Nach einer Radtour im Vorjahr von Göttingen bis Passau lag es auf der Hand, den Faden an der Donau wieder aufzunehmen, d.h. auf dem Donau-Radweg Richtung Wien zu fahren. Dies ist mittlerweile eine der klassischen Fahrradstrecken, da sie für Radfahrer ideal angelegt ist, landschaftlich und kulinarisch alles bietet. So war es nicht sehr schwer, einen Teil der Familie erstmals für eine Fahrradtour zu gewinnen. Annika und Stefanie müssen allerdings für die zwei Wochen in den sauren Apfel beißen und die Ferien bei Onkel Achim in Scheeßel verbringen.
So fahren wir: Heidi, Martin und Verena am Sonntag, 10.7. mit dem Auto, die Fahrräder auf dem Dach, von Braunschweig nach Passau, wo wir bei Heidis Freundin Ingrid das Auto für die zwei Wochen abstellen können. In Passau werden wir von Ingrid und Ihren Kindern herzlich begrüßt, im Hinblick auf die bevorstehende Tour wird Sachertorte gereicht. Eine Besichtigung Passaus schließt sich an, die Reize dieser Dreiflüssestadt brauchen hier nicht aufgezählt zu werden. Wie für viele Donaureisende ist Passau immer ein idealer Auftakt, der sofort Urlaubsstimmung aufkommen läßt. Bei schönem Wetter können wir abends noch draußen sitzen und klönen, bevor wir uns nicht allzu spät in die Betten begeben, um am nächsten Morgen bei vollen Kräften zu sein.
Einigermaßen zeitig kommen wir in Gang, die Räder sind bald beladen. Erstmal gibt es noch ein großes Hallo bei der Verabschiedung, es wird fotografiert usw., bis wir endlich winkend um die nächste Ecke verschwinden. Auf der verkehrsreichen Straße geht es gleich steil bergab nach Passau, da muß Heidi mit dem ungewohnten Gepäck erstmal passen und die Sache zu Fuß angehen. Nachdem wir uns so leidlich durch Passaus Innenstadt gekämpft haben, sind wir endlich am Donauufer, wo sich die Sonne im Wasser spiegelt. Eine Anzahl Donaudampfer liegen vor Anker und warten auf Gäste, an denen kaum ein Mangel herrschen. wird.
Wir überqueren die Donaubrücke, gleich danach geraten wir in ein Rudel von so an die 50 Radreisenden, das kann ja heiter werden. Bald zieht sich der Radlerschwarm aber in die Länge, unser Tempo ist auch noch recht zaghaft, so sind wir bald wieder allein. Über Erlau geht es zunächst noch auf der Bundesstraße nach Obernzell. Dort kaufen wir uns erstmal Reiseproviant und fahren auf nun ruhiger Strecke bis Jochenstein kurz vor der Grenze nach Oesterreich. Eine Rast inmitten grüner Wiesen, dann kommt die mit Spannung erwartete Grenze. Wir trauen unseren Augen nicht, da stehen doch tatsächlich zwei Grenzer in ihren Schildhäuschen, obwohl hier nur Radfahrer entlangfahren. Die Familie vor uns wird großzügig durchgewunken, wir dagegen nicht. Ich muß die Ausweise und Pässe aus den untersten Winkeln des Gepäcks hervorkramen, dann erst geht es weiter.
Einmal fahren wir neben einem Eintagsfahrer her und wechseln ein paar Worte. Als wir stolz erzählen, daß wir bis Budapest fahren wollen, sagt der nur "Dös is a Wahnsinn" und wir werden auch ganz nachdenklich.
Als nächste Attraktion wartet eine Radlerfähre, die uns für wenig Geld auf das andere Ufer übersetzt. Es wird ein heißer Tag, doch oft verläuft der Weg unter Bäumen im Schatten. Bei Schlögen beginnt ein besonders reizvoller Donauabschnitt: über etliche Kilometer windet sich die Donau durch ein enges Tal, keine Straße führt hier hindurch und es herrscht eine himmlische Ruhe. Da machen wir wieder eine erholsame Rast. Ein einzelner Badewütiger steigt in die Donau, die Badehose läßt er weg, wahrscheinlich würde die sich in dem Donauwasser ohnehin zersetzen. Dafür trocknet sich der Herr anschließend um so gründlicher ab, während wir versuchen, in eine andere Richtung zu schauen.
d03_1 Alter Speicher bei Obermühl
Weiter geht es an Obermühl vorbei. Hier habe ich im letzten Jahr die Donau erreicht, ich erinnere mich noch an die Stimmung an jenem Tage, die Stille, der herbstliche Dunst, das Gefühl, mit dem Fahrrad die Donau erreicht zu haben. Heute ist die Stimmung ganz anders, bei strahlendem Sommerwetter, inzwischen recht flotter Fahrt und in munterer Gesellschaft geht es weniger besinnlich zu. Durch das waldreiche Donautal geht es nun nach Aschach. Hier dürfen wir uns einen Kaffee bzw. Eisbecher genehmigen. Die Hitze wird nun am frühen Nachmittag doch fast zu viel. Aber bis Linz soll es noch weitergehen. Ab Aschach ist das Tal wieder weiter, stellenweise ist die Donau gestaut, da beneiden wir die Badegäste. Ein interessanter Fischlehrpfad wird passiert. Das letzte Stück bis Linz führt auf der Bundesstraße und ist nicht so angenehm zu fahren. Heidis Gesichtsfarbe gerät durch die Hitze langsam bedenklich ins rötliche, so sind wir froh, noch bevor die Augen glasig werden, in Linz anzukommen. Ein Tunnel gähnt uns einladend an, lieber halten wir uns aber da raus und kommen richtig in die Innenstadt. Während Heidi und Verena ein wohl selten wohlmundendes Radlermaß stemmen, besorge ich im Verkehrsbüro Quartier: Hotel Goldener Anker.
In der Gaststube des Hotels, wo wir in einem Hinterhof zu Abend essen, ist es etwas schmuddelig. Dann machen wir einen Gang durch Linz, leider ist der Marktplatz eine einzige Baustelle. Aber in den Straßen ist noch einiges los, Musikanten und andere Akteure genießen den warmen Sommerabend.
