Brocken und Bodetal im Harz (nach Himmelfahrt 90)
Album
Am Tag nach Himmelfahrt habe ich frei: "Waschtag". Heidi muß
arbeiten und nachmittags zum Kaffeeklatsch, die Kinder haben Schule.
Statt zu waschen werde ich mir wieder etwas zwischen Thüringen und
Mecklenburg aussuchen. Um aber das Autofahren in erträglichen Grenzen
zu halten, möchte ich doch ein Ziel in der Nähe wählen. Nun ist eine
Rechnung noch offen: ich war noch nicht mit dem Fahrrad auf dem
Brocken. Die Rückfahrt könnte man hinunter nach Schierke und dann quer
durch den Ostharz entlang der Bode nach Thale nehmen.
Kurz nach 8 Uhr fahre ich von zu Hause los, in 45 Minuten bin
ich in Eckertal am Harzrand, von dort kann ich meine Tour starten.
Punkt 9 Uhr geht es am Parkplatz los, bei mäßiger Steigung auf gutem
Schotterweg entlang der Ecker auf der westlichen Seite. Mein Ziel ist
die Staumauer der Eckertalsperre, dort hat man einen Grenzübergang für
Wanderer eingerichtet, und der weitere Weg führt hinauf zum Brocken.
Zunächst wird die Pappenfabrik passiert, da liegen eine Menge
noch brauchbarer Papierabfälle herum. Beinah stecke ich eine Rolle ein,
wer weiß, wozu man das brauchen kann. Aber ein zusätzliches Gewicht ist
nicht so vorteilhaft angesichts des bevorstehenden Höhenfluges.
Am weiteren Weg hat man ausgediente Hütten von Hochsitzen
aufgestellt. "Jung, verliebt, und draußen strömt der Regen..." geht es
einem da durch den Kopf. Wenig später interessiert mich etwas ganz
anderes. Auf der anderen Seite der Ecker ist überhaupt kein Sperrzaun
mehr, stattdessen verläuft da ein guter Fahrweg. Nun ist doch die
Bachmitte die Grenze, das ist überall noch zu lesen. An einer
geeigneten Stelle kann ich es mir nicht verkneifen: über ein paar
Steine im Bachbett hebe ich das Rad hinüber und bin nach wenigen
Schritten auf dem anvisierten Weg. Ein Hinweisschild auf
Naturschutzgebiet, Kennzeichen Eule beweist, daß ich mich auf DDR-
Gebiet befinde. Nun war ja nichts dabei, dennoch bekomme ich fast eine
Gänsehaut: zum ersten Mal über die grüne Grenze! Wenn es in absehbarer
Zeit diese Grenze nicht mehr gibt wird man das kaum verstehen. Heute
gibt es sie aber noch, und vor einem Jahr erst...
Leider muß ich nun aber gleich einen Vorsatz über Bord werfen: den
Brocken per Fahrrad zu bezwingen. Obwohl die Steigung noch zu
bewältigen wäre, geht es auf den Platten des ehemaligen Kontrollweges
weiter. Diese Platten haben etwa 10 mal 5 cm rechteckige Aussparungen.
Wenn der Reifen da hineingerät, ist Mantel und Felge bald Brei.
Umfahren geht auch nicht, der verbleibende Streifen ist zu schmall.
Dafür hat sich in besagten Löchern wie in Blumentöpfen allerhand
Vegetation angesiedelt. Besonders hübsch sind die verschiedenen Farne.
Da ich nun schieben muß, habe ich genug Muße, mich daran zu erfreuen.
Hinter jeder Anhöhe erwarte ich nun den Ausblick auf die
Eckertalsperre. So beim dritten Mal ist es endlich soweit. Von rechts
kommt nun die Wandererschar auf dem ordnungsgemäßen Weg vom
Grenzübergang hinzu. War ich bislang allein auf weiter Flur, so ist mir
ein wenig Abwechslung doch willkommen. Die meisten Wanderer sind auch
ganz gesprächig, ich bemühe mich, es auch zu sein.
An der Eckertalsperre
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Hoch oben über dem Wasserspiegel rollt man auf ebener Strecke herrlich
dahin, den Gipfel des Brockens in Sichtweite. Man kommt an die
Scharfensteinklippe, hier befinden sich Kasernen, die hier hinpassen
wie die Faust aufs Auge. Unterhalb der Klippen ist ein Sportplatz
angelegt.
Ab hier geht es nun geradewegs hinauf, bald nimmt die Steigung ohnehin
so zu, daß hier wohl nur "Wüstlinge" ein Fahrrad noch aus dem Sattel
bewegen könnten. Linkerhand liegt die Bismarckklippe. Das ist ein Wall
aus übereinandergetürmten Granitkolossen, fast sieht es wie künstlich
aufgebaut aus. Wenige Meter zur Rechten verläuft der Metallgitterzaun
neben dem Weg. Aber das hat auch Vorteile, denn das feine Gitter bietet
einen sehr guten Windschutz. Zum anderen kann man hindurchsehen und ist
nicht von der anderen Seite isoliert.
