Als wir im vergangenen Jahr eine Radtour von Tangermünde nach Havelberg gemacht haben, fanden wir uns westlich der Elbe unversehens auf einem ausgeschilderten Radwanderweg durch die Altmark wieder. Damit war eine gewisse Neugierde geweckt. Vor ein paar Wochen habe ich einen Diavortrag über eine Radtour in Masuren besucht. Dort war ein Büchertisch aufgebaut, und eine Broschüre zu finden: Radrundkurs Altmark, worin dieser auf das genaueste beschrieben wird. Für Interessenten: er ist bei Haupka & Co., Bad Soden, Taunus erschienen. Trotzdem habe ich das Heftchen im Braunschweiger Buchhandel nicht auftreiben können.
Auf unserer geistigen Landkarte ist die Altmark weitgehend ein weißer Fleck. Bis 1990 zur DDR, heute zu Sachsen Anhalt gehörend, existierte sie zu DDR-Zeiten in unserem Bewußtsein sowieso nicht. Stattdessen haben wir uns seinerzeit mit dem Wendland befaßt, das westlich an die Altmark anschließt. Sieben Jahre nach der Wende und Wiedervereinigung wird es nun dringend Zeit, den weißen Fleck mit Farbe zu füllen.
Weitere Anknüpfungspunkte zur Altmark: zu meinem Geburtstag hatten wir zwei Thomasse zu Gast. Der eine Thomas hat gerade ein altes Haus in Brome am Rand der Altmark gekauft und ist eifrig am Restaurieren. Der andere Thomas befaßt sich mit Maklerbroschüren, in denen zwischen Harz und Elbe mehr oder weniger gut erhaltene Immobilien zum Verkauf angeboten werden, möglichst für "nen Appel und’n Ei". Er ist nun weniger gut auf die Altmark zu sprechen. Er wollte sich ein Haus in dem Weltort Köckte ansehen, wo das Anwesen dann allerdings gar nicht existierte, nicht mal die angegebene Adresse war trotz Befragen alteingesessener Dorfbewohner auffindbar. Außerdem handelte es sich bei dem besagten Besuch um einen total verregneten Tag, da sei der Hund verfroren, nichts gäbe es da, nichts, aber auch gar nichts. Nur zögernd läßt man sich da zu einer ersten Inspektion des Altmärker Radwanderwegs überreden.
Ich bin schon mal tätig geworden. Da das mit dem Erstehen der Routenbeschreibung per Buchhandel nicht geklappt hat, besorgt man sich seine Informationen heutzutage über das Internet. Da gibt es "Webseiten" über die Altmark, liebevoll gestaltet von heimatverbundenen Internetlern. Die gibt es also auch schon in der Altmark. Die Telefonnummer der Touristeninformation in Gardelegen (Perle der Altmark) ist allerdings falsch angegeben. Aber mit dem digitalen Telefonverzeichnis der Uni-Bibliothek ist auch diesem Mißstand abzuhelfen. Um diese Internet Fachsimpelei vorerst abzuschließen: ich habe dann noch den Autor der Webseite mit der fehlerhaften Telefonnummer per E-Mail informiert, worauf mir eine Stunde später - wiederum per E-Mail - ein herzliches Dankeschön zuteil wurde.
Per Telefon erfahre ich also, daß die Broschüre in der Gardelegen Information vorrätig ist und DM 6.90 kostet. Das Büro macht um morgens 10 Uhr auf. Damit steht der Plan für eine erste Erkundung fest, Freitag, 2.5., ein "Brückentag" zwischen dem Tag der Arbeit und dem Wochenende. Außerdem ist von den telegenen Wetterfröschen das schönste Wetter angesagt - der erste richtige Frühlingstag.
1. Etappe: Gardelegen - Stendal, 75 km
Wir rechnen eine gute Stunde für die Anfahrt mit dem Auto und fahren kurz vor neun zu Hause los. Über die Autobahn bis Wolfsburg, dann über Landstraßen brauchen wir genau 1 ½ Stunden. Um keine Einzelheit des Tagesgeschehens auszulassen: wir sichten sogar einmal einen Storch, obwohl am Morgen in der Zeitung zu lesen war: Storchenstau am Bosporus, und die Störche seien mit ihrer Rückkehr in diesem Jahr viel zu spät dran. Dieser eine war wohl schneller, ein Early Bird?
Das Informationsbüro in Gardelegen ist im Salzwedeler Tor untergebracht. Das Salzwedeler Tor besteht aus zwei dicken runden ehemaligen Wehrtürmen (Geschützbastionen). Eine nette Dame händigt uns nun endlich das ersehnte Büchlein aus mit dem vollen Titel:
Radrundkurs Altmark, Gesamtlänge 475 km
Im Städtedreieck Hamburg - Braunschweig - Berlin
Streckenverlauf: Stendal - Havelberg - Salzwedel - Gardelegen - Stendal
Damit sind die geographischen Randbedingungen abgesteckt. Wir erzählen, daß wir aus Braunschweig kommen. "Oh, das ist gut" sagt die Dame, man müsse nämlich am Sonntag auf die Harz und Heide Ausstellung, um einen Informationsstand über die Altmark aufzubauen. "Da können Sie uns gleich den Weg erklären" meint sie. "Das geht genauso, als wenn Sie nach Hannover fahren" teilen wir mit. "Oh, soweit sind wir noch gar nicht gekommen" ist die verblüffende Antwort. Anschließend dürfen wir noch den Innenhof des Salzwedeler Tores besichtigen. Man hat sich mit der Erhaltung dieses Bauwerkes einige Mühe gegeben.
Eine Streckenplanung für die heutige Tour liegt aus den dargelegten Gründen noch nicht vor. Wir bummeln erstmal durch die Altstadt von Gardelegen und landen gleich im Hof der Brauerei. Früher wurde in der Gegend um Gardelegen Hopfen angebaut, daher gibt es hier auch das berühmte (für uns aber unbekannte) Garley Bier. Ein bunt gestalteter Bierwagen mit Bierfaßattrappen wartet auf seinen Einsatz, sicher demnächst wieder zum "Herrentag" (Himmelfahrt). Dann stolpert man sogleich über den Namen Otto Reutter, dem berühmtesten Bürger dieser Stadt. "Schau ich weck von dem Fleck, ist drr Überziehrr weg..." das klingt einem irgendwie im Ohr.
Ein bedeutendes Rathaus, eine gemütliche Marktstraße - aber uns zieht es Richtung Süden, wo wir bald auf den Radwanderweg stoßen. Nun haben wir die Auswahl: Richtung Klötze oder Stendal. Thomas plädiert auf Richtung Stendal, ich schließe mich an und wir biegen in Richtung Klötze ab. Das liegt daran, daß der Streckenplan auf dem Kopf steht, indem der Nordpfeil nach unten zeigt. Wir merken das aber bald, kehren um und machen in der Gartenkolonie Lindental erstmal einen Schnack über den Gartenzaun mit einem Rentnerehepaar. Uns werden die weiteren Orte in Richtung Stendal heruntergeschnurrt, wir machen uns ganz düselig auf den Weg. Rückenwind und Sonnenschein, die Butterblumen blühen üppig und ein hübscher Waldweg nimmt uns auf. Spätestens in Zienau, das ist schon der nächste Ort, blühen wir auch richtig auf.
Nun kreuzen wir ein Bauwerk der besonderen Art, die ICE-Schnellstrecke Hannover - Berlin, deren Verlauf weitgehend der Luftlinie zwischen diesen Städten entspricht, dabei allerdings die Großstadt Braunschweig knapp verfehlt. Das Gleisbett wird tischeben betoniert, da könnte man drauf kegeln. Wenn dann Schwellen und Schotter aufgebracht sind, ist das sicher schwieriger. Große Kosten verursachen dazu auch die Querwege, ob als Brücken oder Unterführungen. Wir queren eine Brücke, die beiderseits in unbefestigten Wegen endet. Trotzdem hat man doppelt bewehrte Leitplanken angebracht, wie man sie eher von Grand Prix Strecken kennt (Großer Preis von Monaco). "Hier bleibt also unser Soli" ist unser Gedanke (Solidaritätszuschlag). Wir werden später noch eine schaurige Verwendung des Soli kennenlernen.
Wir kommen aber erstmal durch den Ort Neuendorf, wo es ein bedeutendes Kloster geben soll. Das kriegen wir irgendwie nicht zu Gesicht, weil wir uns zu sehr auf die Wegbeschilderung konzentrieren. Die ist allerdings ausgezeichnet, was uns trotzdem künftig nicht vor ein paar Kapriolen bewahren wird. In Neuendorf hat man auch mit dem Ausbau der Dorfstraße ein wenig zuviel getan, die Pflasterung und Wegbefestigung ist dann leider eher steril im Gegensatz zu dem vormals allerdings weniger komfortablen Pflaster aus Feldsteinen, den Pfützen, Schlaglöchern und sandigen Randstreifen.
Auf unbefestigten und schön zu befahrenden Wegen geraten wir in ein größeres Waldstück, das man dem nördlichen Rand der Colbitz-Letzlinger Heide zurechnen muß. Dieses Gebiet hat mehr als ein halbes Jahrhundert eines der größten militärischen Sperrgebiete Europas beherbergt. Nun nach Abzug der Russen ist das Gebiet angeblich wieder zugänglich. Es ist nachzulesen (K.D. Felsmann, Rund um die Altmark), daß ältere Bewohner der Gegend von einer Anhöhe aus nach 60 Jahren erstmals wieder den Brocken sahen. Dabei sind ihnen die Tränen gekommen. Man kann das nachempfinden. Weniger verständlich, daß die militärische Zunft weiterhin ein Auge auf dieses riesige Wald- und Heidegebiet als Spielwiese für Panzer und Geschütze wirft.
Wir passieren den Achteckigen Stein, der sich auf einer Waldkreuzung aus acht Wegen befindet. Das kriegen wir nicht mit, weil die Wegebeschilderung wieder mal unsere Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch nimmt, es läßt sich aber später nachlesen. Mitten im brandtrockenen Kiefernwald sehen wir dann Rauch aufsteigen. Es handelt sich um einen Grillwagen, den - ausgerechnet die Feuerwehr Börgitz - aufgebaut hat. Uns läuft schon ein wenig das Wasser im Mund zusammen, leider nimmt man aber keine Notiz von uns. Es handelt sich hier um ein Kinderfest, da sind wir als Gäste nicht im richtigen Alter.