Nach dem herrlichen Wetter am Vortag beginnt dieser Tag mit anhaltendem Regen. Wir lassen uns Zeit mit Aufstehen und Frühstücken. Gegen 9 Uhr aber brechen wir trotz des andauernden Regens auf. Es geht nun wieder links der Donau weiter, auf der rechten Seite liegt ein düster anmutendes Industriegebiet, wir betrachten das Donauwasser mehr und mehr argwöhnisch. Der Regen hört nun irgendwann auf, wir fahren stur einer anderen Gruppe vor uns nach, bis wir merken, daß wir auf der falschen Strecke sind. Nun würde das Umkehren einen großen Umweg bedeuten, so geraten wir wieder auf das rechte Donauufer nach Enns. Um wieder Anschluß an den Radweg zu bekommen müssen wir auf verkehrsreicher Straße bis zur nächsten Donaubrücke in Mauthausen fahren. Unterwegs kehren wir etwas entnervt standesgemäß in einer Imbißbude ein.
In Mauthausen suche ich mir eine Strecke über die Dörfer Naarn und Ruprechtshofen für die Weiterfahrt heraus, da das Stück an der Donau entlang hier nicht so reizvoll erscheint. Vielleicht kommen wir hier auch etwas flotter voran, durch unseren Abstecher nach Enns haben wir zwar schon eine ganze Menge Kilometer, aber wenig Strecke hinter uns gebracht.
In Naarn hat Verena ein kleines Problem an der Tretkurbel, da muß geölt und eine Schraube nachgezogen werden. Heidi solle man schon vorrausfahren, sage ich so nebenbei und widme mich der Pedale. Als die Sache erledigt ist, ist Heidi verschwunden - aha, vorausgefahren also. Hurtig nehmen wir die Verfolgung auf, nach 50 m aber kommt eine Abzweigung. Laut Karte muß hier abgebogen werden, aber das hatten wir nicht abgesprochen. Trotzdem fahre ich erstmal in diese Richtung, Verena bleibt besser zurück. Nun kann ich endlich aufs Tempo drücken, nur ist mir nicht so ganz wohl dabei. Prompt kommt auch nichts dabei heraus, von Heidi bis zum nächsten Ort keine Spur. Also wieder zurück, und nun erkunde ich die andere Richtung. Auch das bringt nichts, wieder zurück an den Ort der Verfehlung. Nun geht einem einiges im Kopf herum: was tun, wenn man sich nun nicht wiedertrifft, wie wird sich Heidi ohne Geld und Ausweis in der Fremde zurechtfinden??
Solche Sorgen sind natürlich angesichts des momentanen Schrecken dann sehr gewichtig. Doch wenn man das Richtige tut - nämlich gar nichts, dann klärt sich das schon wieder auf. Eine Weile fege ich noch wie ein Wilder in und um das Dorf herum. Wahrscheinlich fällt man den Einwohnern auch schon auf, schließlich sitzen wir mit hängenden Köpfen auf dem Bordstein. Nach knapp einer Stunde erscheint dann endlich Heidi in leicht gereizter Stimmung, um es vorsichtig auszudrücken. Wie sie meint, sei sie schon kurz vor Wien gewesen, und nun alles wieder zurück!? So haben wir eine ganze Weile zu tun, die Schuldfrage zu klären, schließlich einigen wir uns darauf, daß die Sache wenigstens recht lehrreich war.
Endlich fahren wir nun weiter auf der von mir für flottes Vorankommen ausgesuchten Landstraße. Bei Wallsee treffen wir wieder auf den Donauradweg, der durch Ufersümpfe bis Grein führt. Vor Grein ist der Weg entlang einer Steilufertrasse etwas exponiert, da fährt Heidi wieder weniger elegant, den Kopf möglichst nicht bewegend, auf der linken Seite. Am Ortseingang von Grein spricht uns eine Frau auf der Suche nach Pensionsgästen an. Gerne hätten wir das Quartierangebot angenommen, aber es ist noch etwas früh und Heidi "möchte noch etwas weiter". Na das sind Sprüche!
In Grein sind schon viele Touristen und uns wird wieder ganz urlaubsmäßig. In einem hübschen Cafe sitzen wir gemütlich und gucken anderen Leuten zu, was wegen meiner zur Lächerlichkeit neigenden beiden Damen für mich manchmal etwas peinlich ist. Irgendwann ist genug geprustet, es geht auf die letzten 20 km bis Ybbs. Leider können wir hier nur auf der Bundesstraße fahren, landschaftlich ist die Strecke wieder wunderschön.
In einem Gasthaus in der Ortsmitte kommen wir nicht unter, werden stattdessen an ein Privatquartier bei Frau Katzensteiner weitervermittelt. Dort ist es herrlich, nachdem wir uns frisch gemacht haben, beschließt der abendliche Ortsbummel und ein kräftiges Abendessen den Tag.
Frau Katzensteiner bewirtet uns zum Frühstück fürstlich und wir bekommen auch ein Proviantpaket. Zu Füßen der Wallfahrtskirche Mariataferl gelangen wir bei leichtem Gegenwind über Pöchlarn nach Melk. Hier zwingt einen das Kloster natürlich zu einer längeren Pause. Die wird aber erst mit ausgiebigem Einkaufen ausgefüllt, ich besorge mir einen neuen Reifen, weil der alte aus den Fugen zu gehen droht (er mußte aber erst zu Hause außer Betrieb gesetzt werden). Schließlich steigen wir zum Kloster hinauf, das ist wieder so eine einzige Baustelle. Zu einer offiziellen Besichtigung gegen Eintrittsgeld können wir uns angesichts der vielen hektischen Touristen nicht entschließen.
d04_1 Wallfahrtskirche
Mairataferl
d06_1 Kloster Melk
Wir haben wieder sehr warmes Wetter und sind froh, Richtung Donaubrücke durch Wald fahren zu können. Der Wald wird immer unwegsamer bis wir merken, daß wir in einem Truppenübungsgebiet stecken. Obwohl die Wege durch Panzer gut ausgefahren sind, gibt es für unsere Räder nur schwer ein Durchkommen. Also umkehren, das können wir uns heute leisten, denn bisher sind wir ja flott vorangekommen. Auf dem Rückweg treffen wir viele andere Radfahrer auf dem Weg ins Manöver, die meisten klären wir auf, manche aber wollen es nicht glauben. Wir müssen nun auf der richtigen Straße den Höhenunterschied zur Brücke hinauf überwinden. Jenseits der Brücke beginnt die Wachau, und da zieht es einen schon voran. Die Fahrt über die Brücke ist herrlich, man glaubt, man fliegt. Ach - da fällt mir ein, daß Heidi nicht so ganz ein Freund unbeschwerter luftiger Wegstrecken ist, da fahre ich lieber zurück, um wenigstens den Raum zwischen Fahrerin und Brückengeländer zu besetzen.
