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Tour report in English

ALPEN Wien - Luzern, 2.6. - 16.6.89

Planung

Eine Radtour in den Alpen zu machen, erscheint aufs erste abwegig, schließlich meiden die meisten Radfahrer die Berge, wo es geht. Doch stellt der Alpenraum sicher die großartigste und abwechslungsreichste Landschaft in Europa dar, da kann man sich schon mal der Herausforderung unterziehen in der Hoffnung auf ein einzigartiges Erlebnis. Die Technik ist auch so weit fortgeschritten, daß man über ein geeignetes Fahrrad verfügt, wegen der Bremsen und den "Bergauf-Gängen" ist das Mountainbike ein zverlässiges Gefährt. Im Nachhinein muß in Übereinstimmung mit anderen Tourenberichten gesagt werden, daß ein leichteres Rad noch besser geeignet ist. Wenn man sich auf die Benutzung normaler FahrStraßen beschränkt, trifft man in den Alpen kaum mehr unwegsame Straßen an, und man ist nicht auf ein geländegängiges Fahrrad angewiesen. Anders ist es sicher mit Tagestouren ausgehend von einem festen Quartier, wo man dann schon mal auf Wanderwegen auch holperigere Wegstrecken vorkommen. Aber: leider ist das Mountainbiken mittlerweile in Verruf gekommen, weil rücksichtslose Zeitgenossen Wanderer über den Haufen fahren oder ohne Rücksicht auf Fauna und Flora durch's Gelände bürsten.

Der Wunsch, in den Alpen mit dem Rad zu fahren, entstand bei mir automatisch, als wir im vergangenen Jahr auf der Tour Passau - Wien - Plattensee oft genug in Sichtweite der Alpen fuhren. Nach Abwarten eines günstigen Zeitpunktes - aber früh genug -, damit sich alle daran gewöhnen, muß man dann seinen Plan eröffnen, Resturlaub aufheben, sich eine ruhige außerhalb der Saison liegende Zeit aussuchen, Landkarten besorgen, Fahrtrouten studieren usw.

Einen Reisepartner für diese Unternehmung zu finden, habe ich gar nicht erst versucht, im Bekanntenkreis findet man sowieso keinen, und ein per Inserat oder sonstwie aufzutreibender Partner bringt immer ein Risiko mit sich. Eine Reise allein bringt neben den Nachteilen auch ein ganze Menge Vorteile: totale Unabhängigkeit; an allem, was schief geht, ist man selbst schuld; wenn man nicht mehr kann, hört man auf; wenn es gut läuft, macht man Dampf... usw.

Zum anderen erlebt man alles um sich herum sehr intensiv. Um das mit denen zu teilen, die an derartigen Unternehmungen interessiert sind, und um in späteren Jahren dem eigenen Gedächtnis nachzuhelfen, habe ich täglich unter dem Eindruck der gerade zurückliegenden Erlebnisse Notizen gemacht und in der vorliegenden Form aufgearbeitet.

Freitag 2.6. Wien - Schwarzau 95 km

Endlich ist es soweit, es wird die Fahrkarte zum Sparpreis DM 99.- (Rosarote Zeiten) Hinfahrt Passau, Rückfahrt Basel, Transfer Passau - Wien besorgt, das Fahrrad als Reisegepäck aufgegeben und zum heißersehnten Zeitpunkt dann über Nacht per Liegewagen die Anreise nach Wien angetreten.

Ankunft in Wien Westbahnhof 8.20, aber wegen strömenden Regens ist an ein Losfahren erstmal nicht zu denken. Erst muß auch das Rad von der Gepäckabfertigung abgeholt und montiert werden, zum Glück sind keine schwerwiegenden Beschädigungen festzustellen, ein Bremshebel ist etwas verbogen und die Tachomonturen müssen neu ausgerichtet werden. Dann läßt der Regen etwas nach, Start 9.00, und erstmal eine scheußliche Fahrt entlang der Wiener RingStraßen (Margaretengürtel usw.). Schließlich geht es längs der Vösendorfer Straße, bis diese zuende ist, da beginnt ein ausgeschilderter Radwanderweg in den Wiener Süden. Leider ist der nach dem Regen ziemlich aufgeweicht, außerdem ist die Beschilderung nicht immer ganz eindeutig, so lande ich irgendwann auf der Straße nach Traiskirchen (Nachbarort von Gumpoldskirchen). Dann geht es nach Baden, Bad Vöslau und über den ersten Berg nach Pottenstein bei Berndorf. daß man sich den Alpen nähert, ist nicht zu merken, es ist alles wolkenverhangen.

Nun das erste Tal hinauf nach Pernitz mit einem Sattel von 650 m Höhe. Wieder herrscht starker Regen, sodaß es eine sehr kalte Abfahrt wird. In einer Bushaltestelle muß ich mich umziehen und aufwärmen. Nun geht es weiter nach Gutenstein ins Klostertal, es kommt ein zweiter Pass mit 765 m Höhe. Zum Abschluß folgt eine 7 km lange Abfahrt nach Schwarzau im Gebirge, es ist 17 Uhr, und ich finde gleich eine Unterkunft beim Bacherlwirt. Dort ist es sehr urig, genau das richtige nach so einem erstem, nicht nur genußreichen Tag.

Abends besuche ich noch den Naturpark, auf den die Einwohner sehr stolz sind. Für Übernachtung, Frühstück, Abendessen und 2 Bier zahle ich am nächsten Morgen DM 20.-.

Sägewerk im Klostertal
Beim Bacherlwirt

Samstag 3.6. Schwarzau - Hieflau 125 km

Heute scheint die Sonne, Start um 8 Uhr. Von der Haustür weg beginnt die starke Steigung mit wohl 15% Neigung. Um kein Gesicht zu verlieren, fahre ich soweit, bis ich außer Sichtweite von eventuellen Beobachtern bin, und steige dann keuchend und außer Atem ab. Schritt um Schritt wird nun langsam bergauf geschoben. Die Blumenflora auf den Wiesen ist herrlich, und ich sehe die ersten Orchideen (Knabenkraut). Es liegt die ungewisse Strecke unterhalb eines Berges namens "Gippel" vor mir, die ich mir nach der Karte ausgesucht habe, und die mir 30 km Umweg in Richtung Mariazell erspart. Im Gasthaus hatte man mir gesagt, daß man da zwar rauf käme, oben aber das Rad tragen müßte, aber ein paar Verrückte hätten das auch schon mit Mountainbikes gemacht.

Erstmal geht es aber auf asphaltiertem Weg gut voran, dann aber leider wieder ordentlich runter in ein Tal, da ist wieder ein Teil der gewonnenen Höhe verloren. Nach Erreichen der letzten Häuser (Gasthof Triebel) beginnt ein steiler Anstieg auf einem geschotterten Forstweg. Das läßt sich noch alles machen - schiebenderweise -, doch dann kommt eine Abzweigung mit Schild: Mariazell, Wallfahrerweg, der scheint ungenießbar zu sein. Eine andere Möglichkeit aber bietet sich nicht an, so quäle ich mich einen steilen Fußsteig durch den Wald hinauf. Überall sind Gedenktafeln von Wallfahrern angebracht, die hier auch geschwitzt haben, aber keiner hat wohl ein Fahrrad samt Gepäck für hinter sich hergezerrt. So eine Stunde lang dauert diese Quälerei, alle 50 m muß ich verschnaufen. Endlich wird es heller zwischen den Bäumen, ein sanfter Wiesenweg führt über den Sattel und es folgt eine stilgerechte MTB-Abfahrt über einen Almwiesenweg. Die Almhütten sind hier verlassen, einige verfallen. Die Höhe ist 1134 m, ich bin schon stolz, das erste Mal die 1000 m Grenze überwunden zu haben.

Gedenktafeln der Wallfahrer
Kanalröhrenmarterl

Nun geht es herrlich komfortabel hinunter auf einem schönen Forstweg Richtung Lahnsattel, ein paar Wallfahrer werden überholt, jetzt merke ich, daß die Klingel auch kaputt ist. Zum Lahnsattel mit ca. 1000 m geht es auf einer Straße wieder hinauf, das ist nun kein Problem mehr. Während ich dort eine Gedenktafel über eine Katastrophe im letzten Jahrhundert - die große Lahn (Erdrutsch) - studiere, bei der an die zehn Menschen ihr Leben verloren haben, sausen ein paar Radrennspezies vorbei, grüßen aber immerhin.

Weiter geht es 15 km bergab durch das Halltal. Da freut man sich, daß die Strapaze des Morgens überstanden ist, und überlegt, ob man in diesem Stil in den Alpen sehr weit kommen würde. Nun bin ich aber auf einer schönen Straße und nähere mich flott Mariazell.

Da aber zeigt sich wieder ein Anstieg, weil der Talausgang durch die Salzaklamm unpassierbar ist. Durch die Klamm aber führt laut Hinweisschild der mir schon vertraute Wallfahrerweg - Begehen auf eigene Gefahr -. Sicher kann man da wenigstens durchschieben, es ist doch zu verlockend. Erst gehts gar nicht schlecht, über eine Brücke, dann über Stock und Stein, dann über eine Naturtreppe hinauf, plötzlich finde ich mich senkrecht 25 m über dem Bach wieder, balancierend und eine Mensch - Fahrrad - Gepäcklawine riskierend. Während mir so allmählich wieder der Schweiß ausbricht, quäle ich mich auf gleiche Weise wieder abwärts und gelange endlich auf einen Forstweg mit einem Wegweiser in drei Richtungen: Klammweg, da bin ich hergekommen, Klammweg, da geht es weiter, und als drittes ein steiler Anstieg über den Berg, den ich ja vermeiden wollte. Da der Weg die Klamm hinunter nun gut ausgebaut ist, fahre ich frohen Mutes weiter geradeaus. Doch schon nach wenigen hundert Metern hat die Freude ein Ende und es geht wieder so wild zu, wie vorher. Dann folgen so enge Serpentinen steil bergauf, daß man das Fahrrad dort kaum noch herumgehievt bekommt. Ein Blick nach oben läßt erkennen, dort geht es wohl in 50 m Höhe über der Schlucht weiter, da bleibt doch wohl nur die Umkehr. Also den Weg zurück bis zu dem Wegweiser und den steilen Weg den Berg hinauf.

Eingang in die Salzaklamm
In der Salzaklamm

Mit waagerechtem Oberkörper wird geschoben, was das Zeug hält. Nach einer knappen Stunde erlösen mich Gymnastiktafeln eines Trimmweges, da kann eine AutoStraße nicht weit sein. So ist es auch, ich gelange genau auf den Berg, den ich umfahren wollte, aber Mariazell liegt dort oben, der Weg durch die Klamm hätte mich sowieso viel zu weit unten herausgeführt.

Dann ist man schnell in Mariazell, es ist schon nach 13 Uhr, also einen Vormittag habe ich für 30 km gebraucht. Hier ist ein mächtiger Touristenrummel, wahrscheinlich nicht alles Pilger. Ich versorge mich in einem Geschäft mit dem Nötigen, mache Rast und habe ansonsten nichts mit den fotografierenden und Andenken kaufenden Menschen zu tun.

