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Zwei Harzfahrten 23.7. und 7.8.

Es stellt sich natürlich die Frage, ob jeder kleine Hüpfer über die Grenze weiterhin berichtenswert ist. Der Vollständigkeit halber wollen wir es zunächst einmal dabei belassen. Von der ersten Fahrt ist auch nicht viel zu erzählen. Annika und ihre Freundin Sandra wollen sich für ein paar Tage im Keller in Braunlage einquartieren, dazu müssen sie samt Fahrrädern hingebracht werden.

Wir fahren in Braunlage statt auf der Umgehungsstraße durch den Ort, wie das viele tun, die nicht nur steril durch die Landschaft rasen wollen. Das belastet natürlich das Verkehrsaufkommen in dem "Luftkurort" erheblich und sollte damit auch nicht propagiert werden. In Braunlage ist aber auch ein Betrieb, wie man das sonst nur in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr erlebt. Teils Feriengäste, die im Westharz wohnen und in den Ostharz Touren machen, teils Bürger aus dem Ostharz, die den nach der Währungsunion in der DDR überhöhten Preisen bei ALDI ein Schnäppchen schlagen. Da rasseln und scheppern die Trabbis und Wartburgs in ganzen Kolonnen die Straße entlang, daß einem Angst und Bange wird. Die Fußgänger können sich nur mühsam auf den schmalen Bürgersteigen in Sicherheit bringen. Braunlage ist heute kein schöner Urlaubsort.

Nachdem wir die Kinder ausgeladen haben, biegen wir Richtung Elend ab, um über Wernigerode zurückzufahren. Von der Grenze bis in die Ortsmitte ist ein einziger Stau, meist wohl zurückkehrende Ausflügler. Da kann man nur den Kopf über soviel Herdentrieb schütteln. Aber man kann das ja auch ständig in den Verkehrsnachrichten verfolgen, daß der bundesdeutsche Kleinbürger in seinem Großauto seine Bekanntschaften am liebsten in einem Stau schließt und auffrischt, falls man sich noch vom Vorjahr kennt.

Zum Glück ist in unsere Richtung alles frei. Das erste Mal passieren wir die Grenze seit Wegfall der Kontrollen. Da fehlt einem geradezu etwas. Man hat nicht mehr so das Gefühl, in ein anderes Land zu fahren. Die Straße nach Wenigerode ist so, wie sie sich für den Harz gehört, kurvenreich und schmal - nicht so eine Start- Landebahn wie von Harzburg nach Torfhaus. Wir fahren gleich durch nach Ilsenburg und drehen dort ein paar Schleifen durch die Hintergassen. Auf Straßen, die ich im Januar schon mit dem Fahrrad abgefahren bin, kommen wir über Veckenstedt und Wasserleben wieder mal nach Osterwieck. Heidi war hier aber noch nicht, deswegen fahren wir wieder herum und sehen uns die restaurierten oder nicht restaurierten Fachwerkhäuser an. Die meisten dürften zu retten sein, wenn sich Leute mit Geld und Bereitschaft finden.

Schließlich geht es noch über die kleine Straße am Kleinen Fallstein nach Rhoden, leider erlebt man im Auto nicht die Stimmung, die man bei einer Anfahrt mit dem Fahrrad empfindet. So fahren wir recht unbeeindruckt durch den Ort. Der ]bergang zurück in den Westen ist ein besserer Feldweg, wie bei einer Organtransplantation hat man hier und überall jede erdenkliche Verbindung zwischen den beiden Teilen Deutschlands wiederhergestellt. Wenn die Grenzbefestigungen endgültig abgebaut sind, werden nur noch Insider sich des Grenzverlaufs erinnern. ]ber Hornburg geht es dann nach Hause, die Rückfahrt hat doppelt so lange gedauert wie die Hinfahrt. Doch - so denken wir - haben wir dabei doch wohl keine Zeit "verloren".

Gut zwei Wochen später fahren wir nochmal nach Braunlage, um die Fahrräder abzuholen. Eine Woche Urlaub zu Hause haben wir bereits hinter uns. Bei durchweg Hitzewetter haben wir jeden Tag im Schwimmbad verbracht, ohne Kurtaxe und Platzkonzert eine preiswerte Angelegenheit. Nun ist das Wetter nicht mehr so sonnig, da wollen wir die Harzfahrt gleich wieder für eine Erkundung ausnutzen.

In Braunlage ist es immer noch voll, wir sind ganz froh, daß wir nicht dort Urlaub machen. Heute fahren wir die Straße an der Grenze nach Sorge und Tanne entlang, die ich auch schon vom Radfahren kenne. Unser Ziel ist Stolberg, das soll laut einer Fernsehsendung "Auf Schusters Rappen" einer der hübschesten Harzorte sein. Am Ortseingang muß das Auto abgestellt werden, weil innerorts keine Parkmöglichkeiten bestehen. Das ist schon mal vernünftig, gern bezahlt man die 2 DM Parkgebühren. Dementsprechend ruhig ist es auf den schmalen Gassen, jeder Verkehr würde hier alles kaputt machen. Dennoch müssen alle Fahrzeuge hier durch, der geringe Verkehr beruht nur darauf, daß heute ein Werktag ist und nur wenige Ausflügler unterwegs sind.

Die Gassen sind wirklich wunderschön. Die Häuser sind alle gepflegt, der einheitliche Fachwerkstil ist erhalten worden. Stolberg liegt in oder an vier Tälern: Lude, Große und Kleine Wilde vereinigen sich zum Tal der Thyra. Die Täler sind tief eingeschnitten, meistens hat nur die Straße mit der beidseitigen Bebauung Platz. Vor dem Rathaus, das im übrigen keine Treppen im Innern hat, steht eine moderne Plastik von Thomas Müntzer, der in dieser Stadt geboren ist. Er war Führer des Bauernaufstandes im 16. Jahrhundert. Das war natürlich was für den gerade zurückliegenden Sozialismus, den allerdings auch der Refrain "Wir sind das Volk" hinweggefegt hat.