Das ganze geht dann nur zu Fuß, öfter müssen wir andere Radfahrer sich vorbeizwängen lassen. Jenseits der Brücke erreichen wir links der Donau die romantische Wachau. Die Strecke führt hier durch einen idyllischen Ort nach dem anderen. Die offizielle "Wachaustraße", vor ein paar Jahren erbaut, führt dagegen geradlinig am Ufer entlang - mit der haben wir zum Glück nichts zu tun. Wieder machen wir eine schöne Rast am Wasser, dann geht es bei großer Hitze weiter durch die Weinberge. Als wir in Krems ankommen, sind wir von einem Sonnenstich oder Hitzschlag nicht allzuweit entfernt.
d07_1 d07_2 d07_3 In der Wachau
Am Ortseingang kommen wir mit einer Familie aus Kanada ins Gesprüch, sie sind Verwandte der Besitzerin des vor uns liegenden Burghotels. Uns gelingt es aber nicht, daraus Kapital zu schlagen, rein äußerlich sind wir womöglich auch nicht die richtigen Gäste für dieses Etablissement. Trotzdem werden wir ob unserer Unternehmungs- und Abenteuerlust gebührend bewundert.
Bei dem herrschenden Druck im Inneren unserer Köpfe sehnen wir uns nach einem Lokal, um uns von der Anstrengung zu erholen. Diesmal scheint Verena am Ende, wir machen uns jedenfalls Sorgen um einen Sonnenstich. Erstmal schieben wir die Räder, durch Krems geht es direkt hindurch. Wir bekommen wenig von den sicherlich bemerkenswerten Sehenswürdigkeiten hier mit. An einer Anlegestelle der Donaudampfer können wir endlich einkehren und überlegen, was wir weitermachen. Beim Betrachten der Dampfer, Studieren des Fahrplans usw. kommen einem schon Ideen, wie man auch mit weniger Anstrengung weiterkommt.
Heute ist es aber schon zu spät, wir müssen uns bald um ein Quartier bemühen. Wir wollen noch einen Ort weiterfahren, Krems ist sicher überteuert. Ein Hindernis wird uns noch in den Weg gelegt, indem wir (bzw. ich) die Räder von einer Hochbrücke hinunter an den Donauweg tragen müssen. Dann ist es nicht mehr weit bis Hollenburg, hier frage ich in einem kleinen Kaufmannsladen nach einer Unterkunftsmöglichkeit. Das geht wie geschmiert, man telefoniert kurz und schon stehen wir auf der Straße in Erwartung von Robert, dem Pensionssohn, der uns abholen kommt. Zwar lotst uns Robert nochmal einen Berg hinauf, aber das stecken wir in Erwartung von Dusche und Schlafplatz weg. Nach uns kommen noch zwei Radehepaare, die auch gerade noch unterkommen.
Am Abend sind wir wieder soweit hergestellt, daß der Gasthausbesuch mit unserem Pensionswirt und zwei Arbeitern in Sachen Kanalisation sich noch einigermaßen in die Länge zieht.
Es geht auf die letzte Etappe Richtung Wien. Hier ist die Landschaft entlang der aufgestauten Donau vergleichsweise langweilig. Bald beginnt es erst leise, dann stärker und anhaltend zu regnen. Wir sind auf freier Strecke und müssen da durch. Bei Traismauer passieren wir die Ruine eines Atomkraftwerks, das den Umtrieben von umweltbewußten Bürgern zum Opfer gefallen ist. Hier können wir uns ein wenig in katakombenartigen Räumen unter einer auf Stelzen gebauten Werkshalle unterstellen. Man tauscht einige klatschnasse gegen nasse Kleidungsstücke aus. Um nicht zu frieren, fahren wir dann bald weiter. Es regnet und regnet, monoton tritt man in die Pedale und fragt nach dem Sinn des Lebens, speziell des Radfahrens. Die Zeit vergeht nur träge, die Strecke dehnt sich in die Länge.
Gegen Mittag sind wir in Tulln, klatschnaß, verfroren und hungrig. Wir kaufen irgendwas ein, essen aus der Tüte, legen uns einigermaßen trocken und genießen einen heißen Kaffee. Endlich hört der Regen auf, noch 20 km bis Klosterneuburg. Diese Strecke ist wieder etwas schöner, nur läßt uns der Regen immer noch nicht in Ruhe. Gegen 14 Uhr sind wir in Klosterneuburg und sinken ermattet auf die Bank vor dem Verkehrsverein, der in Kürze öffnen wird.
Als der zuständige Offizielle eintrifft, stellt sich bald heraus, daß Klosterneuburg und Wien vollbelegt sind, ein frisch erbauter Campingplatz, der gegenüberliegt, wird uns empfohlen. Zerknirscht sitzen wir noch eine Weile auf der Bank und beraten mit einem anderen Radfahrer die Situation. Ich bin bereit zum Campen, aber wegen des vorangegangenen Regens ist das keinem zuzumuten. Plötzlich kommt der Verkehrsbeamte vor die Tür und hält nach uns Ausschau, ein Glück, daß wir noch da sind. Es hat sich doch noch ein Quartier gefunden, und zwar ein ganz komfortables Appartement mit Bad im Haus Enzian bei Familie Jagschitz.
Nun wird das Quartier bezogen, die Sachen ausgepackt und zum Trocknen herausgelegt, gebadet und ermattet eine Weile ausgespannt. Aber wir stehen wie weiland die Türken vor Wien und es ist noch früher Nachmittag. So finden wir uns bald an der Bushaltestelle, um per Bus und U-Bahn noch nach Wien hineinzufahren. Am Karlsplatz steigen wir aus, besichtigen die Karlskirche und schlendern dann Richtung Oper. Hier war doch irgendwas mit Sachertorte versprochen worden ? Nach dem Studium der Preise im Hotel Sacher versuche ich, das Versprechen in eine andere Richtung zu lenken, Verena aber zeigt starke Anzeichen der Verstimmung, also lassen wir uns doch an einem Freilufttisch nieder und tun so, als seien wir Stammgäste. Verena bekommt ihre Sachertorte an dem geweihten Ort, wir begnügen uns mit je einem Tässchen Kaffee. Heidi und Verena studieren abschließend auch die Toiletten, von wo sie mit glänzenden Augen zurückkehren: Alles Marmor und Spiegel!