Am Ende des Waldes erwartet uns der Ort Uchtspringe. Es läßt sich fast erahnen, daß sich hier die Quellen des Flüßchens Uchte befinden. Was einem aber zuerst auffällt, sind sonderbare Gestalten mit Pudelmützen oder dgl. Ehe man aber Gefahr läuft, sich darüber lustig zu machen, hat man schon vergegenwärtigt, daß sich hier Anstalten für psychisch Kranke befinden. Wir lesen irgendwo den Begriff Forensische Psychiatrie, sind uns nicht ganz im Klaren über dessen genaue Bedeutung. Hat wohl irgendwas mit Rechtsprechung zu tun.
Der Radwanderer wird konsequenterweise in Richtung der Uchtequellen geführt. Als wir von der Straße abbiegen, verschlägt es uns die Sprache. Da glitzert etwas silbrig und haushoch im Gegenlicht der Morgensonne. Es ist ein doppelter Maschendrahtzaun. Obendrauf Spiralen von Stacheldraht. Eine Baufirma ist noch damit beschäftigt, dem ganzen den letzten "Schliff" zu geben. Hinter dem Zaun Häuser mit schwer vergitterten Fenstern. Am Ende des Geländes ein Bauschild: "Hier baut das Land Sachsen Anhalt...". Wir halten an, ich mache ein Foto mit der Befürchtung, daß die Fotoausrüstung gleich beschlagnahmt wird. Dann überlegen wir. Man baut, das steht natürlich auch auf dem Bauschild, eine Vollzugsanstalt. Und zwar eine der schlimmen Art, eine für Triebtäter und aus psychischen Gründen Straffällige. "Verwahrung in einer geschlossenen Anstalt" - so liest sich das dann lapidar in der Zeitung nach ergangenem Gerichtsurteil. Welche Schicksale künftig hinter diesen Barrieren besiegelt werden, entzieht sich unserer Phantasie.
In Sichtweite dieses Wunderwerks der Technik rollen wir auf einem schmalen Waldweg zu den Quellen. Das sind - so ist auf einer Schautafel nachzulesen - eine Vielzahl von Quellkuhlen, die auch in trockenen Jahren nie versiegen. Wir können uns nicht ganz darauf konzentrieren, befindet man sich doch hier auf der Rückseite der eben beschriebenen Verwahrungseinrichtung. Da ist ein Neubau errichtet und der Zaun fehlt hier. Dafür besitzt der Neubau auf seiner Rückseite nicht ein einziges Fenster oder eine Tür. Zurück auf der Landstraße brauchen wir eine Weile, uns von diesen schaurigen Eindrücken zu lösen und wieder der Landschaft zuzuwenden, die den Insassen dieser Anstalt weiter entfernt als der Mond sein wird.
Sei die Bemerkung gestattet, daß in einer Zeit von Kindermißbrauch und anderen Scheußlichkeiten mit den verantwortlichen Tätern wohl kein Mitleid angebracht ist, falls sie denn an einem derartigen Ort ihre endgültiges Dasein fristen müssen.
Es fällt nicht leicht, nun wieder in die herrliche Landschaft zurückzukehren. Bei dem hübschen Ort Staats soll es eine Orchideenwiese geben, deren wir leider nicht ansichtig werden. Wir geraten nun bald auf eine eigenartige Kreuzung aus drei Wegen. Da führt einen die Beschilderung in alle Richtungen, man kommt ganz aus dem Konzept. Der Nordpfeil auf der Karte zeigt hier nach links, das erleichtert die Sache auch nicht gerade. Wir wählen die empfohlene Richtung Taubenhaus, das befindet sich in dem Ort Wittenmoor. Es gibt hier ein Schloß, einen tollen Park, ein Gutshaus, eine Backsteinkirche und das Taubenhaus, was wir tatsächlich finden. Nur den weiteren Weg finden wir weniger. Nach einem flott gefahrenen Kilometer finden wir uns auf einer Kreuzung wieder, wo uns die angezeigten Richtungen nichts Gutes verheißen. Die richtige Entscheidung ist dann auch, zurückzufahren. Daß dabei Thomas die Kette abspringt, ist wohl höhere Gewalt, aber auch schnell behoben. Wir passieren also noch mal das Taubenhaus und finden diese sonderbare Dreieckskreuzung wieder. Die eine Richtung aus Vollenschier (mit r am Ende und nicht mit t) sind wir hergekommen. Die andere Richtung sind wir gerade gekommen. Bleibt die dritte, und in diese fahren wir nun. Und tatsächlich, es ist die richtige, wie uns die Beschilderung bald bestätigt.
Wir geraten nach Groß Schwarzlosen, um bei Buchstabenspielen zu bleiben: lieber ein r als ein n. Es wird Zeit, mal auf die Uhr zu schauen. Die Zeit ist überraschend schnell vergangen, es geht auf 16 Uhr zu, wir müssen ja zurück zum Auto und dann noch nach Hause. Jetzt beim Nachvollziehen der Tour stelle ich auf der Karte fest (Nordpfeil diesmal nach oben), daß wir im Bereich Spitze Berge, 52 m, sowieso eine Abzweigung verpaßt haben. Auf einer weiteren Kreuzung stehend planen wir also den Rest des Weges. Wenn wir die - vielverheißende - Schleife über Tangerhütte abschneiden, sind wir schnell in Stendal, von wo wir vielleicht mithilfe der Deutschen Bahn dem Gegenwind zurück nach Gardelegen ein Schnippchen schlagen können.
Auf einsamer Straße fahren wir also einträchtig nebeneinander Richtung Norden über Klein Schwarzlosen. Mitten ins Gespräch vertieft: "Sollte man ein Anwesen in der Altmark kaufen?" - schreckt uns ein Hupsignal auf. Da ist doch einer stickum in seinem nagelneuen Ford Fiesta herangerollt, fährt links vorbei - Platz ist genug - trotzdem schneidet er uns und hält an, ich kann gerade rechts auf dem Seitenstreifen vorbei. Thomas übernimmt die Konversation am elektrisch herunter schnurrenden Fahrerfenster. Wir hätten hier nicht nebeneinander zu fahren, ist die Vorhaltung. Man könnte nun eine Studie über mentale Reaktionen der Beteiligten in dieser Situationen anstellen. Ich halte mich jedenfalls da raus, rolle ich doch unbehelligt voraus, verweigere mich folgerichtig als Zeuge für evtl. anhängige Beleidigungsklagen zu Lasten meines Mitfahrers. Jedenfalls entwickelt sich die Konversation weniger auf juristischer Ebene als auf verbaler gegenseitiger Einschätzung. In dem Auto hat man es mit einem älteren Ehepaar zu tun, so daß tätliche Auseinandersetzungen für den erbosten Fahrer eher weniger erfolgversprechend sind. Dennoch braucht es seine Zeit bis der verkehrskundige Herr sich wutschnaubend auf seinen weiteren Weg macht.
Auf der etwas stärker befahrenen Straße durch die Orte Hüselitz und Bellingen halten wir uns dann auch brav hintereinander. Bleibt noch Zeit für ein Foto von einer Friedhofskapelle mit Fachwerkturm - ein Begräbniswagen steht schon daneben - in einem Hinterhof gibt es ein antikes Gewirr von Stromkabeln an einer Hausmauer zu bestaunen - und in einem italienischen Eiscafe genehmigen wir uns einen Cappuccino. Dann stoßen wir wieder auf den Radwanderweg, der uns nun direkt nach Norden Richtung Stendal aufnimmt. Man muß einen kleinen Berg erklettern, hat dann schon einen Ausblick auf die Stadt Stendal. Neben den weißen Vorstädten in Plattenbauweise erahnt man auch zwei doppeltürmige Kirchen. Die verschwinden zwar bald wieder hinter einem Waldstück, trotzdem sind wir überraschend schnell am Ziel.
Angsichts der 35 km zurück nach Gardelegen und des Gegenwindes ist natürlich der Bahnhof das Ziel. Nachdem wir ein paar Kinder nach dem Weg gefragt haben, stellt sich das dann leider als erheblicher Umweg heraus. Jedenfalls sind wir genau um 17.15 dort. In der Auskunft wird gerade einer älteren Dame eine komplizierte Verbindung nach Salzwedel vermittelt. Da schaut man doch lieber gleich auf die Abfahrtstafel. In der Bahnhofshalle stolziert ein uniformierter Engel, blond, Minirock, lächelnd. Ob man die mal fragen sollte? Aber da ist ja schon die Abfahrtstafel: 17.26 fährt der Zug. Da ruft Thomas vom Bahnhofseingang mir zu "Siebzehn Uhr Sechsundzwanzig!" Nun sind wir beide gleich schlau. Nur sein Vorteil, er hat den blonden Engel gefragt, und mit so einer hübschen Schaffnerin, da könnte man den Zug ja gar nicht auslassen, hat er zu ihr gesagt. "Sexistisch, frauenfeindliche Anmache, Machogehabe sowas" ist meine Reaktion. Nein, das sei ganz harmonisch verlaufen, wird versichert. Jedenfalls schielen wir beide zum Bahnsteig hinüber, wo der Zug schon abfahrbereit steht. Der blonde Schaffnerengel bewegt sich gerade auf die Lokomotive zu.
Wir klemmen unsere Räder unter den Arm, hasten die Treppen runter und rauf, wo ist nun der Gepäckwagen? Wir entscheiden uns beide in Richtung Lokomotive. Zu unserer Enttäuschung zeigt sich der blonde Engel nicht - vielleicht hat sie eine wichtige Besprechung mit dem Lokomotivführer? Wir begeben uns also an das Ende des Zuges, dort steht eine weitere Uniformierte, klein und drall, die dreht uns erstmal ostentativ den Rücken zu. Dann öffnet sie uns aber doch gnädig den Gepäckwagen, der sich nun leider doch am Schluß des Zuges befindet. Damit sind wir untergebracht, bald fährt der Zug los, Fahrkarten haben wir in der ganzen Eile natürlich nicht gelöst, aber das kann man da ja während der Fahrt immer noch machen.