Friedhofszaun mit Malergerät
Orchidee vor Hochschwab

Nun liegen 50 km Fahrt durch das weitere Salzatal vor mir, das wird wettermäßig und landschaftlich ein Hochgenuß. Es wird alle Augenblicke fotografiert, Wasser aus Brunnen nachgetankt oder Wildwasserfahrern zugeschaut. Links oben liegt der Hochschwab mit seinen wilden Brüdern. Jetzt sieht man endlich, daß man in den Alpen ist. Die Vegetation ist phantastisch, viele Orchideen, blühende Straßenränder und Wiesen. Die BundesStraße 24 ist schwach befahren, alle 5 Minuten ein Auto oder Motorrad, viele grüßen einen sogar. Der Ort wird passiert, hier ist ein Zentrum für Wildwasserfahrer.

Tunnelausfahrt
Stausee im Salzatal

Vor Palfau zweigt eine romantische NebenStraße in das Enntstal ab. Dort erreicht man den Ort Grobreifling, von dort geht es wieder hinauf Richtung Gesäuse. Eine Umleitung ist noch zu passieren, dort geht es über eine Hochbrücke. Eine Baustelle läßt erahnen, wie die ganze Landschaft rücksichtslos den Straßenbaulichen Notwendigkeiten unterworfen wird, aber das wird im Verlauf der weiteren Fahrt immer wieder zu sehen sein.

Gegen 19 Uhr bin ich in Hieflau, wo das Gesäuse beginnt. Hier will ich übernachten. Leider ist der Ort nicht besonders hübsch, weil er von DurchgangsStraßen zerteilt ist. Die Gastwirtschaft, die für eine Übernachtung in Frage käme, ist mit Eternit verkleidet, das lasse ich mir nicht gefallen. Anhand der Informationstafel suche ich mir eine Wirtschaft am Ortsrand in Waldrandlage aus. Was hier so Ortsrand heißt, bedeutet nochmal 15 min steil bergauf schieben. Laute Stimmen und Musik künden schließlich das erhoffte Ziel an, es scheint so eine Art Disco hier zu sein und eine Menge jugendliches Volk wuselt da rum. Ich fühle mich da etwas deplaziert, bekomme aber ein Zimmer und kann abends in der Wirtschaft noch ein Bier trinken und Würstel essen. Die Aussicht vom Zimmerbalkon über Hieflau ist sehr romantisch. Am nächsten Morgen bezahle ich nur 25 DM für alles und bin mit dem Quartier sehr zufrieden.

Hieflau

Sonntag 4.6. Hieflau - Gosau 125 km

Start um 8 Uhr, das Wetter ist mäßig, alle Berge sind verhangen. Nun geht es ins Gesäuse, das ist der Ennsdurchbruch zwischen Ennstaler und Eisenerzer Alpen. Stellenweise ist das sehr eindrucksvoll, besonders wo die Enns ihre Wildheit entfalten kann und enorme Wassermassen über gewaltige Felsblöcke tosen. Ab und zu ist sie aber aufgestaut, um die Wasserkraft zur Energiegewinnung zu nutzen. außerdem gibt es wieder eine ganze Reihe von Baustellen. In einem Tunnel gerate ich ins Schlingern, es ist stockdunkel da drinnen, und ich stelle fest, daß mein Licht vorne auch nicht geht. Ich fahre dann so schnell ich kann hinter den Autorücklichtern her und bin zum Glück bald wieder am Tageslicht. Am Ende des Gesäuses talauf gesehen weitet sich das Tal zu einer freundlichen Wiesenlandschaft Richtung Liezen. Auf einer schönen NebenStraße fahre ich nun wieder verkehrsberuhigt, aber es beginnt zu regnen. Bald hört es wieder auf, ich lasse den Ort Admont links liegen. Der Ausgang des Bosrucktunnels mit zugehöriger Autobahn kommt in Sicht. Obwohl das Wetter schlecht ist, herrscht Ostwind, sodaß ich den Wind im Rücken habe. Aber die BundesStraße wird nun breiter und verkehrsreicher, bis ich Liezen erreiche. Dort wird erstmal Rast gemacht. Aber Liezen ist ein häßlicher Ort mit viel Industrie und Zweckwohnbauten.

Weiter geht es entlang der nun stark befahrenen breit ausgebauten Rasestrecke Richtung Trautenfels. Da steht ein Schild neben der Straße: "Liezen - Trautenfels, der größte Friedhof Oesterreichs". Nanu, wo ist der denn zu besichtigen? Wenig später ein weiteres Schild: "100 Tote in 10 Jahren". So war das mit dem Friedhof also zu verstehen. Um die Straße wann immer es geht zu vermeiden, fahre ich durch die Ortsdurchfahrten.

Endlich gelange ich nach Trautenfels, der Abzweigung Richtung Tauplitz und Bad Aussee. Diese Straße ist genauso protzig und führt als breite Trasse das Tal hinauf. Ein Stück weit kann ich die alte Straße benutzen, aber das hat bald ein Ende. Wieder helfen mir die Ortsdurchfahrten, ein wenig Erholung von den vorbeirauschenden Autos und Abwechslung von der monotonen Straße zu finden. Das Fahren ist nun auch anstrengend, weil es ständig leicht bergauf geht und ein kalter Wind von vorn weht. Über Tauplitz und Bad Mitterndorf gelange ich auf einer Gefällestrecke aber bei Regen dann nach Bad Aussee. Inzwischen habe ich mich warm anziehen müssen: lange Hose und Winterhandschuhe.

Es ist gegen 15 Uhr und ich habe Hunger, nachdem ich den Tag zuvor nicht richtig warm essen konnte. In einem Gasthof bekomme ich noch einen Krautwickel, den ich verschlinge. Jetzt wieder regeneriert geht es an die letzte und schönste Tagesetappe über den Koppenpass, vorbei an der Koppenbrüller Höhle nach Obertraun. Von dort ist es nur ein Katzensprung bis zum Hallstätter See, wo mir der erste Seeblick auf Hallstatt eine Offenbarung ist.

Am Hallstätter See

Zur Belohnung lasse ich mich von einem Wohnmobilehepaar fotografieren. Jetzt geht es nach Hallstatt, das den Eindruck eines Puppendorfes macht. Hier war ich schon einmal vor 30 Jahren. Damals kam mir alles viel enger vor.

Bild 1 Bild 2 Hallstatt

Die Häuser sind im alten Stil sehr gut gepflegt. Die AutoStraße führt um den Ort herum durch einen Tunnel, mit dem Fahrrad kann man aber durch die OrtsStraße zwischen den allgegenwärtigen Touristen hindurch fahren oder schieben. In der Hauptsaison bekomt man hier wohl kaum ein Bein auf die Erde. Leider ist vom Dachstein wegen der Wolken nichts zu sehen. Auch die berühmete Dachstein Mammuthöhle lasse ich links liegen, dort geht es kurz nach Obertraun mit der Seilbahn hinauf, das würde mich eine Menge Geld und vor allem Zeit kosten.

Es gilt noch, 250 Höhenmeter nach Gosau hinaufzustrampeln, was bei wieder einsetzendem Regen fast ohne Schwitzen abgeht. Hier steige ich komfortabel ab beim Brandlwirt, ein einfaches aber urgemütliches Zimmer kostet wieder nur DM 20. Im Restaurant kann ich gut essen (Schweineleber). Nebenan tagt eine Gesellschaft älterer Herrschaften, ein alter Daddi schwingt eine Rede und beweist - nun wohl erleichtert - gleich anschließend seine sängerischen Qualitäten, die mir allerdings etwas zweifelhaft erscheinen. Bald aber singt die ganze Korona, Kufsteiner Lied, Jodelversuche usw. Das ist ja ganz lustig, aber doch einigermaßen müde suche ich bald mein warmes Quartier auf.

Montag 5.6. Gosau - St. Veit 65 km

Am Morgen hängen wieder alle Berge in den Wolken, also schlafe ich länger und starte erst gegen 9 Uhr. Plötzlich bricht die Sonne durch und einige Schleier lüften sich. Aber Dachstein und Bischofsmütze bekomme ich nur in Andeutungen zu sehen. Erstmal geht es 200 m hoch auf den Pass Gschütt auf 969 m. Danach eine schöne Abfahrt über Russbach, das Tennengebirge muß direkt voraus liegen, aber auch das läßt sich nicht blicken. Dann geht es links ab das Halltal hinauf, zunächst über einen ruhigen Wirtschaftsweg, später wieder auf breiter Straße. Nun steigt es wieder ganz schön an, bis man nach St. Martin im Tennengebirge gelangt. Hier beginnt es prompt zu regnen, wenig später gießt es. So bleibt es die ganze Abfahrt über 20 km nach Bischofshofen, wo erstmal wieder in einer Bushaltestelle regeneriert werden muß. Nun ist die Straße im Salzachtal sehr verkehrsreich, über St. Johann im Pongau nähere ich mich Schwarzach/St. Veit.

Bei Russbach
Kirchplatz in St. Veit

Eigentlich wollte ich über Dienten und Mühlbach zum Hochkönig fahren, aber die Strecke nach Saalfelden scheint gesperrt zu sein. außerdem wäre vom Hochkönig ja auch wohl nichts zu sehen gewesen. So zieht es mich nach St. Veit, wo ich vor 30 Jahren meinen ersten Urlaub in den Alpen verlebt habe. Als ich wieder mal eine Ortsdurchfahrt benutze, um dem Verkehr zu entgehen, kommt endlich der ersehnte Wegweiser nach St. Veit. Das ist entweder ein Wirtschaftsweg oder einer für Spaziergänger, wie sich bald herausstellt geht es auf einem matschigen Weg eine steile Wiese hoch. Da verzichte ich nun aber dankend, auch der Regen setzt wieder ein.

Zurück auf die HauptStraße, wo wenig später eine neue, erst seit dem letzten Jahr bestehende Schrägtrasse nach St. Veit hinaufführt. Dann weiche ich wieder auf einen diesmal asphaltierten Fußweg aus und muß steil hinaufschieben. Als ich endlich oben bin, herrscht wieder strömender Regen, es ist 14 Uhr. Erstmal ein Foto vom Kirchplatz, er ist wohl nicht mehr so urig wie vor 30 Jahren, aber strahlt immer noch eine einzigartige Atmosphäre aus. Vor dem Regen muß ich mich unterstellen und beschließe entnervt, für den heutigen Tag die Fahrt abzubrechen. In einem Haus mit Zimmerhinweis frage ich nach Unterkunft, werden aber an die Schwester der Hauswirtin umgeleitet. So lande ich bei Familie Freudenthaler im Haus Mariandl, wo ich sehr gastlich aufgenommen werde. Nun bin ich auch nicht mehr so enttäuscht, einen halben Tag zu verlieren, weil es nun gerade in St. Veit sein muß. Die Wirtstochter Leni vom Grafenhof, wo wir seinerzeit gewohnt haben, ist mit dem Sparkassenleiter verheiratet und Patentante der Kinder meiner Wirtsleute.