Wir schlendern weiter zum Stefansdom, eine Fiakerfahrt kann ich nun doch erfolgreich abblocken, dafür werden wir am nächsten Tag eine Stadtrundfahrt mitmachen. Wir gehen noch ein wenig im Gelände der Hofburg herum, dann plagt uns der Hunger. Bei mangelnder Ortskenntnis und nicht so prallem Geldbeutel fällt es einem gar nicht so leicht, ein passendes Lokal zu finden. Schließlich sagt uns eines zu, wir essen dort und fühlen uns ganz behaglich, nur darf man keinem erzählen, wie das Lokal heißt: "Wiener Wald". Ein freundlicher Herr an einem Nebentisch bringt sich fast um, um uns den Heimweg mit den verfügbaren Verkehrsmitteln zu erklären.
Nach einem längeren Fußmarsch zum Bahnhof Hernals erreichen wir den Zug nach Klosterneuburg, die Fahrkarte wollen wir beim Schaffner lösen. Doch dieser hat es gar nicht eilig und vertröstet uns erstmal. Das zieht sich solange hin, daß wir ganz kostenfrei nach Klosterneuburg gelangen, wo der Schaffner gerade unser Abteil betritt. So erledigen wir das Aussteigen recht flott und lachen uns auf dem Bahnhofsvorplatz ins Fäustchen.
Heute geht es gleich morgens nach Wien, weil wir uns noch die Ungarn-Visa im Reisebüro IBUZS besorgen müssen. Dazu werden Paßbilder benötigt. Heidi und Verena gehen zu diesem Zweck in ein naheliegendes Kaufhaus in einen Fotoautomaten. Nach einigen vergeblichen Versuchen - Geld rein - Geld raus usw.- wird der Geschäftsführer herbeigerufen, der beteuert, der Automat sei frisch inspiziert. Bevor die erregten Kundinnen aber böse werden können, klärt sich auf, daß sie die ganze Zeit mit einem 5 DM Stück experimentiert haben, was in Oesterreich nicht unbedingt die richtige Vorgehensweise zu sein scheint.
Der Rest der Zeremonie verläuft ohne Probleme, uns werden die Visa noch für den gleichen Tag versprochen, wir können sie aber heute nicht mehr abholen, weil wir schon die Stadtrundfahrt gebucht haben.
Bevor diese beginnt, haben wir noch ausreichend Muße ein "ordentliches" Lokal für das Mittagessen auszusuchen. Wir finden auch ein interessantes türkisches Restaurant, aber natürlich ist es sehr voll um die Mittagszeit. Vor der Oper steigen wir dann ein zur Stadtrundfahrt. Zunächst werden aber erst an einem zentralen Bus-Sammelplatz die einzelnen Fuhren zusammengestellt. Es wird wohl gern zweisprachig gearbeitet, so wird unser Bus zur Hälfte mit Deutschen, zur anderen mit Spaniern beladen.
Irgendwann geht es sogar los, man fährt durch den dichten Verkehr an allerhand historischem Gemäuer vorbei. Meistens kann man so schnell nicht aus dem Fenster sehen, wie eine Sehenswürdigkeit nach der anderen vorbeirauscht.
Die Anlaufstation ist Schloß Schönbrunn, wo eine längere Besichtigung stattfindet. Zimmer um Zimmer der einstigen Kaiserresidenz wird durchstreift, einer der Spanier nimmt seine Video-Kamera nicht ein einziges Mal vom Auge, ein anderer hat Ärger mit der Disziplin seines Sprößlings und dem Unmut seiner Frau. So wird diese Schloßbesichtigung sehr interessant. Nachdem alle wieder in dem Bus sind, geht es noch zu dem Anwesen des legendären Prinz Eugen, dem edlen Ritter. Auch da kann man einmal um den Block gehen, das Schloß selbst ist geschlossen.
Als die Stadtbesichtigung überstanden ist, lassen wir uns wieder an der Oper absetzen und beschließen, für heute Feierabend zu machen, schließlich soll es morgen weitergehen. Was liegt da näher, als sich wieder in einem bereits genannten Lokal mit gebratenen Hähnchen für "zu Hause" zu versorgen (heute bleibt die Küche kalt...). Dort verzehren wir mit gutem Appetit die Hähnchen und packen so langsam die verstreuten Sachen zusammen.
Wir nehmen Abschied von unserem schönen Quartier in Klosterneuburg und fahren nun wieder auf dem Fahrrad auf einem schönen Weg entlang der Donau nach Wien hinein. Ich muß zuerst die Visa abholen, die eine ganze Stange Geld gekostet haben. Dann schlagen wir uns zu dem Hundertwasserhaus durch, das ja einen recht skurilen Eindruck macht. Die Tatsache, daß das Haus ständig von Touristen umlagert wird, beweist, wie trostlos die übrige heutige Baukunst sich darbietet. Wie sonst ist zu erklären, daß ein etwas ausgefalleneres Gebäude eine solche Anziehungskraft ausübt. Hätte man mehr davon, müßten nicht alle nach Wien kommen.
Nun begeben wir uns auf einen der zahlreichen Wiener Bahnhöfe, von wo aus wir mit der S-Bahn (Radtransport kostenfrei) dem Wiener Innenstadt- und Vorortverkehr ein Schnippchen schlagen. Zusammen mit einigen Jugendlichen fahren wir bis Neusiedel. Als wir aussteigen, ist es bereits Mittag und wieder sehr warm.
Zuerst lernen wir an einem Gemüsestand an der Straße zwei Marktfrauen kennen, eine heißt Mizzi, ist 85 Jahre alt und kommt vom Semmering. Warum wir nicht dorthin fahren, da sei es viel schöner als in Ungarn. Dieser Spruch hat sich bei mir wohl irgendwie festgesetzt (s. ein Jahr später).
Unsere Taschen sind nun gut gefüllt mit Pfirsichen und Birnen und wir sind wieder auf der Tour. Hier gibt es einen wunderschönen Radwanderweg zwischen Neusiedler See und Leitha Gebirge, man kommt durch die Orte Breitenbrunn, Purbach und Rust, dem Storchenort.
