Urlaub auf Kreta 16.5.-30.5.97

Planung

Wer von uns die Idee hatte, nach Kreta zu fahren, weiß ich auch nicht mehr, wahrscheinlich war es aber der Neckermann-Katalog. Es ist nämlich so, daß ein Urlaub auf Kreta auch nicht mehr kostet als auf Mallorca, wo wir immerhin schon zweimal waren. Also, warum nicht Kreta, das ist doch mal ganz was Verwegenes. Wenn man gar nichts von einer Insel weiß, wie es diesmal bei uns der Fall ist, bedeutet das eine Reise ins Ungewisse. Ein Blick auf die geographische Verteilung der angebotenen Hotels, Anlagen oder gar Clubs läßt aber schon eine erste Entscheidung zu: nicht an die Nordküste! Da reihen sich die Touristikorte wie Perlen auf der Schnur. Ganz anders sieht es an der Südküste aus. Da gibt es nur einen touristisch erschlossenen Ort (im Neckermann Katalog), und der hat den geheimnisvollen Namen Ierapetra. Bemüht man sich um genauere Informationen, so kann man herausbekommen, daß es sich bei diesem Ort um die südlichste Stadt Europas handelt.

Heidi sucht das Hotel aus: Coriva Beach in Ierapetra-Strand. Die Bilder in den Katalogen sagen ja bekanntlich herzlich wenig über das aus, was einen dann schließlich erwartet. Hier klingt das alles ganz hübsch, die "Anlage" ist mit 45 Zimmern überschaubar, liegt direkt am Meer mit Garten, Pool usw. Mir gefällt vor allem der dahinter liegende Berg mit steilen kahlen Hängen.

Bild 1 Bild 2 Anlage von Coriva-Beach

Die Buchung im Reisebüro klappt ohne Probleme, Reisetermin: zweite Maihälfte, wir werden also das Pfingstfest auf Kreta verbringen. Vorfreude? - Kein Problem.

Als nächstes kauft man sich die einschlägigen Bildbände von HB oder ADAC über Kreta. Da werden einem die Attraktionen dieser Insel um die Ohren gehauen: Knossos, Festos, Samariaschlucht, Lasithi Hochebene usw. Was man außerdem über Kreta lesen kann, das werden wir später noch sehen.

Nun ergibt sich noch was Lustiges. Durch Zufall erfährt ein befreundetes Ehepaar (Heidi und Peter) von uns und wir von ihnen, das sie just zur gleichen Zeit und mit der gleichen Flugverbindung nach Kreta zu reisen gedenken. Ein weiteres befreundetes Ehepaar wird im Anschluß an uns ebenfalls diese Reise tun und was erzählen können. Bevor wir überhaupt einen Fuß vor die Tür gesetzt haben, ist für einen späteren Zeitpunkt schon ein gemeinsamer Kreta-Abend in der Planung.

Anreise

Nun wollen wir uns aber auf die lang ersehnte Reise begeben. Da wir zu viert sind, wählen wir den bequemen Weg und bestellen ein Taxi für die Fahrt zum Flughafen. Das ist gemessen an den Gesamtkosten des Urlaubs vertretbar. Der Flug geht um 6 Uhr ab Hannover, man kommt dann gegen 10 Uhr Ortszeit in Herakleion, der Hauptstadt, an. Die Uhr muß man eine Stunde vorstellen. Nach einigem Gegrübel haben wir es dann raus: der Flug dauert 3 Stunden. Man hat dann noch fast den ganzen ersten Urlaubstag vor sich. Da der Rückflug abends ist, kommt man so auf 14.5 Urlaubstage netto, d.h. ohne An- und Abreise. Unsere Taxifahrerin bestellen wir für die Rückreise gleich vor, alles andere interessiert uns nicht, 2 Wochen Kreta im Visier.

Der Flug verläuft planmäßig, um die Flughöhe zu erreichen, überfliegt man halb Deutschland längs, nach gut einer Stunde ist man schon über München. Wir haben sogar einen Fensterplatz, aber da Heidi nicht so gern nach unten schaut, läßt sie mich dann auch mal an das Bullauge. Da wir gegen die Sonne fliegen, kann man nur schlecht etwas erkennen. Die Donau schlängelt sich als glänzendes Band durch die Gegend, rechts soll der Großglockner zu sehen sein, meldet der Flugkapitän per Durchsage, aber das ist für uns auf der falschen Seite. Dafür sehen wir den Plattensee, wo wir auch schon mal mit dem Fahrrad waren - damals haben wir länger gebraucht.

Wenig später fliegen wir über Albanien, eines der ärmsten Länder Europas, wie wir erfahren (sonst wären wir da wohl nicht drauf gekommen). Wenn man nun hinunter schaut, kommen einem doch merkwürdige Gefühle. Man sieht unbewohntes Bergland, Straßen oder Wege schlängeln sich wie ausgelegte Schnüre über die Hänge und durch die Täler. Hin und wieder ein See, in dem die Sonne aufblinkt. Welche Welten trennen uns hier oben von der Welt da unten. Schneebedeckte Gipfel, dahinter scheint das Land weg zu kippen zu einer tiefer gelegenen Ebene. Keine Ahnung, wie die Berge und Orte unter uns heißen mögen. Ein ganz weißer Gipfel wird dann doch erklärt: der heißt "Olymp"! Als steinerne Wüste ist Athen erkennbar, es folgt das Ägäische Meer mit seinen Inseln.

Der Höhepunkt ist wohl der Blick auf Santorin, diesem Fragment einer Katastrophe vor mehr als 3000 Jahren, die auch Kreta sowie den gesamten Mittelmeerraum betroffen hat. Die Insel Thera, wie sie auch heißen mag, ist durch einen Vulkanausbruch schlichtweg in die Luft geflogen. Erdbeben, Seebeben und eine auf Kreta 200 m (!) hohe Flutwelle hat die dortige hochstehende minoische Kultur vernichtet.

Die Gebirge Kretas, noch schneebedeckt, tauchen auf. Wir umrunden zweimal (wegen der Landeerlaubnis) die vorgelagerte Insel Dia. Als wir etwas stuckerig landen, habe ich eine platte Nase vom rausgucken.

Ankunft auf Kreta

Wie immer ein großes Gedränge an den zwei Gepäckbändern, bis wir unsere Reisetaschen in Empfang nehmen können. Wir haben keine einzige Drachme in der Tasche, aber an einem Bankschalter ist ein vorgeschriebener Euroscheck angeklebt. DRS 45.000 und Fourtyfivethousand muß man draufschreiben. Datum und Unterschrift sind weggelassen, weil man die sonst wohl auch abschreiben würde. Von Heidi und Peter müssen wir uns nun trennen, die fahren in westliche Richtung, wir in die andere. Wir tauschen noch die Adressen der Hotels aus, vielleicht ergibt sich ja mal was.

Wir haben Bus Nr. 19, wem das was sagt, und entledigen uns erst mal der überflüssigen Kleidungsstücke aus der kalten Heimat. Natürlich scheint die Sonne, in den Bergen hängen nur ein paar Wolken. Bald erscheint auch eine "Neckerfrau", wie wir sie nennen, und begrüßt uns mit der erstaunlichen Eröffnung: "Frisch gepresster Orangensaft, auf der ganzen Insel reifen jetzt die Apfelsinen, sie haben sich die schönste Zeit für Ihre Reise ausgesucht". Ich grübele gleich nach, zu welcher Jahreszeit sie wohl nicht von der "schönsten Zeit" spricht. Nachdem sie sich auch noch vorgestellt hat, was uns aber nichts nützt, weil sie gleich wieder verschwindet, beendet sie unter Applaus ihre kleine Ansprache mit "Willkommen auf unserer Sonneninsel!". Sonneninsel, wo gibt es das wohl sonst im Mittelmeer?

Im schönsten Sonnenschein fährt also der Bus schließlich los, nachdem die letzten Trödler eingefangen sind. Wir haben mehr als zwei Stunden Busfahrt vor uns, da sieht man schon einiges und braucht das später nicht mehr abzuklappern. Wir sind nicht sofort von der Landschaft begeistert. Es sieht sehr karg aus. Was wir unter Wäldern verstehen, das gibt es hier überhaupt nicht. Das wurde von venezianischen oder türkischen Besatzern in Vorzeiten alles weggeputzt, an eine Wiederaufforstung hat man zu jenen Zeiten sowieso nicht gedacht, heute ist alles ausgewaschen und verkarstet. Aber das Meer ist azurblau, das machen sich die verschiedenen Hotelanlagen zunutze, wo die Feriengäste nun der Reihe nach abgeladen werden. Noch möchten wir nicht tauschen, etwas beklommen erwarten wir unser Los. Neben uns packt ein Alleinreisender mit Rauschebart und Umhängetasche seinen Pumpernickel vom Flugzeugbreakfast aus und wird dann in der Nähe von Malia ausgeladen, wo eine der minoischen Palastanlagen freigelegt wurde. Wir tippen auf Archäologe, womit wir sicher gründlich daneben liegen.

Es geht nun weg von der Küste durch die Berge, vor Neapolis sogar durch einen Tunnel. Allmählich werden wir auf die sich zur Blüte anschickenden Oleanderbüsche an der Straße aufmerksam. Auch können wir zwischen Kiefern, Olivenbäumen, Pinien oder gar Eukalyptusbäumen unterscheiden. Eigentlich fangen wir immer mehr an, zu staunen, z. B. über die verfallenen Fundamente von Windrädern, mit denen man früher zur Bewässerung das Wasser die Hänge hinauf gepumpt hat. In den Ebenen hat man damit aus Brunnen das Wasser in Zisternen gehoben, um das Land zu bewässern. Heute werden Motorpumpen eingesetzt, so ist das mit der Technik. Manchmal sieht man an einem Restaurant noch ein bespanntes Windrad, aber das ist dann Dekoration.

Man erreicht nun die Stadt Agios Nikolaos am Golf von Mirabello. Wieder wird der Bus leerer, hier ist es schon weitaus lieblicher als an der Küste zwischen Herakleion und Malia. Die weitere Fahrt um diese wunderschöne Bucht läßt nun nichts zu wünschen übrig. Es geht rauf und runter mit herrlichen Blicken auf das Meer und das Sitia Gebirge voraus. Kurz bevor wir die Abzweigung nach Ierapetra erreichen, sehen wir rechterhand ein Gewirr von Grundmauern an einem Hang, was mag das nun wieder sein? Wir werden sehen.

An dieser Stelle hat Kreta seine schmalste Stelle, 15 km trennen die Nord- von der Südküste. Durch Olivenhaine geht es dahin. Und links, da ist schon wieder was zu staunen, eine Schlucht in einer Felswand, als ob ein Beil dort in den Berg hineingefahren wäre. Wir werden sehen.

In Ierapetra verlassen uns weitere Gäste und streben mit ihren Koffern im Schlepptau hoffnungsfroh dem Club Petramare zu. Da ist alles mit hohen Mauern umgeben, damit niemand in die Karten gucken kann, die dort gemischt werden. Es geht weiter Richtung Osten, uns wird wieder beklommener zumute, grau und kieselig ist der "Strand". Vor so manchem Anwesen befürchten wir, daß man hier ausgeladen werden könnte. Schließlich steigt an einer etwas größeren Clubanlage - Magic Life - alles inklusive ist dort zu lesen - der Rest der Gäste aus. Nur ein älteres Ehepaar aus Hannover und wir zwei verbleiben noch. Und ich erkenne den Berg von dem Bild im Reiseprospekt wieder, nach wenigen hundert Metern sind auch wir am Ziel.

Coriva Beach - wirklich klein und anheimelnd. Als uns dann die Dame von der Rezeption in unsere Unterkunft führt, strahlen wir. Das Zimmer ist bescheiden aber urig, eine Terrasse schließt sich an, wo man sich ungestört und ungesehen aufhalten kann. Außer einem Stuhl und einem kleinen Tisch hat das Zimmer keine Möbel. Schränke und Schubladen sind in die gemauerten Wände und Podeste eingelassen. Die Betten bestehen aus steinernen Sockeln, die kann man nicht zusammenrücken.

Schnell ausgepackt, kurze Hose an, Rundgang - man kann es ja kaum erwarten. Wir gebrauchen nun den Begriff "Anlage" wirklich im positiven Sinn. Zwischen den Unterkünften führen verwinkelte Gänge hinunter zum Meer. Aus allen Winkeln sprießt und blüht es, riesige Gummibäume und Schirmtannen spenden Schatten.

