rechts mäht ein Bauer seine Wiese,
weiter vorn zieht ein Elbkahn seine Bahn. Das ist alles sehr schön,
nutzt uns nur wenig bei der noch bevorstehenden Tagesroute. Auch
beginnt Heidi mit Recht an meinem Orientierungssinn zu zweifeln.
Schließlich geben wir vor einem mit Brennesseln zugewachsenen
Wanderweg die Eroberung der Elbwiesen auf.
Die weitere Strecke führt dann leider weniger reizvoll über die
Landstraße nach Burg. Es gibt dort eine Fußgängerzone, wo wir vor
einer Bäckerei einen Kaffee trinken können.
Der Regen hat aufgehört, dafür ärgert uns der Wind, der kräftig
aus Nordwesten weht. Die Nordkomponente macht uns zu schaffen, wenn
die Straße in nördliche Richtung führt. Und das zieht sich über 30
km bis Jerichow hin, das wir am frühen Nachmittag erreichen. Eine
wohlverdiente Rast unter blühenden Linden. In Jerichow zeigt sich,
wer bibelfest ist. Heidi ist es nicht. "Jerichow, das ist doch
irgendwie bekannt" sagt sie. "Die Trompeten von Jerichow" sage ich.
"Aber das war doch wohl nicht hier" sagt Heidi...
Nun verlassen wir den Lauf der Elbe und es geht mehr östlich über
die Dörfer Richtung Rathenow. Gegenwind haben wir eigenartigerweise
trotzdem ständig. Aber wir kommen gut voran, auf Waldstrecken
verschont uns der Wind. Bei einer Rast hören wir den Pirol über uns
flöten, unser alter Familienpfiff: Ui-u-iu...
Tatsächlich sind wir kurz nach 5 Uhr in Rathenow. Hier hat unser
eingeplanter Gastgeber ein Sportgeschäft. Nun haben wir 110 km
zurückgelegt, ich staune über Heidis Unverdrossenheit, wie sie diese
nicht leichte Strecke bewältigt hat. Ich muß aber versprechen, daß
es nicht jeden Tag so weitergeht. Soll es ja auch nicht, nur dieser
Ort Wassersuppe, das ist schon ein Ziel.
Rathenow ist ein scheußlicher Ort. Alles Neubauten, der Verkehr geht
mitten durch. Eine Telefonverbindung mit unseren Gastgebern kommt
nicht zustande, so sind wir vom Vorabend nur halbangemeldet. Eine
Enttäuschung muß ich Heidi noch bereiten: bis Wassersuppe sind es
noch weitere 15 km, das hatte ich wohl vorher nicht so klar
präzisiert.t.
Nach einer Kaffeerast in Rathenow wird aber das auch noch wacker
bewältigt. Die letzte Abzweigung belohnt uns mit spiegelglatt
asphaltierter Straße und Rückenwind. Dann Wassersuppe, ein winziger
Ort an einem verschwiegenen See. Die Ruhe schlägt einem geradezu
entgegen. Hier verirrt sich nur selten ein Auto her.
Als wir uns zu unserer Adresse durchgefragt haben, winkt uns eine Frau
zu, das ist Frau B. "Hier wird man sogar eingewinkt" freuen wir uns.
Hinter einem Getreidefeld liegt ein strohgedecktes Haus, dahinter
ziehen sich die Wiesen hinab zum Schilfgürtel des Sees. Herzlich
werden wir aufgenommen, erstmal ein erfrischender Apfelsaft. Das Haus
ist selbst erbaut, zum Teil mit Ziegelsteinen aus der ehemaligen
Ziegelei. Auf einigen Steinen ist eingeritzt Wasrsup, das sind
schon fast Museumsexemplare. In früheren Zeiten war der Ort zu
feuchten Jahreszeiten durch Überschwemmungen von der Umwelt
abgeschnitten und nur mit dem Boot zu erreichen. Daher vielleicht der
lustige Name.
Frau B. ist Lehrerin, jetzt sind Ferien. Ihr Mann war Sportlehrer, hat
sich aber vor einem Jahr selbständig gemacht und betreibt nun ein
gutgehendes Sportgeschäft in Rathenow. Nur die Zeit ist knapp
seitdem. Wenig später erscheint auch der Hausherr mit seinem
bedruckten VW-Bus bärtig und in sportlicher Kluft. Um im Training zu
bleiben, wird uns erzählt, legt er oftmals die 15 km von Rathenow
laufenderweise zurück. Wenn ihm die Strecke zu kurz ist, läuft er
auch schon mal um den See herum. Mir fällt es erst jetzt auf, daß es
sich gerade um den See handelt, den sich Kollege B.im Vorjahr als
Geheimtip für ein ruhiges Wochenende auf dem Campingplatz bei
Ferchesar ausbaldowert hat.
Montag, 28.6.
Endlich sitzen wir am Montagmorgen um 8 Uhr in dem Eilzug nach
Magdeburg mit der schönen Nummer 4711. Schnieke sieht der Zug auch
aus. Nagelneue Wagen mit Obergeschoß, wie sie bei der Deutschen
Reichsbahn eingesetzt werden. Besonders bequem ist in den geräumigen
Waggons die Fahrradmitnahme: das Gepäck kann draufbleiben, fast kann
man ohne abzusteigen in den Zug hineinfahren.
In Wassersuppe |
Wir sind inzwischen mit dem Essen fertig und schlendern noch durch das Dörfchen. Die Kirche ist sehenswert, auf einem Ziegeldach erhebt sich ein Türmchen in Fachwerk. Derlei Kirchen werden wir noch mehrfach zu sehen bekommmen. Ein Gutsbetrieb mit einem Schlößchen ist leider sehr heruntergekommen. Ein Wappen kündet von besseren Tagen.
Kirche in Wassersuppe |
So manches erfahren wir noch über Land und Leute. Die Landwirtschaft ist allerorts stark eingeschränkt worden, so werden die die Seen umgebenden Wiesen nicht mehr gedüngt. Seitdem hat sich die Wasserqualität drastisch verbessert. Seltene Vögel nisten in den Schilfgürteln. In diesem Ort ist man ökologisch - nicht zuletzt durch das Zutun unserer Gastgeber - vorbildlich eingestellt. Neusiedler haben es nicht leicht, Land zu erwerben, da man die Ursprünglichkeit so weit wie möglich erhalten will.
So wird es einigermaßen spät, bevor wir in unseren Schlafsäcken verschwinden.