Von dort geht es aber zur Sache, indem einige Berge den Weg verstellen, bevor man nach St. Margarethen und Siegendorf den Grenzort Klingenbach erreicht. Die Hitze macht uns zu schaffen, aber die Gefahr eines Hitzschlags besteht wohl nicht. Die ganze Zeit liegen malerisch die Alpen zum Greifen nahe.
Unser Ziel ist aber die andere Richtung, eine langgezogene Steigung führt uns hinauf zum ungarischen Grenzübergang. Nun beginnt es doch ein wenig zu prickeln vor Abenteuer, schließlich machen wir die Fahrt in ein Land des Ostblocks zum ersten Mal, und das mit dem Fahrrad. Umso mutiger also, daß wir vor der Grenze noch verbotenerweise das überschüssige Bargeld in ungarische Währung umtauschen, Verena muß das Geld unauffällig verstecken. Als wir vor den Grenzbeamten stehen, macht Heidi vor Aufregung schmerzhafte Bekanntschaft mit den zähnebewehrten Pedalen ihres Mountainbikes. Um jeglichen Verdacht abzuwenden, daß wir bereits ungarische Währung bei uns haben, frage ich nach einer Möglichkeit, Geld zu wechseln. Anscheinend haben die Zollbeamten es eiliger als wir, denn mit einem harrschen "Nix wechseln,...Sopron!!" werden wir über die Grenze expediert.
Zum einen sind wir froh, das nun hinter uns zu haben, zum anderen empfinden wir die Fremdheit des neuen Landes, die Sprache ist fremd, was wird uns hier erwarten. Dieses Gefühl kennt man weniger, wenn man mit dem Auto fährt oder ein fest geplantes Programm abspult. In der Abendsonne fahren wir nun wieder flott bergab, bis Sopron sind es nur ein paar Kilometer. Auf einem Platz versammeln wir uns erstmal und halten zaghaft nach einem Quartier Ausschau. Leute zu fragen hat gar keinen Zweck, da kann keiner Deutsch. Kein Hotel, Pension oder gar Privatquartier ist in Sicht. Etwas bedrückt zockeln wir die eine Hauptstraße entlang, die zum Großteil unverständlichen Aufschriften auf Häusern und Schildern studierend. Irgendwo kommen wir an ein Restaurant, wo einigermaßen etwas los ist. Ich gehe dort hinein, um nochmal nach einem Hotel zu fragen. Zum Glück kann man mir einen Weg erklären. Es geht nur um zwei Ecken, schon stehen wir vor einem sehr gut ausgestatteten ***-Hotel mitten in Sopron. Wie sich später herausstellt, ist es wirklich das einzige. Der Preis für die Übernachtung ist für unsere Verhältnisse zivil, ein Hotel in Deutschland wäre in der Lage mindestens doppelt so teuer.
Das Zimmer ist urgemütlich mit schrägen Wänden, der Duschtrakt sehr geräumig wie in einer Turnhalle. Da wir zwei Nächte bleiben wollen, bietet man uns einen Wechsel in ein vornehmeres Zimmer für die nächste Nacht an. Das könnnen wir gar nicht verstehen, schöner kann man es doch gar nicht haben.
Nach dem üblichen Frisch- und Feinmachen gehen wir gleich unten im Hotel vornehm essen. Hat man zwar vorher gehört, daß Ungarn für uns ein billiges Land ist, so staunt man doch, wenn man nach gutem Mahl und Getränk (z.B. Pilsener Urquell) einen Imbißbudenpreis zu zahlen hat. Zum Auslüften schlendern wir noch durch das nächtliche Sopron, das ist einigermaßen romantisch. Auf dem Rückweg geraten wir in einem Bierkeller noch mit einem Ehepaar zusammen, die mit dem Auto in Ungarn unterwegs sind.
Heute wollen wir den ersten Tag in Ungarn in Ruhe genießen, es ist Sonntag und es herrscht ein schönes Wetter. Erstmal geht es auf den Marktplatz, Verena und ich besteigen den Burgturm, Heidi bleibt lieber unten.
Auf dem Marktplatz beginnt ein Platzkonzert. Man sitzt vor den Lokalen im Freien, es ist beinahe wie in Südeuropa. Nach dem Mittagessen machen wir uns auf den Weg und suchen das zweite aber außerhalb gelegene Hotel in Sopron auf. Das ist noch um etliches vornehmer und teurer, da haben wir es schon besser getroffen. Hier oben herrscht auch ein Mordstrubel, anscheinend befinden sich hier Ferienheime, wo die Werktätigen des Sozialismus ihren Streß von der Sollerfüllug auskurieren.
Auf dem Rückweg trinken wir Kaffe (Hubertusklause). Was uns beeindruckt, ist die äußerliche Ärmlichkeit der Häuser, auf der einen Seite hat der Bauboom hier nicht so viel an alter Bausubstanz weggefressen, anderseits verfallen aber viele Altbauten von allein. Der eine Tag in Sopron reicht aus, wir sind gespannt, wie es nun in Ungarn weitergeht. Im Hotel lernen wir wieder eine Familie aus Kanada kennen, die auch mit den Rädern unterwegs ist. Sie wollen noch bis Prag fahren.
Nun geht es in das ungarische Hinterland. Das bietet landschaftlich allerdings nicht allzuviele Sensationen, ähnelt vielmehr stark manchen Gebieten in Norddeutschland. Ein paar Storchennester sind in den Orten südlich des Neusiedler Sees zu bewundern. Wir kommen nach Fertöd, dort steht ein schönes Schloß der Esterhazy - Fürsten. Leider ist heute am Montag der Besichtigungsbetrieb eingestellt. Das bedauert auch die kanadische Familie, die extra diesen Weg von Sopron heraus gemacht hat. Bevor wir weiterfahren, bekommt Verena ein Ahornblatt als Anstecknadel geschenkt.
Es geht weiter über Kapuvar, Beled nach Celldömölk. Die Landschaft ist landwirtschaftlich stark genutzt, riesige Gurken-, Sonnenblumen-, Mais- und Mohnfelder liegen am Weg und bieten dem Vorbeifahrenden ein wenig kulinarische Abwechslung. Einkaufen kann man überall gut, meistens gibt es etwas auf die Faust: Wurst, Brot, Schokolade. In Celldömölk wollen wir ein Quartier suchen, es ist ein größerer Ort und liegt etwa auf halber Strecke bis zum Plattensee. Aber das wird ein Reinfall, hier ist kein Hotel oder dgl., gar nichts. Zudem ist es hier noch schwerer sich zu verständigen als in der Nähe der Grenze.