Wir wollen das nicht zur Nachahmung empfehlen, steigen wir doch nach 35 Minuten Fahrt - die kleine Dralle öffnet uns wieder die Waggontür - zum Nulltarif in Gardelegen aus. Obwohl uns der blonde Engel nicht mehr begegnet ist, sind wir in bester Stimmung. Bei abendlichem Sonnenschein fahren wir noch eine kleine Runde über die gut erhaltenen Wallanlagen der Stadt, ich mache ein Foto vom Salzwedeler Tor in der Abendsonne. Dann finden wir noch eine Bäckerei, die schon geschlossen hat, aber noch geöffnet ist. Thomas kauft ein Stück Zuckerkuchen, nach dessen Verzehr ihm der Sinn nach einem weiteren steht. Die Bäckereiangestellte hat längst beide Hände bis zu den Ellenbogen im Aufwischeimer. Trotzdem gibt es noch ein weiteres Stück Zuckerkuchen.
Schließlich finden wir unser Auto wieder, laden die Räder ein - wie war der Tag? Einer unserer Schönsten, die erste Etappe der Altmarkrundtour wird nicht die letzte gewesen sein.
2. Etappe: Klötze - Gardelegen und zurück, 60 km
Die zweite Etappe der Altmarktour findet genau eine Woche später statt, wieder an einem "Brückentag", dem Freitag zwischen Himmelfahrt und Wochenende. Dieses Mal habe ich gut vorgeplant und mir die Bahnverbindung von Salzwedel nach Klötze im Internet ersurft (man nennt das Herumirren im Internet Surfen Da fährt alle zwei Stunden ein Zug, der braucht für die knapp 40 km mehr als eine Dreiviertelstunde. Das ist aber weniger, als wenn man mit dem Fahrrad fahren würde. Der Plan ist also: mit dem Auto nach Klötze, auf dem schnellsten Wege dann nach Gardelegen, von da aus auf dem Rundweg zurück nach Klötze und dann möglichst weiter bis Salzwedel.
Weil wir am Morgen nach dem Vatertag zum Glück nicht verkatert sind, können wir kurz vor acht Uhr starten. Thomas chauffiert heute sein Wohnmobil, da ist hinten ein riesiger Kasten (Eigenbau) dranmontiert, wo die beiden Räder Platz finden. Vorne auf dem Amaturenbrett sind kleine runde Kuhlen, da kann man die Kaffeebecher reinstellen. Das ist auch notwendig, schwankt dieses riesige Gefährt doch mitunter wie ein Schiff.
Von Oebisfelde fahren wir ein schönes Stück durch die sattgrünen Wiesen des Drömling, ich freue mich schon auf die bevorstehende - sicher viel intensivere Radfahrt durch dieses Feuchtgebiet. Dazu wird es heute nicht kommen, soviel kann man schon verraten, weil die Feuchtigkeit von oben uns davon abhalten wird. Der Wetterbericht für den heutigen Tag hat denn auch den "Durchzug eines Regengebietes" angekündigt. Noch herrscht wunderschöner Sonnenschein.
In Klötze wird das Wohnmobil gleich am Bahnhof geparkt. Der stolze Besitzer eines solchen Gefährts ist danach dann immer nicht so schnell abfahrbereit, es ist immer noch was herumzupumpeln. Ich begebe mich zum Bahnsteig, wo ich auf der Abfahrtstafel die Bahnverbindungen bestätigt finde. Dann hält man das Gesicht noch ein wenig in den Sonenschein, bis es sich endlich ausgepumpelt hat und nun losgehen kann.
Wir fahren die schnurgerade Landstraße Richtung Südosten durch die Wälder. Da geht es nicht nur ordentlich bergauf (127 m), sondern uns bläst auch ein kräftiger Wind entgegen. Der sollte eigentlich aus Westen wehen, hat sich aber, um uns zu ärgern, mehr für die südliche Richtung entschieden. Schließlich geht es flott bergab nach Schwiesau. Die (in den Ohren) rauschende Abfahrt muß aber in der Talaue des Bächleins Bäke unterbrochen werden, weil die unterschiedlichen Gelbnuancen von Butterblumen und Rapsfeld zu einem Foto einladen.
Von Schwiesau kann man schnurgeradeaus autofrei auf einem Feldweg Richtung Hellberge fahren, mit 160 m befindet sich hier die höchste Erhebung der Altmark. Erstmal steht man aber vor einer ehemaligen LPG, die mit ihren maroden Gebäuden den Weg versperrt. Sie kann dann rechts umfahren werden. Der weiter Weg ist reine Genußstrecke, zwar geht es weiter ordentlich bergauf und man kommt zuweilen in einem Sandloch ins Schlingern. Dann kreuzen wir den Radrundkurs, der hier natürlich auch durch die Zichtauer Schweiz geführt ist. Aber noch ist es nicht so weit, wir müssen nach Gardelegen, damit es keine weiteren Lücken in unserer Streckenbefahrung gibt.
Wir geraten endlich auf die B71, die kaum mit dem Rad befahrbar wäre, gäbe es nicht einen frisch fertiggestellten Radweg, der einen von dem brausenden Verkehr bewahrt. Neben einem großen Spargelfeld steht eine Verkaufsbude, die Saison hat begonnen. Eine Portion Altmärker Spargel wäre keine schlechte Überraschung zum Muttertag, wir befürchten aber erhebliche Transportschäden. Dafür ruft einer von uns wenig später einem werkelnden Schrebergärtner zu "Die Kartoffeln kommen aber schon gut!" "Die frieren bald wieder weg!" ist die schlagfertige Antwort - die Eisheiligen stehen noch aus. Die sollen, so steht es heute (10.5.) in der Zeitung, in Süddeutschland bis zu 28 Grad Wärme bescheren, die Biergärten rüsten schon auf.
Um beim Bier zu bleiben: in Gardelegen angekommen passieren wir selbstredend erst das Salzwedeler Tor und werfen dann wieder einen neugierigen Blick in den Brauereihof. Mehr aber auch nicht. Aber die Bäckerei von letzter Woche, die liegt auch am Wege. Aus der fast leeren Kaffekanne lassen sich gerade noch zwei Tassen für uns rauswringen, ein Stück Zuckerkuchen dazu rundet das Ganze ab. Nebenbei erfährt man, daß der Bäckereihund am Morgen auf den Teppich geschissen habe, nun habe man Zeitungen drunter gelegt. Solcherlei Dinge werden in Gardelegen über den Bäckertresen hinweg diskutiert.
Kaum auf der Weiterfahrt, verschwindet Thomas im nächsten Kaffeeladen (Eduscho, Tchibo, oder beides?). "Aber wir haben doch gerade..." ist mein Einwand. Eine Tasse Kaffee, das sei zu wenig. Für mich nicht, ich mache ein Foto vom Rathaus, schaue mir ein Bauschild an, bis Thomas nach einigen Minuten, sich die Kuchenkrümel aus dem Mundwinkel wischend, wieder auftaucht.
Wir fahren die kurze Strecke nach Süden, die kennen wir schon, und erreichen den Rundweg, wo wir heute ortskundig richtig abbiegen. Pünktlich zum Beginn der eigentlichen Radtour hat sich die Sonne verzogen, graue Wolken ziehen auf. Der Wind hat sich nun auf seine westliche Komponente besonnen, um uns weiterhin tüchtig entgegen zu blasen. Dafür rollt man auf einer perfekt betonierten doppelseitigen Betontrasse dahin, deren Sinn uns wieder mal nicht klar wird. Wir queren das Flüßchen Milde, rechts zieht ein Graureiher ab, links befindet sich die Hoppenmühle, wo das Wasser über ein Wehr rauscht. An dem Gebäude ist ein Schild mit der Aufstellung der früheren Gebühren für den Brückenzoll angebracht. Heute kommen wir billiger davon.
Nun geht es weiter am Waldrand entlang Richtung Ziepel. Hier hat man wohl reichhaltige Geldzuschüsse in Form von Nistkästen investiert, die so dicht beieinander aufgehängt sind, daß die Bewohner bei der Nahrungssuche sich wohl gehörig in die Quere kommen werden. Viele Kästen haben auch zwei Schlupflöcher, ob Ein- oder Ausgang, oder jedes für einen Partner der Nistgemeinschaft - das erschließt sich uns auch mal wieder nicht.
Kurz vor Weteritz verheddern wir uns zwischen einer neu erbauten Straßenbrücke und der bereits erwähnten ICE-Trasse. Es bleibt nur der weniger attraktive Weg auf dem Bauweg entlang der Bahnschienen, der uns aber zu einer Unterführung zum Bahnhof Solpke und zurück auf den Rundweg bringt. Hier geschieht so manches: wir legen Regenzeug an, ich finde einen Kugelschreiber und im Straßengraben ein demoliertes Markierungsschild des Altmark Rundwanderweges. Das wird auch als Souvernir vereinnahmt, was allerdings nicht dazu animieren soll, ähnliches mit den intakten Schildern zu veranstalten.
Der Regen fällt leicht tröpfelnd und wir fahren jetzt mit Rückenwind auf einer breiten Waldschneise dahin, wo man wohl eine bedeutende Erdgasleitung verlegt hat. In einem besonders schönen Birkenwald wechsele ich den Film. Dann rollen wir durch die Berge, die wir schon von heute Morgen kennen. Es fährt sich hier wirklich wunderschön, auch der Regen hört auf und die Sonne schaut wieder ab und zu nach dem Rechten. Unser Gesprächsthema dreht sich um eine zentrale Datenbank für Altersheime ...
Wir geraten an den Ortsrand von Zichtau, wo es laut Karte eine Kirche geben soll, die wir aber irgendwie wieder verpassen, und uns statt dessen an einer riesigen Feldsteinscheune erfreuen. Ein großer Haufen Lesesteine daselbst veranlaßt uns Steinfreunde zu einer weiteren Diskussion, ob ein professioneller Transfer dieser Steine in steinärmere Gegenden für Gartenteiche und dgl. Eine profitable Einnahmequelle sei.
Auf dem weiteren Weg haben wir es mit einer gewissen Käferart zu tun, aber trotz holder Maienzeit handelt es sich nicht um den Maikäfer. In der Altmark wird dem Pferdesport eine besondere Aufmerksam zuteil, das erkennt man auch an den regelmäßig auftretenden Relikten auf dem Weg. Und da haben sich ganze Klumpen des gemeinen Mistkäfers dieses Nahrungsmittels angenommen. Wir müssen sorgsam um diese Quellen der Glückseligkeit herumkurven, um keinen Schaden anzurichten. Dennoch liegen viele Käfer herum, die das Ableben ereilt hat, vielleicht wegen Überfressens oder Altersschwäche. Als wir irgendwann den Kopf heben, sind wir wieder in Klötze angelangt.