Als die Geschäfte am Nachmittag wieder aufmachen, gehe ich gemütlich einkaufen, dann wird das Wetter etwas besser, und ich mache noch eine zünftige Mountainbiketour ohne Gepäck. Nachdem ich mich nach dem Weg erkundigt habe, fahre ich bis 1200 m hinauf, bis es nur noch auf den Schneeberg weitergeht, auf den meine erste Bergtour damals geführt hat. Das Salzachtal mit seinen Wiesen und eingestreuten Gehöften liegt tief unten, wie aus dem Flugzeug betrachtet. Weder von den verschneiten Hohen Tauern noch vom Hochkönig ist irgend etwas zu sehen. Nach einer Stunde Aufstieg fahre ich nun in 10 Minuten wieder ab, dabei muß ich noch einige Kühe überlisten, die mitten auf dem Weg trotten und sich nicht überholen lassen wollen. Nach ein paar freundlichen Worten geht es aber. Unten angekommen bin ich wieder recht durchgefroren und wärme mich mit einer heißen Dusche auf.

Abschließend suche ich mir ein Lokal am Kirchplatz zum Abendessen, ich nehme Rumpsteak Tiroler Art, kurioserweise mit Tintenfischen garniert. Da wäre interessant zu wissen, wo die Tiroler ihre Calamaris fangen. Das Gericht kostet 100 Schillinge obwohl das Lokal einen recht vornehmen Eindruck macht. Am Nebentisch sitzen lauter Kölner Frühtouristen. Für die Pension bezahle ich 20 DM.

Dienstag 6.6. St. Veit - St. Johann im Walde 115 km

Um 8.30 Uhr fahre ich bei erträglichem Regen los. Über den Glockner kann ich bei bestem Willen nicht fahren, er ist nur mit Schneeketten passierbar, von der umgebenden Bergwelt würde man auch nichts zu sehen bekommen. Da bleibt nur der bequemere Weg durch das Gasteiner Tal und die Unterquerung des Alpenkamms per Eisenbahn durch den Tunnel. Die Nebenstrecke über Goldegg nach Lend ist zu aufgeweicht, also geht es hinunter auf der alten Straße nach Schwarzach. Ab hier wieder auf der stark befahrenen BundesStraße durch die Salzachschlucht, von der die Straße nicht viel Attraktives übrig gelassen hat. Dann zieht sich eine lange Schrägtrasse zur Abzweigung in das Gasteiner Tal den Hang hinauf. Als ich die Abzweigung erreiche, sehe ich links den Ausgang der schönen Klamm der Gasteiner Ache, die alte Straße verläuft aber auf der anderen Seite, da kann man nicht hinüber. Stattdessen sind zwei Tunnel zu durchfahren, der zweite ist etwa zwei km lang. Zum Glück gibt es Beleuchtung und einen breiten Seitenstreifen. Am Ausgang der Tunnel ist man - oh Wunder - bereits im Gasteiner Tal, die Klamm sieht man nur von oben. Bei guter Ortskenntnis hätte man wohl unten aus dem Salzachtal von Lend aus durch die Klamm fahren können, aber nun bin ich oben und auch nicht unglücklich.

Erstmal auf der HauptStraße mit wenig Verkehr nach Dorfgastein. Hier habe ich vor 25 Jahren nach dem Abitur mit meinem Klassenkollegen Uli S. den ersten Skiurlaub verbracht. Wir haben beim Schmied am Ortseingang gewohnt. Der Betrieb hat sich herausgemacht, ein Metall- und Kunstgewerbegeschäft ist daraus geworden. Die Familie hieß Gstrein, fällt mir aber erst beim Lesen des Namens wieder ein. Sogar die Frau Gstrein bekomme ich zu Gesicht, die auf einem Balkon irgendeinen Feudel auswedelt. Sicher werden sich die Leute aber nicht mehr an uns erinnern, so fahre ich durch Dorfgastein hindurch und nun auf einer NebenStraße bis Bad Hofgastein. Da laufen kurbedingt eine Menge wackeliger Personen herum, einige frage ich nach dem Weg und erkläre Woher und Wohin. Ein Einheimischer interessiert sich für das Fahrrad, er war auch schon einmal bis ins Zillertal.

Richtung Badgastein geht es weiter auf der schönen NebenStraße oder über einen Uferweg an der Gasteiner Ache. Angekommen in Bad Bruck unterhalb von Badgastein wird es wieder ernst, es geht steil hinauf in das Zentrum von Badgastein. Hier haben wohl viele hohe Häupter und berühmte Persönlichkeiten gekurt, daran denke ich, als ich den Namen BismarckStraße lese. Sicher ist keiner von diesen im Trainingsanzug und mühsam ein Fahrrad mit Gepäck berganschiebend dort aufgekreuzt. Ziemlich verschwitzt komme ich im Ortszentrum an, vor dem berühmten Wasserfall lehne ich das Fahrrad an das dort sehr notwendige Geländer, und lasse mich von freundlichen Leuten fotografieren.

Vor dem Wasserfall

Auf einer Tafel lese ich, daß hier die Luft durch das Wassergestiebe des über 300 m hinabtosenden Baches negativ ionisiert wird und darauf die Heilwirkung des dortigen Klimas beruht. Sicher spielt auch der Komfort der zum Teil klassischen Hotels eine Rolle, aber nicht mehr alle scheinen die besten Tage zu sehen. Das Spielkasino ist natürlich bestens in Schuß, aber da will ich mein Fahrrad nicht versetzen. Auch ein Rollsroyce wuselt herum, überholt mich wenig später beim Anstieg zum Gasteiner Bahnhof. Ärgerlicher ist, daß ein Parkhausneubau die schöne Gasteiner Kulisse gründlich verunziert.

Nun geht es hinauf zum Bahnhof, wo ich gleich eine Fahrkarte mit Fahrradtransfer durch den Tunnel nach Mallnitz erstehen möchte. Es wäre aber über eine Stunde bis zum nächsten Zug zu überbrücken, zwar eine verdiente Ruhepause, aber der Schalterbeamte verrät mir, daß ich schon in 20 Minuten in Böckstein an der Autoverladestelle Anschluß hätte. Ich bezweifle, das in 20 Min. zu schaffen, aber er meint, das seien ja nur 4 km. Also hetze ich los, ein Auge auf dem Kilometerzähler, das andere auf die Uhr, von der Gegend sieht man so nicht viel. Ist aber auch nicht viel zu sehen, dafür ziehen sich die 4 km ganz schön hin und warten am Schluß auch noch mit ein paar ansteigenden Kurven auf. In Böckstein hat man auch schon 1200 Höhenmeter. Fünf Minuten vor Abfahrt des Autozuges, der allerdings halbstündlich fährt, gelange ich auf den Bahnsteig, löse meine Karte und fahre überschnell tretend, weil ich gar nicht zum Runterschalten komme den Bahnsteig entlang und ohne abzusteigen in das Motorradabteil, wo mir der Schaffner schon die Tür aufhält. Am liebsten hätte ich mich an Ort und Stelle hingeschmissen, muß aber noch in das Personenabteil umwechseln, dessen Tür sich nur durch einen Fußtritt öffnen läßt. Sicher wird sie in einem Autozug selten benutzt. Jetzt schnauft man aber. Schon fährt der Zug an, schnell ein Foto links aus dem Fenster, eines rechts bei Einfahrt in den Tunnel, dann 5 Minuten Dunkelheit bei der Durchfahrt des 8 km langen Tunnels. Das ganze kostet ca. 5 DM. Dafür gelangt man nach Mallnitz auf die Sonnenseite der Alpen.

Gespannt auf das Wetter steige ich aus, siehe da, es scheint etwas die Sonne, alles ist knochentrocken, hier hat es überhaupt nicht geregnet. Doch es herrscht ein eisiger Wind und die Berge sind auch hier umwölkt. Das Thermometer zeigt 8 Grad an.

Erstmal Mittagspause, am Bahnhof erstehe ich kostenfrei einen schönen Prospekt über Kärnten mit brauchbaren Straßenkarten. Jetzt folgt die rauschende Abfahrt in das Mölltal, einmal halte ich noch an, weil ein Lastwagen vor mir zu langsam ist und ich den nicht überholen möchte. Manchmal fahre ich über 60 Sachen, aber dann beginnen die Augen zu tränen. Weiter geht es 30 km das Mölltal hinauf bis Winklern, wo die Glocknerstrecke über Heiligenblut hinzukommt. Vor dem Anstieg zum Iselspass empfiehlt sich noch eine Rast. Auch die Kette kann ich an einer freundlichen Tankstelle neu ölen. Dann geht es hinauf auf den 1204 m hohen Pass, der ohne zu schieben gefahren werden kann. Oben ist herrlicher Sonnenschein und das Panorama der Lienzer Dolomiten liegt vor einem. Sie sind zwar auch umwölkt, lassen sich aber stückweise blicken. Bei der Iselsbergkapelle schaue ich mich erstmal satt und genieße die Sonne.

An der Iselsbergkapelle

Dann geht es 500 m hinunter in das breite Tal der Drau und nach Lienz. Wieder starker Verkehr, so hält es einen nicht lange in Lienz. Um meine weitere Route durch das Defereggental zu erreichen, muß ich von Lienz aus ein Stück die FelberntauernStraße entlangfahren. Obwohl der Verkehr hier sogar erträglich ist, bin ich froh einen Uferwanderweg entlang der Isel zu endecken, den ich nun 10 km weit bis St. Johann im Walde befahren kann.

Die Isel bei Huben

Wieder muß ich mich mit ein paar Kühen rumplagen, aber alles bleibt friedlich. Ich beschließe, die Übernachtung ins Auge zu fassen, ziehe mir auf einer Wiese an der Isel die Trainingshose an, um landfein zu sein, außerdem wird es kalt. In St. Johann im Walde wirkt alles etwas öde, es gibt gerade 4 Häuser. Die erste Pension ist voll mit angwelwütigen Italienern belegt. Man verweist mich auf ein anderes Haus, das ich erst nicht finde, weil ich innerhalb dieser 4 Häuser Orientierungsschwierigkeiten habe. Dort aber werde ich sehr gastfreundlich aufgenommen, bekomme ein Zimmer auf dem Dachboden und werde mit Pasta Chiuta und einer Riesenportion Salat bewirtet. Dazu gibt es ein Bier, da kann ich anschließend kaum noch gerade gehen. Es gibt sogar eine Telefonzelle, von wo aus ich zu Hause anrufen kann. Ein kleiner Spaziergang mit Besichtigung des etwas zu Denken gebenden Kirchenumbaus und einer stillgelegten Kneipe beenden diesen Tag. Ein Dialog mit der Wirtin ist noch erwähnenswert: als ich mit dem Aufschreiben der Tagesereignisse beginne, sagt sie: "Ah, da san's wohl a Lehrer". Wie ich verneine und meinen Beruf aufsage, sagt sie: "Ah, da san's also koa richtiger Lehrer". Preis mit Abendessen + 1 Bier DM 25.-

Mittwoch 7.6. St. Johann - Sexten 95 km

Bei sonnigem Wetter geht es um 7.45 Uhr los, die Berge sind zunächst frei. Schnell ist man in Huben, der Abzweigung in das Defereggertal. Erstmal gibt es wieder einen ordentlichen Anstieg, um das Tal oberhalb der Klamm der Schwarzach zu erreichen. Der Blick nach unten in die Klamm ist meistens so bemerkenswert, daß ich lieber schiebe, um über die Straßenkante nach unten blicken zu können. Das Deferegger Tal ist wie aus dem Bilderbuch.