Vor dem Pool ist eine Liegewiese unter Olivenbäumen. Der Weg zum Strand ist gesäumt von üppig rot blühenden Oleanderbüschen. Der "Strand" allerdings besteht auch hier aus grauem Kies. Man hat kreisrunde Sonnendächer aufgestellt, darunter wälzen sich auf Liegen die nußbraunen Urlauber. Wir wollen mit unser milchigen Hautfarbe natürlich nicht gleich als Neuankömmlinge auffallen, auch sollte man mit der Sonne am Anfang sowieso aufpassen. Trotzdem outen wir uns sofort als Neuankömmlinge, als wir mit bloßen Füßen dem Wasser zustreben. Schon nach wenigen Metern beschleunigen wir, es brennt höllisch unter den Fußsohlen. Endlich erreichen wir das rettende Wasser, amüsiert haben die nußbraunen Urlauber Teilnahme an unserer hopsenden Gangart genommen. Wir merken es dann auch, man geht hier nur auf Schlappen oder Latschen. Die läßt man tunlichst in sicherer Reichweite am Wasser stehen, wenn man sich in die Fluten stürzt. Wir aber müssen auch wieder zurück, denn unsere Schuhe stehen oben. Möglichst cool, einen hartgesottenen Eindruck machend. Aber das brennt bis unter die Hirnschale. Fürs erste sind wir schlauer, in der Folgezeit sind wir selbst die schadenfrohen Zuschauer von arglosen Opfern.

Ein Stück weiter ist ein Strandrestaurant, wir müssen etwas essen, denn bis zum Abendbuffet sind es noch etliche Stunden hin. Heidi bestellt etwas mit Fleischklößen und bleibt sozusagen in vertrauten Gefilden. Der Wirt empfiehlt aber auch eine Fischplatte: "Sährr gutt", da überlege ich nicht lange. Dann kommt ein Teller gefüllt mit wohl vier verschiedenen Fischarten, die ich leider nicht benennen kann. "Roter Knurrhahn" sage ich mal zu einer der Sorten. Sardinen und vielleicht Barben, große Garneelen und einige geröstete Tintenfische am Stück. Außer Gräten bleibt nichts übrig!

Nun sind wir der Ruhe bedürftig, werfen uns in Badekleidung und auf die Liegen auf der Liegewiese unter den Olivenbäumen. Gut daß man genügend Schatten findet, die Sonne würde man wohl für den Anfang kaum vertragen. Die Wiese ist nicht gemäht, da zeigt sich eine erstaunliche Artenvielfalt, bei uns unter dem vornehmen Namen "Ruderalvegetation" bekannt, der Rasenliebhaber bevorzugt den Begriff "Unkraut". Da sind aber nicht nur Brennesseln und Gänsedisteln dabei, sondern auch Malven. Eine dicke schwarze Hummel umkreist uns zuweilen, mag aber ob des reichlich aufgetragenen Sonnenschutzmittels (von Aldi) von einer nähren Annäherung Abstand nehmen.

Um 19.30 beginnt das Abendbuffet, wir kalkulieren scharf, daß wir das Sonnen- oder besser Schattenbad möglichst lange auskosten. Es bleibt noch Zeit, die beiden nahegelegenen Supermärkte, das sind eher gemütliche Läden, zu erkunden. Mit einem Fläschchen kretischen Wein für den Abend auf der Terrasse kehren wir zurück.

Vom Abendbuffet sind wir sehr angetan. Man kann sich kombinationsreiche Salate zusammenstellen, anschließend von vier warmen Gerichten kosten. Nicht immer weiß man so richtig, was man da zu sich nimmt, aber wir wollen ja keinen Sauerbraten. Die Gerichte werden per Aushang immer vorher angekündigt, oft unter ihrem griechischen Namen, da muß man eben raten.

Nach dem Abendessen kann man nicht mehr viel unternehmen, es wird sehr schnell dunkel, weil die Sonne steil untergeht. Auch am Tag steht sie fast senkrecht. Wir machen uns es heute an dem ersten Tag auch schnell auf unserer Terrasse gemütlich und lassen der ersten Begeisterung freien Lauf. Das kretische Weinchen unterstützt uns dabei. Zur Krönung huschen zwei Eidechsen an der Wand, eine größere und eine kleinere. "Bestimmt Mutter und Kind" meint Heidi.

Die Küste bei Koutsounari

Markt in Ierapetra

Wir nehmen unser erstes Frühstücksbuffet, das ist leider nicht so begeisternd. Nur eine Brotsorte, ein weiches Weißbrot. Das Wurst- und Käseangebot ist dürftig. Aber mit Tomaten, Schafskäse und Oliven kann man sich reichlich versorgen, man muß sich eben etwas umstellen.

Wir haben für heute eine Fahrt nach Ierapetra geplant und warten auf den Bus. Der genaue Name der Ortschaft, die sich hier den Berg hinaufzieht, ist übrigens Koutsounari. Pünktlich 10 Minuten vor Abfahrt begeben wir uns Richtung Haltestelle. Da steht der Bus schon da, gestikulierend fordert uns der Kontrolleur auf, uns zu beeilen. Wir galoppieren. Der Bus ist schon proppenvoll, wir finden gerade noch eine Platz auf der Rückbank. An der nächsten Haltestelle steigt ein wohlbeleibtes Ehepaar zu, einen Platz für die Dame können wir neben uns noch frei quetschen. Und wir werden aufgeklärt, heute ist Markttag in Ierapetra, da werden mindestens drei Busse eingesetzt. Wir haben den ersten davon erwischt. Markttag? - wir strahlen schon wieder.

Die Buszentrale in Ierapetra strahlt einen Hauch von Orient aus - so ist es jedenfalls irgendwo zu lesen. Es mag stimmen, eine Baustelle, alles staubig. Im Ticketoffice herrscht einiges Durcheinander. Zerbeulte mit Schnüren zusammengehaltene Kartons in einer Ecke, die Bestimmungsorte mit Filzstift aufgemalt, warten auf ihre Abfertigung. Das ist die Frachtabteilung.

Wir suchen den Wochenmarkt. Der befindet sich keinesfalls in der Ortsmitte, sondern in einer eher unbedeutenden Seitenstraße. Man kann ihn aber leicht finden, indem man entweder den Touristen folgt, oder den tütenschleppenden Leuten entgegengeht. Als erstes kommt uns ein Mann, behängt mit Körben entgegen, ein wandelnder Verkaufsstand. In einem Käfig auf dem Bürgersteig fiepst junges Federvieh. Ein Pappschild, das wir nicht entziffern können, liefert weitere Informationen. Man merkt schnell, daß es sich hier nicht um einen Touristenmarkt handelt, sondern es ist wirklich die einheimische Bevölkerung, die sich vor allem mit Obst und Gemüse für die kommende Woche versorgt. Da ist ein Fischverkäufer, der hat alle Hände voll zu tun, die Fliegenschwärme abzuwehren. In den Kästen liegt ein undefinierbares Sammelsurium von Fischen, manche blutig. Haben Fische Blut? Ich mache unauffällig ein Foto sozusagen aus der Hüfte, dann machen wir, daß wir weiterkommen.

Bild 1 Bild 2 Bild 3 Marktbilder

Wir kaufen eine große Tüte Apfelsinen, die kosten so gut wie nichts. Sogar Bananen gibt es, die auf Kreta wachsen sollen, womöglich "Eurobananen"? Zitronen, Äpfel, Birnen, Käse, Zwiebeln, Knoblauch, Lauch, Gewürze, Kartoffeln, Tomaten, Oliven, Mispelfrüchte, Artischocken, Pistazien, Erdnüsse, geröstete Kichererbsen, Produkte, die wir gar nicht kennen.

Dann wechselt, weiter oben auf der Marktstraße das Angebot. Schuhe, Handtaschen, Gürtel, Badetücher, Handarbeiten wie gehäkelte Tischdecken, Teppiche, Kopftücher, Halstücher, Busentücher, Plastikblumen, der Antike nachempfundene Imitationen von Gesetzestafeln, auch in Plastik gehalten. Wir kaufen ein paar Sandalen für Heidi, damit sich das mit dem heißen Kiesstrand besser anläßt.

Allmählich wird man sich wieder bewußt, daß man selber Tourist ist, man deutlich als solcher zu erkennen ist, wie jeder andere dieser Spezies auch. Man kann jeder Figur in diesem Getümmel auf den Kopf zusagen, ob einheimisch oder Tourist. Obwohl das mit dem Kopf nicht ganz stimmt, auch Einheimische tragen Baseballmützen (die Jüngeren), aber senkt man den Blick tiefer, so ist spätestens bei den Beinkleidern die Sache entschieden. Vor allem beleibte zugereiste Figuren verbergen nur mühsam manche Wülste unter stramm sitzenden Shorts oder Bermudas. Die kretischen Frauen sind durchweg schwarz verhüllt, wir haben bis heute nicht herausgefunden, warum die Farbe Schwarz in den heißen Ländern so bevorzugt wird.

Wir gehen die gleiche Straße zurück, verdoppeln die Eindrücke. Wir haben zwei Stunden Zeit - jeder Tourist mißt seine Zeit genau - um Ierapetra, abgesehen vom Wochenmarkt, zu sehen. Wir sind offen für alle Eindrücke, geraten ans Meer, hier heißt es: das Libysche Meer. Man hat dann den Panoramablick, die Promenade, die sich hinauf zum Hafen erstreckt. Zwischen der Ufergasse und der Promenade befinden sich eine zeltüberdachte Taverne nach der anderen. Einladend gepolsterte Sitzhöhlen laden ein zu der Aussicht hinüber zu der Insel Krissi - oder Hrisi - wer wird aus diesen Schreibweisen schlau. Eingeladen wird man aber auch immer wieder unvermittelt von aus dem Nichts auftauchenden nett "Guten Morgen" wünschenden Anmachern. Die können alle ihre europäische Sprache: "Une Cafe, one Espresso, bitteschön, kein Problem". Man kann dann nur den Kopf wegdrehen, abwinken oder schnell weiterstreben.

Bild 1 Bild 2 Bild 3 Hafen in Ierapetra

So bewältigen wir mit Mühen die eigentlich doch sehenswerte Uferpromenade . Am Ende der Hafen und das venezianische Kastell. Die Fischerboote im Hafen sind hübsch, die Fangnetze gelb, gut für ein Foto. Dahinter die verschachtelte Altstadt. Man wandelt in engen verwinkelten Gassen herum, es geht um viele Ecken. Und die Busstation finden wir sogar auch wieder.

Den Nachmittag verbringen wir auf angenehme Weise auf der Krautwiese. Wir wagen uns auch ein erstes Mal in das Meer, die Latschen haben wir natürlich dabei. Beim Schwimmen in der See spürt man spätestens: jetzt ist Urlaub.

Später am Nachmittag ist aber noch der obligate Empfangstermin des Reiseveranstalters angesetzt. Eine ganze Reihe bereits leicht angebratener Gäste findet sich ein. Diesmal lauten die ersten Worte der Neckerfrau: "Es gibt auch noch gleich was zu trinken". Nachdem sie sich dann auch noch vorstellt, kommt auch das Getränk: frisch gepreßter Orangensaft. Vielleicht aber auch nur naturtrübe aus der Zapfanlage. Im Wesentlichen ist der Empfang eine Werbung für die organisierten Inselreisen, als da sind: Knossos, Lasithi, Ostkreta, Spinalonga, Samaria Schlucht, Jeepsafari und Santorini Kreuzfahrt. Die Preise bewegen sich allerdings zwischen 10.000 und 20.000 Drachmen (der Preis in DM ergibt sich, wenn man durch 1000 teilt und mal 7 nimmt).

Am Abend hören wir ein Gespräch mit, wo Teilnehmer der Samaria Schlucht von ihrer Unternehmung berichten. Die Samaria Schlucht ist mit 16 km die längste Schlucht Europas. Sie beginnt hoch oben in den weißen Bergen im Distrikt Chania. Um von unserem Ort dorthin zu kommen, muß man bald nach Mitternacht aufbrechen. Dafür ist man kurz vor Mitternacht wieder zurück. Die eigentliche Wanderung durch die Schlucht mag vier Stunden dauern. Es gäbe aber auch Leute, die machten das auf Zeit, mit der Stopuhr in der Hand. Die rufen dann wohl "Bahn frei - Kartoffelbrei" oder sowas, jedenfalls muß man dann schnell zur Seite treten, um den Express passieren zu lassen. Aber die Besucher der Samaria Schlucht haben durchweg leuchtende Augen, es ist wohl ein einzigartiges Erlebnis. Wir sparen das für unser späteres Leben auf, wenn wir mal in einem zu dieser Schlucht verkehrsgünstigeren Ort Urlaub auf Kreta machen sollten.

Die anderen Tagesreisen kann man auf preiswertere Weise unternehmen, wie wir sehen werden. Und die Jeep Safari, die werde ich auf meine Weise machen.