Wir stellen fest, daß Klötze im wesentlichen aus drei Parallelstraßen besteht. Die Kirche wird renoviert, das Gerüst steht noch. Das Mauerwerk sieht eher künstlich aus, so gründlich hat man es verschönt. Wir finden uns wieder am Bahnhof ein, das Wohnmobil steht noch an seinem Platz. Dafür läßt sich der Autoschlüssel nicht auffinden. Der muß beim Anziehen der Regensachen aus der Tasche gefallen sein. Es ist genau 15.06 Uhr, was man daran erkennt, daß ein kregler graugrüner Triebwagen gerade im Bahnhof einläuft. Ein Mädchen steht wartend da, aber als der Triebwagen wieder abfährt, steht sie immer noch da, die Welt hat sich für sie nicht verändert.
Schließlich klärt sich auch Thomas' Miene auf, als er das Schlüsselbund doch noch in einer seiner Jacken findet. Wir setzen uns erstmal auf eine Kaffee vor das Amaturenbrett. Wie soll der weitere Tag verlaufen. Das Wetter ist zweifelhaft, wir sind etwas durchgefroren. Auf dem weiteren Weg wartet als Bonbon der Drömling. Dem werden wir heute nicht mehr zu nahe treten, sind wir doch mit dem Verlauf der heutigen Tour sehr zufrieden. Der eine von uns, der gern Auto fährt - besonders Wohnmobil - verfällt dann auch auf den ausgefallenen Vorschlag, die 37 km nach Salzwedel zu fahren und sich dort ordentlich umzusehen.
Eigentlich steht das ja eher auf dem Radfahrprogramm. Ich wiederhole mal wieder eine schon anderswo beschriebene Erfahrung: ist man mit dem Rad unterwegs, ist man meistens zu ungeduldig für eine längere Ortsbesichtigung. Fährt man dagegen mit dem Auto irgendwo hin, nimmt man sich vor, mit dem Fahrrad wiederzukommen, um alles genauer kennenzulernen. Aus beidem wird dann meistens nichts.
So ist es bislang auch mit dem sehenswerten Ort Salzwedel. Dort sind wir schon mehrmals mit dem Auto durchgefahren und haben nichts gesehen. Und heute bin ich nur Kopilot: Vorschlag angenommen. Also dieseln wir über die Landstraße und die B248, lassen sogar einen der kreglen graugrünen Triebwagen auf der parallelen Bahnstrecke hinter uns. Wir erreichen Salzwedel durch das ehemals Neue Tor und veranstalten eine Rundfahrt durch alle befahrbaren Straßen des Städtchens.
Bei einer Festhalle ist einiges los und ein Polizist, der aussieht, als habe er nach der Wende nur die Uniform gewechselt, gebietet uns Halt, bis die in Trachten gekleideten Insassen eines vor uns stehenden Busses ausgestiegen sind. Außerdem laufen eine Menge Uniformierte herum, aber welche der friedlichen Art, in Lodengrün oder farbenfohem Rot und Blau. Nachdem wir dann endlich einen Parkplatz angelaufen haben, fragen wir vor der Mönchskirche mit angebautem Rathaus eine hübsche junge Frau (mit Kind) nach dem Anlaß des Trubels. "Hier ist Schützenfest, da drüben wird gerade der Bürgermeister abgeholt". Schon ist die Kamera gezückt und wir sind dabei.
Wie haben wir das nun wieder getimed - inmitten von vielleicht 10 anderen Salzwedeler Zivilisten, mehr haben sich wohl nicht interessiert, machen wir das wett durch eifriges Fotografieren, womöglich wird man für einen wichtigen Reporter gehalten? Da wird mit markigen Kommandos zuerst der Fahnenauszug veranlaßt. Dann erscheint, flankiert von zwei Zylinderträgern ein etwas verschüchtert wirkendes graumeliertes Männlein, das ist der Bürgermeister. "Da würde sich unser Bundeskanzler aber freuen, da hat man doch voll auf die Linie der bundesdeutschen Vereinsmichelei eingeschwenkt". "Ein blühendes Land" sage ich. Eine Zivilistin dreht sich schmunzelnd nach uns um, als der Zug nun mit Musike auf seinen Marsch einschwenkt. Ein paar schöne Damen rollen in einem BMW-Kabrio hinterher.
Wir machen uns auf die weitere Besichtigungstour. Neben der Kirche unterquert ein Fluß die Häuser, normalerweise sagt man Klein Venedig zu sowas - jedenfalls in dem uns bekannteren Ort Wolfenbüttel bei Braunschweig. Hier in Salzwedel heißt der Canale Grande Jeetze. Der Bürgermeister von Salzwedel hat jedenfalls keinen Grund, verschüchtert zu sein, ist das sicher auch gar nicht, denn man hat in diesem Ort manches in Arbeit. Doch viele Geschäftsräume in den alten Häusern stehen dennoch ungenutzt da, wie rechnet sich Mietpreis gegen Gewinn? Woher kommt die Käuferschar? Der Tourismus allein kann es auch nicht bringen.
In der Fußgängerzone geraten wir in einen Tchibo Kaffeeladen, aber ich kann nicht schon wieder (Kaffeetrinken). Aber ich erstehe ein Brillenetui für den Muttertag, Thomas eine Fahrradtasche - nicht für den Muttertag: "das wäre dann doch zu durchsichtig". Nachdem wir die beiden hübschen Bedienungen ordentlich vollgelabert haben, finden wir nach einiger Mühe das Wohnmobil wieder und es geht nun auf die Heimfahrt.
Anscheinend ist das im Wetterbericht erwähnte Regengebiet nun eingetroffen. Als wir in Brome einfahren, wo unser anderer Thomas sein Haus restauriert, schüttet es aus Kübeln. Wir biegen Richtung Burg und Heimatmuseum Brome ab, dort soll das Anwesen zu finden sein. Es ist auch gleich zu finden, handelt es sich doch um das letzte Haus vor der Burg. Da wir mit einem Wohnmobil angereist sind, verfügen wir auch über einen Regenschirm und machen uns auf die Suche nach Thomas, dem Bauherrn. Nachdem wir seine Gattin Inka und seinen Sohn begrüßt haben, finden wir auch ihn selbst, mit dem Kopf in einem Loch steckend, wo er das Hausfundament erneuert. "Suchst Du nach einem vergrabenen Schatz?" Warum keiner lacht, begreifen wir wenig später, als man uns das Haus zeigt. Was da noch an Arbeit zu leisten ist, entzieht sich dem momentanen Vorstellungsvermögen.
Aber das alte Fachwerkhaus mit angrenzender Scheune ist wunderschön. Noch schöner das dazugehörige Wiesengelände bis hinunter zum Flüßchen Ohre. Unsere beiden Bauschaffenden sind etwas in Eile, Inka muß zum Lehmseminar, wo man den fachgerechten Umgang mit Lehmmischungen für die Ausfachung zwischen Stielen und Schwellen vermittelt.
Unser Tagewerk ist damit auch getan, wir rauschen heimwärts, nun wieder im schönsten Sonnenschein. Marianne, die die Fahrradtasche zum Muttertag nicht bekommen wird, ist von einem Seminar in Frankfurt gerade nach Hause gekommen. Heidi, die das Brillenetui kriegen wird, ist noch nicht da (19.30), kommt aber dann windzerzaust mit dem Fahrrad von ihrer Arbeit zurück. Bald überwiegen wieder die Alltagssorgen.
Und die Altmark: sie wird uns auch nicht so bald wiedersehen - oder wir sie nicht. Wir fliegen erstmal nach Kreta, eine Woche nach Muttertag. Was mich betrifft, gerne würde ich die Altmark weiter erkunden, aber auf Kreta freuen wir uns auch.
Klötze - Salzwedel, 3.8. 97, 83 km
Seit der letzten Radtour auf dem Altmark - Rundwanderweg sind inzwischen einige Monate vergangen. Immer wieder kann einen eine anspruchsvolle Familie mit allen ihren Verpflichtungen an den Wochenenden von einer Fortsetzung der Altmark-Expedition abhalten. Und plötzlich geht es doch für einen Tag, immerhin ist die geplante Sommerradtour auch nicht mehr weit, da tut einem so ein Tag Training bestimmt nicht schlecht. Heidi will sogar mitkommen.
Ich schaue mir schon mal am Computer die Rückverbindung mit der Bahn von Salzwedel nach Klötze an. Das ist kein Problem, da fährt alle zwei Stunden ein Schienenbus.
An besagtem Sonntagmorgen fahren wir noch vor acht Uhr mit dem Auto los und sind kurz nach neun Uhr in Klötze. Damit wir das Auto am Abend auch wieder finden, parken wir ganz in der Nähe der Kirche, darauf achtend, nicht die Ausfahrt eines dieser typischen Ackerbürger- Häuser zu verstellen. Nach wenigen Minuten Aufrüstens kann es los gehen.
Der Radwanderweg wendet sich in Richtung Süden in die Randbereiche des ausgedehnten Klötzer Forstes. Nach der Karte läßt sich schon Unheil vermuten, da liegt nämlich der Loofberg, 100 m hoch. Außerdem verwandelt sich der Wegbelag von einem gut befahrbaren Schotter in ein hübsch anzusehendes Katzenkopfpflaster. Also schieben wir erstmal die Ausläufer oder Vorgebirge des Loofberges hinauf. "Bei mir kommt da ja immer sowas", meint Heidi, als ich ihr versichere, bisher eigentlich immer eine bessere Wegqualität angetroffen zu haben.
Aber es wird auch wieder besser, bald rollen wir wieder hinab und haben Gelegenheit, die Erläuterungstafeln über das Waldsterben und was man dagegen tun kann, zu studieren. Eine Schar Eichelhäher über uns dokumentiert mit lautstarken Zetern, daß man sich in diesem Wald augenscheinlich sehr wohl fühlt. Uns geht das auch so, am Ende des Waldes erreichen wir den Ort Quarnebeck, der einen ganz gemütlichen Eindruck macht.