Bild 1 Bild 2 Im Deferegger Tal

Im ersten Ort hebe ich Geld vom Postsparbuch ab und kaufe eine Wanderkarte. Dann folgt der Ort St. Veit im Defereggental, der 200 m über der Talsohle liegt. In der Hoffnung, daß das ein lohnender Abstecher ist, schiebe und fahre ich über eine knappe Stunde dort hinauf. Aber allzuviel gibt es nicht zu sehen, ich mache Rast und kaufe ein. Wieder geht es hinab ins Tal und langsam gen Talschluß bis Erlsbach, wo die Abzweigung zum Staller Sattel mit 2052 m Höhe ist.

Als die ersten Steigungen beginnen, treffe ich einen Radtourer auf einem Rennrad, nur mit einem kleinen Rucksack, der für ein paar Tage von Heilbronn aus unterwegs ist. Der ist gestern den Großglockner gefahren, als ich gekniffen habe. Aber wie ich höre, hat sich das gar nicht gelohnt, vereiste Straße und absolut nichts zu sehen. Der Rennradfahrer mit seinem Minigepäck hat einen anderen Tritt drauf, als ich mit meinem Mountainbiketraktor und entschwindet nach der nächsten Kurve den Blicken. Ich tanke mich so langsam hoch, über eine Menge Kehren durch einen lichten Hochwald mit vielen Bächen. Die Baumgrenze wird erreicht, damit läßt auch die Steigung nach und ein hochalpines Hochtal wird erreicht. Zwei Motorradfahrer aus Düsseldorf, die mich vorher überholt hatten, kommen mir wieder entgegen. Ich befürchte schon, daß der Staller Sattel nicht offen ist, stelle aber später fest, daß die jenseitige Abfahrt für schwere Fahrzeuge und auch Motorräder nicht gestattet und zu gefährlich ist.

Erstmal herrscht in dem Hochtal ein fast winterliches Klima, ein sehr kalter Wind bläst von vorn, die Vegetation ist noch kaum nach der Schneeschmelze in Gang gekommen. Auf den sumpfigen Wiesen blühen üppig die Sumpfdotterblumen. Auf dem Staller Sattel muß eine Viertelstunde auf die Grenzabfertigung der Italiener gewartet werden, weil die Abfahrt vom Pass nur einspurig befahren werden kann. In der Zeit, die natürlich für eine Ruhepause sehr willkommen ist, setzt ein heftiger Schneesturm ein, den ich hinter einen Stein gekauert abwarte. Da hört man auch das Donnern einer Lawine aus der Richtung des Aufstiegs, aber die gehen oben zwischen den Wänden ab und kommen jetzt im Juni nicht mehr bis hinunter. Als die italienischen Grenzer um 14 Uhr die Grenzabfertigung vornehmen, scheint wieder die Sonnen, es ist wie im April. Für mich mit meinem Fahrrad interessiert sich kein Grenzer, pflichtbewußt gehe ich aber extra hin und zeige meinen Pass. Der wird nur unwillig kurz aufgeklappt, per Kopfnicken werde ich Richtung italienischer Seite gewiesen. Bei allen künftigen Grenzübertritten, mußte ich kaum die Füße von den Pedalen nehmen, aber beim ersten Mal ist man noch vorsichtig.

Auf dem Staller Sattel

Winterlich angezogen mache ich mich bei nun bestem Wetter an die Abfahrt, die mit äußerst engen Kehren in steilem Gelände wirklich gefährlich ist. Mit guten Bremsen geht das, aber man darf nichts riskieren und kommt kaum über 20 km/h. Dafür dauert es etwas länger, aber Abfahrten gehen immer schnell vorüber. 600 m geht es direkt hinunter bis an einen See. Verkehr ist hier überhaupt nicht. Weiter geht es über 20 km das Antholzer Tal hinab, wo ich nun bei Rückenwind kaum treten muß. Landschaftlich ist es wieder herrlich, aber ich fühle mich hier in Südtirol und damit Italien noch nicht so heimisch wie vorher in Oesterreich. Irgendwo sollte ich meine Schillinge nun in Lire umtauschen, aber es geht so flott voran, daß ich an allen Orten vorbeisause.

Kurz vor Erreichen des Pustertals Richtung Toblach ziehen von Westen her dunkle Wolken auf. Die Hochstimmung der Passüberquerung verläßt mich jetzt. Immerhin mit Rückenwind fahre ich nun das Pustertal hinab, immer vor dem Regen her. Dann wechsele ich endlich in einer Bank das Geld, der Schalterbeamte ist auch Radfahrer und bedauert mich, daß ich mir so eine schlechte Wetterlage ausgesucht habe. Das bedauere ich auch und fahre weiter gen Toblach. Hier zweigt die Strecke direkt nach Cortina ab, von den Dolomiten sieht man zwischen den Wolken hin und wieder Andeutungen. Hier in Toblach setze ich mich nun lustlos in eine Wiese, die Wetteraussichten sind schlecht, von den Bergen sieht man nichts, was soll das noch Schönes bringen. Immerhin geht es nach Innichen wohl etwas bergab, außerdem drängt der Regen im Westen, da fahre ich erstmal weiter und nehme mir Sexten als Tagesziel vor. Es ist noch früher Nachmittag, da lasse ich mir Zeit und mache in Innichen nochmal Pause. Das ist aus meiner Sicht und der herrschenden Stimmung ein häßlicher Ort, so eine Art Grenzbahnhof. Von Innichen trotte ich gen Sexten, das geht wieder bergauf, aber das belebt eher. Dann erreicht mich der Regen doch noch, ich komme aber einigermaßen früh gegen 18 Uhr dort an und kann mir im Informationsbüro noch Unterlagen abholen. Ganz geruhsam suche ich mir ein Quartier neben der Kirche aus, und als ich dort auch unterkomme, nehme ich das Zimmer gleich für zwei Tage, weil ich keine Lust mehr habe. Vielleicht ändert sich das Wetter dann inzwischen, man hat immerhin für das Wochenende besseres Wetter angesagt. Erstmal wird gebadet und die Welt sieht wieder anders aus. Abends gehe ich schön essen und überlege, was ich an dem nächsten Tag anstellen könnte.

Donnerstag 8.6. Ruhetag in Sexten

Morgens schneit es, es ist neblig bis in das Tal hinunter, da mag man gar nicht aufstehen. Es ist nichts zu sehen von der Sextener Sonnenuhr mit Neuner-, Zehner-, Elferkofel usw. So irgendwann nach 9 Uhr hellt es aber doch auf. Was macht man an einem Ruhetag am besten, natürlich eine Radtour. Ich fahre Richtung Dreischusterhütte in das Innerfeldtal mit einer wunderschönen Blumenflora: Trollblumenwiesen, Soldanella, kleine Enzianpolster und anderes. Hier gibt es auch den Frauenschuh, den ich aber vergeblich suche. Als ich nach einer Stunde die Dreischusterhütte auf 1517 m erreiche, bricht die Sonne durch, aber von den wilden Felsspitzen rings umher ist nichts zu sehen. Ein Stück fahre ich noch mit dem Fahrrad weiter, aber dann geht es wegen des groben Schotters nicht mehr, der Talschluß ist ohnehin wenige hundert Meter weiter. Also wird das Fahrrad an einen Baum gelehnt, abgeschlossen und der Rucksack geschultert. Auf geht's, wollen doch mal sehen, wie hoch man hinaufkommt. Es bietet sich der gut markierte Weg 105 zur Dreizinnenhütte an. Wie ich sehe, folgt mir niemand, da, wo Schnee liegt, sind auch noch keine Fußspuren zu erkennen, also ist vor mir auch keiner. Das hat man nicht so gern, wenn man allein steigt. Aber der Weg ist bestens gangbar, das Gelände ungefährlich und das Wetter scheint so hinzuhalten. So geht es neben einem Bachtobel nach oben. So ab 2000 m nimmt der Schnee zu, und ich habe bald nasse Füße. Da steht vor mir ein Gemsbock, wohl schon etwas betagt, und glotzt mich frech an. Ich gucke genau so zurück und überlege, ob die Biester einen vielleicht auch angreifen. Das tut er aber nicht, sondern entschwindet bald im Latschengestrüpp.

Ich steige weiter bergan und kriege so langsam etwas Bammel. Den Fuß sollte man sich hier, allein auf weiter Flur, nicht verknacksen. Nach jeder Anhöhe über mir hoffe ich auf den Übergang zur Dreizinnenhütte, aber wie das in den Bergen so ist, es geht immer wieder noch ein Stück weiter. Zum Schluß komme ich in einen Schneetobel hinauf, dort wird der Schnee knietief. Danach geht es links weiter, wo eine Schneewehe auf dem Weg liegt, jetzt ist Schluß. Auf einem großen Felsblock lasse ich mich nieder und lege den Hut unter die Sitzfläche, damit es nicht so kalt ist. Rings umher ziehen die Nebelschwaden und geben zeitweise den Blick auf die schroff aufragenden Felswände frei. Dabei schneit es ein wenig, so mache ich mich wieder an den Abstieg. In den Spuren vom Aufstieg geht es ganz gut, man muß nur aufpassen, daß man nicht ausgleitet.

Umkehrpunkt ...

Nach einer Weile beginnt es stärker zu schneien, sodaß mich nach dem Hut verlangt, doch der ist nirgends zu finden. Dann kann er nur oben auf dem Felsblock liegengeblieben sein - das ist ja fatal. Erst gebe ich eine innerliche Verzichterklärung ab, dann aber setzt sich doch die Liebe zu dem alten Hut durch, der auf allen Touren seine Dienste getan hat, auf die 10 Minuten kommt es nun auch nicht mehr an, nasser können die Füße nicht mehr werden. Also nochmal rauf, der Hut liegt noch da und wird auf den ihm zustehenden Ort plaziert. Nun geht's endgültig an den Abstieg. Knapp unterhalb des tiefen Schnees kommen nun endlich zwei von unten, oben hellt es auch weiter auf. Aber ich gehe nicht nochmal rauf, dazu sind mir die Füße zu kalt geworden. Nachher begegnen mir nochmal zwei, ein älteres Ehepaar, die sind sich schon uneins, ob sie noch weiter rauf sollen. Nach Woher und Wohin fragt mich der Mann dann allen Ernstes inmitten der umgebenden Dolomitenbergwelt, wie Dortmund gegen Schalke gespielt hätte - da muß ich passen.

Der Rest des Abstiegs ist nun schnell geschafft, obwohl ich den markierten Weg irgendwann verfehle. In dem übersichtlichen Gelände kann man in dem Bachtobel von Stein zu Stein hinunterhüpfen. Das Fahrrad befindet sich noch an Ort und Stelle. Inzwischen hat es oben doch wieder zugezogen, da kann ich dann beruhigt ins Tal abfahren ohne etwas zu verpassen. Auch ein weiterer Ausflug ins Fischleintal lohnt sich so nicht. In 10 Minuten bin ich die Abfahrt hinuntergesaust, aber der Fahrtwind fährt mir gehörig in die schneegekühlten Schuhe, obwohl ich die Socken noch vorher ausgewrungen habe. Um 15.30 Uhr bin ich wieder im Quartier und schlaffe ab, es hat wieder angefangen zu regnen.