Wieder kommen wir so halb in Panik. Ich fahre erstmal durch den Ort und wieder zurück. Wo man fragt, wird nur auf einen 25 km entfernten Campingplatz verwiesen. Davon wollen meine Damen nichts wissen, nun soll es unbedingt gleich zum Plattensee gehen, notfalls mit der Bahn oder mit dem Bus. Die Bahnverbindung ist unmöglich, das können wir uns aus dem Kopf schlagen, außerdem müssen die Räder als Gepäck aufgegeben werden, wer weiß, wann die dann ankommen.
Ein Busfahrer auf dem Bahnhofsvorplatz bietet an, uns nach Szombately mitzunehmen, dort soll ein Hotel sein. Dazu müssen wir das Gepäck abladen. Der Bus fährt aber erst in einer Stunde, da können wir noch ein bißchen beraten. Wie kommt man von Szombately zum Plattensee - das sind auch an die 100 km, wohingegen besagter Campingplatz die ganze Sache auf unter 50 km reduzieren würde. Das gibt den Ausschlag. Wir müssen zwar das soeben abgeladene Gepäck wieder aufladen, aber darin haben wir schon Übung. Wozu haben wir ein Zelt dabei, das muß ja mal genutzt werden.
So machen wir uns an die vor uns liegenden 25 km. Ich hoffe ja immer noch, unterwegs in irgendeinem Ort eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Aber meistens verursacht man nur einen Menschenauflauf, wenn man auf der Straße jemanden fragt, und immer heißt es dann: "Camping... 20 km". So langsam bekommen wir doch etwas Manschetten, denn hinter uns zieht ein ordentliches Unwetter auf.
Zum Glück erreichen wir noch vor dem Regen den Platz oder was sich dafür hält. Auf dem Platz steht kein einziges Zelt, nur ein Wohnwagen aus Belgien steht herum. Eine Art Wegschänke befindet sich hier, wo die vorbeirauschenden Autofahrer eine Rast einlegen können. Ich gehe in das Restaurant um uns anzumelden. Es vergeht eine Weile, bis die zuständige Person gefunden werden kann, mir wird bedeutet "Bitte nehmen Sie Platz". Wenn ich auf andere Leute angewiesen bin, bin ich immer sehr gehorsam, schaue mich also nach einer Sitzgelegenheit um. Bevor ich mich zu sehr lächerlich mache, schießt es mir durch den Kopf, daß damit wohl der Zeltplatz gemeint sei, daher bedanke ich mich smart und verziehe mich zu den Meinen.
Nun suchen wir einen Platz unter einem kleinen Bäumchen aus. Der gesamte Zeltplatz ist allerdings, eingeschlossen der sanitären Anlagen, fest im Besitz einer Schafherde. Das hat auch Spuren hinterlassen. Angesichts des immer noch heraufziehenden Unwetters beeilen wir uns, das Zelt aufzustellen. Jetzt wird herbe Kritik laut, denn ich habe das Überzelt nicht eingepackt. Das Innenzelt ist kaum als Sichtschutz, schon gar nicht für den nun losbrechenden Regen geeignet.
Aber es findet sich immer wieder eine Lösung, so auch jetzt. Hier muß vor nicht allzu langer Zeit ein Fest stattgefunden haben, es ist jedenfalls noch eine riesige Plane aufgespannt, stellenweise hängen Wasserbeulen tief herunter. Eine dieser Beulen suchen wir uns nun aus, um uns darunter häuslich einzurichten. Um es vorweg zu nehmen, die Beule hat sich während unserer Anwesenheit nicht über uns ausgeschüttet, auch wenn Heidi das wohl in jeder Sekunde befürchtet hat. Während der Regen nun losprasselt, sind Räder und Gepäck trocken abgestellt und wir können in aller Ruhe unser Netzhemd-Zelt aufbauen. Wenig später stellt sich heraus, daß man in dem Lokal recht gut essen kann, da gehen wir dann zufrieden bei Dauerregen in unsere Behausung.
Zweimal gibt es in der Nacht noch Aufregung: einmal wecken uns in unheimlicher Weise herumrangierende Autos auf dem Zeltplatz und am Morgen das Geblöke der Schafe direkt neben unserem Zelt. Heidi versucht, mit Gegengeblöke für Ruhe zu sorgen, erschreckt aber eher uns zwei andere friedlich Schlummernden.
Bei strömendem Regen stehen wir auf und gehen erstmal frühstücken. Spezialität des Lokals sind Hirngerichte in den verschiedenartigsten Aufmachungen. Stattdessen entscheiden wir uns aber lieber für etwas Rühreiartiges. Dann packen wir so langsam zusammen, solange es regnet, lohnt die Eile nicht. Als wir losfahren, regnet es noch immer, bei der Abzweigung von der Nationalstraße in Richtung Sümeg hört es aber auf und wir haben für den Rest der Reise schönes Wetter.
Die letzte Etappe bis zum Plattensee führt uns nun zunächst nach Sümeg. Dort gibt es eine eindrucksvolle Burgruine auf einem Berg. Wir biegen auf eine Nebenstrecke ab, um nach Keszthely zu fahren. Die Strecke wird noch ganz schön bergig, an unser Ziel gelangen wir in stärker werdendem Touristenverkehr gegen Mittag. In Keszthely kommen wir zuerst an das schöne Schloß. Es ist vor kürzerer Zeit renoviert worden, hier wimmelt es von Bussen und Menschen.
Zum Glück haben wir viel Zeit für die Quartiersuche, trotzdem geht es diesmal ganz schnell. Am Zaun neben dem Schloß hängt ein Schild "Zimmer frei", die zugehörigen Gebäude sind wohl die alten Gesindehäuser des Schlosses. Gelb gestrichen machen sie einen heimeligen Eindruck. Da kann man ja gleich mal fragen. Wir klingeln und klopfen, doch erst nach einer Weile kommt eine verschlafene halbnackte Männerfigur zum Vorschein. Nachdem diese sich gehörig die Augen gerieben hat, wird uns das Zimmer gezeigt, es ist das Wohnzimmer und hat nur zwei Liegen. Da wir aber Isomatten und Schlafsack mithaben, reicht die Räumlichkeit uns für die paar Nächte völlig aus. Wir werden uns also einig, und Istvan, so heißt unser Gastgeber, macht sich trotz seiner Müdigkeit ans Kaffeekochen. Inzwischen räumen wir unsere Sachen ein und fühlen uns so richtig "angekommen".