Dann geht es auf einer nagelneu asphaltierten Straße dahin, Verkehrsaufkommen: zwei Fahrräder (wir selber). Um weitere Kosten zu verbraten, hat man fein säuberlich links und rechts der Fahrbahn Bäume gepflanzt, vielleicht will man mal Teil der Deutschen Alleestraße werden. Leider haben die Bäumchen zumeist das Einpflanzen nicht überlebt und sind vertrocknet. Dafür kann man das Auge an einem riesigen Sonnenblumenfeld ergötzen.
Nun geraten wir endlich in den Weltort Köckte, wo unser Freund Thomas an einem grauen Wintertag ein zum Verkauf stehendes Haus besichtigen wollte. Er hat dann aber weder das Haus noch sonst irgend etwas in diesem Ort gefunden. Heute ist es bei sommerlichem Sonnenschein ganz hübsch hier. Die Blumen blühen und ein paar Hausaufschriften aus alten DDR-Zeiten sind auch noch zu entziffern.
Es schließt sich der Drömling an, ein ausgedehntes Feuchtgebiet, das Land der 1000 Gräben. Dazwischen unzählige Viehweiden. Wir buchen erst mal unsere Storcheneinheiten ab, indem wir vier an der Zahl am Himmel kreisend beobachten. Dann geht es an einem wunderschönen Graben entlang, danach schnurgeradeaus entlang der Kunrauer Vorflut. Hinter einer Hecke erspähen wir zwei Graureiher, die buchen wir damit auch ab. In den Gräben brodelt es von Fischen, da läßt es sich bestimmt vortrefflich graureihern (nach der Rechtschreibreform müßte hier grau reihern stehen, was den Sinn erheblich verfälschen würde).
Erste Rast machen wir in Kunrau, da haben wir schon fast 25 km gefahren. Der parkartige Charakter der Gegend bestätigt sich, da liegt ein großer Park mit uralten Bäumen. Unter der ältesten Eiche mit knorrigen und weit ausladenden Ästen lassen wir uns auf einer Bank nieder. Leider fehlt eine von vier Sitzplanken, da sitzt man so ein wenig wie auf einem Donnerbalken.
Macht aber nichts, vor unseren Augen liegt ein kleines Schloß, erbaut um 1860 im italienischen Renaissancestil. Hübsch so was, da schmeckt einem das Wurstbrot gleich besser. Die Vorderseite des Schlosses hat man auch schon renoviert, es tut sich also etwas. Wir passieren eine Oma, die bringt ihrem Enkel bei, wie man auf einen Baum klettert.
Dann wieder freies Feld und ein nicht enden wollender Waldweg. Zwei andere Radfahrer nesteln mit Plastiktüten herum, Heidi tippt auf Steinpilze. Bevor uns der Pilzblick allzusehr gefangen nimmt, legen wir eine rasante Abfahrt über Stock und Stein hinunter nach Mellin hin. Hier wird die B248 gekreuzt, die uns sehr vertraut ist, weil sie nur 2 km entfernt an unserem zu Hause entlang führt (Braunschweig - Seesen).
Hinter dem Ortsrand von Mellin führt ein steiler Weg hinauf, wieder mit den hübschen Feldsteinen gepflastert. Die habe ich auf unserer Garageneinfahrt zur Verkehrsberuhigung allerdings auch verlegt, aber da geht es nicht so steil bergauf. Wir schieben also wieder und halten an einer Bank an.
Im Gras liegen überall weiß braune Brocken herum. Bei näherem Hinsehen entpuppen sich diese als Reste von Steinpilzen, die einer hier geputzt haben muß. Ganze Stiele und Kappen dabei, die wir nicht verschmähen würden. Nächste Steigerung: wir finden sogar die aus der Erde ragenden Stiele, wo die Pilze abgeschnitten wurden. Nachträglich geschätzt: Heidi sagt so an die 40 (ich teile dann immer durch zwei). Und schließlich: zwei kleine und einen großen Steinpilz hat man übersehen, die gehen nun in unseren Besitz über. Heidi sagt (diesmal muß nicht durch zwei geteilt werden): "Seit 30 Jahren habe ich nicht so einen Steinpilz gefunden". Ich habe noch nie so einen großen Pilz gefunden, habe aber vor Jahren im Weserbergland mal einen Mann gesehen, der einen noch größeren gefunden hat.
Nun wird ein Unterhemd um die Pilze gewickelt, das ganze in meine Regenmütze gepackt, und so kann einigermaßen optimistisch dem weiteren Geschuckel entgegen gesehen werden.
Nach dieser Steinpilzorgie wird das mit dem Pilzblick natürlich alles andere als besser. Das ist zwar erst mal nicht so schlimm, weil wir zunächst weiter den hoppeligen Weg hinauf schieben müssen. Auf der Böschung am Wegesrand ist allerdings kein weiterer Pilz, schon gar nicht ein Steinpilz, zu erspähen. Als wir allerdings wieder im Wald dahinrollen und um Pfützen und Schlaglöcher herumkurven müssen, ist der Pilzblick nicht mehr so angesagt. Wird doch der versonnene Blick rechts oder auch links über den Waldboden durch aufspritzendes Wasser einer übersehenen Pfütze oder durch unsanfte Stöße im Gesäßbereich bei einem unversehens auftretenden Schlagloch belohnt. Bald lernen wir wieder, auch einem dahinkriechenden Mistkäfer auszuweichen, der sicher auf Reisende mit einem für ihn lohnenderes Fortbewegungsmittel hofft.
Die Fahrt durch diesen Wald ist abwechslungsreich, ab und zu eine Wiese, des Jägers Lust. Wir passieren das Quellgebiet der Hartau. Wie auf einem Schild zu lesen ist, kommt am Ende des Waldes die Ortschaft Neuenstall, das sind nur ein paar Häuser. Die haben jedenfalls hier ihre Ruhe. Wir haben lange keine Kennzeichnung unseres Radwanderweges zu Gesicht bekommen, eine Schautafel läßt aber darauf schließen, daß wir uns immer noch auf der richtigen Strecke befinden. An einer Weggabelung entscheiden wir uns für die vermeintlich richtige Abzweigung, worauf es gleich wieder auf Sand- und Feldsteinbelag bergauf geht, was wir schiebend bewältigen. Bromer Berg heißt das laut Karte.
Dann kommen wir auf einer Landstraße raus, wo kein Hinweisschild auf unseren Weg existiert. Also sind wir doch trotz all der Mühen auf einer falschen Fährte. Wenn man die Himmelsrichtung nach dem Sonnenstand bestimmt, liegt Westen links, da wollen wir doch mal sehen, wo man da raus kommt.
An dieser Stelle muß noch einmal die Eigentümlichkeit der Landkartenblätter in unserer Broschüre über den Altmark Radwanderweg erörtert werden. Da zeigt der Nordpfeil auf den einzelnen Teilblättern jeweils in eine andere Richtung, in dem gegenwärtigen Fall nach unten links. Da muß man entweder links und rechts vertauschen, oben und unten, Westen und Osten, Nord und Süd oder was? Jedenfalls kommen wir in dem Ort Jübar raus, orientieren uns an der Kirche und finden aufatmend unseren Weg wieder.
Es geht nun auch weniger kompliziert auf der Landstraße weiter, die ist aber auch ganz schön holperig, da wo man Feldsteine oder Betonplatten einfach mit einer dünnen Asphaltdecke überzogen hat. Warum der Weg hier entlang geführt wird ist einfach zu erklären: zwischen den Orten Molmke und Diesdorf befindet sich ein Freilichtmuseum. Das wurde, wie man nachlesen kann, schon im Jahre 1911 angelegt und ist damit eines der ältesten in Deutschland. Wir erspähen über den Zaun immerhin eine nagelneue Bockwindmühle. Einen Besuch dieser Einrichtung versagen wir uns heute, geht doch in meinem Kopf eine kleine Rechenaufgabe um.
Und die geht so: wir haben gut 80 km zu fahren, falls wir, speziell meine tapfere Gattin, das überhaupt schaffen. Im nächsten Ort namens Driesdorf haben wir etwa die Hälfte absolviert. Das hat drei Stunden gedauert, es ist jetzt kurz nach 12 Uhr. Falls wir unser Ziel Salzwedel erreichen, fährt dort der Zug nach Klötze um 17.26. Da haben wir noch 5 Stunden Zeit, und das müßte reichen. Man könnte von hier auch 30 km direkt per Rad nach Klötze zurück fahren. Später geht das nicht mehr, weil die Querverbindungen fehlen.
So entscheiden wir uns in Diesdorf: wir fahren wie geplant weiter, könnten aber einen Kaffee gebrauchen. Diesdorf ist ein sehenswerter Ort, da gibt es ein Kloster nebst romanischer Kirche, einen frisch gepflasterten Marktplatz nebst benachbarter Baustelle und eine dadurch bedingte komplizierte Umleitung. Bevor wir das alles verarbeiten, gelingt es uns tatsächlich, ein Italienisches Eiscafe anzusteuern, wo wir unter einem Sonnenschirm den verdienten Cappuccino schlürfen können. Dieses Lokal ist wirklich empfehlenswert, schon wegen der netten Bedienung, die uns den weiteren Weg ganz genau erklären kann: daß man mit dem Rad nämlich durch die Baustelle schieben könne um die leidige Umleitung zu umgehen.
So machen wir es dann auch, finden uns auf einer herrlichen Teerstraße wieder und werden unserem Wanderweg für ein paar Km untreu. Das haben wir uns schließlich verdient. In dem Ort Dähre werden wir ihm wieder treu. Im Vorbeifahren erspähen wir das, was in unserer Broschüre so geschildert wird: Feldsteinkirche aus dem 12 Jahrh., nebenstehender Glockenturm.
Kartenblatt gewechselt, der Nordpfeil zeigt nun mal nach rechts unten, so etwa OSO, wie der Seemann sagen würde. Wir fahren aber nach SSW auf der Karte, das ist demnach in Wirklichkeit ONO. Alles klar? Heidi jedenfalls wundert sich, daß die Kilometerhinweise nach Salzwedel eher mehr werden und stark schwanken.
Was das wichtigste ist, wir haben Rückenwind, es geht gut voran. In dem Ort Tylsen verhalten wir kurz. Da ist einiges in unserer Broschüre vermerkt, alte Burg und so. Die sehen wir auch von weitem, beschränken uns aber auf ein Foto eines alten Fachwerkhauses, in dem nur noch eine Katze wohnt. Aber alles unter Denkmalschutz!