Gegen 18 Uhr ist plötzlich bestes Wetter, die Sonne bricht durch und die Berge schälen sich tatsächlich nach und nach aus ihrer umhüllenden Watteschicht. Von meiner Unterkunft führt direkt eine Straße nach oben, also nichts wie da rauf, diesmal aber zu Fuß. Endlich präsentiert sich das Sextener Panorama mit Rotwand, Zwölferkofel usw.

Sexten mit seiner Sonnenuhr

Die Dreischusterspitze, gibt sich als letzte zu erkennen. Spät erst mache ich mich an die Rückkehr und bin erst nach 20 Uhr wieder unten. Am nächsten Morgen bezahle ich für die zwei Tage DM 44.- (umgerechnet).

Freitag 9.6. Sexten - Cortina 75 km

Um 8 Uhr wird bei bestem Wetter gestartet, die Berge sind alle frei. Es geht hinauf zum Kreuzbergsattel 1636 m. Für die eben 6 km brauche ich bei den ca. 400 m Anstieg eine Stunde. Kurz vor der Passhöhe verläuft ein betonierter Schützengraben aus dem letzten Krieg. Oben ist eine herrliche Aussicht, im Süden zeigen sich ganz neue Berge, die mich auf der weiteren Tagesfahrt begleiten werden.

Sextener Rotwand am Kreuzbergsattel

Die Abfahrt wird wieder sehr kalt, denn es hat in der Nacht Frost gegeben. Sausend geht es nach Padole, wo eine NebenStraße über den St. Antonio Pass abzweigt.

Bild 1 Bild 2 Padole

In Padole ist gerade Wochenmarkt, hier ist nicht nur die Sprache, sondern auch der Baustil und die ganze Atmosphäre italienisch. Daran muß man sich erst wieder gewöhnen. Nach St. Antonio geht es steil hinauf, meistens muß geschoben werden. Der Pass ist wieder 1468 m hoch, aber dann geht es hinunter nach Auronzo auf 864 m Höhe. Die Abfahrt ist sehr steil, das viele Bremsen ist anstrengend. Irgendwann halte ich an einer sonnigen Mauer inmitten vieler Blumen an und raste. Nach zwei weiteren Kurven ist Auronzo erreicht, es bietet sich ein herrlicher Anblick vor einem wilden Tal, über dem die drei Zinnen (oder was ich dafür halte) thronen.

Auronzo

Dieses Tal fahre ich nun hinauf, es gilt wieder, fast 1000 m zum Misurinasee und Drei Kreuze Pass auf 1809 m zu klettern. Da das Tal sich lang hinzieht, gewinnt man die Höhe allmählich. Immer wieder passiert man verlassene Hotels und Ferienhäuser, die nur während der Saison zum Leben erwachen. Dafür ist jetzt so gut wie kein Verkehr dort hinauf. Am Talende geht es rechts rum Richtung Norden und man fährt genau auf die Cristallogruppe zu. Mit Schieben und Fahren abwechselnd pumpe ich mich langsam empor. Kurz vor der Abzweigung zum Misurinasee soll es laut Karte wieder eine Abkürzung geben, die endet in der einen Richtung an einem Wildbach, in der anderen in einem Hochmoor. Also doch über die Straße nach Misurina, um den berühmten See zu sehen. Bald ist man dort, vorne liegt das Misurinahotel, was zur Zeit anscheinden als Kinderheim dient. Ein paar Busse stehen herum und man ergeht sich auf einem komfortablen Rundweg um den See. Tretboote warten auf Zuspruch.

Ein deutsches Ehepaar steigt aus dem Auto, bei dem die Kühlung noch rauscht, wirft einen kurzen Blick auf die Wiese neben dem Parkplatz und die Frau sagt: "Du, Korl, dat is woll Enzian". Weiter halten sie sich aber nicht mit botanischen Studien auf, sondern machen sich sogleich ans Fotografieren der Szene. Die allerdings ist schon großartig, außer Cristallo und drei Zinnen kenne ich die umgebenden Berge nicht alle namentlich. Nachdem ich meinen Landjäger verzehrt habe, geht es auf zum letzten Anstieg zum Pass Tre Croci. Wieder wird ein Verteidigungsgraben passiert, ein Zeichen, daß man gleich oben ist. Dort öffnet sich wieder ein neues Panorama der Berge um Cortina, direkt vor einem liegt die Tofanagruppe. Rechterhand kann man die wilden Felswände des Cristallo ganz nah studieren. Kletterer sind nicht zu entdecken. Hinten liegt die Marmarolegruppe, deren schneebedeckte Nordseite man während des ganzen Aufstiegs zur linken hatte.

Misurina See
Cortina mit Tofana
Cortina mit Cristallo

Die Abfahrt nach Cortina in weitgeschwungenen Kurven macht wieder einen Mordsspass. Obwohl es erst 16 Uhr ist, muß ich hier Quartier nehmen, danach kommen die Pässe Falzarego oder Giau aber keine geeignete Ortschaft. In Cortina finde ich mich erstmal nicht zurecht und drehe eine unfreiwillige Ehrenrunde auf der verkehrsreichen Durchgangsstrecke. In der Touristeninformation kann man mir nur Hotels offerieren, weil es keine Privatquartiere gäbe. Zum langem Rumsuchen habe ich auch keine Lust, so lande ich im Hotel Montana wieder gleich an der Kirche. Das kostet aber auch nur so gegen DM 45 und ist damit erschwinglich. Sonst ist Cortina vom Touristenrummel geprägt, hat daher viele Geschäfte und andere Freizeiteinrichtungen und ist damit ein stinknormaler Ort. Abends esse ich noch eine Pizza im Garten eines Restaurants, dann komme ich aber doch ins Frieren, ganz so warm ist es abends in dieser Höhe noch nicht.

Zu Hause feiert meine Sportgruppe heute das "Kuhstallfest", ich bedauere es aber nicht, meine Zeit in den Dolomiten zu verbringen.

Samstag 10.6. Cortina - Vigo 80 km

Ich stehe um 7 Uhr auf, der Himmel ist wolkenlos. Leider gibt es Frühstück erst ab 8 Uhr. Da es ohnehin extra berechnet wird, mache ich mich stattdessen noch vor 8 Uhr auf den Weg. Erstmal raus aus Cortina, es geht in Richtung Falzaregopass. Über Cortina steht eine Steilwand, die von der Straße traversiert wird. Durch einen kleinen Tunnel überwindet die Straße die steilste Stelle. Direkt davor ist ein Aussichtspunkt, wo man das tolle Panorama von Cortina noch einmal bewundern kann. Wie alle aufgeblasenen Orte sieht auch Cortina aus der Ferne besser aus. Weiter geht es hinauf bis zur Abzweigung zum Pass Giau. Ich hatte mir vorgenommen, bei gutem Wetter diese Route zu wählen, weil sie eine Nebenstrecke ist. Also links ab, leider erstmal bergab. Das wird natürlich bald wieder gutgemacht, durch lichten Bergwald geht es wieder aufwärts. Rechts über einem die wilden Wände der Tofana. Vor einem Bachtobel finde ich rechts an der Böschung eine Trinkflasche Marke Eddi Merckx, die scheint unversehrt zu sein. Nachdem ich sie gründlich gesäubert habe, leistet sie mir im Laufe des Tages und der weiteren Tour wertvolle Dienste. Wasser gibt es überall aus Trogbrunnen oder direkt aus den Bächen, mit einer Brausetablette erhält mein ein vorzügliches Getränk.

Weiter geht es aufwärts, meistens wird geschoben. Etwa in Höhe der Baumgrenze kommt mir ein schwarzer Mercedes entgegen, ein Leichenwagen mit Hamburger Kennzeichen. Ich mache mir schon Gedanken, was da passiert sein mag, vielleicht wird ein abgestürzter Bergsteiger überführt. Im Vorbeifahren sehe ich aber Bettwäsche im hinteren Teil des Wagens, die schlafen also da, wo sonst die Särge transportiert werden. Was den Leuten alles so einfällt !

Nach der Baumgrenze bekommt man einen freieren Blick und es ist nicht mehr ganz so steil. Es zieht sich noch ganz schön hin, zuguterletzt führen zwei langgezogene Kehren durch Schneefelder bis auf die Passhöhe des Giau auf 2230 m. Drei Stunden habe ich für den Anstieg von Cortina gebraucht. Was mich beim Erreichen der Passhöhe empfängt, verschlägt mir die Sprache, da hat mant das ganze Dolomitenpanorama ausgebreitet vor sich, von Marmolata bis Sella.

Bild 1 Bild 2 Bild 3 Paß Giau

Eine halbe Stunde bleibe ich hier, dann muß wieder abgefahren werden, weil heute noch ein zweiter Pass wartet.

Warm angezogen geht es fast 1000 m hinunter. Bei starkem Gefälle und engen Serpentinen geht das wieder nur ganz vorsichtig. Ein paarmal halte ich an, um mich aufzuwärmen und Bremsen und Felgen abkühlen zu lassen. Ziemlich weit unten gelangt man dann an die Abzweigung Colle Santa Lucia, hier ist auch wieder eine einmalige Landschaft.

Nach Santa Lucia muß erst wieder aufgestiegen werden, nach der langen Abfahrt fast eine Wohltat. Nach Passieren des Ortes aber geht es endgültig hinunter, gleich zu Beginn der Abfahrt noch ein normaler Rastplatz. Wie ich aber talwärts über die Brüstung schaue schon wieder ein atemberaubender Ausblick: fast senkrecht geht es hinunter, der Ort Rocca Pietore liegt direkt ca. 300 m unter einem. Richtung Westen erstreckt sich das Petorinatal, durch das hindurch der Weg hinauf zum Fedaia Pass führt. In der Wand unten blühen Küchenschellen Nun soll es hinunter nach Rocca gehen, aber die Straße ist gesperrt. Da müßte ja ein ganzes Tal umfahren werden, 30 km Umweg ! Da kommt gerade ein Schulbus und ein Motorrad die Straße herauf, na dann werde ich ja wohl auch da irgendwie durchkommen. Es klappt auch, einmal liegt ein tonnenschwerer Felsblock auf der Strecke, deswegen ist sie wohl gesperrt.

Santa Lucia
Bild 1 Bild 2 Rocca Pietore

Von Rocca Pietore geht es nun hinauf zum Fedaia Pass unterhalb der Marmolada. Den zweiten 2000 m Pass an diesem Tag gehe ich nicht mehr ganz so frisch an. Es steigt sehr stark an und ich schiebe die meiste Zeit. Aber ich habe genug Zeit und plane wieder drei Stunden Anstieg ein. So wähle ich wieder eine Ortsdurchfahrt anstelle der großen Straße. Es gibt interessante Holzspeicherhäuser zu sehen. Und dann kommt die große Überraschung. Während sich die HauptStraße in Serpentinen um den Ort herumwindet, über eine Talbrücke und einen Tunnel schließlich den oberen Talbereich erreicht, gelangt man unten lang in die Sottogudaschlucht. Dort führt der alte nur einspurig befahrbare Weg hindurch. Es ist alles da, enge Schluchten, tosendes Wasser, ein Wasserfall und eine kleine Kapelle.