Am Nachmittag inspizieren wir den Ort und bereiten die Rückreise vor. Da wird uns ein herber Schlag versetzt, denn wir können mit ungarischer Währung nicht über die Grenze nach Oesterreich geschweige nach Passau mit der Bahn fahren. Wir haben an DM und Schillingen nur geringe Beträge übrig, westliche Währung ist natürlich hier nirgends erhältlich. Bei einem offiziellen Tausch von Forint in DM verliert man glatt die Hälfte. Schon sehen wir uns als Schwarztauscher in Aktion treten. Aber es gibt natürlich die Lösung, bis vor die Grenze mit der Bahn zu fahren, von dort mit dem Rad über die Grenze zu gehen, um dann zurück im goldenen Westen den Rest der Rückreise mit der Bahn zu absolvieren. Dazu müssen wir die Räder auf der Bahn aufgeben, wir entscheiden uns für den Ort Mosonmagyarovar vor dem Grenzübergang Hegyeshalom / Nickelsdorf. Die Garantie, daß die Räder in zwei Tagen auch dort ankommen, kann uns natürlich keiner geben.
Ganz geschafft von diesem Theater verleben wir dann einen schönen Abend mit Istvan und Irma, der Dame des Hauses. Istvan ist nachts mit einem Lastwagen unterwegs, Irma arbeitet in einem Hotel, sie ist dafür tagsüber nicht da. Die ganze Unterhaltung wird in Zeichensprache oder einzelnen Worten abgewickelt. Wir lernen Hund, Katze und Hamster kennen und können von unseren Tieren zu Hause berichten.
Wir verleben einen sonnigen Tag am Plattensee, gehen baden und liegen in der Sonne. Das Leben ist billig und man kann überall gut essen gehen. Bei Istvan und Irma fühlen wir uns wohl, wir werden so gastfreundlich behandelt, wie man sich das so vorstellt. Wir erwägen schon einen Urlaub im nächsten Jahr an gleicher Stelle. Genauer besehen bietet der Plattensee aber nicht soviel, daß die lange Anfahrt mit dem Auto sich lohnen würde.
Nun nehmen wir Abschied, Istvan drückt uns zwei riesige Mettwürste in die Hand. Wir mögen die gar nicht annehmen, aber beleidigen können wir ihn auch nicht. Also wieder schwereres Gepäck. Wir winken, Istvan winkt, und dann wischt er sich, wir können es kaum glauben, die Augen. Die Gastfreundschaft von Istvan und Irma wird eine der schönsten Erinnerungen aller unserer Radtouren bleiben.
Wir zockeln behängt mit unseren Taschen zum Bahnhof. Während wir auf den Zug warten, können wir die Schwalben beobachten, die hier in hunderten von Nestern nisten. Dann führt der Bummelzug um die Westspitze des Balaton herum. In Boglarelle müssen wir umsteigen in einen Expreßzug nach Budapest. Wir geraten in ein Abteil zusammen mit zwei Algeriern und einem ungarischen Ehepaar.
Als der Schaffner kommt, wird nach Studium unserer Fahrkarten wieder ein Problem eröffnet: wir haben keine Platzkarten. Immerhin läßt sich das nachholen und wenig später zahlen wir ein paar Münzen nach. Dafür sitzen wir jetzt zusammengepfercht zu siebt im Abteil, die Algerier und die Ungarn haben zudem noch die gleichen Sitznummern. Alle Nachbarabteile sind dagegen leer.
Wir schauen uns die ungarische Landschaft nun von der Bahn aus an, solange wir am Balaton entlangfahren, ist das auch noch sehr reizvoll. Näher an Budapest sieht es dann wieder ähnlich wie bei uns aus. Am Spätnachmittag kommen wir in Budapest an, wir müssen zur Weiterfahrt aber zu einem anderen Bahnhof wechseln. Es gelingt mir, bei einem Aufsichtsbeamten die benötigte Information zu erhalten, man muß zu einem anderen Bahnhof. Wir fahren mit dem Taxi durch den dichten Feierabendverkehr. Von Budapest sehen wir auf diese Weise natürlich fast nichts, wir sind aber immer noch von dem Trubel einer Großstadt entwöhnt und bedauern das gar nicht so sehr.
Wir erreichen unseren Zug nach Györ und atmen auf, daß wir nun Richtung Grenze fahren. Wir beschließen, in Györ ein Quartier zu suchen, weil das ein größerer Ort ist. Zwei Stationen vor dieser Stadt steigt eine Bande wilder und trinkfreudiger russischer Besatzungssoldaten ein, da herrscht ein Mordsgeschrei in unserem Abteil und wir fühlen uns recht unwohl. Schnell haben sie ein Auge auf unsere nicht gerade unhübsche Tochter geworfen, die das sogar prima findet und zurück lächelt. In Györ steigen wir alle gemeinsam aus, wir vermeiden so gut es geht jede Auffälligkeit. Auf dem Bahnhofsvorplatz breiten wir erstmal unser Gepäck aus und setzen uns auf den Bordstein.
In der Nähe ist ein Hotel, dort renne ich anschließend hinüber, um ein Zimmer zu besorgen. Es ist nicht so billig, aber wir könnten es mit dem uns verbliebenen Restgeld gerade noch bezahlen. Wie ich zurückkomme, spricht mich ein Taxifahrer an und sagt uns, daß da auch ein Campingplatz mit Zimmervermietung sei. Inzwischen aber steht da so ein russischer Soldat mitten zwischen unserem Gepäck und will unsere Pässe sehen, woher und wohin usw. Heidi sagt etwas Unhöfliches, was er zum Glück nicht versteht, obwohl das Wort durchaus zum Wortschatz einer Nationalität gehören könnte, mit der die Deutschen nicht nur vornehmen Kontakt gepflegt haben.
Mit Hilfe des Taxifahrers können wir den Russen überzeugen, daß wir nicht vor dem Bahnhof übernachten wollen und rauschen dann per Taxi zum Campingplatz. Dort bekommen wir billig unser Appartement und gehen danach noch essen. In dem Lokal wurde gerade die Küche geschlossen, wir bekommen aber dann doch noch ein Schnitzel. Am Nebentisch sitzen eine Menge Leute aus der DDR, die sind hier nicht so beliebt. Die, die wir hier kennenlernen, benehmen sich allerdings auch recht auffällig.