Nun ist es nicht mehr weit bis Salzwedel. Plötzlich fällt es mir siedendheiß ein: heute ist ja Sonntag, die Bahnrückfahrt um 17.26 habe ich aber für einen Sonnabend ermittelt. Ich lasse Heidi vorfahren, werde wortkarg und fange an zu grübeln. Wenn der Zug nun nicht fährt, dann kann ich ja mit dem Fahrrad die 35 km zurück nach Klötze fahren und das Auto ranholen. Aber das würde fast drei Stunden dauern, was macht meine liebe Frau dann solange in Salzwedel? Angestrengt grübelnd komme ich auf die Lösung No. 2: Taxi nehmen. Geschätzte Kosten: so um die DM 50.-. Abgesehen vom Zeitverlust, denn die Fahrräder müßten wir ja auch noch aus Salzwedel abholen müssen. Vor 22 Uhr wären wir nicht zu Hause. Ganz schön rechnen muß man an diesem Tag.
Der letzte Teil unserer Tagestour fährt sich trotzdem herrlich, man hat für die Radfahrer eigens einen Streifen neben den Feldwegen asphaltiert. Da kann man der Nase nach (Richtung HNO) sich der endlich auftauchenden Kulisse von Salzwedel nähern. Es ist so um 16 Uhr, da haben wir massig Zeit (falls der Zug denn fährt). Wir geraten ausgerechnet entlang einer Bahnlinie in das Weichbild von Salzwedel, entlang einer Allee geraten wir irgendwie in die hinteren Bereiche der alten Burg, finden einen Durchschlupf und stehen plötzlich inmitten von Fachwerkhäusern. Wir sind da.
Klar, was jetzt zu tun ist. Zuerst den Bahnhof suchen und die Abfahrttafel studieren. Wie immer fahren wir in die falsche Richtung, wie sich bald herausstellt. Wir fragen einen Angestellten eines Türkischen Restaurants nach dem Bahnhof, der bietet uns mehrere Richtungen an. Eine dieser Richtungen führt uns am Neuperver Tor vorbei zu einem Bahnhof, der eher ein Dornröschendasein fristet. Da sind alle Gleisanlagen mit Gras überwuchert, da kann lange kein Zug lang gefahren sein.
Jenseits der Jeetze, mit deren Brücken hat man es außerdem noch zu tun, erblickt man aber Bahnschranken, vielleicht tut sich da mehr. Zwischendurch haben wir noch mal andere Leute gefragt, die uns auf die B248 verwiesen. Das war dann auch der goldene Tip: Bahnhof Salzwedel-Altstadt, der liegt 100 m entfernt von der Stelle, wo wir uns anfangs zwischen den Fachwerkhäusern die Augen gerieben haben. Ein Blick auf die Abfahrtstafel: Entspannung, der Zug fährt täglich - also auch sonntags! Dem verlassen wirkenden Bahnhof ist das allerdings nicht direkt anzusehen.
So kann man auch schlecht die verbleibende Stunde hier am Bahnhof verbringen. Wir stromern noch einmal durch die Straßen von Salzwedel und entdecken die offen stehende Tür der Mönchskirche. Kaum stecken wir die Köpfe in das Innere der Kirche, winkt uns ein beflissener Herr zu, uns einer Kirchenführung anzuschließen. Er erklärt gerade die verblichenen Fresken hoch oben im Gewölbe, die hat man sicher - das kennt man schon - bei kürzlichen Restaurierungsarbeiten frei gelegt. Wir lassen es dabei bewenden, "womöglich will der noch Eintrittsgeld", meint meine vorsichtige Gattin. Lieber lassen wir unsere Räder nicht allein, verzehren das letzte Wurstbrot (jeder eine Hälfte), und begeben uns auf den nun vertrauten Weg zum Bahnhof. Heidi schlägt trotzdem eine falsche Richtung vor, aber diesmal lasse ich mich nicht verwirren.
Fünf Minuten vor Abfahrt unseres Traumzuges wird endlich der Fahrkartenschalter geöffnet, aber die Chefin hat erst mal ein sicher wichtiges Telefongespräch zu erledigen. Dann aber geht es wieder los, wir haben das im vergangenen Jahr in dem Weltbahnhof Hoheneggelsen schon einmal kennen gelernt. Die Fahrkarten sind schnell gelöst. Der Transport der Fahrräder erfordert allerdings erheblich aufwendigere bürokratische Maßnahmen. Da werden mit Durchschlag Formulare ausgefüllt, Aufkleber beschriftet, abgezeichnet und gegengezeichnet, schließlich auch noch zweifach abgestempelt. Eine Transportversicherung schließen wir nicht ab, werden wir doch sozusagen mit den Rädern auf dem Schoß reisen. Eine Dame hinter uns hat sich auch noch angestellt, die bucht eine außerordentliche Reise bis Oebisfelde.
Wir haben für diesen Aufwand DM 25.- abzuleisten. Dann muß die Chefin des Ganzen "Signal geben" wie Heidi es mit einer Reminiszenz an die ungarische Idylle "Ich denke oft an Piroschka" treffend formuliert. Es rumpelt auch schon ganz vernehmlich hinter einer Gleiskurve. Gerade noch senken sich auf Knopfdruck die Schranken über die B248. Es erscheint ein Doppeltriebwagen. Beflissen kümmern sich die Verantwortlichen um unser Wohl, denn wir sind die einzigen Fahrgäste dieser gottlob auch sonntags funktionierenden Einrichtung der Deutschen Bahn.
Wie immer, steigen wir umständlich an der falschen Tür ein, und müssen dann die Räder an das andere Ende des Triebwagens balancieren, wo mehr Platz ist. Aber da sind wir schon längst wieder in voller Schaukelfahrt. Um die Farbe Grün zu studieren, muß man nicht unbedingt nach Irland fahren, die Bahnfahrt von Salzwedel nach Klötze bietet auch einiges. Ein paar Störche oder auch Rehwild lassen sich bequem von der Sitzbank aus beobachten.
In Klötze habe ich schon so weit gehende Ortskenntnisse, daß wir vom Bahnhof aus auf Nebenstraßen punktgenau auf unser Auto treffen. Damit ist die Fahrradtour des heutigen Tages einigermaßen abgeschlossen. Weil ich gerne zeitgeschichtliche Ereignisse einarbeite, kommt nun noch ein weiterer Abschnitt hinzu, wo es um ein z.Zt. noch unaufgeklärtes Verbrechen geht.
Auf der Rückfahrt fahren wir nämlich über die Dörfer mit der Absicht, bei Königslutter auf die Autobahn zu gelangen. Das mißlingt, weil die Auffahrt wegen der Verbreiterungsarbeiten der A2 gesperrt ist. So geraten wir auf eine Strecke über Ochsendorf und Beienrode. Genau da würden wir heute nicht gern hinfahren, denn da wurde vor ein paar Tagen die Frau eines Pfarrers ermordet. Aus diesem Grund finden sich da gerade viele Sensationsreporter und Schaulustige ein. "Wir sind doch keine Spanner" protestiere ich. Wir kommen zum Glück auch nicht in einen Stau. Wenn ich mich recht erinnere, hat die Frau jenes Pfarrers uns vor zwei Jahren bei einer Radtour des Braunschweig Forums eine Führung in der neu hergerichteten Kirche von Ochsendorf präsentiert. Insoweit hat man eine gewissermaßen persönliche Beziehung zu dieser Geschichte.
Damit genug, fahren wir noch den Rest auf gängiger Landstraße (Reichsstraße 1: Aachen - Königsberg). Vor Jahren hat man an dieser Straße alle Bäume abgeholzt, weil es bei Glatteis zu viele Volltreffer gab. Inzwischen hat man wieder aufgeforstet - wohl aus ökologischen Gesichtspunkten heraus. Kurz nach 20 Uhr sind wir wieder zu Hause. Heidi meldet energisch Ansprüche an, bei den nächsten Altmarketappen mit von der Partie sein zu wollen. Das freut einen dann ja auch!
4. Etappe: Salzwedel - Seehausen, 1.8.98, 75 km
Lange hat es diesmal gedauert, bis die Tour auf dem Altmark-Radrundweg ihre Fortsetzung finden kann. Weder das Wetter noch zeitliche Beanspruchungen anderer Art haben diesmal mitgespielt. Aber wir haben sie nicht vergessen, die Altmark. Und so suchen wir uns gerade die letzten beiden Tage der diesjährigen Tour de France für die Tour de Altmark aus. Für uns natürlich in gemäßigtem Tempo und weniger Bergwertungen. Der Wetterbericht ist einigermaßen vielversprechend.