Bild 1 Bild 2 Sottogudaschlucht

Am Ausgang der Schlucht stößt man wieder auf die große Straße und befindet sich in einem jetzt verlassenen Skizentrum. Von hier aus startet man im Winter per Schlepplift oder verwegen angelegter Seilbahn auf den Marmolada Gletscher. Ein Seitental zweigt hier ab, hier stehen noch alte Heuhütten, die vor den Hotels da waren und erzählen könnten, wie mühsam man seinem Broterwerb nachgehen mußte, als der einzige gefahrvolle Weg durch die Schlucht hier heraufführte und nicht der Tourist sondern das Vieh das tägliche Brot einbrachte. Dermaßen philosophierend verbringe ich noch eine angenehme Rast und steige dann weiter auf.

Auf dem Weg zum Fedaia-Paß

Hier wird es so unangenehm steil, daß an Fahren nicht zu denken ist. Die Straße führt zudem fast geradeaus nach oben, da gibt es kaum Abwechslung. Damit man auch was zu ärgern hat, läuft bis hinauf zum Pass ein Schlepplift für die Skifahrer nebeher. Während ich zwei Stunden brauche, um mich da hochzuarbeiten, ist man mit dem Lift sicher in einer Viertelstunde oben. Nun, im Moment ist ja kein Betrieb, sonst würde man wohl eine Menge zu hören kriegen.

Fedaia-Paß
Marmolada

Das letzte Stück des Passes ist großzügig mit Kehren und einer Rampe ausgebaut, da kann man sogar wieder fahren. Oben angelangt ist der neue Ausblick aber enttäuschend, vielleicht liegt es auch am Wetter, das sich mittlerweile wieder verschlechtert hat. Die Marmolada ist nicht so beeindruckend von hier aus, der Stausee ist halb leer und eine weite Aussicht hat man auch nicht. Bei der Abfahrt nach Canazei im Fassatal fängt es prompt wieder an zu regnen, sodaß ich wieder etwas verfroren unten ankomme. Schwierigkeiten gibt es wieder in einem Tunnel wegen des nicht funktionierenden Lichtes.

Im Fassatal fahre ich von Canazei noch ein paar Kilometer abwärts, lasse Langkofel und Sella hinter mir und gelange über Campitello nach Vigo di Fassa. Ab hier geht's auf den Karerpass, daher ist das Ende der heutigen Etappe mit 2000 bewältigten Höhenmetern angesagt. Für 30 DM bekomme ich ein Zimmer und esse abends eine hervorragende Pizza im Restaurant La Grotta.

Sonntag 11.6. Vigo - Male 120 km

Start bei gutem Wetter aber beginnender Einwölkung um 8 Uhr Richtung Karerpass auf 1745 m . Der Anstieg von 400 m ist kein Problem und nach einer Stunde bewältigt. Ab jetzt merke ich eine Stärkung der Kondition, daher kann ich sehr ausdauernd klettern. Nach dem Karerpass fahre ich rechts ab Richtung Nigersattel. Rechts über einem liegt der Rosengarten und die Vajolettürme. Ein wenig scheint noch die Sonne, dann zieht es mehr und mehr zu.

Rosengarten am Nigerpaß

Der Himmel über Bozen aber ist makellos. Es geht 1500 m hinunter, denn Bozen liegt nur auf 265 m. Diese Abfahrt zieht sich sehr lang hin und ist auch nicht so steil, hübsche Orte wie Tiers werden passiert. Der erste Blick hinunter auf Bozen ist wieder sehr beeindruckend. Die anfangs idyllische Straße wird nun wieder zu einer breit ausgebauten Hangtrasse, aber der Verkehr ist mäßig. So kommt man hinunter in das Eisacktal, wo es rechts zum Schlern und zur Seiseralm hinaufgeht. Durch das Tal quälen sich nun neben der Eisack, die wohl am meisten Gefahr läuft, den kürzeren zu ziehen, auch noch die Eisenbahn, die Autobahn und die BundesStraße. Auf der fahre ich den Rest unter dichtester Verkehrsbedeckung bis Bozen. Ich kann zu Hause anrufen, nachdem mir ein freundlicher Hausdiener 2000 Lire in Münzen wechselt. Obwohl nun herrlich die Sonne scheint, will ich mich nicht lange aufhalten, hier ist zuviel Trubel, ein ordentliches Stück Arbeit wartet an diesem Tag auch noch auf mich. Ich versuche, eine Straße Richtung Mendelpass zu finden, fahre aber zunächst nur nach Gefühl.

An einem Kiosk frage ich nach der Richtung. Ein älterer Mann auf einem Moped zeigt die Straße entlang, wo es weitergeht und redet noch einiges, was ich nicht weiter beachte. Ich fahre los und gleich darauf überholt mich der Opa auf dem Moped und gestikuliert, daß ich hinterherfahren soll. Das finde ich ja super, nur heißt es auf die Tube drücken, denn der fährt ungeniert über 30 Sachen. So rase ich durch dichten Verkehr hinter dem Opa her, an den Ampeln sieht man sich sowieso wieder. Schließlich hält er an und bedeutet, daß er hier wohne, ich muß nur die nächste Straße links und dann immer geradeaus fahren. "Passo Mendola viel Straße" meint er abschließend, und ich bestätige daß mit einer Geste, die bergauf bedeutet. Nachdem ich mich bedankt habe, geht es also raus aus Bozen, aber der Verkehr ist mörderisch. Dann merke ich auch, woran das liegt: ich befinde mich auf der Südtiroler WeinStraße nach Kaltern.

Die Abzweigung zum Mendelpass muß aber irgendwann kommen. Das dauert leider noch ein wenig, es ist sehr heiß und die Sonne scheint mir direkt ins Gesicht. Es steigt dabei auch schon ganz schön, einmal muß ich mitten im Fahren abspringen, weil mir der Schweiß in die Augen läuft und das höllisch brennt. außerdem knackt die Pedale derart, daß ich Bedenken habe, daß das noch lange gut geht. Da ist eine Tankstelle, aber die hat zu. Es stehen ein paar leere Öldosen herum, in denen noch Reste schwappen. Ich versuche, damit die Pedale zu schmieren, tatsächlich legt sich das Knacken so nach und nach und tritt dann während der restlichen Tour nicht wieder auf.

Bald erreiche ich die ersehnte Abzweigung, da hört der Verkehr schlagartig auf. Erstmal durchatmen, aber noch ein paar Kilometer weg von der SchnellStraße, dann mache ich Rast. Als ich so halbwegs wieder bei Kräften bin, kommen eine Anzahl Jugendlicher, alle auf Mountainbikes, den Berg hinauf gekeucht und fallen schier vom Rad. Sie lagern sich am Straßenrand schräg gegenüber und sind mit sich selbst beschäftigt. Als ich wieder losfahre, muß ich also erstmal forsch starten, um kein Gesicht zu verlieren.

Ich fahre also zügig los bis zur nächsten Straßenbiegung in der Absicht, dann außer Sichtweite bei Bedarf gleich absteigen zu können. Wider Erwarten komme ich aber gut in den Takt. In zunächst weiten Schleifen geht es bei nicht allzu steiler Steigung immer durch Wald und daher herrschen erträgliche Temperaturen. Eine FelStraße liegt weit oben im Hang, als die erreicht ist, wird aber doch geschoben, denn hier gibt es viel zu sehen. Links geht es senkrecht runter, da geht man wie auf Wolken. Schlern und Rosengarten liegen nun schon in einiger Entfernung über dem Bozener Tal, direkt unten liegt Kaltern mit dem gleichnamigen See. Aus dem wird sicher der berühmte Kalterer See abgefüllt. Nach dieser Abwechslung ist das letzte Stück des Passes schnell überwunden und ich komme einigermaßen frisch oben an. Das waren 20 km mit Anstieg von 260 m auf gut 1000 m.

Aufstieg zum Mendelpaß

Auf dem Pass ist ordentlich was los, am Sonntag fahren da viele hinauf, das war auch schon an dem Verkehr zu merken. Hier sind eine Menge Souvernir- und andere Geshäfte, plötzlich sehe ich auch viele Fahrradfahrer, auf dem Anstieg war das nicht so. Womöglich fahren die hier auch mit dem Fahrrad im Kofferraum hinauf. Es ist jetzt 16 Uhr, da kann ich noch ein ordentliches Stück weiterkommen. Die Abfahrt führt in das breite Talbecken des Rio Novella über Orte Malosco, Fondo, Brez, Cloz, alles idyllische Orte italienischen Charakters.

Malosco

Wieder sehe ich eine Schlucht von rechts in das Tal münden, fahre dann über eine Brücke, die gerade 20 m lang sein mag. Gerade noch sehe ich, daß es dort ganz tief hinunter geht und halte schnell an, um über das Geländer zu schauen. So etwas habe ich überhaupt noch nicht gesehen. Da ist der Bach wohl 50 m tief unter der Brücke in einer stockdunklen Schlucht eingeschnitten, die vielleicht 5 m breit ist, fast wie eine Gletscherspalte. Hundert Meter weiter bietet sich nochmal das gleiche Bild bei einem anderen Bach. Wenn es so etwas im Harz gäbe, wäre der schon deswegen weltberühmt, aber hier liegt das so rum. Jetzt bin ich bei jeder Brücke am äugen, ob noch einmal so eine Sensation auftaucht.

Nachdem ich aber eine Zeitlang nur in harmlose Bächlein geschaut habe, gibt sich das wieder. Die Fahrt geht flott mit Rückenwind und meistens bergab. Ein paar Gewitterschauer stören nicht sonderlich. Einmal will ich mich kurz unterstellen, gerate aber an eine Carabinieri-Station, wo ich gleich wegkomplementiert werde. Bevor man zum Lago di St. Giustina, einem Stausee, gelangt, wird noch einmal eine großartige Schlucht durchfahren. Nun geht die Fahrt in das Val Melecchio di Sol, das zum Tonalepass hinaufführt. Es ist mittlerweile 18 Uhr, aber es herrscht ein schöner Rückenwind und es ist nach den kalten Hochgebirgsstrecken hier sommerlich warm. So geht es in flotter Fahrt noch über eine Stunde weiter bis Male, dem ersten größeren Ort, der sich für eine Übernachtung anbietet.

Nach Passieren einiger Hotels, die teuer aussehen, gerate ich an das Hotel Puller, das einen einfacheren Eindruck macht. In der Eingangshalle sitzen eine Menge älterer Damen herum, da ziehe ich mir in einer Garageneinfahrt erstmal die Trainingshose über, um nicht zu nackt da aufzukreuzen. Wie ich dann endlich richtig in dem Haus drin bin, bin ich ganz benommen, das wimmelt nur so von alten Schachteln. Womöglich ist das ein Altersheim. Zwei weitere ältere Damen entpuppen sich als die Geschäftsführerinnen, die eine kann leidlich deutsch. Mir wird sofort ein Zimmer zugewiesen. außerdem werde ich gebeten, auch mein Essen daselbst einzunehhmen. Ich würde informiert, wenn aufgetragen wird.