Heute wird es spannend, wie werden wir aus Ungarn rauskommen. Zuerst wollen wir mit dem nächsten Zug die restlichen 35 km nach Moson...(s.o.) zurücklegen. Wir bestellen uns ein Taxi zum Bahnhof. Auf dem Weg dorthin sagt uns der Fahrer, daß die Fahrt mit dem Taxi nach Moson... genauso billig sei, also bleiben wir sitzen und lassen uns chauffieren. Nun fährt der Taxifahrer wie ein Henker, das ist wohl eine weltverbreitete Krankheit dieser Berufsgruppe, wenn das Imponierbedürfnis durchschlägt. Am Bahnhof in Mosonmagyarovar steigen wir erleichtert aus und suchen, Unheil ahnend, die Gepäckabfertigung auf. Da leuchten sie uns schon entgegen, alle drei Räder, selbst das für die Ungarn sicher nicht uninteressante Mountainbike, sind wohlbehalten an Ort und Stelle.
In gehobener Stimmung machen wir uns an die restlichen Kilometer bis zur Grenze. Leider können wir nur die starkbefahrene Nationalstraße benutzen. Wir fahren nach Hegyeshalom hinein und geraten auf die Zufahrt zum Grenzübergang für Lastwagen. Ein ungarischer Soldat kontrolliert uns und schickt uns zurück. Der Umweg läßt sich gerade so verkraften, bald sind wir auf der richtigen und stark befahrenen Straße. Da steht schon wieder so ein Soldat am Straßenrand. Und wieder müssen wir die Pässe rausrücken, denn dieser hat offensichtlich Langeweile. Endlich sind wir dann an der Grenze. Hier werden uns Visa und Pässe abgenommen, eine geschlagene halbe Stunde warten wir auf die Rückgabe der Pässe. Radfahrer sind wohl sehr verdächtige Subjekte.
Bei fast unerträglicher Hitze geht es nun 3 km bis Nickelsdorf. Dort setzen wir uns in einem Gasthof fest, wir müssen ein paar Stunden auf den nächsten S-Bahnzug Richtung Wien warten. Inzwischen essen wir, nun nicht mehr so billig, und heben Geld vom Postsparbuch ab.
Endlich wird der Zug bereitgestellt, es gibt wegen der Hitze noch Schwierigkeiten mit dem Weichenstellen. Auf dem nächsten Bahnhof Parndorf müssen wir in den Wiener Zug umsteigen. Irgendwie mißverstehen wir zweimal die Hinweise auf den richtigen Bahnsteig, so geht es im Galopp erst in die eine, dann wieder in die andere, dann endlich in die richtige Richtung. Heidi und Verena sind voraus, während ich mich gerade zur Überquerung des Gleises anschicke, auf dem der Zug gerade einläuft.
Auf den Zuruf eines Bahnbeamten bleibe ich ermattet stehen, natürlich auf der falschen Seite des Zuges. Während ich denke, daß Heidi und Verena gegenüber nun einsteigen, versuche ich auf meiner Seite die Türen zu öffnen. Das geht nur mit großer Kraft, offensichtlich sind die Türen hier blockiert. Ich gebe auf, der Zug fährt auch schon an. Was nun ? Aber da stehen sie beide, böse auf mich, zum Glück sind sie nicht Richtung Wien abgedampft, wer weiß, wie das wieder geendet hätte.
Nun haben wir eine weitere Stunde in Parndorf abzusitzen, die nähere und weitere Umgebung des Bahnhofs interessiert keinen mehr. Ich rechne im Stillen aus, wieviel Zeit wir in Wien noch haben werden, denn wir müssen: den Bahnhof wechseln, die Räder aufgeben, Fahrkarten lösen, in Passau anrufen und was weiß ich noch alles. Dafür haben wir eine gute Stunde Zeit. Als wir dann endlich in Wien sind, machen wir uns unverzüglich auf den Weg zum Westbahnhof. Das wird eine Horrorfahrt entlang der Ringstraßen, bei Feierabendverkehr und brütender Hitze, Radwege existieren hier nicht, oft steht man umringt von Autos mitten auf einer Kreuzung.
Durchgeglüht und -geschwitzt kommen wir auf dem Westbahnnhof an. Erstmal her mit den Fahrkarten und ab mit den Rädern. Dann Anrufen in Passau, das besorgen Heidi und Verena. Ich setze mich erstmal zum Verschnaufen zwischen unser Gepäck. Nun haben wir alle rote Köpfe, was ja kein Wunder ist, aber Heidi und Verena bringen es fertig, da noch eins draufzusetzen. Denn mit dem Telefonieren will und will es nicht klappen, obwohl sie echte oesterreichische Schillinge verwenden. Verena ist schließlich gewitzter und schlägt vor, erstmal die Gebrauchsanweisung durchzulesen. Das ganze geht natürlich nicht gerade in freundschaftlichem Ton vor sich. Wie andere Passanten auch, werde ich auf die Situation aufmerksam und mische mich nun auch noch ein. Verena hat inzwischen herausgefunden, daß da so eine spezielle Zahltaste existiert, die nach Zustandekommen des Gesprächs zu drücken ist. Von dieser Erkenntnis profitiere ich nun und erledige weltmännisch unsere Rückmeldung bei Ingrid in Passau.
Leider löst sich die Spannung diesmal nicht in einem Lachanfall, so streben wir etwas wortkarg dem inzwischen fast vollbesetzten Zug nach Kopenhagen über Passau zu. Gerade noch finden wir inmitten von schwedischen Interrailmädchen und -knaben einen Platz.
Nach anstrengender Bahnfahrt nehmen wir in Passau ein Taxi und fahren hinauf zu Ingrids Wohnung. Hier sind aber alle ausgeflogen, so machen wir uns auch noch auf den Weg und setzen uns beim Griechen um die Ecke noch zu einem Gyros und ein, zwei Bieren nieder. So um Mitternacht gehen wir nach Hause, da sitzt inzwischen die ganze Korona erwartungsvoll um den Tisch herum und wartet auf den vollständigen Reisebericht. So gut es geht, spulen wir noch ab, es kommt uns und den anderen wie eine Weltreise vor. Schließlich fallen uns aber die Augen fast schon am Tisch zu.