Diesmal fahren wir mit dem Auto nach Salzwedel, dem Endpunkt der letzten Etappe. Geplant ist, an zwei Tagen bis Stendal vorzustoßen, von wo es eine ausgezeichnete Bahnverbindung nach Salzwedel - und damit zurück zum Auto - gibt. Zunächst aber irren wir allerdings in der Autostadt Wolfsburg herum, wo wir mit dem Auto fast sogar in die Fußgängerzone eindringen. Schließlich landen wir aber doch auf einer Straße (B244) Richtung Brome. Hier noch ein kleiner Schlenker an "Thomas sein Haus" vorbei. Aber das sieht von außen immer noch, sagen wir mal entwicklungsbedürftig aus, auch wollen wir mit einem Besuch nicht so viel Zeit verlieren, so geht es gleich weiter. Nach 1 1/2 Stunden Fahrt erreichen wir Salzwedel, wo wir uns nicht verfransen, sondern alsbald die vertraute gelbe Wegmarkierung des Rundkurses entdecken. Es erscheint uns angeraten, das Auto trotz seines betagten Alters lieber in ländlich abgeschiedener Gegend abzustellen. Die Gelegenheit dazu finden wir in dem Dorf Ritze. Die Strecke von Salzwedel bis hier ist auch nicht so attraktiv, daß man gut auf sie verzichten kann. Nach dem Ab- und Ausladen, Montieren der Gepäcktaschen ist es so weit, Durchatmen und den Blick in die Ferne gerichtet, die uns nun erwartet. Auf schön asphaltiertem Weg geht es auch sogleich durch einen Wald bergauf, dann zwischen blühenden Wiesen auch wieder hinunter in das Dorf Chüden. Hier entdecken wir ein Brachgelände, wo die Königs- und Nachtkerzen ein gelbes Blütenmeer bilden. Gelegenheit für ein erstes Foto. Dazu ist noch etwas zu bemerken. Wir haben im Dienst eine Digitalkamera (Olympus Camedia) zum Ausleihen, derer habe ich mich für diese Tour für einen ausgiebigen Rütteltest bemächtigt. Die muß aber erst mal per Minimenue auf die richtige Auflösung usw. eingestellt werden. Das dauert ein paar Minuten. Gelegenheit für sämtliche Hunde der angrenzenden Anwesen, ihren Protest herauszubellen, Gelegenheit für die zugehörigen Anwohner, neugierig nach dem Rechten zu sehen. Als ich endlich fertig mit der Kamera bin, stelle ich fest, daß ein Foto wohl doch nicht lohnt und mache mich unter Anteilnahme aller Beteiligten wieder auf die Socken. Heidi hat inzwischen um die Ecke gewartet und berichtet von einem Pferdefuhrwerk, wo die Pferde von Zecken (Holzbock) übersäht seien. Mit den Zecken hatten wir kürzlich beim Pilzesuchen auch schon zu tun. So überholen wir zügig dieses Fuhrwerk, während das Hundegebell hinter uns verebbt. In Riebau gibt es nun Gelegenheit, das erste Foto von der dortigen Feldsteinkirche zu schießen. Leider sind alle Türen verrammelt, so daß wir das Innere und die spätgotische Wandmalerei, wie es heißt, nicht bewundern können. Es folgt ein Stück Weges, wie es typisch für viele Passagen des Altmark-Rundkurses ist. Man hat die Tour über unbefestigte Feldwege geführt, die so mit dem Fahrrad kaum befahrbar sind. Listigerweise hat man aber daneben einen schmalen gut befestigten Streifen angelegt, abgetrennt durch eine Pfostenreihe, damit die mahlenden Räder und Walzen der landwirtschaftlichen Maschinen dort kein Unheil anrichten können. Hier hat allerdings der gemeine Rainfarn, der gerade üppig blüht, fast schon Besitz von dieser Schmalspurtrasse ergriffen, so daß man einiges an Blütenstaub an Kleidung und Gepäcktaschen hinweg trägt. Das tut man aber gern, wenn wenig später ein ordnungsliebender Verantwortlicher den Rainfarn umgemäht hat und nun die vergammelnden Pflanzen vor sich hinrotten. Blühend ist er schöner. Schön sind auch die blühenden Wiesen, in die man hinein stapfen muß, um ein Bild von einer besonders schönen Stelle zu erhaschen. Vor dem Ort Mechau überrascht uns ein Industriebetrieb, neu erbaut auf der grünen Wiese, wie man so sagt. Der Betrieb heißt Gefinex Jackon, aber es ist nicht herauszufinden, was dort produziert wird. Da muß ich mal demnächst das Internet befragen. (Die Recherche hat ergeben: man fertigt "extrudierte Schaumstoffe".)Nach Mechau hinein geht es entlang eines blühenden Wegrandes und dann - wohl in Kaulitz - ist wieder eine Feldsteinkirche. Unter einem zusammengefallenen Schuppen entdecke ich eine alte Kreissäge, die fast schon ein Denkmal ist. Bares Geld auf dem Floh- oder Antiquitätenmarkt.
Von Schrampe aus erreichen wir nun, weniger schön auf der Landstraße, den Luftkurort Arendsee. Unten am See gäbe es den schöneren Weg, aber von dem wissen wir nichts, und er ist auch nicht ausgeschildert. Wir stellen das erst fest, als wir auf Umwegen an den See geraten, wo der Wanderweg von Schrampe aus heraus kommt. Dort ist natürlich eine Rast angesagt. Nur das Foto gerät eher zu einem Scherenschnitt, doch erkennt man im Hintergrund ein kleines weißes Schiff. Irgendwas hatte es doch mit einer derartigen Kuriosität auf sich, meine ich gelesen zu haben. Aber nichts genaues weiß man (noch) nicht. Da wir mit Eierpellen und den Käsebroten die Rast gründlich ausdehnen, hat das Schiff Gelegenheit sich soweit zu nähern, daß es uns den Gefallen tun kann, in Ufernähe vorbei zu rauschen. Es handelt sich um den Raddampfer Queen Arendsee, den muß man gesehen haben. Wir sind ganz aus dem Häuschen. Später lesen wir, daß man sich auf dem Dampfer auch trauen lassen kann. Das haben wir allerdings seit längerem schon hinter uns. Der anschließende Geschwindigkeitsvergleich ergibt: wir sind schneller als die Queen, dafür lassen wir aber auch die Klosterruine Arendsee rechts liegen. Am Ortsausgang des Ortes Arendsee wird es touristisch. Lokale, ein Campingplatz und ein Erlebnisbad. Das Erlebnis scheint durch eine aufgeblasene Gummigiraffe, die ihren Hals bis in die Kiefernwipfel streckt, vermittelt zu werden. Lieber ab in die Wälder, leider nur auf der Landstraße, die etwas hoppelig ist. In Ziendorf gilt es eine Gewissensentscheidung zu treffen. Man kann dem Radweg auf einem Haken durch die Wälder folgen, oder geradeaus weiterfahren, wo man sich nach zwei km wieder trifft. Wir entscheiden uns ausnahmsweise für das letztere. Die Entscheidung ist richtig! Bin ich doch vor genau 8 Jahren auf dieser Strecke schon einmal entlang gefahren (Schnacks bei Schnackenburg) und habe derzeit eine verfallende Bockwindmühle fotografiert. Und siehe da, es gibt sie noch, immer noch verfallend. Die damals frisch angepflanzten Kiefernschonung ist mittlerweile übermannshoch aufgeschossen. So vergeht die Zeit. In Gollensdorf machen wir wieder eine Rast und sehen den ersten Storch in einem Garten. Merkwürdigerweise bewegt sich der aber gar nicht. Sogar wir merken: es ist nur eine Attrappe. Besser ergeht es uns in Bömenzien. Eine Idylle mit Wäscheleine, die schmucke Backsteinkirche, und dann eine Storchenfamilie auf einer Wiese. Und diese sind quicklebendig, obwohl sie beim Auffliegen so ihre Schwierigkeiten haben. Es sind offensichtlich Jungstörche, die für ihren Flug nach Afrika noch ordentlich üben müssen. Aus der Ferne hören wir das Klappern, das sind entweder die Eltern, oder ein Sprössling, der es bis ins Nest geschafft hat. Bis Aulosen geht es auf frisch geteerter Straße mit Rückenwind auf einer Lindenallee dahin. Dann aber enthält man dem Radwanderer die Eindrücke des angrenzenden NSG Elbeauen nicht vor, sondern führt ihn über Deiche, eine eigens errichtete Holzbrücke und abgeschiedene Wege. Dennoch kriegen wir mit, daß in Aulosen ein Feuerwehrfest stattfindet. Da steht ein rotes Feuerwehrauto, ein Trabant aus alten Zeiten. Leider mache ich kein Foto, weil wir gerade in voller Fahrt sind. Das nächst Foto ist wieder eine schmucke Kirche, ob in Wanzer oder Pollitz, weiß ich nicht mehr. Und ein Augenschmaus von einem Eldorado aus Blutweiderich - egal, wo das nun war. Ebenso egal, wo uns die üppigen Brombeerranken erfreut haben, die aus einer Gartenhecke heraus wuchern. Nachdem wir uns mehrmals umguckend wohl jeder ein Pfund der köstlichen Beeren beidhändig hinein gestopft haben, geht es erfrischt weiter. Es folgt ein Ort, da fährt man fast gegen die Laternen- oder andere Pfosten, weil man den Kopf nur noch in den Nacken legt. Da burrt und klappert es nur so herum, Störche so zahlreich, wie anderswo die Schwalben. Und plötzlich stehen wir auf dem Elbdeich, zwei Lastkähne gleiten gerade vorbei. Wir geraten mit einer Dame ins Gespräch, die sich aufseufzend auf einer Bank niederläßt, um sich zu entspannen, wozu dieser Ort geradezu einlädt. Wissensdurstig, wie wir sind, bringen wir einiges in Erfahrung. Der Ort heißt Wahrenberg, aber das hatten wir schon vermutet. Es gibt 22 Storchennester und an die 40 Jungtiere. Das habe sich aber erst in den letzten Jahren so entwickelt. Die Dame schimpft aber auch auf die Naturschützer, die würden alles verbieten. Da würden schöne Wege gesperrt und die Elbauen dürfte man nicht einmal mehr betreten. Vielleicht hat sie Recht, früher habe die Natur im Einklang mit den Menschen ja auch funktioniert. Wir lassen uns lieber nicht auf eine weitergehende Diskussion ein. Wir lassen uns eher von einem Besuch der Stadt Wittenberge abraten, wohin man allerdings auch nur auf der stark befahrenen Bundesstraße (B189) gelangen würde. Es fällt uns nicht schwer, uns weiter der alles umgebenden Natur anzuvertrauen. Viele knorrige Kopfweiden, die mitten in den Wiesen stehen. Ein Baum, der streckt seine abgestorbenen Äste gen Himmel, schon mal gestorben aber wieder auferstanden. In Beuster wieder eine Sehenswürdigkeit: eine spätromanische Pfeilerbasilika (so was schreibe ich natürlich aus dem Begleitführer ab). Der Weg führt schnurgerade dahin längs eines Grabens, der sich Große Wasserung nennt. Schließlich fahren wir in praller Sonne auf einer Landstraße und erreichen nun den vielversprechenden Ort Seehausen durch ein malerisches Stadttor (Beuster Tor). Nachdem wir einmal durch den Ort geschoben sind, lassen wir uns vor einem Lokal nieder, wo uns ein Spezi weniger gut schmeckt. Nach nunmehr 75 km Tagesleistung beschließen wir, uns hier eine Übernachtungsmöglichkeit zu suchen. Da muß man nicht lange suchen, in der Bahnstraße gibt es das Hotel Zum Altmärker, das ist mit einem Schild versehen, worauf steht: "Radlerfreundlich". Und da sind wir ja richtig. Nach dem Duschen erfolgt der typische Rundgang eines Radreisenden: ein Auge auf die Sehenswürdigkeiten und malerischen Winkel, das andere auf die aushängenden Speisekarten der einschlägigen Lokale. Nachdem wir die Pfarrkirche St. Peter und Paul wieder nur von außen besichtigen können, finden wir uns alsbald im Ratskeller oder auch ehemaligem Gewandhaus ein. Trotz einiger zurückliegenden Zahnarzttermine, die mich nicht gerade zum Kannibalen machen, gelingt es mir, den hoch aufgehäuften Teller (Hühnerfrikassee) vollständig zu leeren. Heidi (Hamburger Steak) hat weniger Erfolg und entschuldigt sich bei der Bedienung. "Es gibt welche die schaffen das" ist die Antwort. Unsere Bierchen (Hasseröder) machen natürlich weniger Probleme - und nun geht es uns wieder bestens. Auf dem Rückweg entdecke ich noch eine Idylle mit einem alten Fahrrad vor marodem Gemäuer und mache ein Foto. Ein vorbei schlenderndes Ehepaar guckt neugierig und zieht dann achselzuckend weiter, das können sie wohl nicht verstehen, was da zu fotografieren ist.5. Etappe: Seehausen - Stendal, 2.8.98, 80 km
So geht es einem ja öfter: freut man sich auf den neuen Tag, hört man es, noch im Bett, draußen vernehmlich rauschen. Der Wetterbericht hat doch nicht Wort gehalten und es regnet, besser prasselt in Strömen. Nach dem Frühstück hat es sich aber abgeregnet und wir können starten, allerdings nicht gerade sommerlich gekleidet.