Sonntag

Heute wollen wir uns erst mal akklimatisieren. Der Himmel ist strahlend blau, in der Sonne ist es so heiß, daß man nichts weiter unternehmen kann, als im Schatten zu liegen und ins Wasser zu springen. Irgendwann am Nachmittag fällt uns auch mal ein, daß heute ja Pfingsten ist. Höhepunkt des Nachmittags ist ein Sturzangriff eines nicht identifizierbaren Flugobjekts auf Heidi. Es geht so schnell, daß ich leider nichts zu sehen bekomme. Der Beschreibung nach handelt es sich um ein etwa zigarrenlanges Insekt, dessen schwarzes Beingewirr im Flug senkrecht herabhängt. Schon ist das sonderbare Vieh wieder weg, wir erfinden den Arbeitstitel "Stabzikade". (In der Braunschweiger Zeitung war kürzlich ein Bericht über solche Tiere zu lesen. Da suchte eine Frau nach Abnehmern, weil die Anzahl ihrer Zöglinge durch ständiges Vermehren überhand zu nehmen drohte.)

Abends machen wir dann unseren Gang zu den beiden Supermärkten. Dort gibt es neben einem reichhaltigen Weinangebot natürlich auch Zeitungen, Postkarten und Bücher. Wir haben zwar reichlich Lesestoff mitgenommen, aber jetzt entdecken wir doch drei entscheidende Bücher, die wir sogleich kaufen und die uns in den nächsten Tagen die angenehmste Lektüre bieten werden. (Ich kämpfe gerade mit Peter Handke, In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus. Da bleiben bei allem Verständnis für anspruchsvolle Literatur manche Passagen reichlich mysteriös verfremdet, um es vorsichtig auszudrücken).

Machen wir also eine kleine Buchbesprechung der drei Werke, die wir nun verschlingen werden. Das erste Buch ist - wie könnte es anders sein: Nikos Kazantzakis, Alexis Sorbas. Den Film kennt jeder, er wurde in den 60er Jahren in der Gegend von Chania gedreht. Die Handlung spielt sich aber in einer ganz anderen Gegend ab. Aus den Schilderungen geht hervor, daß es die Südküste Kretas am Libyschen Meer sein muß. An einer einzigen Stelle, als nach einem Arzt geschickt wird, wird ein Ortsname genannt: Kalo Horio. Auf der Karte ist der Ort zu finden, ganz im Südosten in den Bergen. Das Dorf an der Küste müßte demnach Ag. Irini sein, alles vorausgesetzt, der Ortsname stimmt und es gibt nicht einen weiteren Ort gleichen Namens. Was soll man sagen, ist es nicht ein herrliches Gefühl, so von der Strandliege aus im Dunst in der Ferne die Berge zu erblicken, die in dem Buch beschrieben werden, das man gerade liest? Nebenbemerkung: heute wird der Name Sorbas gern bei der Namensgebung von Tavernen und Kafeterions verwendet, obwohl die Kreter auf N. Kazantzakis schlecht zu sprechen sind. Nach seinem Tod hat man sich geweigert, ihn in Herakleion im städtischen Friedhof beizusetzen. Stattdessen ist sein Grab an der venezianischen Stadtmauer zu finden und heute, wie wir vermuten, auch werbewirksam in Stadtführungen einbezogen.

Das zweite Buch ist: Hans Einsle, Die Nachtbäume von Kreta. Es handelt von einem deutschen Archäologen, der ein halbes Jahr auf Kreta zubringt, dabei unter anderem als Teilnehmer der Schlacht um Kreta 1941 mit der Vergangenheit konfrontiert wird. Das Buch ist als Roman geschrieben, die Handlung scheint etwas konstruiert und ist von etwas gefühlsduseligen philosopischen Betrachtungen durchsetzt. Wenn man darüber hinwegsieht, erfährt man eine Menge über die kretische Geschichte und archäologische Besonderheiten.

Das dritte und schönste Buch über Kreta ist: David MacNeil Doren, Wind auf Kreta. Es beschreibt, wie ein junges Paar sechs Jahre lang Kreta kennen und lieben gelernt hat. Es ist schön geschrieben und schildert die Insel und ihre Bewohner, wie man sie heute gern erleben würde. Vor allem der Kontakt zu den Menschen bis hinauf in die entlegensten Bergdörfer ist sehr beeindruckend. Der Wermutstropfen leider, es handelt sich um die frühen 60er Jahre, als der Tourismus erst zaghaft anfing, auf Kreta Fuß zu fassen. Heute wird man vieles so nicht wiederfinden, manches Unzerstörbare aber doch.

Zurück zur Gegenwart. Das nächste Thema ist die Mobilität. Ein Auto mieten kann man an jeder Ecke. Mit einem Fahrrad ist das in unserem Ort schon schwieriger. Die Neckerfrau weiß nichts, an der Rezeption des Hotels weiß man auch nichts. Der Autovermieter neben einem der Supermärkte hat Fahrräder nicht mehr im Programm, seit der benachbarte Club - alles inklusive - auch Moutainbike-Touren anbietet. Da werden die Teilnehmer mit einem Fahrzeug in die Berge gekarrt und können dann, ohne einen Schweißtropfen zu vergießen, einen flotten Downhill hinlegen.

Zwei Häuser von unserem Hotel sehe ich dann aber vier Moutainbikes an der Wand lehnen. Mietpreis für einen Tag: 2.000 Drachmen (DM 14.-). Damit sind die Aussichten für die nächste Woche günstig.

Küstenausblick

Fahrt nach Sitia

Wir finden uns pünktlich zum Frühstück ein, heute wollen wir mit dem Linienbus nach Sitia fahren. Das sind knapp 50 km Fahrt, der Bus wird gut eine Stunde für die Strecke brauchen. Als wir einsteigen, sind eine Menge Schulkinder im Bus, die im benachbarten Ferma an der Schule ausgeladen werden. Die Schule mit einem asphaltierten Basketballfeld geht nahtlos in die Kirche über. Es geht weiter in Richtung Osten an der Südküste entlang. Hier ist auch touristisch schon einiges entstanden, aber nicht so massiv wie an der Nordküste. Die Straße biegt dann ab nach Norden in die Berge und quer über den Ostteil der Insel.

Bei der forschen Fahrweise des Busfahrers scheinen die vielen Kurven einem Busgast nicht bekommen zu sein, da wird mit Tempotaschentüchern und Feudeln hantiert, wie wir aus sicherer Enfernung beobachten. Aber der Blick hinaus in die Landschaft läßt alle Unannehmlichkeiten vergessen. Wenn man hoch in die Berge fährt, wird die Vegetation üppiger, weil da oben mehr kostbares Wasser zur Bewässerung zur Verfügung steht und das Klima nicht ganz so heiß ist. An den Hängen dehnen sich die Olivenhaine aus, Artischockenanpflanzungen, Weinterrassen und urige Bergdörfer. Der höchste Ort ist Lithines, das liegt malerisch auf einer Bergkuppe. Bald sieht man voraus das Meer im Norden und es geht hinab nach Sitia. Dort erledigen wir erst mal das Geschäftliche. Geld vom Postsparbuch abheben geht in Griechenland nicht, soweit ist man mit dem vereinigten Europa noch nicht gekommen. Also bei der nächsten Bank einen Euroscheck einlösen, und ich darf mir auch ein Paar Sandalen kaufen, weil die alten bald auseinander fallen werden.

In einer Geschäftsstraße treffen wir ein radelndes Ehepaar mit Gepäcktaschen. Es interessiert mich, wie so eine Radtour auf Kreta funktioniert und ich spreche sie an. Es sind Schweizer aus Zürich und sie sind schon eine Woche von Herakleion unterwegs. Übernachtungen sind im Bereich der Küste kein Problem. Und in der größten Hitze fände sich immer ein Olivenbaum, wo man sich in den Schatten legen könne. Berge gebe es reichlich, aber das haben wir auch schon gemerkt. "Gute Weiterfahrt" und wir machen uns auf zum venezianischen Kastell. Sitia liegt an einem Hang über der Bucht, da führen hübsche Treppengassen hinauf.

Bronzener Türklopfer

Das Kastell ist verwaist, da gibt es nichts zu besichtigen. Wir bummeln zur Kirche, wo auch hier sich eine Schule und ein Basketballplatz anschließen. Die Kirchentür ist verschlossen und wir wenden uns schon ab. Da ruft einer "Hallo" hinter uns. Es gibt noch eine Tür und die ist offen. Der Kirchenkalfaktor guckt uns erwartungsvoll an. Da rücken wir ein paar Münzen raus und kriegen dafür zwei dünne Kerzen in die Hand gedrückt. Die Kerzen werden an einer anderen Kerze, wahrscheinlich einer geweihten, angezündet und dann in eine Schale mit Sand gesteckt. "Nun sind wir verlobt" sage ich zu Heidi (unsere jüngste Tochter macht gerade Abitur).

Beschwingt begeben wir uns wieder zum Hafen hinunter, kaufen Apfelsinen und diese kleinen Bananen an einem Gemüsestand und beschließen den Besuch von Sitia mit einem Cappuccino.

Zu Sitia ist noch zu sagen, es ist keine alte Stadt, sondern wurde erst Ende des letzten Jahrhunderts angelegt. Dafür hat es einiges an Atmosphäre mit seinen verschachtelten Häusern, die aussehen wie übereinander getürmte Streichholzschachteln.

Am Busbahnhof löse ich am Schalter die Fahrkarten nach Koutsouras und wundere mich, daß die Rückfahrt weniger als die Herfahrt kostet. Wenig später merke ich bei einem Blick auf die Landkarte, unser Ort heißt ja Koutsounari. Nun ist es zu spät, vielleicht merkt der Kontrolleur ja nichts. Wir besetzen für die Fahrt die Sitze ganz vorn, da kann man durch die Frontscheibe alles noch viel besser sehen. Aus dem Seitenfenster möchte ich den Ort Lithines fotografieren. Da verlangsamt der Busfahrer auf schnurgerader Strecke plötzlich seine Fahrt, bis ich abgedrückt habe. Ein erster - wenn auch bescheidener - Beweis der kretischen Gastfreundschaft. Auch der Kontrolleur ist sehr aufmerksam. Als wir nach Passieren des Ortes Koutsuras immer noch auf unserem Platz sitzen, erscheint er protestierend. Natürlich wollen wir ihn nicht übers Ohr hauen und bezahlen anstandslos den Differenzbetrag. Schließlich steigen wir in Koutsounari aus, wo wir hingehören.

Dienstag

Heute genehmigen wir uns das erste Mal einen Liegeplatz am Kiesstrand. Der ist gebührenpflichtig (Drs 1.400). Das kann man sich schon leisten. Gegen Mittag erscheit dann auch Stefanos, wie man seinem Ansteckschild entnehmen kann, und kassiert gegen Quittung. Wie wir aber auch beobachten, schert er sich nicht um Liegeplätze, deren Bewohner sich gerade im Wasser oder dem angrenzenden Restaurant befinden. Vielleicht sollte man das nächste Mal ein offenes Auge haben, oder aber den Betreibern die bescheidene Einnahme gönnen. Wir sind eher für letzteres.

Da wir nun genug Lesestoff haben, mal der Sonne zu- mal abgekehrt liegen, mal im azurblauen Meer schwimmen, bleibt nur zu berichten, was sich da so bei dem benachbarten Club (Alles Inclusive) abspielt. Man kann die Uhr nach den angebotenen Programmpunkten stellen. Punkt 10 Uhr geht es los mit Wasserski. Da gibt es Dilettanten, die kommen gar nicht erst auf die Beine bzw. Ski, aber auch Cracks, die weite Kurven oder gar Drehungen fabrizieren. Parallel versuchen sich die Surfer im ständigen Segelhochziehen, um das Stehen bei Flaute zu üben. Manchem geht bei dem ständigen Rückwärts- oder Vorwärtsüberschlag die Puste aus, die müssen dann zu Fuß zurück durch den tiefen Kies waten. "Wer sein Surfbrett liebt, der schiebt".

Ein blonder Holländer gibt vom Strand aus wohlfeile Ratschläge, er hat ein T-Shirt an, da steht "Animation" drauf. An einem Nachmittag mit steifem Wind sehen wir ihn einmal wie ein Pfeil dahinsausen, der kann es, "ein Genuß" sagt Heidi. Dann ist noch Paddeln und Segeln angesagt. Ab und zu kentert auch ein Segelboot, da gibt es dann was zu gucken.

Am Nachmittag geht es dann mit Discomusik weiter. Irgendwelche Spiele finden statt, man hört Trillerpfeifen und Anfeuerungsrufe. Wer mehr das Feuchte liebt, kann sich aber auch rittlings auf einer Art Gummibanane mit einem Affenzahn über die Wellen ziehen lassen. Gestandenes Mannsvolk hopst und juchzt und kreischt, daß es eine Lust ist. Der Fahrer im Boot legt es nur darauf an, die Gummibanane umzuschmeißen, was ihm meistens gelingt. Manchmal schleppt er seine Banane aber auch mit ganz gemäßigtem Tempo dahin, da sitzen dann die Muttis drauf.