Auf der anderen Seite des Platzes handeln Zigeuner mit allerlei Textilien und Modeschmuck. Uns steht der Sinn erstmal nach einer Mahlzeit. Nach Inspektion diverser Speisekarten stellen wir fest, daß die Preise hier denen vor der Währungsunion entsprechen, nur daß nun eben in DM abgerechnet wird. Beim Zahlen "beschweren" uns bei der Bedienung, daß hier keine überhöhten Preise erhoben werden, wie man von überall hört. Das sei erst weiter weg von der Grenze so, hier wäre die Konkurrenz zum Westen noch zu groß. Da kann man nur den Kopf schütteln. Aber es wird sich schon alles einrenken.

Nach dem Essen fällt das Wandern schwer. Aber wir steigen bergan und besehen uns erst die Martini - Kirche oberhalb des Marktplatzes. Hier hat (laut Reiseführer) Martin Luther 1525 \l auf die Wogen der Bauernerhebung zu gießen versucht. Vorschau: Am 15.8., eine Woche später, wird in Berlin auch eine däftige Bauerndemo zur Unterstützung der Landwirtschaft stattfinden, da fliegen auch Eier an Politikerwesten, der Landwirtschaftsminister wird "entmachtet".

In einer Kapelle (Marienkapelle) ein Ehrenmal für die Gefallenen der Kriege, diesen zu Ehren steht ein Blumenstrauß weniger fotogen in einem Würstcheneimer. ]ber Treppen geht es im Zickzack hinauf zur Burg. Auch hier ist ein nobles Lokal, kaum teurer als unten. Der Rest der Anlage wird als Freizeitheim "für kinderreiche Familien" oder als Hotel genutzt. Aus einem Gästezimmer "Zutritt nur für Personal" erhaschen wir einen Ausblick auf einen Teil von Stolberg. Die schönere Aussicht ist aber ganz legal hinunter zum Rittertor, von hier oben sehen die Häuser wie Spielzeuge aus. Bergab benutzen wir die normale Auffahrtsstraße und kommen vor dem Rittertor heraus.

Von hier in Richtung Marktplatz hat man sich ein kleines "Idar-Oberstein" geleistet, indem man den Bach "Lude" überbaut hat. Ein natürlich angelegtes Bachbett hätte sich besser gemacht. Vielleicht kann man aber den gewonnenen Platz eines Tages für Parkplätze gut gebrauchen. Zum Abschluß schlendern wir noch durch die "Neustadt", genau so reizvolle Gäßchen wie überall. Vielfach sind noch uralte Firmenaufschriften an den Häusern erkennbar. Es sind die Kleinigkeiten, die das Erlebnis ausmachen, ein Fußabtreter, eine Haustür, Fenster mit alten Butzenscheiben usw. Das altertümlichste Haus in diesem Ortsteil hat eine Instandsetzung dringend nötig.

Schließlich machen wir uns auf die Rückfahrt und fahren mit schlechtem Gewissen mit dem Auto über den Marktplatz. Als bei der Weiterfahrt zwei Busse entgegen kommen, entgeht man nur durch mehrfaches Vor- und Zurücksetzen einer Verkeilung. Schließlich weiter entlang der Thyra, die Heimkehle bei Uftrungen läßt grüßen. Vor uns ein Bergzug mit einem Fernsehturm. Erst als wir uns immer mehr dem Harzrand nähern und der Bergzug uns geradezu entgegenwächst kommt die große Erleuchtung: der Kyffhäuser! Da sieht man auch das Denkmal auf der Ostseite. Wegen der vorgerückten Stunde ist ein Kyffhäuserbesuch heute nicht mehr zu machen, aber er wird schon mal vorgemerkt.

Stattdessen mache ich in Nordhausen, das heute gänzlich dunstfrei ist, wieder eine kleine Runde. Wie beim letzten Mal verfranse ich mich aber und bin froh, als ich wieder die Straße Richtung Worbis erreiche. Sehenswert nach wie vor das schaurige Industriegebiet, das man hier durchfährt. An einer Schranke müssen wir länger warten, dabei kann man sich alles in Ruhe ansehen. Einige Häuser sind in ihrer Schieferbauweise ganz reizvoll, aber die Fenster sind blind und windschief, in der Dachrinne wächst das Gras einen halben Meter hoch.

Die Strecke nach Worbis kenne ich schon wieder vom Fahrrad aus. Wie unterschiedlich eine Landschaft wirken kann! Heute macht die "Goldene Aue" ihrem Namen alle Ehre. Die Sonne scheint bei glasklarer Luft, die Getreidefelder sind reif und leuchten gelb im Sonnenschein. In einem Ort versorgen wir uns mit Getränken. Anstelle einer Registrierkasse hat der Ladeninhaber ein großes Blatt Papier vor sich liegen, auf dem er kreuz und quer in blitzartiger Geschwindigkeit alle Berechnungen vornimmt. Wenn das Blatt voll ist, kommt das nächste dran. Ob das Finanzamt nach der "Wiedervereinnehmung" damit noch einverstanden sein wird? Während wir an einigen Kalischächten vorbeikommen, ist im Radio die Zusicherung zu hören, daß alle Kumpel im Südharzer Kalibergbau ihre Arbeitsstelle behalten. So sind wir ganz aktuell "dabei" und fahren schließlich über Duderstadt und Göttingen zurück nach Hause.


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