Natürlich habe ich einen Mordshunger und finde das alles prima. Als ich dann samt Gepäck in mein Zimmer stolpere, kann ich mir das Lachen nicht verkneifen. Jetzt heißt es, sich schnell fertigmachen, also duschen, schamponieren, die verknitterten Sachen aus den Gepäcktaschen zerren und sich vornehm anziehen. Gegen 20 Uhr klingelt dann das Telefon: "Es ist bereit" höre ich. Also hinunter in den Speisesaal, der im alten Stil mit Kristalleuchtern und antiken Möbeln eingerichtet ist. Die Tische sind vornehm gedeckt mit mehreren Bestecken, einer Batterie von Weingläsern, Brotkorb und allem, was dazu gehört. Die ganze Korona sitzt bereits aufgereiht zum Dinieren und ein heiteres Schnabulieren erfüllt den Raum. Mir wird ein Platz zugewiesen, zwei Bedienungen tragen nun von Servierwagen auf. Zuerst gibt es eine Suppe, die auf Wunsch mit Semmelbrocken und Parmesan verfeinert wird.

Zu trinken wird Vino offeriert, aber bei meinem Durst möchte ich lieber ein Bier, das führt zu einigen Umständen. Erst ist kein Öffner da, dann spritzt das Bier aus der Flasche und ein Aufwischlappen muß her. Die arme Hausmamsell ist ganz durcheinander. Schließlich steht das Bier, eine Riesenflasche auf dem Tisch. Jetzt kann weiter aufgetragen werden. Es folgen mehrere kleine Steaks mit Paprika und einem Karottenkartoffelpamps. Kein Problem bei dem Hunger. Nachdem das verzehrt ist, wird Käse gereicht. Ich lasse mir zwei ordentliche Brocken auftragen und verzehre dazu zwei Brötchen. Dann folgt noch eine Portion Eis zum Nachtisch, von mir aus könnte das noch so eine Weile weitergehen. Doch nun bricht die Gesellschaft zu einem Verdauungsspaziergang auf, dem ich mich aber nicht anschließe.

Nach einem auch sehr guten Frühstück am nächsten Morgen kostet die ganze Angelegenheit DM 45.

Montag 12.6. Male - Sondrio 110 km

Gut ausgeruht nach dem wohlverbrachten Abend und einem guten Frühstück starte ich um 8 Uhr. Es geht weiter aufwärts im Tal di Sole, die Sonne scheint auch, aber es ist abzusehen, daß es sich im Laufe des Vormittags wieder zuziehen wird. Ich passiere malerische Orte, links liegt die Brentagruppe, rechts der Cevedale, den ich auch gern einmal sehen würde, weil ich den vor vielen Jahren einmal auf Skiern bestiegen habe. Der ist aber vom Tal aus nicht zu erblicken. Bis zum Tonale Pass sind es 30 km es geht auf 1800 m hinauf, das merke ich aber erst, als ich oben bin, ich hatte immer mit 1600 m gerechnet. Mittags bin ich oben und Regen empfängt mich. Es liegt hier auch nur ein gottverlassener Skiort mit häßlichen Häusern. Auf einer Bank unter einem Vordach raste ich und warte den Regen ab. Warm angezogen mache ich mich an die Abfahrt.

Es geht hinunter nach Ponte di Negro auf 1258 m, wo wieder die Sonne scheint. Weiter 20 km das Tal hinunter, kaum muß getreten werden. Am Fuß des Tals liegt Edolo, 700 m hoch und wieder ein sehr malerischer Ort.

Edolo

Nun merkt man den Klimawechsel, hier ist es sommerlich warm. Wieder geht es nun aufwärts durch das Val di Corteno, die Straße ist sehr verwegen angelegt und die Autos hupen vor jeder Kurve. Einmal treffe ich auf eine Felspartie, die über und über mit Polsterwurz überwachsen ist, zum Teil in Blüte. Das ist etwas für einen Steingartenfreund. Ich überlege schon, ob ich ein paar Pflanzen vereinnahme, aber ich möchte der Natur nichts wegnehmen und bezweifle, daß die Pflanzen den Transport überstehen. Vielleicht ergibt sich später noch eine Gelegenheit, aber wie sich gezeigt hat, war dies wirklich die einzige Polsterkolonie.

Vor 16 Uhr möchte ich den Ort Aprica auf 1175 m Höhe erreichen, weil ich wieder eine Bank zwecks Geldaufnahme aufsuchen muß. So fahre ich zügig das schöne Tal bei großer Wärme und reichlich Sonne hinauf und erreiche den Ort auch rechtzeitig. Hier gibt es zwei Bankinstitute, aber die sind beide geschlossen, weil man sich auch hier wohl nur an der Saison orientiert. Wenigstens habe ich jetzt Zeit und benutze stattdessen eine Sitzbank für eine Rast. Es steht mir nun eine lange Abfahrt hinab in das Addatal mit 375 m Höhe bevor. Es öffnet sich wieder ein atemberaubender Blick hinunter auf die lombardische Tallandschaft, gesäumt von Weinbergen mit romantischen Ortschaften. In weniger als 30 Minuten ist man nun die 18 km mit 800 m Hºhenunterschied hinuntergerauscht. Solange der Fahrtwind wehte, habe ich nur die warme Luft gespürt, aber als ich unten anhalte, merke ich, daß hier eine drückende Hitze herrscht. Auch die Vegetation ist hier mediteran, verglichen mit den vergangenen Etappen ein totaler Klimawechsel. Mein Ziel ist Sondrio, das sind noch 15 km, die leicht bergab führen und mit Rückenwind gefahren werden kºnnen. Das geht zwar ganz flott, aber ein wieder penetranter Verkehr verleidet einem die Sache, von der Sonne, die einem mitten im Gesicht zu stehen scheint, gar nicht zu reden.

Endlich bin ich gegen 17.30 Uhr in Sondrio, wo ich nur mit Mühe ein Quartier in einer Klitsche, dafür aber billig (25 DM) bekomme. Wenigstens kann ich duschen und meine Sachen neu sortieren. Dann gehe ich nochmal in den Ort, die alten Ortsteile sind fast mittelalterlich. Im Ortszentrum aber spielt sich ein mörderischer Feierabend- und Freizeitverkehr ab, das tut weder der Luft noch den Ohren gut. Die motorisierten Italiener fahren wie die Wilden, immer um den nächsten Block oder um den Marktplatz herum, nur weil's Spaß macht. Am Abend sind hier noch 25 Grad, da merkt man erst, daß ja eigentlich Sommer sein sollte.

Dienstag 13.6. Sondrio - Luino (Lago Maggiore) 128 km

Wie zu erwarten, beginnt der Tag mit Schwierigkeiten, weil das "Hotel" bis kurz vor 9 Uhr in tiefem Schlaf liegt. So komme ich nicht weg, kann aber meine Bankgeschäfte auch nicht erledigen, weil der Reisepass noch konfisziert ist. Es bleibt mir nur die Möglichkeit, die letzten hundert DM, die ich in bar dabei habe, in Lire umzutauschen. Um 9 Uhr zeigen sich ein paar verschlafene Gestalten und nach Begleichen der Rechnung fahre ich wieder ohne Frühstück los. Zum Glück gibt es eine sehr ruhige NebenStraße links der Adda, wo so gut wie kein Verkehr ist.

Alte Brücke bei Morbegno

Bis kurz vor Morbegno kann man so verkehrsberuhigt fahren, dann geht es wieder ein paar km auf die HauptStraße, in Morbegno zweigt nördlich dann wieder eine Nebenstrecke ab. Der Comer See wird an seinem Nordende erreicht, die Landschaft ist sehr reizvoll, hier der See und da die bizarren Bergformationen, die das Talbecken umgeben.

Nun geht es eine schöne Uferstrecke am Westufer des Comer Sees entlang, eine Menge Tunnels sind zu durchfahren. Der typisch oberitalienische Südwind weht einem zwar entgegen, aber stört nicht sonderlich, die Hitze wird so weniger spürbar. Gegen 14.30 Uhr bin ich in Menaggio, wo der Comer See Richtung Lugano verlassen wird.

Ein älteres Ehepaar aus England macht an der Seepromenade große Umstände mit dem Fotografieren, da darf ich dann gleich auch noch von mir ein Foto machen lassen.

Bild 1 Bild 2 Am Comer See

Nun geht es, erstmal über einen Sattel und dann hinunter nach Valsolde über die Schweizer Grenze. An diesem Tag bin ich in der Turnhose gefahren, nun habe ich bemerkenswerte Sitzproblem und ziehe mir vor einer Villa am Luganer See wieder meine Fahrradhose an, das ist doch - etwas - besser.

Hier gibt es auch wieder eine Menge Tunnels, den ersten kann ich sogar auf der alten LandStraße umfahren. Später habe ich einmal Pech mit einer Ortsdurchfahrt, die zwar für Fußgänger und Fahrräder ausgeschildert ist, aber ich lande vor einer Kirche, Auge in Auge vor einem russisch aussehenden Ordensbruder, der Ikonen verkauft. Von dort geht es nur über Treppen weiter und ich bin völlig falsch beraten. Also den Weg wieder zurück und nun hinein nach Lugano.

Luganer See

Die Banken sind auch schon wieder geschlossen und ich kann mir kein Geld besorgen. So muß ich ohne ein Fränkli in der Tasche die 30 km durch die Schweiz bummeln, denn später wird es wieder nach Italien zurückgehen. In Lugano mache ich Rast am See und genieße die Aussicht. Nun geht es wieder in den dicksten Verkehr, denn es herrscht Feierabendverkehr, der sich aus Lugano rausquält. Richtung Ponte Tresa, wo wieder eine Nebenstrecke rechts abbiegt. Der Verkehr ist inzwischen zum Erliegen gekommen, ich kann hunderte von Autos auf dem Seitenstreifen oder schließlich auf der linken Fahrspur hinter mir lassen. Die Luft ist natürlich furchtbar.

In Ponte Tresa verlasse ich die HauptStraße und mache mich an das letzte Stück der Tagesetappe. Bis zum Grenzübergang nach Italien muß man noch einmal ganz schºn hinauf, dafür kann ich den Rest nach Luino hinunterrauschen. Gegen 18.30 bin ich in Luino, wo viele Baustellen dem Ort die Atmosphäre nehmen. Auch herrscht hier wieder der schon bekannte Feierabend-Kreisverkehr. Ich steige lieber vom Fahrrad und schaue nach einem Hotel aus, dann sehe ich auch durch Zufall schon das "Elvezia", wo es um die 40 DM ein Zimmer gibt. Das ist sogar sehr schºn, mit Dusche usw., auf dem Hof, wo ich das Fahhrad abstelle, steht eine Palme. Erstmal entspannen, duschen, und abends nochmal an den See. Hier ist das Ziel der Tour erreicht, denn nun muß ich mich Richtung Schweiz orientieren, um dann von Basel zurückfahren zu können. Ich betrachte mir den Sonnenuntergang über dem See und fühle mich sehr zufrieden. Dann gehe ich noch essen und lasse dort prompt den Pullover liegen. Am nächsten Morgen finde ich nur mit Mühe das Lokal in dem Getümmel wieder. Dort wird mir der Pullover sofort ausgehändigt.