Ein einziges Mal in diesen 14 Tagen haben wir uns aufgerafft, und auch mal einen Blick in das Innere dieser Clubanlage zu werfen. Es gibt dort mehrere Pools, vornehme Liegen mit Zieharmonika-Verdeck als Schattenspender. Im Beach-Restaurant findet gerade ein Quiz statt, da wird nach dem Aussehen der bulgarischen Flagge gefragt. Ich bleibe vor der Mountainbike-Abteilung stehen, da werden die Räder zentriert, geölt, poliert und gewienert. Wer hier was zu sagen hat, trägt das Animations-T-Shirt. In die Gebäude können wir nicht reingehen, weil wir ja in Badekleidung vom Strand gekommen sind. Unter unserem Sonnendach aus blauangestrichener Gartenschlauchspirale fühlen wir uns jedenfalls auch sehr wohl.

Damit hoffe ich, daß Heidi für einen Tag auch ohne mich genügend Abwechslung hat. Ich hole mir das Mountainbike für den nächsten Tag ab, damit ich wegen der Hitze möglichst früh starten kann. "Wo willst Du denn hin" fragt mich die Frau, perfekt Deutsch spricht sie. "Da oben über die Dörfer!" Das sei herrlich da oben, aber alles Schotterstraßen. Beim Abendessen sehe ich einen Burschen, der hat ein Hemd an mit dem Aufdruck "7. Kapruner MTB Rennen". Da halte ich mich lieber raus.

Sieben Bergdörfer

Streckenkarte

Trotz meines ungewissen Vorhaben schlafe ich gut und bin um 6 Uhr morgens startbereit. Heidi macht schlaftrunken ein Auge auf und wünscht mir alles Gute. Sie hat ein wenig Angst, ob die Bremsen auch in Ordnung sind? "Wird schon werden, runter kommt man immer".

Ein bißchen aufgeregt bin ich auch, aber das gibt sich, wenn man los rollt und die große Freiheit spürt. Heute werde ich schwitzen, mich verfahren, bergauf schieben, bergab schieben, über Geröll holpern - und keiner wird meckern. Vorsicht ist geboten wegen Hitzschlag, Sonnenstich oder zu wenig Flüssigkeit. 1.5 L Sinalco habe ich im Rucksack, ein paar Salzstangen und Nüsse, das Frühstück findet für mich heute nicht statt.

Nun geht es los, die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Einen Kilometer hinabrollen zur Abzweigung nach Agios Ioannis, ein Dörfchen wie ein Schwalbennest am Ende eines Tales.

Auf einem Spaziergang haben wir es von der Küste aus schon hoch oben gesehen. Es geht gleich so steil los, daß ich lieber schiebe, und das ganz langsam. Was man am wenigsten gebrauchen kann, ist jetzt schon ins Schwitzen zu kommen. Flachere Stücke kann man dann wieder fahren, mit der Schaltung komme ich gut zurecht. Bald liegen die letzten Häuser von Koutsounari hinter bzw. unter mir, eine steile Linkskurve hinaufgeschoben, dann taucht das Dorf auf, 9 km entfernt.

Die Straße schlängelt sich am Hang entlang, meistens kann man gut fahren, wenn Quertäler umrundet werden. Man ist allein, kein Auto oder sonst etwas. Ab und zu ein Geräusch im Gebüsch. Aber es handelt sich dann nur um ein zischendes Leck in den schwarzen Bewässerungsschläuchen, die parallel zur Straße verlaufen. Man hat hier oben wohl jeden Wasseraustritt und jede Quelle angezapft, um das Wasser zu sammeln und der Bewässerung der Olivenhaine zuzuführen.

Bild 1 Bild 2 Ag. Ioannis

Nach gut einer Stunde überhole ich zwei Wanderer, das Ziel Ag. Ioannis ist schon ganz nah. "Kann schon mal den Kaffee bestellen" höre ich im Vorbeifahren. Ich belasse es bei "Guten Morgen" und bin dann gelackmeiert, weil die Straße wieder steiler wird und zu beweisen ist, daß man dort locker hinauffährt. Nach der erlösenden Kurve, die einen außer Sichtweite bringt, kann man sich dann endlich verpusten. Als ich das Dorf erreiche, kommen die beiden Wanderer auch schon um die Ecke. Die Sonne geht auf und taucht das Dorf in das erste Licht. Um ein ansprechendes Foto zu machen, klettere ich auf eine Mauer. Da habe ich die Rechnung ohne ein Paar Hunde gemacht, die glücklicherweise angekettet sind, aber lautstark Protest anmelden. Da muß ja da ganze Dorf aufwachen. Ich beeile mich, weiterzukommen. Bei genauerem Hinsehen hat man den Eindruck, daß dieses Dorf gar nicht so recht bewohnt ist, viele Häuser machen einen verlassenen Eindruck. Die beiden Wanderer sehe ich noch im Dorf verschwinden, gern würde ich auch die Nebengassen erkunden, aber rastlos wie immer geht es lieber weiter (wir werden später noch sehen).

Bisher war die Straße asphaltiert, nun beginnt die angekündigte Schotterstraße. Und da sehe ich vor mir, was ich mir erhofft hatte, ein bärtiger Mann auf einem Esel reitend. Schnell überhole ich ihn "Moin Moin", 50 Meter weiter springe ich ab, Fotoapparat raus und ein Bild von dem Eselreiter, das gehört nun mir. Er reagiert gar nicht und biegt auf einen Bergpfad ab.

Die Straße führt nun sonderbarerweise wieder steil hinunter. Das hat man nicht so gern, wenn man schon mal so hoch geklettert ist. Vielleicht ist oben, wo der Eselreiter abgebogen ist, der richtige Weg? Nun ist es zu spät, immer weiter runter, womöglich lande ich gleich wieder unten an der Küste? Mehrmals gibt es Abzweigungen, man kann die Hauptstrecke kaum von Neben- und Wirtschaftswegen unterscheiden, die dann in irgendwelchen Olivenhainen enden. Ich orientiere mich an Reifenspuren im Schotter, die mögen schon wissen, wo sie hinführen.

Eine kleine Schlucht wird gequert, dann geht es wieder bergauf. Am Hang oben krapselt eine schwarze Frau zwischen den Kräutern. Ein Technikdenkmal tut sich auf, da hat man einem ausgedienten Lastwagen als Schottermühle das Gnadenbrot gegeben. Am Hang stehen Baumkrüppel, das sind Kiefern und Opfer eines Waldbrandes. Wie mühevoll sie die Wurzeln in Felsritzen auf der Suche nach dem lebenderhaltenden Wasser gekrallt haben, wie viele Jahre sie dafür gebraucht haben? Abgebrannt sind sie dann innerhalb von Minuten. In den Zeitungen liest man nur Zahlen, wie viele Hektar Wald durch solche Brände vernichtet werden, hier sieht man in jeder Baumleiche ein tragisches Schicksal.

Unversehens erreiche ich ein Dorf, ich habe schon die Hoffnung aufgegeben, meinen Tagesplan zu erfüllen und weiß absolut nicht, wo ich mich befinde. Eine alte Frau guckt aus einem schwarzen Türloch, verschwindet wieder - man fühlt sich als Eindringling. Was hat man hier zu suchen? Andererseits sollen doch die Bergbewohner so gastfreundlich sein? Man muß ein wenig nachdenken, was sich geändert hat. Früher waren alle arm, konnten aber leben, und hatten immer etwas für einen Gast übrig. Heute ist man hier oben immer noch arm, da unten, an der Küste aber, da wird das große Geld verdient. Da sind die Menschen scheu geworden. So stelle ich es mir jedenfalls vor. Auch in diesem Dorf sind viele Häuser verlassen und verfallen. Ein Foto, dann finde ich über Treppenstufen, die für Esel gemacht sind, die Schotterstraße wieder.

Das Ortsschild taucht dann doch noch auf mit dem schönen Namen: Skinokapsala. Genau da wollte ich hin. Es kann also wie geplant weitergehen, die nächste Teilstrecke ist einfacher. Man erreicht wieder eine asphaltierte Straße, die ein schroffes Hochtal hinauf führt. Auch hier wieder die schwarzen Rohrleitungen, die aus den Höhen das Wasser sammeln. Man lutscht die Berge geradezu aus. Vom Umweltstandpunkt erscheint das zunächst weniger bedenklich, denn ehe das Wasser ins Meer fließt oder verdunstet, ist es für die Bewässerung besser verwendet. Einmal höre ich aber Frösche quaken, geradezu ein Luxus, wenn man sich solche Feuchbiotope leistet. Und gerade die sind dem Untergang geweiht, wenn man das herabfließende Wasser in Rohre zwängt. Aber man muß leben, ich darf mir kein Urteil darüber erlauben.

Es geht hinauf zu dem Dorf Orino. Immer noch der verbrannte Wald an den Hängen. Aber auch Glockenblumen, Mohn - und dann die Orchideen, auf die ich schon lange warte. Es sind die Blütenstände des Knabenkrauts, das hebt die Stimmung. Dann kommt mir ein Pickup entgegen, ich schiebe gerade wieder bergan. Der Pickup hält extra an: "How you feel, where you go" werde ich durch das runter gekurbelte Seitenfenster gefragt. "Orino, and the way on" kann ich antworten. "Keep right, good time" damit hat man wieder ein nettes Erlebnis und schiebt freudig weiter bergan.

Es wird Zeit, mal nach der Sonne zu gucken. Die steht fast senkrecht. Ich empfinde gar nichts. Keine Anstrengung, keine Erschöpfung, keine Hitze, keinen Hunger. Die Sinalco zische ich aber weg, damit man nicht austrocknet.

Das Dorf Orino liegt in einem Hochtal, ringsum hat man Terrassen angelegt, die Vegetation ist üppig. Über dem Dorf ragt ein Bergkegel auf, gelb beblüht, vielleicht Ginster. Dieses Dorf scheint noch zu funktionieren, erscheint gepflegt und voll Aktivität. Das merkt man zumindest an den Pickups, die man auf Kreta allerorts zu sehen bekommt. Pickups sind kleine Fahrzeuge mit einer Ladefläche hinten dran, da werden Apfelsinen, Baumaterialien, Ernteerzeugnisse und auch Ziegen transportiert. Den Ziegen macht das offensichtlich einen Mordsspaß. Der Pickup ist der technische Ersatz des Esels, sofern die Wege es zulassen. Es fällt auf, das diese Fahrzeuge an allen vier Ecken oftmals recht abgerundet wirken. Da ist kein Vorder- oder Rückscheinwerfer, selbst die Stoßstange mehr in ihrem funktionsfähigen Zustand. Um die Herstellerfirmen nicht zu kurz kommen zu lassen, steht auf der Heckklappe in breiten Lettern: Honda, Suzuki, Mitsubishi, Fujitsu, Toyota, Mazda, Nissan, oder Subaru. Hier hat die Kfz-Industrie des vereinigten Europas glatt einen lukrativen Markt verschlafen.

Zu dem Dorf Orino gibt es noch etwas bemerkenswertes nachzutragen. Einige Wochen später - längst wieder zu Hause - blättere ich in einer Buchhandlung in einem Reiseführer über Kreta. Da stoße ich auf eine Seite über dieses Dorf und lese Erstaunliches. Es gibt hir eine "Schmetterlingsschlucht", in der man so um die Mitte Mai gegen Mittag tausende von Schmetterlingen bewundern kann, die in dem erwachenden Sonnenlicht lebenslustig und farbenfroh herum gaukeln. Und ich Ahnungsloser bin so um die Mitte Mai zur Mittagszeit in Orino und mache mir Gedanken über die "Pickups"...

Von dem Ort Orino geht es im Zickzack steil hoch über einen Paß. Ist man oben, ist guter Rat teuer. Entweder man wählt einen Hangweg, der in ein Hochtal führt, oder man stürzt sich wieder im Zickzack in die Tiefe. Unten ist auch schon ein Ort zu sehen, ein Wegschild gebt es aber nicht. Also dann lieber in die Tiefe stürzen. Damit ist es aber nicht weit her, denn der Schotter ist so grob, daß es stellenweise eine Wohltat ist, bergab zu schieben. Außerdem schmerzen bald die Hände vom vielen Bremsen. Das Dorf kommt näher und unversehens findet man sich auf dem Dorfplatz wieder. Der ist überschattet von der Krone einer uralten Platane. Darunter sitzen an einem Tisch Karten spielende Männer, auf einigen Bänken hocken weitere Figuren, die sind auch nicht fleißiger. Als wenn man bei jemand in die Wohnstube gehagelt wäre, so kommt man sich vor. Ich kaufe mir erst mal im Laden ein paar Dosen Fanta für die Weiterfahrt. Bei der Kontrolle des Dorfnamens stelle ich fest: Stavrohori, also verläuft die Fahrt immer noch wie geplant.