Aber es wird fühlbar kälter, an einem ausgedienten Beobachtungsturm
ziehe ich mir eine Jacke über, den Fotoapparat lege ich solange auf die
Erde. Auf der Nordseite des Brockens hat wohl das Waldsterben sein
Endstadium erreicht, es ist alles kahl. Dafür kann man weit in das
nördliche Vorharzgebiet sehen. Man erkennt die beiden Getreidesilos in
Braunschweig Rüningen, wenn die Sonne sie bescheint.
Nachdem ich dann so eine Viertelstunde weitergestiegen bin,
haben wir natürlich den Schlamassel, der Fotoapparat ist
liegengeblieben. In meiner Aufregung stelle ich das Fahrrad, das wohl
doppelt soviel Wert darstellt wie die Kamera, ungesichert neben den Weg
und galoppiere zurück. An der nächsten Biegung kommen mir nachfolgende
Wanderer mit dem Apparat in der Hand entgegen. Da ist die Freude groß,
denn denselben Weg dreimal machen, ist nicht unbedingt ein Vergnügen.
Immerhin ist es nun nicht mehr weit bis zum Gipfel. Der Weg wird
weniger steil, dann quert man das Gleisbett der Brockenbahn. Kurz
darauf ist der Durchbruch in der Mauer, die den Brocken ringförmig
umschließt. Dahinter geht es zu wie auf einem Jahrmarkt, Menschenmengen
strömen hin und her. Plötzlich ziehen dunkle Wolken auf und hüllen den
Gipfel ein. Allgemeines Frösteln setzt ein. Ich verziehe mich in ein
windgeschütztes Eckchen und schaue mit einem Butterbrot in der Hand den
Russen bei der Arbeit zu. Mit einem urwüchsigen Bulldozer-artigen
Fahrzeug bemühen sie sich redlich, Trümmerbrocken einer Kasernenruine
wegzuräumen. Eine Weile philosophiere ich darüber, daß die Besatzer
ihre Bleibe unter dem eignenen Hintern abreißen. Dann aber sehe ich,
daß man einen nagelneuen Sperrzaun um die Russenkolonie aufbaut, dann
wird das wohl noch nicht so schnell etwas mit einem entmilitarisierten
Brocken.
Es ist so kalt, daß ich schon vor der Abfahrt reichlich friere.
Vorsichtig kurve ich durch die Menschenmenge, die sich auf dem Weg von
Schierke heraufzieht. Es ist empfehlenswert, sich mit dem Fahrrad
mºglichst nahe an das Schrittempo der Wanderer zu halten, um den Ruf
der Mountainbiker nicht zu ruinieren. Wenn sich eine Lücke in der
Wandererschlange auftut, kann man aber schon mal ein bißchen
beschleunigen. Wo der Weg zur Bobbahn abgeht, wird es auf der
Brockenstraße ganz leer, nun erst kann man es laufen lassen.
Zwischendurch aber muß ich eine Pause einlegen, weil die Hände von der
Kälte erstarrt sind. Schnell bin ich dann in Schierke, auf der
Ortsstraße rolle ich an den großen Ferienheimen vorbei bis hinunter zur
Brücke über die kalte Bode. Am Bach entlang führt ein Wanderweg nach
Elend, immer schön bergab, da läßt es sich gut rollen. Erst in Elend
bin ich wieder so einigermaßen aufgewärmt.
Weiter geht es hinauf zum Parkplatz an der Grenze, dort zweigt
eine wenig befahrene Straße nach Sorge ab. Ab und zu kann man hinter
sich einen Blick auf den Brocken werfen, von dem man sich nun mehr und
mehr entfernt. Durch Sorge und Tanne geht es recht flott, viel
sehenswertes ist nicht auszumachen. Kurz vor Trautenstein liegt eine
Mäanderwiese der Rappbode. Heute blühen schon einige Blumen, besonders
die Trollblumen sind bemerkenswert. Auf der Brücke in Trautenstein
bietet sich ein reizvoller Blick bachabwärts, bald danach beginnt schon
die Rappbode - Talsperre.
Auf einer weiten, unbewaldeten Hochebene fahre ich Richtung
Hasselfelde. Im Westen beherrschen Wurmberg und Brocken die Szenerie.
In Richtung Osten scheint alles flach und man wähnt sich bereits im
Vorland des Harzes. In Hasselfelde mache ich auf dem Kirchplatz eine
kleine Rast. Bald bin ich von Kindern umringt, die mein Rad bestaunen.
"Das ist gut, ist ja auch von drüben" sagt ein kleines Mädchen. "Das
hat ja sogar eine Gangschaltung, das hat bestimmt 10 Gänge!" (Es sind
21, aber das behalte ich für mich). "Ihr kriegt bestimmt auch bald ein
schönes Rad" versuche ich zu trösten. "Wenn ich groß bin, kaufe ich mir
ein Wohnmobil" sagt ein Junge. Das Mädchen darauf "... und weil ich ja
eine Frau bin, kaufe ich mir ein rosa Wohnmobil". Ja, Wünsche hat ein
jeder.