Bis zum nächsten größeren Ort Osterburg geht es fast nur durch die Wälder, das zieht sich, und wir sind froh, daß wir das nicht noch gestern abend in Angriff genommen haben. Der Regen hat der Wegqualität nicht allzu viel geschadet, dafür die Luft rein gewaschen. Und doch empfängt uns Osterburg mit etlichen Regentropfen, aber es wird nicht dramatisch. Wir nähern uns sogleich der Pfarrkirche St. Nikolai, die heute am Sonntag für den Gottesdienst geöffnet ist. Haben wir am gestrigen Tag nicht eine einzige Kirche von innen gesehen, so werden wir hier von der Frau Pastorin im Talar persönlich per Handschlag empfangen. Wir entschuldigen uns sogleich, daß wir nicht zum Gottesdienst, sondern nur zur Besichtigung da seien. Für eine Führung habe sie nun aber keine Ruhe, teilt sie uns mit, denn es sind bereits drei oder vier ältere Damen zum gleich beginnenden Gottesdienst herbei geströmt. Wir bekommen ein Informationspapier in die Hand gedrückt, wo die Merkwürdigkeiten dieser Kirche aufgezählt sind. Um den gleich beginnenden Gottesdienst nicht noch weiter aus dem Gleichgewicht zu bringen, machen wir uns nach einigen betont ehrfürchtigen Staungebärden an die Weiterfahrt. Das geht nun irgendwie hinterm Bahnhof weiter, allerdings auf einer wunderschönen schmalen Allee. Wir rätseln, wozu die einmal angelegt sein mag, ein Gefährt kann sich hier nicht bewegen, höchstens ein Reiter, oder - wie heute, der dankbare Radfahrer. In Düsedau könnte man wieder einen Schlenker des Radweges per Landstraße abfangen. Das machen wir diesmal nicht, sonst hätten wir das Schloßhotel Calberwisch verpaßt, wo uns die Speisekarte mit durchaus zivilen Preisen überrascht. Leider können wir uns das um diese Tageszeit nicht zunutze machen. Stattdessen kann man über eine Friedhofsmauer wieder mal eine hübsche Kirche bewundern. Nach einer Fahrt über weite Felder, wo zum Glück ein Hundehalter seinen zähnefletschenden Hund rechtzeitig an die Leine nimmt, erreichen wir Walsleben, einen der ältesten Orte der Gegend. Trotzdem entdecken wir hier nicht allzuviel sehenswertes, sondern holen uns auf einer Friedhofsbank einen nassen Hintern. Nun konzentrieren wir uns auf die Mogelstrecke, denn wir können unmöglich dem weiteren Verlauf des Radweges folgen, der in weiten Schlingen über Havelberg jenseits der Elbe über Jericho und Genthien führt. Dazu braucht man genau einen weiteren Tag, den wir heute leider nicht zur Verfügung haben. Da der Wind genau von Norden weht, kommen wir flott voran (in südliche Richtung). In Hindenburg hat das berühmte Adelsgeschlecht seinen Ursprung, dessen bekanntester Vertreter seine Meriten in der Schlacht von Tannenberg erwarb, die natürlich ganz woanders als hier stattfand. Trotzdem ist ein trutziges Steintor mit einem aufragenden Schwert dem Gedenken dahingegangener Helden gewidmet. Und die Kirche?: natürlich wieder in Feldstein gehalten. Man kann nachlesen: In der Altmark gibt es an die 200 romanische Dorfkirchen in Feld- oder Ziegelstein. Eine Herausforderung an Fotosammler (ein Kollege sammelt Fotos von Kriegerdenkmälern). In Hohenberg-Krusenack verlassen wir den Radweg und fahren auf der Landstraße nach Arneburg. Das ist ein niedliches Städtchen mit kleinen Gäßchen und geduckten Häuserzeilen. Es liegt hoch oben auf dem Steilufer der Elbe, besitzt daher auch einen Burgberg, von dem aus es sich trefflich verteidigen ließ. Wir treffen ein weiteres Radlerpaar, das erste überhaupt. Es sei ein Gedanke daran verwandt, warum nun mitten in der Ferienzeit, zudem an einem Wochenende, man gar keine Gleichgesinnten antrifft. Ist der Altmark-Rundwanderweg noch zu unbekannt? Nur daran kann es liegen, denn an landschaftlichen und baulichen Schönheiten ist er reich gesegnet Handeln wir ihn also zunächst noch als Geheimtip, und zwar einen von der besten Sorte. Mögen sich die Massen weiter auf Donau- oder Weserradweg ein Stelldichein geben. Soviel nebenbei. Wir finden einen Aussichtspunkt auf die Elbe über einem Blumengarten, während das radelnde Paar sich an den Aufstieg zum Burgberg macht. Davon nehmen wir Abstand und radeln weiter gen Süden, vorbei an einem riesigen Sonnenblumenfeld. Leider läßt uns die Sonne im Stich, so gerät das Foto etwas düster. Es folgt der Ort Hämerten, dessen Charakteristikum wiederum - man darf raten - die Feldsteinkirche ist. Sie zeichnet sich diesmal durch einen achteckigen Turm aus. Der Rest - auch wieder ein Zweig des Rundweges - ist langweilig, obwohl man die Türme von Tangermünde schon vor sich sieht. Daselbst angekommen, darf man sich aber die Augen reiben. Es ist unmöglich, dieses Städtchen seiner Schönheit und baulichen Attraktionen zu würdigen, wenn man nur auf der Durchfahrt ist. Ein bißchen schaffen wir aber, Stadttore und Rathaus, die geschlossenen Fachwerkfassaden, eine besinnliche Rast auf dem Deich des Flüßchens Tanger, von wo man eine herrliche Aussicht auf die Stadtkulisse hat. Alles überragend die Türme der Pfarrkirche St. Stephan. Für die literarisch Beflissenen muß noch erwähnt werden, daß hier in Tangermünde die Erzählung Grete Minde von Theodor Fontane ihren Schauplatz hat. Es geht um das Jahr 1617, als die Stadt einer Feuersbrunst zum Opfer fiel, deren Schuld man besagter Grete Minde zuschanzte. Diese historische Begebenheit ist auch verfilmt worden, und zwar noch zu DDR-Zeiten, weshalb man für die Außenaufnahmen das uns wohlbekannte Städtchen Hornburg am Harz erwählt hat. Mit Sicherheit hätte Tangermünde eine nicht nur der historischen Wahrheit entsprechende sondern auch noch trefflichere Kulisse abgegeben. Zurück zu unserer Bank auf dem Deich der Tanger. Wir genießen nicht nur die Stadtkulisse und die vom Frühstück stibitzten Käsebrote, sondern beobachten auch eine Storchenfamilie in den Wiesen. Die sind wohl wiederum noch mit Flugübungen befaßt und sind so schlau, daß sie sich die Erhöhung des Deiches für ihren Flugstart zunutze machen. Dann heben sie ab und schwingen sich über die Hausgiebel hinauf zu ihrem Nest, das sich kurioserweise auf der höchsten Zinne des Rathauses befindet. Ein vernehmliches Klappern kündet von ihrem Erfolg. Für die heutige Reststrecke bis Stendal haben wir unsererseits auch nicht so gute Karten, erwartet uns doch ein ziemlicher Gegenwind. Als wir Tangermünde verlassen, vernehmen wir das Tuten eines Schienenbusses, das wäre vielleicht der bequemere Weg gewesen. Aber es geht besser als erwartet. Um die Bundesstraße zu vermeiden, fahren wir die etwas weitere Nebenstrecke über Heeren. Noch vor 15 Uhr erreichen wir Stendal, wo wir uns gleich zum Bahnhof begeben, um uns der Rückfahrt sicher zu sein. Wie es dann so ist, fährt der nächste Zug in 15 Minuten. So muß uns die Stadt Stendal verzeihen, daß wir ihr wieder keine Besichtigung zuteil kommen lassen. Mit der Deutschen Bahn und dem Fahrradtransport haben wir ja schon einiges erlebt. So etwas wie heute aber noch nicht. Erstens ist im Bundesland Sachsen-Anhalt der Fahrradtransport auf allen Regionalbahnen kostenfrei. Zweitens nimmt uns ein Zug mit feuerroten nagelneuen Doppelstockwagen auf, in denen sich geräumige Fahrradabteile befinden. Drittens hilft uns der Schaffner nicht nur beim Einladen, sondern erklärt uns auch den Weg zu unserem Auto, wenn wir eine Station vor Salzwedel aussteigen. Und viertens bietet er uns das angrenzende Abteil der ersten Klasse an, das sei extra frei gehalten. Also diesmal: viele viele Dankeschöns. Damit ist diese wunderschöne Altmarkrunde beendet und zur Nachahmung empfohlen. Wenn uns der Hafer sticht, nehmen wir uns noch den Rest jenseits der Elbe vor, vielleicht läßt es sich aber auch mit der bevorstehenden Tour entlang der Spree kombinieren.