Bild 1 Bild 2 Bild 3 Bild 4 Bergdörfer

Danach verpasse ich allerdings eine geschotterte Abzweigung, weil die geteerte Straße einladender ist. Man landet in dem Ort Lapithos, von wo es immer weiter in die Berge und auf die nördliche Inselseite geht. Da muß ich umkehren und die steile Schotterabzweigung hinaufschieben. Bald aber rollt man wieder schön dahin, zwischen Oliven und Zisternen, ein weiter Blick hinüber zur Küste, wo der Übergang des blauen Meeres zum Himmel nicht erkennbar ist. Ich erreiche den Ort Ag. Stefanos, hier könnte man wieder hinabfahren zur Küste. Aber es ist zu schön, einen Ort weiter kann ich noch. Der heißt Pefki. Links oben liegt eine Kapelle auf einem spitzen Berg, Wie man da wohl hinauf kommt? Hinunter an das Meer kommt man jedenfalls auf höchst angenehme Weise, angesichts der Angst vor einer weiteren ekligen Schotterabfahrt. Man hat die Straße gerade erst geteert. Das hat sich wohl noch nicht herumgesprochen, denn ich habe die Straße ganz für mich alleine. So fliegt man geradezu hinunter und muß sich zwingen hin und wieder für ein Foto anzuhalten. Eine Felsgruppe, aus der man einen Ziegenstall gemacht hat, ein netter Rastplatz, dann bin ich unten.

Knapp 20 km sind nun noch auf der Küstenstraße zurückzufahren, der leichte Gegenwind ist als Kühlung eher angenehm. Um 15 Uhr bin ich am Ziel, 60 km in 9 Stunden, mehr als 1000 Höhenmeter und das bei der Hitze. Da kann man zufrieden sein, ich verspreche meiner Ehegattin wahrheitsgemäß, daß ich für den Rest des Urlaubs vom Radfahren genug habe.

Ich habe mir gerade das Salz vom Schwitzen aus dem Gesicht geschwommen, da kommen zwei bekannte Figuren um die Ecke: Heidi und Peter. Sie haben von Anfang an ein Auto gemietet, nun hat es sie in den Osten der Insel verschlagen. In unserem Hotel ist gerade noch ein Zimmer frei, da können sie über Nacht bleiben und wir können uns auf einen gemütlichen Abend einrichten. Schnell wird im Supermarkt ein geeignetes Weinsortiment zusammengestellt.

Nach dem Abendessen machen wir noch einen kleinen Rundgang, um unser Paradies vorzuführen. Mit der einbrechenden Dunkelheit finden wir uns auf unserer Terrasse wieder, wo wir uns mehr und mehr weinselig die bisherigen Urlaubserlebnisse erzählen. Durch ein paar Teelichter zaubern wir auch ein wenig Stimmung herbei, wenn man mal vom Sternenhimmel und dem Vollmond absieht.

Drei Badetage

Da man schon wegen der Entfernungen nicht jeden Tag etwas unternehmen kann, das Wetter wunderschön ist und wir ausreichend Lesestoff haben, läßt es sich am Strand herrlich leben. Das glasklare Wasser läd nicht nur zum Schwimmen ein. Leider habe ich als Brillenträger ein paar Probleme mit dem Schnorcheln. Einmal fehlt es an einem Schnorchel, aber man kann ja auch die Luft anhalten. Schwieriger ist das mit einer Taucherbrille, die man schlecht wasserdicht über die Brillenbügel stülpen kann. Ich bin aber seit Jahren im Besitz einer auf die Kurzsichtigkeit eingerichteten Schwimmbrille (von Fielmann), die habe ich noch nie ausprobiert.. Die Brille kneift zwar furchtbar, aber um so wasserdichter müßte sie ja dann eigentlich sein. Also ab zwischen die Felsen, mal sehen, ob es hier Seeigel gibt.

Der erste Blick ist wunderbar, ein Schwarm kleiner Fische wuselt herum. Der Grund und die Felsen erscheinen auf Armlänge entfernt, sind aber viel weiter weg. Einmal Luft geholt, der zweite Blick ist weniger angenehm, alles verschwommen und es brennt in den Augen. Natürlich ist die Brille voll Wasser gelaufen. Weitere Versuche gehen genauso aus. Jedenfalls gibt es keine Seeigel.

Da gibt es an Land mehr zu sehen. Das Ehepaar, das mit uns angekommen ist, hat auch merkwürdige Badegewohnheiten. Sie suchen sich immer einen Platz auf einer Klippe aus, und stehen dort ausdauernd mit erhobenen Armen der Sonne zugewandt oder machen Freiübungen. Wir dagegen haben an den Innenseiten ganz weiße Arme. Wo sich beim Halten des Buches Hautfalten bilden, bleiben keilförmige weiße Stellen von der allseitigen Bräunung ausgenommen. Das kann man eben mit diesem Klippentrick vermeiden.

Wir haben auch noch eine vollbusige Blondine im Visier, die beim Abendessen immer in vorteilhaftester ihre Reize betonenden Garderobe erscheint. Die planscht zuweilen lustvoll mit ihrer Luftmatratze in den Wellen, zum Glück oben ohne. Manchmal fällt sie von ihrer Luftmatratze herunter, da lachen wir dann. Sie hat auch mit einem eigenartigen Individuum angebändelt, der trägt einen Vollbart, eine Schiffermütze, ein rotes Hemd und grüne Weste. Er schleppt ein Buch mit sich herum, das hat den Titel Der Mönch.

Ein anderes Mädchen aus dem Hotel ist schwarzhaarig und beneidenswert braun gebrannt. Wenn die neben einem steht, muß man allerdings den Kopf in den Nacken legen, um bis zu ihrem oberen Ende zu gucken. Die nennen wir "der braune Kannister".

Unser Strandkassierer Stefanos kommt an einem Tag anscheinend besser gelaunt als sonst zu uns und kassiert nur 1000 Drachmen statt 1400. "Du verstehen, Chef nix Kontrolle, kein Problem" zwinkert er uns zu. Dafür haben wir ihm die anderen Tage immer 100 Drachmen Trinkgeld gegeben, wodurch sich die Ersparnisse wieder aufheben.

Das Wetter ist jeden Tag gleich, was den wolkenlosen Himmel angeht. An manchen Tagen ist es zwar dunstiger, was weniger stört. Was aber stark wechselt ist der Wind. Er ist manchmal so ruppig und unangenehm, daß man sich ein geschütztes Plätzchen am Pool suchen muß. Einmal sehe ich am Strand eine Windhose, die zieht sogar die Kieselsteine hoch, verschwindet dann aber landeinwärts. An diesen Tagen mit starkem Wind ist es merklich ruhiger im Club, auch das Surfprogramm Stehen bei Flaute fällt dann aus. Die es trotzdem wagen, marschieren bald reihenweise zu Fuß nach Hause.

In einem der Supermärkte gibt es einen 24 Stunden Fotoservice. Immer wenn ein Film voll ist, gebe ich den ab, und kann dann am nächsten Tag kaum die Nachmittagszeit abwarten, um die Bilder abzuholen. So hält man schon einen Tag nach einer Unternehmung die dabei geschossenen Fotos in der Hand. Am Schluß des Urlaubs haben wir bereits alle Bilder komplett.

Weil man nicht den ganzen Urlaub am Strand verbringen kann, schon gar nicht auf einer so schönen Insel, kümmern wir uns nun doch um ein Auto. Das machen wir natürlich dort, wo ich schon das Fahrrad gemietet hatte (Motor Jiannis). Wir fragen die blonde Frau, warum sie so perfekt Deutsch spricht und erfahren ihre Geschichte. Sie ist aus Nürnberg und hat Jiannis so um 1980 im Urlaub kennengelernt. Man hat sich dann immer nur im Urlaub wiedergesehen, ein paar Jahre war dann auch Pause. So Anfang 90 ist man dann zu der Erkenntnis gekommen: "Du bist immer noch allein, und ich auch noch, jetzt müssen wir was machen". Rosi, so heißt sie, hat dann in Deutschland alles aufgelöst und ist nach Kreta gezogen. Das Geschäft ist zwar nicht einfach, in mancher Saison habe man empfindliche Einbußen. Aber irgendwas bereuen, nix da. Das Resultat dieser Liebesgeschichte geht nun schon zur Schule und hat gerade Mumms.

Ein Auto für drei Tage können wir für Sonntag, Dienstag und Mittwoch vorbestellen. Am Sonnabend davor fahren wir natürlich noch einmal nach Ierapetra zum Markt. Um neuerlich Geld zu besorgen, suchen wir einen Geldautomaten, der mit der Eurocard gefüttert werden kann. Deshalb hat sich schon eine kleine Schlange gebildet. Das erste Ehepaar muß unverrichteter Dinge wieder abziehen, entweder kommen sie mit dem Automaten nicht klar oder ihr Konto ist nicht gedeckt. Als die Leute vor uns ganz veruückt schon dem Rascheln der Geldscheine lauschen, sind wir plötzlich von einer Schar kleiner Jungen umringt, die interessiert am Geschehen teilzunehmen scheinen. Da geht die innere Sirene los: was haben die vor - ein schneller Griff und die sind um die nächste Ecke verschwunden? Das Wort "Polizei" wirkt aber Wunder, schwups, sind sie wirklich um die nächste Ecke verschwunden - ohne Schaden anzurichten. Bei der Polizei kommen wir später auch noch vorbei. Da werden stapelweise ausrangierte Matratzen verladen - wahrscheinlich durchgelegen.

Auf dem Markt begegnen uns heute zwei Originale, die würde man gern fotografieren. Der Mann trägt das Hemd offen und hat eine von Narben übersähte Brust. Vielleicht ein Bluträcher? (Wir haben davon gelesen, daß die Kreter tüchtige Bluträcher sind, ob das heute noch so ist, sei dahingestellt). Als wir den beiden Figuren wieder begegnen stellt sich raus: sie betteln, die knotigen Narben dienen als Mitleid erheischender Blickfang.

Wir suchen in der Nähe des Hafens noch das Napoleonhaus. Da soll Napoleon anläßlich seines Ägyptenfeldzuges einmal übernachtet haben. Wir finden das Haus aber nicht, vielleicht weil es nicht gekennzeichnet ist.

Fahrt zur Lasithi Hochebene

Am Sonntag ist es soweit, wir können das Auto am Morgen in Empfang nehmen. Es ist ein roter Suzuki Maruti mit Schiebedach. Wir starten in Richtung Lasithi Hochebene, da soll es einmal an die 10.000 Windräder gegeben haben. Mal sehen, was davon übrig ist.

Am Anfang fahre ich mit leicht verschwitzten Handflächen, man muß sich an das Auto erst mal gewöhnen. Wenn man 60 km/h drauf hat, meint man, schon wie Schumi am Limit zu fahren. Aber auch Schumi muß trainieren, nachher fahren wir sogar 80 km/h, wenn es die Straße zuläßt, was allerdings selten ist. Die Straße entlang der Bucht von Mirabello hat es mit ihren Kurven in sich. Das ist eine gute Vorübung für den Anstieg zur Lasithi Hochebene, die in 900 m Höhe liegt. Die Abzweigung dorthin ist in Neapolis zwischen Nikolaos und Malia. In Neapolis auf dem Platz vor der Kirche ist heute am Sonntag einiges los, Leute in Trachten - oder sind es Uniformen - wir fahren in unserer Unrast durch. Die Straße hinauf ist nun recht schmal, wir können uns nicht vorstellen daß hier auch Busse rauf fahren können. Die Vegetation wird immer grüner und üppiger, es blüht, wo man hinsieht. Hübsche kleine Dörfer, in denen die schwarz gekleideten alten Männer, gestützt auf Krückstöcke, ihrer Hauptbeschäftigung nachgehen, dem Ablauf des Weltgeschehens auf die Schliche zu kommen. Man sieht das ja in jedem Ort, nicht nur am Sonntag, fast ist es schon ein Klischee, aber es ist so. Zuweilen sieht man auch Figuren, denen möchte man nicht im Dunklen begegnen, schwarzbärtig und finster. Hin und wieder auch die alte Bekleidungsweise: Stiefel, Reithosen, schwarzes Hemd und ein Tuch um den Kopf geknotet. Eine weitere Eigenheit der Kreter besteht in einem Perlenband, einem Rosenkranz ähnlich, mit dem ständig herumgespielt wird - niemand weiß warum. An den Straßen sind verschiedentlich Stände aufgebaut, da bietet man Käse, Honig, Raki, Gewürze oder Obst an. Einer hat sich als Ziereinheimischer in eine Tracht geworfen, mit dem kann man sich gegen einen Obulus fotografieren lassen.