Leider muß ich weiter, das nächste Ziel ist die Staumauer der
Rappbode - Sperre. Dort ist ordentlich Touristenbetrieb, aber noch
erträglich. Auf der Staumauer gibt es schöne Ausblicke auf die sich
weiter unten anschließende Talsperre Wendefurth und auf den Stausee der
Rappbode.
Hinter der Mauer erreicht man durch einen Tunnel einen Parkplatz, von
dem aus ein Aussichtspunkt besucht werden kann. Der ist so beliebt, daß
Eintritt erhoben wird. Ich bin zu faul, mein Rad erst abzuschließen,
außerdem muß man anstehen. Es geht wieder zurück und hinauf zur B 81,
dann in sausender Abfahrt hinunter nach Wendefurth. Ab hier fließt die
Bode in weiten Schlingen durch Wald und Wiese, keine Straße verunziert
das Tal, nur der Nichtmotorisierte kann einen Wanderweg benutzen.
Außerdem ist man wieder allein auf weiter Flur, sodaß diese Stück der
Fahrt sich sehr idyllisch entwickelt. Eine verrostete Brücke, alte
Schieferstollen.
Mit Altenbrak und Treseburg erreicht man wieder Straße und
Zivilisation.
Jetzt kommt der Leckerbissen: der Weg durch die Bodeschlucht
von Treseburg hinab nach Thale. Diese Tour sollte man doch lieber zu
Fuß machen.
Erstens sieht man dann mehr und zweitens ist es lästig, mit einem unter
den Arm geklemmten Fahrrad durch die Gegend zu laufen. Meistens sind
die aus dem Weg herausragenden Steine schuld, über die das Rad
hinübergehoben werden muß, sonst würden die vorderen Kettenblätter
aufsitzen. Das besondere an dem Weg besteht darin, daß die
Großartigkeit sich steigert, je weiter man hinunter wandert. Der
Höhepunkt ist wohl erreicht, wenn man die Teufelsbrücke überquert. Fast
200 m ragen links und rechts die Felswände von Roßtrappe und
Hexentanzplatz empor.
Die Wasser der Bode schäumen zwischen den ausgewaschenen
Felsblöcken, in den Ritzen grünt es, Moose und Farne wachsen ungestört
an unerreichbaren Stellen. Zum Glück sind hier heute kaum Menschen
unterwegs. Ich kann mir gut vorstellen, daß es an Wochenenden vor der
Teufelsbrücke durchaus zu Wandererstaus mit "Stop and Go" kommt.
Gegen 17 Uhr rolle ich schließlich hinab nach Thale. Das Bild dieses
Ortes wird von dem riesigen Gelände der Eisenhütte geprägt, um das man
sich erst herumlavieren muß. Ich habe bisher 85 km zurückgelegt, nun
liegen noch 40 km Rückfahrt nach Stapelburg vor mir. Wegen des
Gegenwindes und dem teilweise sehr regen Verkehr auf der Straße
gestaltet sich das erstmal nicht so angenehm. Nach knapp 10 km ist
Blankenburg erreicht. Im Fußgängerbereich schicke ich mich an, wieder
eine Rast einzulegen, da bin ich schon wieder von Kindern umringt, die
neugierig das Rad beäugen. Diesmal mache ich mich lieber gleich an die
Weiterfahrt, man muß ja weiterkommen. Von Blankenburg bis Benzingerode
läßt sich eine Nebenstrecke finden, die Abwechslung bietet und die
Strecke nicht so lang erscheinen läßt. In Benzingerode ist eine
malerische Kirche.
Ein paar km weiter ist man schon in Wernigerode. Das Rathaus ist
inzwischen eingerüstet, das danebenstehende geplante Hotel steht noch
immer zwischen seinen Buchstützen. Nach unseren nun schon zahlreichen
DDR-Besuchen fällt doch auf, daß die Bausubstanz von Wernigerode
geradezu vorbildlich ist.
So weit habe ich es nun nicht mehr, zunächst bleibe ich bis
Ilsenburg noch auf der B 6, der Verkehr hat nachgelassen. Ab Ilsenburg
aber geht es wieder auf eine Nebenstrecke. Im Wald passiere ich eine
Gruppe Jugendlicher, die nach Stapelburg wollen. Ich mache ordentlich
Tempo, bis ich wieder allein bin. Da stehe ich schon vor dem
Grenzstreifen, ab hier verläuft der Weg innerhalb der ehemaligen
Sperrzone. Ein Schild weist auf ein Verbot der Grenzüberquerung abseits
der Grenzübergangsstellen hin.
Leider hat man hier auch keine Gelegenheit dazu, denn der Sperrzaun ist
noch komplett. So verlaufen die letzten 3 km wieder auf den schon
erwähnten Lochplatten. Hier kann man so leidlich nebenher fahren. Am
Übergang Stapelburg zeige ich dann brav meinen Paß, um 20 Uhr bin ich
wieder beim Auto mit dem Bewußtsein, wieder einen Tag sehr intensiv
erlebt zu haben, was man auch in den Gliedern spürt.
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