Durch diese herrliche Welt kurvt man hinauf, der Verkehr ist so gut wie nicht vorhanden. Wenn einem ein nachdrängender Eilfertiger auf die Nerven geht, fährt man rechts ran und läßt ihn vorbei, dann kann man weiter bummeln. Weiter oben wird es wieder karger, endlich erreicht man nach 25 km den Rand der Lasithi Hochebene. Wir parken vor einem Abhang, da fällt mir ein, ich habe den Rückwärtsgang ja noch gar nicht ausprobiert. Es gibt aber keine Probleme. Das Lasithi Plateau liegt wie in einer Schüssel, nahezu kreisrund allseits umgeben von den Bergen. Die Enttäuschung ist groß, wenn man es nicht schon vorher in Erfahrung gebracht hat: von den 10.000 weiß bespannten Windrädern sind nur noch verfallene Reste übrig.

Eine der Haupattraktionen dieser Region ist die Diktalon Höhle oder Diktische Grotte. In der soll Zeus geboren sein. Aber so genau weiß man das auch nicht. Deswegen lassen wir sie auch links liegen und biegen rechts zu dem Hauptort Tzermiadon ab. Da sind ganze Häuser vollbehängt mit Teppichen, Tischdecken und Häkelarbeiten. Also stellen wir das Auto irgendwo in eine Ecke und wandeln die Dorfstraße entlang. Lange wird man nicht in Ruhe gelassen, schon ist man umringt von interessierten Fragern, wo man her komme, ob man mal einen Moment gucken wolle, "kein Problem", und schon wird man in einen dieser textilen Läden hineingezogen. Nichtmal die Ware braucht man sich selbst auszusuchen, mit der wird man sozusagen gleich eingewickelt.

"Schade," sagt Heidi, "ich würde so gern ein bißchen rumstöbern", aber das versteht man bei dem überentwickelten Geschäftssinn nicht. Als wir uns aus den Klauen dieser Häkelmafia befreit haben, wenden wir uns wieder den landschaftlichen Attraktionen zu. Für die Rückfahrt wählen wir die andere der zwei Straßen, die auf die Lasithi Ebene führen. An der Kante kann man eine Reihe von Mühlenresten sehen, die eine nach der anderen auf dem windausgesetzten Berggrat früher das Wasser bergauf fließen ließen. (Der Ausdruck Mühlen ist natürlich ganz falsch).

Diese Straße hinunter nach Malia ist besser ausgebaut, hier kommen auch die Busse rauf. Der Hauptverkehr kommt uns entgegen, bald wird Rush-Hour auf der Lasithi sein. Bis dahin sind wir schon wieder weg. Wir halten noch einmal an und erfreuen uns an dem blühenden Stechginster oder einem Blick hinunter auf den Badeort Malia.

Nächstes Ziel ist die Ausgrabungsstätte eines der minoischen Paläste östlich von Malia. Auf dem Parkplatz treffen wir auf eine erboste Dame. Also, am Sonntag sei der Eintritt doch überall frei, hätte die Reiseleitung versichert, außerdem sei die deutschsprachige Führung fast schon vorbei. Wir werfen einen Blick auf die Mauerreste hinter dem Maschendraht und kalkulieren, ob sich das Löhnen von zwei mal 1.400 Drachmen lohnt. Das Ergebnis ist: wir sitzen gleich wieder im Auto.

Unsere rote Nuckelpinne mit Schiebedach trägt uns sicher über die Berge nach Agios Nikolaos. Nun hat uns die Neckerfrau bei der Begrüßung den folgenden Spruch mitgegeben:

"Auf Kreta fährt der Deutsche rechts, wie es sich gehört,
der Engländer fährt links, wie er es gewohnt ist,
und der Kreter fährt in der Mitte, wo Platz ist.
"

Nach diesem Prinzip kommen wir ganz gut zurecht. Das nächste Ziel ist der Ort Kritsa, eines der schönsten Bergdörfer Kretas, wie man nachlesen kann. Den Namen kann ich mir ausnahmsweise gut merken, indem ich in Gedanken immer die Silbe "La" davorsetze. Noch vor dem Dorf findet man die berühmte Kirche Agios Georgios.

Bild 1 Bild 2 Agios Georgios

Die weist in ihrem Inneren die am besten erhaltenen Fresken weit und breit auf. Leider "Fotografieren verboten", zu dunkel ist es ohnehin. Wir bestaunen die Farbenpracht andächtig, zum Verinnerlichen muß man mehr Zeit und Sachverstand mitbringen.

Wir fahren weiter hinauf zum Dorf, da ist ein großer Parkplatz und nur ein einziger Touristenbus. Auf der Dorfstraße das gleiche Bild wie auf der Lasithi, Handarbeitswaren stehen zum Verkauf und die Betreiber lauern auf Beute wie die Spinnen im Netz. Wir bestaunen einen großen blauen Teppich. Der würde gut in Stefanies Zimmer passen, meint Heidi. Schon kommt eine resolute Dame um die Ecke, wir wollen eigentlich nur nach dem Preis fragen. 10.000 Drachmen, sagt sie, nimmt den Teppich von der Leine, zieht uns mit in den Laden und verpackt ihn gleich in einer Tüte. 8.000 Drachmen sagt sie dann. "Bei IKEA kriegst du so was nicht für das Geld" meint Heidi. Außerdem kann man mit der Visa-Card bezahlen, das überzeugt mich dann auch. Da wird ein leicht angestaubter Ratsch-Ratsch-Automat aus einem Spind hervorgezaubert, der eben runter gehandelte Betrag gleich wieder drauf geschlagen - wegen der Bankgebühren, und ich darf unterschreiben.

Es ist jedenfalls das Erlebnis wert. Als weiterer Service dürfen wir die Tasche solange dort lassen, bis wir die Dorfbesichtigung beendet haben. Wir wenden uns bald ab von der Dorfstraße und stolpern durch die verwinkelten Nebengassen, die ja bekanntlich nach der Größe eines beladenen Esels dimensioniert sind. Eine auf dem Boden sitzende arme Frau bietet nur ein paar Mandeln aus einer Tüte an. Und da gehen wir vorbei. Man ist zu unvorbereitet. Hinterher sitzen wir auf dem Dorfplatz bei einem griechischen Salat und einem Glas frisch gepreßtem Orangensaft und denken darüber nach: die Frau mit dem Teppich ist ja steinreich, verglichen mit den Bewohnern in den Hintergäßchen, die nur ihre Wohnhöhle und ein Gärtchen besitzen mögen, aber sonst vom Tourismus nicht profitieren. In einem anderen Hauseingang haben wir eine alte Frau gesehen, dem Tode nahe, glaubt man, der wird von den Touristen Geld zugesteckt. Innen sieht man aber auch eine jüngere Frau, die Beifallsbekundungen von sich gibt, wenn die zur Schau gestellte Oma wieder einen Schein erhascht hat.

Als eine Busladung die Dorfstraße herauf strebt, brechen wir auf. Wir nehmen unseren Teppich in Empfang, ich darf im Voraus berichten, daß er in Stefanies Zimmer wirklich hervorragend paßt, auch farblich, und Stefanie uns um den Hals gefallen ist, ein Teppich aus einem kretischen Bergdorf, und dann noch mit Visa-Card bezahlt, das ist doch was.

Bild 1 Bild 2 Bild 3 Bergdorf Kritsa

Wir geigen zurück um den Golf von Mirabello und sind rechtzeitig für eine Prise Sonne und Meer zurück am Strand. Aber kaum hat man ein Auto, ist Action angesagt. Wir hatten einer einsamen Dame versprochen, ihr noch etwas besonderes zu zeigen. Um 18.00 Uhr sind wir in der Rezeption verabredet. Die einsame Dame erscheint in Schale und geschminkt. Dabei wollen wir nur noch mal hinauf in das Bergdorf Ag. Ioannis fahren, das ich ja von innen auch noch nicht gesehen habe.

Neulich bin ich da mühsam hinauf geschoben, heute sind wir nach 5 Minuten weg von der Küste in einer anderen Welt. Allerdings sind meine beiden mitfahrenden Damen plötzlich mucksmäuschenstill. Die Straße hat keine seitliche Sicherung und es geht auf der rechten Seite beachtlich in die Tiefe. Beim Fahren versuche ich, gestikulierend auf die Schönheit der Berge in der Abendsonne hinzuweisen. "Guck doch lieber auf die Straße!" wird mir von rechts nur zugezischt. Aber die ist breit genug, Verkehr gibt es hier nicht, so kommen wir doch noch wohlbehalten oben an und stellen das Auto an der Kirche ab. Alle Kirchen, die wir bisher gesehen haben, sehen aus, wie neu erbaut, frisch geputzt und geweißt. So auch diese. Wir betreten nun die inneren Gassen des Dorfes und man sieht es gleich, ein Geisterdorf. Nur wenige Gebäude sind noch bewohnt, der Rest verfällt. Man kann nicht mehr unterscheiden, waren das früher mal Ziegenställe oder Wohnräume. Türen und Fenster fehlen, die Dächer fallen zusammen. Menschen gibt es nicht. Immerhin äugen ab und zu interessierte Ziegen aus den dunklen Verliesen heraus. An einer Stelle ist ein Haus auf die Gasse gefallen, da müssen wir umkehren und einen anderen Durchstieg suchen. Schließlich kommen wir einigermaßen sprachlos wieder unten an der Kirche raus.

Einen Dorfbewohner treffen wir nun doch noch, der schneidet Halme von Schilfgras zurecht, das an feuchten Stellen wächst. Die Halme sehen aus wie Bambusstöcke und werden für Sonnendächer verwendet. Der Mann fragt, woher wir seien. Da unsere Begleitung ein bißchen Griechisch kann, bringen wir in Erfahrung, daß hier oben Italiener und Engländer zugange sind, einzelne Anwesen zu erwerben und wieder bewohnbar zu machen. "Deutsch gutt" sagt er aber auch.

Um nichts zu verpassen erscheint nun auch noch ein kleiner Hund auf der Bildfläche, das ist eine Mischung zwischen Tschautschau und Pekinese. Der begleitet uns zum Auto. Dort führt er unaufgefordert ein paar Kunststücke vor: senkrecht in die Höhe springen, oder Männchen machen und dabei mit den Pfoten auf und ab schlagen. Leider ist er gut besetzt mit wohlgenährten Zecken, so daß man doch lieber auf einem gewissen Abstand besteht.

Als wir losfahren, läuft der Hund noch eine Weile hinter dem Auto her, aber sicher macht er das immer so. Wir geben das Auto wieder ab, morgen haben wir wieder einen Ruhetag und das ist ganz angenehm. Zu den Preisen, damit man das in späteren Jahren vergleichen kann. 1 Autotag kostet 10.000 Drs, zwei 18.000 und drei 25.000. Die Kilometer sind frei. Den Tank sollte man etwa so voll zurückbringen, wie man ihn übernommen hat.

Vor unserem Hotel an der Straße tummelt sich auch ein Hund an einer Laufleine. Eines Morgens bekommt er auch ein paar der kleinen Würste vom Frühstücksbuffet ab, auf die wir gerne verzichten können.

Festos und Matala

Am Dienstag können wir erst gegen halb neun Uhr losfahren, weil unsere Chefs nicht eher aufkreuzen, um uns das Auto zu übergeben. Heute habe ich beim Fahren keine schwitzigen Hände mehr, man ist an das Fahren nun gewöhnt. In Ierapetra will ich erst mal tanken. Bei der ersten Tankstelle funktioniert aber die Zapfsäule nicht und man winkt uns weiter, bei der zweiten klappt es dann. Zunächst ist die Strecke nicht so interessant, man fährt zwischen großen Flächen mit Treibhäusern dahin, wo Tomaten, Gurken und anderes Gemüse angebaut wird.

Bevor die Straße in die Berge abbiegt, liegt noch ein niedlicher Ort, der heißt Mirtos. Die Straße windet sich hinauf über die südlichen Ausläufer des Dikti Gebirges. Schöne Blicke aufs Meer, die wenigen Orte an der Küste sind nur durch Stichstraßen von hier oben aus zu erreichen. Wieder ist die Vegetation zauberhaft, die Luft ist geschwängert vom Geruch des Thymian und anderer Kräuter. 30 km geht es rauf und runter, dann erreicht man die Hochebene von Ano Vianos. Das ist eine kleinere und heimeligere Ausgabe der Lasithi Ebene. Der Ort Vianos ist an den Berg geklebt. Am Ortseingang gibt es ein Problem, ein großer Laster kommt entgegen. Nun werden die Männer, die vor den Tavernen am Straßenrand die Zeit totschlagen, aber munter. Mit ihren Krückstöcken zeigen sie auf eine Ausweichbucht auf der linken Seite, in die wir hinein zu manövrieren haben. Als das geschafft ist, kann der Laster passieren. Wir fahren weiter und die Männer schlagen weiter die Zeit tot.

Es geht weit hinunter und man läßt das Dikti Gebirge hinter sich. Der Charakter der Landschaft ändert sich, eine weite Ebene, die landwirtschaftlich genutzt wird. Hin und wieder sieht man Gerstenfelder, die werden bereits abgeerntet. Wenn man Glück hat, ist es ein Esel, der mit Getreide- oder Heuballen beladen seines Weges zieht. Wir geraten in den Ort Pirgos, wo die weiter führende Straße nicht ausgeschildert ist. So finden wir uns plötzlich inmitten von Marktständen wieder, um die man vorsichtig herum kurven muß. Touristen sieht man hier nicht, es macht alles einen sehr ursprünglichen Eindruck. Dass wir nun da mit dem Auto durch müssen, das ist wahrhaftig nicht beabsichtigt.

Wir verlassen den Ort dann auch konsequenterweise in der falschen Richtung und kommen in Charakas raus. Parallel zur Küste zieht sich hier ein lang gezogener Bergzug hin, der heißt Asterousia Gebirge. Kurz hinter Pirgos kann man eine Felsgruppe sehen, die sieht aus wie eine Miniaturausgabe der drei Zinnen in den Dolomiten. Wir müssen von Charakas aber erst mal wieder ein paar km in nördliche Richtung fahren, um die Hauptstrecke wieder zu erreichen. Diese Straße säumt eine abgeholzte Eukalyptusallee. Zwar schlagen die auf halber Höhe abgeschlagenen Stämme wieder aus, aber es tut einem in der Seele weh, wenn man sich diese Allee in ihrer vormaligen Schönheit vorstellt.

Heidi studiert eifrig die Karte, und das ist ganz gut, so verpaßt sie den Anblick von zwei überfahrenen Hühnern auf der Fahrbahn. Die Hühner laufen hier überall frei herum, wie man denn die Eier einsammele, rätselt Heidi. Es folgen die Orte Agii Deka und Mires, die haben einen Flair wie man sich den Wilden Westen vorstellt. Vorhin in Pirgos da war noch der Esel das vorherrschende Verkehrsmittel. In diesen beiden Orten hat man es schon zu kleinen Treckern in unterschiedlich technischem Zustand gebracht.

Voraus blinken nun schon die Schneefelder des Ida Gebirges. Auf einem der paar Hügel, die sich aus der Ebene erheben, liegt dann auch endlich unser Ziel, die minoische Palastanlage Festos. Auf dem Parkplatz ist kaum ein Platz zu kriegen. Wie die Spinne aus dem Netz taucht ein schwarz bebarteter Anheizer auf, der möchte einem ein Lokal in der weiteren Umgebung aufschwatzen. Den können wir noch abschütteln, aber an der Eintrittskasse zur Ausgrabungsstätte müssen wir dann doch tief in die Tasche greifen.

Nun irren wir erst mal zwischen den Gemäuern herum, die kaum kniehoch noch erhalten bzw. ausgegraben sind. Hin und wieder mußten auch Betonverstärkungen herhalten, brüchigen Partien die Stabilität zu geben. Im Gegensatz zu der Ausgrabungsstätte von Knossos südlich von Herakleion, Ende des letzen Jahrhunderts von dem Engländer Evans ausgegraben, hat man hier auf umstrittene Rekonstruktionsversuche verzichtet. Berühmt - weil auf Ansichtskarten zu sehen - ist die Freitreppe. Das soll wohl mal eine Art Zuschauertribüne gewesen sein. In einigen Ecken stehen mannshohe Amphoren. Wir fragen uns nach dem Verwendungszweck. Sie waren wohl die Vorläufer des Kühlschranks und dienten zum temperierten Aufbewahren von Lebensmitteln. Wie aber hat man die Güter aus den tiefen Gefäßen herauf befördert. So lange Arme können doch auch die Minoer nicht gehabt haben.

Eine Gruppe interessiert dreinschauender Besucher wird von einer kundigen Dame angeführt. Da schlendern wir mal eben nebenher. Wir machen das ja gern, ob in der Kathedrale von Palma de Mallorca oder in der Festung Carcassonne. Da haben wir manche erstaunliche Weisheit zu hören gekriegt. So auch hier, ich lüge nicht, wie alle Kreter, wie ein Kreter mal gesagt haben soll. Es heißt also: "Das Baumaterial der Minoer waren Steine. Die Fugen bestanden aus Lehm, nicht aus Zement." Ob man auch mehrgeschossig gebaut habe, fragt eine interessierte Dame. Ja, und darüber habe sich die Dachkonstruktion befunden. Da staunen wir aber.

Bild 1 Bild 2 Festos

Also das mit den Amphoren und den langen Armen kriegen wir sowieso nicht raus. Ein bißchen belesen sind wir aber auch. Die minoischen Bauwerke entbehren jeder militärischen Zielsetzung. Das liegt daran, daß es eine so starke Seemacht gab, daß ein Überfall auf die Insel ausgeschlossen werden konnte. Außerdem hatten das Sagen anscheinend weibliche Geschöpfe, wie aus den Darstellungen von Knossos interpretiert wird. Vielleicht hat man eine Arbeitsteilung vorgenommen, die Männer auf See geschickt und die Frauen haben sich einen schönen Tag gemacht. Aber wer hat dann die Paläste gebaut? Heute hat man auf Kreta eher den umgekehrten Eindruck, da macht sich manches männliche Geschöpf auf der jeweiligen Dorfstraße einen schönen Tag, und die Frauen häkeln?.

Fragen über Fragen, und noch 20 Minuten bis Matala. Das muß nun auch noch geschafft werden. Die Bucht von Matala ist umgeben von weichen Sandsteinfelsen, in deren gebankter Schichtung sich teils natürlich entstandene, teils künstlich angelegte Höhlen befinden. Matala war in den 60er Jahren ein weltweit bekanntes Eldorado für Hippies, Aussteiger und Blumenkinder. Diese Zeiten sind vorbei, man hat die Blumenkinder durch Verbote vertrieben, auch mit der Rauschmittelversorgung kam man wohl nicht mehr so recht nach. Heute ist diese Bucht ein gern besuchtes Ziel von Busreisenden und Mietwagenfahrern. So reiht sich dann auch ein Restaurant an das andere. Sicher sitzt man nicht schlecht bei der Aussicht auf die weißen Berge im Westen, das blaue Meer und die gelben Sandsteinbänke mit den geheimnisvollen dunklen Höhlen. Wir nehmen mit einem Felsvorsprung vorlieb, rauchen eine und lassen das alles auf uns wirken.

Hinter uns ist auch eine Höhle, wenn das Auge sich an die Dunkelheit gewöhnt hat, kann man einen steinernen Pfeiler erkennen, den man zum Abstützen der Decke stehen gelassen hat. Gegenüber krapseln die Figuren zwischen den Felsen umher, die haben aber Eintritt bezahlt, wie man an dem alles umgebenden Maschendrahtzaun erkennen kann. Wir wollen ja nicht immer nur lästern, aber es wurde uns berichtet, daß es in den Höhlen nicht immer gut riecht, weil mancher Besucher das tut, was er lieber woanders machen sollte.

Bild 1 Bild 2 Bild 3 Matala

Wir wandern über den heißen Strand zurück, kein Vergleich zu heißem Kies. Prompt werden wir von einer Touristin angesprochen, mit der wir schon auf Festos die Ehre hatten. Ob das nicht zu heiß wäre, so barfuß auf dem Sand, was eine Liege für eine Stunde wohl kosten möge? Wir wissen es auch nicht, wir sind ja aus dem Südosten. Das Mädchen im Habitus eines buddhistischen Mönchs mit kurz geschorenen Haaren und orange farbenem Sackkleid hat sich vielleicht auch um ein paar Jahre geirrt.

Wir klappen das Schiebedach unserer Nuckelpinne wieder auf und machen uns an die Rückfahrt. 140 km liegen vor uns, ob man über Herakleion fahren sollte, auf vielleicht besseren Straßen? Aber das wäre noch mal 60 km weiter. Die Landschaft auf der Herfahrt war ja auch nicht vom schlechtesten, und nun haben wir alles in der Nachmittagssonne vor uns.

Wir machen noch einen Halt in Gortys, einer weiteren Ausgrabungsstätte dorischen und römischen Ursprungs. Hier wurden die ältesten Gesetzestafeln Europas gefunden. In einem nahen Hain soll Zeus die Europa verführt haben. Woanders ist zu lesen, das sei in der Bucht von Matala passiert. Schwer nachvollziehbar. Auch in Gortys wird wieder Eintrittsgeld erhoben, man kann aber auch auf der anderen Straßenseite durch weitläufige Ausgrabungsfelder streifen, aber dazu reicht unsere Energie bei der immer noch fast senkrecht stehenden Sonne nicht mehr.

Dieser Ort scheint auch eine Wallfahrtsstätte für Rucksacktouristen zu sein, denn davon lagern eine ganze Menge am Straßenrand und warten auf den Bus nach Herakleion. In unserer Westernstadt Mires warten noch viel mehr Leute, das kann ja heiter werden.

Als wir wieder bei den überfahrenen Hühnern vorbeikommen, wissen wir, daß wir auf der richtigen Straße sind. Der Ort Pirgos beschert uns wieder eine Ehrenrunde, der Markt ist aber inzwischen vorbei. Mit der Nachmittagssonne im Rücken fahren wir wieder in die Berge. Jetzt sieht die Strecke ganz anders aus als heute morgen, aber das liegt wohl an der anderen Richtung. Wir sehen eine Ziege, der hat man einen Beutel über den Euter gestülpt, ihr Lämmchen trottet im wahrsten Sinne belämmert hinterher. An einer anderen Stelle schneidet einer Thymianbüsche, die sich sicher an Ortsunkundige gut verkaufen lassen. An den Zweigen der Kiefern sehen wir immer wieder sonderbare Tüten oder Netze hängen. Sowas hatte ich auf meiner Radtour auch schon mal gesehen. Vielleicht sind es Hummel- oder Bienennester.

Bis Ierapetra zieht es sich noch in die Länge. Vor dem Ort, wo die vielen Treibhäuser sind, wundern wir uns über die vielen Schwertransporter, die meistens quer auf der Straße manövrieren. Diesmal finden wir es heraus: von Ierapetra aus werden die Gemüseerzeugnise nach ganz Europa exportiert.

Wir sind froh, als wir wieder am Strand sind, allzuviel Erholungswert hat so ein Autotag wahrlich nicht. Der Elebniswert ist dagegen enorm.

Agios Nikolaos und Spinalonga

Ein Pflichttag steht uns aber noch bevor. Da nehmen wir uns eine nicht so große Strecke vor und fahren erst mal an die Mirabellobucht. Dort ist ja noch die Ausgrabungsstätte von Gournia, die wir schon einige Male liegen gesehen haben. Es handelt sich hier nicht um einen Palast, sondern wohl um eine Wohnstätte höher gestellter Minoer. Manche Räume haben gar keinen Zugang, sondern sind allseits von Mauern umgeben. Die meisten Räume waren auch sehr winzig. So wirkt das ganze ziemlich verschachtelt. Oben auf dem Hügel ist ein größerer zentraler Platz. Am anderen Ende der Mirabellobucht sehen wir unser Ziel, die Stadt Ag. Nikolaos schon auf uns warten.

In einer größeren unbekannten Stadt gibt es mit dem Auto zwei Probleme: erstens, einen Parkplatz zu finden, und zweitens, den Parkplatz wieder zu finden. Erstens löst sich leicht in einer Nebenstraße und für zweitens merken wir uns den nahe gelegenen Sportplatz und Busbahnhof. Von dort geht die Hauptstraße direkt zu dem kleinen Binnensee, der Ag. Nikolaos seinen eigenen Charakter verleiht. Der See ist natürlich fest im Griff der umliegenden Tavernen, die steil abfallenden Hänge konnte man nicht bebauen.

Bild 1 Bild 2 Agios Nikolaos

Auf der Straße treffen wir plötzlich unsere Zimmernachbaren. "Lange nicht gesehen". In einem Antiquitätengeschäft steht eine alte Rechenmaschine schwedischen Fabrikats im Schaufenster. Leider kann ich meine Sammlung nicht um dieses Stück bereichern "We don't sell it" erfahren wir.

Wir laufen auf der Uferstraße zurück zum Auto. Dazu muß man einen Berg umrunden und landet dann in einer Bucht, wo es nicht mehr weitergeht. Nur über eine steile Treppe gelingt der Übergang zum Busbahnhof.

Wir fahren nach Elounda. Wieder muß man steil hinauf, dafür hat man dort oben einen schönen Blick nach Ag. Nikolaos und auf die Mirabello Bucht. In Elounda bellt es aus allen Ecken: "Spinalonga, Spinalonga!". Das sind die Fahrkartenverkäufer für eine Bootsfahrt zu der Festungsinsel Spinalonga. Das müssen wir uns schon gönnen und lösen die Karten bei einem blonden Typ mit Pferdeschwanz. "Thirty minutes, ten past twelve" teilt er uns mit. Da haben wir genügend Zeit, uns in Elounda noch ein wenig umzusehen. Es heißt, dies sei der vornehmste und teuerste Badeort auf Kreta, was wir mangels Vergleichsmöglichkeiten nicht beurteilen können.

Bald haben wir Langeweile und sehen zu, wie ein Boot von Spinalonga zurückkommt. Ob wir mit dem fahren werden? Wir schlendern schon mal zurück zu dem Ticketverkäufer, der schon fast heiser von seinen Lockrufen ist. "Where is our boat?" wage ich zu fragen. Da guckt er uns etwas arrogant an und sagt "No Problem, we will find the boat together". Es sind nur noch wenige Minuten bis zur angekündigten Abfahrtszeit. Als wir uns etwas unwirsch abwenden, teilt er wenigstens noch mit "By the way, it's the last one" und zeigt auf eines der am Ufer liegenden Boote.

Wir können noch eine Weile von einem Fuß auf den anderen treten, bis man dann schließlich das Boot betreten darf. Dann geht es aber noch lange nicht los, man versucht, noch weitere Gäste anzulocken. Immerhin sind wir freudig überrascht, daß wir die einzigen Deutschen an Bord sind, das kommt ja nicht so oft vor. Als man uns um mehr als eine halbe Stunde unserer kostbaren Urlaubszeit übers Ohr gehauen hat, legt man endlich ab. Die Mitfahrer cremen sich eifrig ein und rücken ihre Sonnenbrillen zurecht.

Schnell kommt nun die kleine Insel mit der venezianischen Festung näher, nach 20 Minuten Fahrt sind wir da. Ein Herr winkt alle Aussteiger zu sich heran, er wolle die Führung übernehmen für alle, die Englisch verstehen. Er führt die Gruppe hinauf zu der Plattform, wo sich die Grabstellen befinden. Das sind kleine Gruften, durch eine Steinplatte verschließbar. Wenn wieder ein Grab benötigt wurde, habe man den vorherigen Inhalt zusammen gesammelt und in einem Beinhaus deponiert. Gräber und Beinhaus seien aber längst leer, weil die Hippies sich gern der Knochen als Talismann bedient hätten.

Dann zieht die ganze Corona weiter in den Schatten einer Kiefer. Der nette Herr kommt nun zum Geschäftlichen, er werde am Schluß abkassieren, Kinder seien frei. Wir trollen uns von dannen und erkunden die hiesige Geschichte auf eigene Faust. Man geht auf einem Rundweg durch die Klippen, Heidi immer schön links an der Felswand. Als man um eine Ecke biegt, erblickt man die Ruinen der vormaligen Siedlung. Bis zum Jahre 1957 waren hier noch Leprakranke einquartiert. Ein paar große ebenfalls verfallende Häuser sind wohl neueren Datums, die Ruinen müssen älter sein. Das einzige intakte Gebäude ist die kleine Kirche, da schwenkt aber auch schon einer seine Sammelbüchse.

Bild 1 Bild 2 Ruinen von Spinaloga

Es führt auch ein Weg hinauf zu der mächtigen Bastion der Festung. Heidi bleibt unten, ich kraxele hinauf. Hier oben hat man natürlich eine noch schönere Aussicht. Rings um die Bastion befinden sich Schießscharten, durch die man allerdings nicht viel sieht. Aber das war ja auch nicht ihr Bestimmungszweck. Es ist nachzulesen, daß man in dieser Festung noch viele Jahre der türkischen Besetzung widerstanden hat, bis auch sie im Jahre 1715 den Türken übergeben wurde.

Durch einen tunnelartigen Gang erreicht man wieder das Gestade, wo uns das Boot nach einer Stunde Inselaufenthalt wieder aufnimmt. Bei der Rückfahrt mit dem Boot haben wir etwas Streß. Da turnt ein kleines Mädchen immer auf der Reling herum, die Aufsicht führenden Eltern schauen aber seelenruhig zu. Aber wir erreichen doch wieder wohlbehalten den Hafen von Elounda.

Wir fahren schließlich mit dem Auto den gleichen Weg zurück, alle anderen Straßen würden über die Berge führen, und wir wollen uns heute nicht überanstrengen. Nach einer abermaligen Umrundung der Mirabello Bucht geraten wir nun in die Nähe dieser geheimnisvollen Schlucht, an der wir inzwischen ja verschiedentlich vorbeigefahren sind. An der Straße steht ein Hinweisschild, "Ha Canyon" steht da drauf. Das hört sich nach einschlägigem Sprachverständnis doch ganz gut an.

Wir biegen in eine Schotterstraße ab, die entwickelt sich schließlich immer abenteuerlicher und endet in einem trocken gefallenen Bachbett. Da geht es nur zu Fuß weiter. Der Pfad wiederum endet aber auf dem Gelände einer Papierfabrik zwischen geschreddertem Altpapier und Stapeln von großen Papierrollen. Dahinter wird eine Fläche planiert, ein Bulldozer wühlt geschäftig hin und her. Die herrliche Schlucht ist nur wenige 100 m entfernt. Eine kleine Kapelle ist neben ihrem Ausgang erkennbar. Wir kehren lieber um, man muß sich auch noch Geheimnisse bewahren. Wahrscheinlich wäre der Durchstieg der Schlucht auch nur mit Kletterausrüstung möglich, da sind wir mit unseren Strandschlappen schlecht beraten.

An unserem einsamen Parkplatz taucht nun ein Pickup auf, von dessen Ladefläche uns zwei Hunde verbellen. Der Fahrer hält an, läd die Hunde ab, die uns nun neugierig umkreisen. Weitere Befürchtungen sind aber unnötig, der Besitzer des Pickups inspiziert nur einen nahe gelegenen Ziegenhain, und das ist auch für die Hunde wichtiger. Wir inspizieren unsrerseits eine große Zisterne, in die aus zwei großen Rohren glasklares Wasser strömt. Heidi taucht plötzlich mit einem Arm voll Gestrüpp auf, das sei Salbei, versichert sie.

Nachdem wir zum Abschluß des ereignisreichen Tages noch ein paar Stunden am Strand verbringen, müssen aber am Abend auch noch ein paar Büschel Thymian zur Abrundung der Gewürzkollektion stibitzt werden.

Ausklang

Es bleibt nur noch ein voller Tag für das Strandleben, der Freitag ist dann schon der Abreisetag. Es ist eine traurige Sache, auf der Abreiseliste seinen Namen und den Abreisetermin nachzusehen. Könnte es nicht immer so weiter gehen? "Freust du dich denn nicht auf zu Hause?" fragt Heidi. "Überhaupt nicht" fällt mir nur ein.

Es bleibt noch zu berichten, in welchen Händen diese wunderschöne Anlage Coriva Beach liegt. Das haben wir an der Rezeption in Erfahrung gebracht. Man vermutet ja immer irgend einen Konzern oder eine Multigesellschaft hinter so was. Man kann uns beruhigen. Es ist alles im Privatbesitz zweier Brüder, die sich persönlich um alles kümmern. Das Hotel wurde 1980 angelegt, deshalb ist die Bepflanzung auch so üppig entwickelt und liebevoll gepflegt. Die Gattin eines der Besitzer unterhält ein Schmuckgeschäft in der Eingangshalle, von dieser kann ich Heidi nur mühsam fernhalten.

Man kann sich auch in ein Gästebuch eintragen. Da ist Erstaunliches zu lesen. Entweder haben die alle voneinander abgeschrieben, oder die eigene Phantasie ist verkümmert. Fast alle Eintragungen beginnen wörtlich mit dem Satz: "Wir waren das erste Mal auf Kreta, und es hat uns sehr gut gefallen". Das trifft für uns auch zu, doch zu einem Beitrag im Gästebuch kommt es nicht mehr, statt dessen soll dieser Bericht einige Eindrücke wiedergeben und auch eine Werbung für unsere "Anlage" Coriva Beach in Koutsounari sein.

Abschied nehmen wir auch von dem netten Betreiber eines der Supermärkte. Nun waren wir auch gute Kunden mit unserem Retsina. Dafür hat er uns eines Abends eine Kostprobe von einem selbst hergestellten Raki kredenzt, ein Getränk, das nur auf Kreta produziert wird, und dessen genauere Rezeptur uns nicht ganz klar ist. Ein Traubenschnaps, oder so was.

Der letzte Tag, ein ruppiger Wind und aufkommende Wolken erleichtern uns den Abschied. Der Strand ist verwaist, alle Liegen sind wegen des Windes unbesetzt, das Meer ist kälter als die Tage zuvor. Wir liegen ganz allein in einer geschützten Ecke am Pool, die Reisegarderobe auf Stühlen verteilt. Jede Minute kosten wir aus. Das Sonnenschutzmittel ist auch alle (von ALDI, die gelbe Plastikflasche am Strand von Kreta war allgegenwärtig, vielleicht doch ein Anzeichen für ein vereinigtes Europa). Mit dem Taschenmesser wird die Plastikflasche aufgeschlitzt, damit nichts verkommt. Immerhin sind wir nun auch nußbraun, die Sonne kann uns nichts mehr anhaben.

Und noch ein Tier zum Abschluß. Eigentlich sollte noch ein Kapitel über die Tiere eingeschoben werden. Die ersten Tiere, die man auf Kreta zu sehen bekommt, sollten Esel oder Ziegen sein, die an den Straßenrändern oder auch sonstwo angepflockt sind. Auf einer der Autofahrten haben wir auch eine Ziege mitten auf der Straße schlafend erlebt, da lag sie morgens, und auf der Rückfahrt am Nachmittag immer noch. Wild lebende Ziegen gibt es nur noch in Reservaten. Sie unter Schutz zu stellen, hatte keinen Zweck. Der Kreter ist über jeden Braten erfreut und hat mit seiner Flinte, die er schon wegen der Blutrache ständig dabei hat, gründlich aufgeräumt. Die Hausziegen aber sind sein Augapfel, da werden sogar Weinblätter serviert, und da kann man die Ziegen aber fressen sehen.

Neben unseren kleinen Eidechsen an der Mauer unserer Terrasse haben wir unterwegs auch große grüne Eidechsen die Straße kreuzen sehen, viele hatten leider auch platt gewalzt auf der Straße ihr Ende gefunden. Das Chamäleon soll es auf Kreta geben. Das hat uns leider nicht die Ehre erwiesen. Vielleicht war es aber auch nur gut getarnt, wie es seine Art ist. Einen Krähenvogel haben wir noch gesichtet, der hatte einen grauen Körper und schwarze Schwingen. Spatzen, Schwalben, Möwen oder Grünfinken, aber die kennen wir auch von zu Hause.

Das letzte Tier an unserem letzen Tag also ist eine gemeine Heuschrecke, spannenlang. Die verfügt nicht nur über enorme Sprungqualitäten, sondern erfreut einen auch durch erstaunliche Flugkünste, vor denen man sich gerade so in Sicherheit bringen kann. Nun haben wir zum Abschluß unser zweites UFO, und können beruhigt nach Hause fahren - fliegen.

Wir sind die ersten, die von dem Zubringerbus um 15.40 Uhr abgeholt werden. Natürlich besetzen wir die erste Reihe mit dem Panoramablick. Da haben die gleich danach zusteigenden Clubgäste - alles inklusive - ganz schön das Nachsehen. Auf der Fahrt werden dann die einschlägigen Clubs oder Anlagen kurvenreich angefahren. Für die Beurteilung dieser Einrichtungen schlagen wir den Neckermann Katalog vor, dort ist das alles farbenfroh nachzulesen.

Mit Verspätung am Flughafen in Herakleion treffen wir auch Heidi und Peter alsbald wieder, wir meistern die Warteschlange vor dem Abfertigungsschalter, wo sich einige Leute fast in eine Schlägerei einlassen, weil sie sich mit den Gepäckwagen über die Füße fahren. Wir haben einen angenehmen Rückflug und der Urlaub ist vorbei.

Kreta, ein unbeschriebenes Blatt bei der Ankunft, jetzt ist es ein buntes Bild in unserer Erinnerung.


mail: m.wittram@tu-bs.de

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