Mittwoch 14.6. Luino - Simplon 95 km

Erstmal stehe ich nicht so früh auf nach den Erfahrungen des letzten Morgens in Sondrio. Hier werde ich allerdings gleich abgefertigt, aber ein Frühstück gibt es auch nicht. In Luino wird ein riesiger Markt aufgebaut. Ich sehe mich zuerst nach einer Schiffsverbindung zum andere Ufer um, doch da habe ich Pech. Ich bin eine halbe Stunde zu spät, die nächste Partie fährt erst in über zwei Stunden. So ganz werde ich aus dem Fahrplan nicht schlau, da ist mir das zu unsicher, zwei Stunden nur rumzusitzen. Warten kann ich sowieso nicht, es gibt ja auch Schlimmeres, als mit dem Fahrrad um den Lago Maggiore herumzufahren. Es bedeutet zwar 30 km Umweg um das Nordende des Sees nach Locarno, aber natürlich ist die Strecke ein Genuß. Leider ist es sehr dunstig. Als ich die Schweizer Grenze überquere, besorge ich mir gleich die nötigen Franken, die ich wenig später schon gut gebrauchen kann. Kurz nach der Grenze komme ich gleichzeitig in einem Ort mit einem Schiff an, das nach Locarno fährt, da kann ich mir den Rest der Strecke schenken. Hocherfreut nehme ich auf dem Schiff Platz und genieße nun doch noch meine Seepartie. Nach einer halben Stunde ist man in Ascona, wo ich wieder aussteige.

Lago Maggiore in Ascona

In Ascona ist es angenehm ruhig, hier hat man den Verkehr herausgehalten. Wieder eine schöne Rast mit Abschied vom Lago Maggiore, dann wieder ab in die Berge durch das Centovalli, einem verwegenen Tal. Hier führt auch eine Eisenbahnstrecke hinauf, deren Strecke noch abenteuerlicher ist.

Eisenbahnbrücke im Centovalli

Mitten im schönsten Hinaufkämpfen kommt eine Ampel, die nur halbstündlich grün zeigt. Das liegt daran, daß die Hauptstrecke gesperrt ist, stattdessen geht es einspurig über so ein 200 m höher gelegenes Schwalbennest als Umleitung. Wieder eine Stunde Kampf, glücklicherweise verliert man beim Hinunterfahren nicht allzuviel Höhe. Es geht nun auch ganz romantisch weiter mit schönen Schluchten und kühnen Brückenkonstruktionen. Als die Höhe der Schlucht erreicht ist, mache ich endlich Pause in Erwartung der nun folgenden Abfahrt.

Aber diesmal habe ich mich geschnitten, es geht noch 15 km weiter rauf, zwar nicht so steil aber es macht irgendwie keinen Spaß mehr. Erst so ganz langsam kommt der Übergang des einen Tals in das nächste. Eine Abwechslung ergibt sich noch, als eine riesige Kuppelkathedrale auftaucht, die hier völlig deplaziert erscheint. Der Ort heißt Re.

Kirchen in Re

Hinter Malesco folgt noch eine elend lange Geradeausstrecke mit leichter Steigung, die scheint kein Ende zu nehmen. Hier hat man dann an die 800 m Hºhe erreicht, aber nun geht es für die nächsten 20 km doch bergab. Eine Schlucht wird auch bei der Abfahrt durchfahren, aber die fliegt nur so an einem vorbei. Dieses Tal heißt Val Vigezzo.

Felsnase vor Masera

Dann ist man wieder unten auf 300 m Höhe, über Masera finde ich Anschluß an die Simplonstrecke, eine EuropaStraße, die entsprechend ausgebaut ist. Der Verkehr ist ganz schwach, da kann ich es mir mal leisten, eine solche Trasse zu benutzen. Plötzlich stehe ich vor einem Tunnel, 2200 m lang, der einen Bergzug unterquert. Mit etwas mulmigem Gefühl fahre ich da rein. Ich habe etwas Bedenken wegen der Luft, denn es sieht ziemlich dunstig aus. An der Tunneldecke hängen aber große Gebläse, außerdem fahren die Motorradfahrer ja auch in der freien Luft, bloß die sind schneller durch. Als ich wieder die Sonne erblicke mache ich erstmal wieder Pause gegenüber von einem Steinbruch.

Bild 1 Bild 2 Varzo

Nun liegen noch 1100 m Aufstieg nach Simplon, meinem Tagesziel, vor mir. Noch ein Abstecher nach Varzo hinauf, dann wird es ernst. Der Eingang des Simplon - Eisenbahntunnels nach Brig wird passiert, und nun folgt die großartige Strecke durch die Gondo Schlucht. Da gibt es soviel zu schauen, daß das Bergauffahren so nebenbei erledigt wird. Natürlich kostet das so seine Zeit, dann erreicht man die italienische Grenzabfertigung. Dann dauert es noch eine Weile, bis man mitten in der Schlucht den finsteren Ort Gondo mit der Schweizer Grenzstation erreicht.

Gonso Schlucht

In der Schlucht sieht man zuweilen Reste der alten Straße, das waren noch Kunstwerke mit handgeschichteten Stützmauern, die sich jeder Geländegegebenheit anpassen. Einmal kann ich auf so einem alten Straßenstück wieder einen Tunnel umgehen. Heute ist der Simplon Pass von Baustellen übersäht, überall wird mit viel Beton die Straße Steinschlag- und Lawinensicher gemacht, dafür fährt man die meiste Zeit unter irgendeiner Überdachung, das aber auch mit 100 Sachen, sofern man motorisiert ist. Das landschaftliche Erlebnis bleibt dabei wohl gründlich auf der Strecke. Als Radfahrer kann ich jedoch noch überall anhalten, hinauf- oder hinunterschauen, sicher bleibt von dieser schönen Strecke bei mir einiges mehr haften, als bei so einem Kawasaki-Lederhirsch.

Vom Grenzübergang in Gondo sind immer noch 500 Höhenmeter bis Simplon - Dorf zu überwinden. Solange es durch die Schlucht geht verkürzen einem immer wieder neue Aussichten die Zeit. Nach der Schlucht ist es dann nicht mehr weit, von dem Ort Gabi führen wenige Kehren hinauf und über eine Rampe erreicht man die Abzweigung nach Simplon. Gegen 19.30 Uhr, also nach 4 Stunden Aufstieg komme ich endlich an. Das erste Haus des Dorfes heißt Hotel Fletschhorn, macht aber nicht so einen teuren Eindruck. Über den Gartenzaun, noch auf dem Fahrrad, sichere ich mir meine Unterkunft. Hier kann ich sogar telefonieren, nachher auch gut essen. Das Zimmer mit Frühstück kostet Sfr 25.

Donnerstag 15.6. Simplon - Brienz 120 km

Nach wieder einem ordentlichen Frühstück fahre ich gegen 8.30 Uhr los. Nun sind die restlichen 500 m Aufstieg zum Simplonpass zu bewältigen. Nach einiger Zeit bekomme ich die beiden talbeherrschenden Gipfel zu Gesicht, das Fletschhorn und das Lagginhorn, 4010 m hoch. Bei diesen Ausblicken werden einem die 1 1/2 Stunden bis zur Passüberschreitung nicht langweilig.

Simplon Paßhöhe

Der Simplon hat wieder eine lohnende Aussicht zu bieten, beeindruckend ist die Sicht auf die Aletschgruppe und das Berner Oberland, aber ganz ohne Wolken bekommt man die Berge einfach nicht zu Gesicht. Bei herrlichem Sonnenschein lege ich mich zufrieden zwischen die Alpenblumen und schaue mir wechselweise die Berge ringsumher an. Die lange Abfahrt führt von 2000 m Höhe hinunter nach Brig auf 678 m. Bei der breit angelegten Straßentrasse kann man es ordentlich laufen lassen, einmal wird eine 140 m hohe Talbrücke überquert, die das Umfahren eines Tals erspart.

Talbrücke auf der Abfahrt

Ruck zuck ist man wieder unten in Brig. Das liegt nun im Wallis im Tal der jungen Rhone. Wieder viel Industrie und viel Verkehr. Ich muß nun weiter bis Gampel, von wo aus es hinauf nach Goppenstein und Eisenbahnverladung nach Kandersteg geht, da bin ich ja schon Spezialist. Die HauptStraße von Brig versuche ich gelegentlich zu vermeiden, aber dann fährt man im Zickzack durch die Gegend und weiß nie, wann man sich verfährt. Es ist nicht weit bis Gampel, über Mittag läßt der Verkehr auch etwas nach. In Gampel frage ich in zwei Restaurants nach dem Weg, laut Karte müßte eine alte Straße in der Schlucht nach Goppenstein hinaufführen. Mir wird gesagt, daß man da schon hinaufkäme, die Straße aber gesperrt sei und die Benutzung auf eigene Gefahr erfolge. Als ich die Abzweigung der alte Straße erreiche, biege ich trotzdem erstmal ab, um mein Glück zu versuchen. Auf der allgegenwärtigen Baustelle ist gerade Mittagspause, sodaß einen keiner anmacht. Ich muß unter einem Schlagbaum durch, wo ein Schild bedeutet, daß ab dort für alles gesperrt ist, auch für Fußgänger. Ich fahre erstmal ordentlich drauf los, bis ich außer Sichtweite bin. Dann mache ich Rast, jetzt habe ich eine ganze Straße für mich alleine. Was da noch kommen kann, weiß ich zwar nicht, aber unten ist man ja schnell wieder, nur der Aufstieg war dann vergeblich. Die Straße ist aber in einwandfreiem Zustand, es liegt nur ein bißchen Steinschlag herum. Der Weg windet sich auf angenehme Weise durch das schluchtartig eingeschnittene Tal hinauf, schon sieht man die Galerien der Eisenbahn und der neuen Straße. Da liegen vor mir an der Straße große Steinhalden und daneben ist ein Schild: Sprenggebiet, Aufenthalt verboten. Ich weiß nicht, woran es liegt, daß ich die nächsten Kurven sehr sportlich flott bewältige, doch dann biege ich aufatmend in die reguläre Straße ein, so schlimm ist es also nicht geworden.

Nun noch das letzte Stück nach Goppenstein hoch, das waren dann auch schon wieder 400 m Höhenunterschied. Der nächste Zug soll auch bald fahren, wo ich am Ende des Zuges ohne weitere Gesellschaft den Motorradwaggon bevölkere.

Bahnverladung in Goppenstein

Dann geht es in sausender Fahrt durch den Tunnel, der ist 17 km lang, das ganze kostet 4 Franken. In Kandersteg angekommen, muß ich den ganzen Zug von hinten abfahren und verlasse hinter der Autokarawane als letzter den Zug. Nun bin ich praktisch an der Ausfahrt aus den Alpen, es geht hinunter zum Thuner See. Noch ein Blick zurück auf die schneebedeckten Dreitausender, Richtung Norden breitet sich schon eine Landschaft ohne hohe Berge am Horizont aus. Die Abfahrt führt durch eine Gegend, wie man sie von der Schokoladenreklame her kennt. Bemerkenswert sind die mit Schnitzereien reichverzierten Häuser.

Gepflegte Holzhäuser

Eine Reihe von Schnauferlautos kommt mir entgegen, die an einer Oldtimerralley teilnehmen. In Frutigen erstehe ich in einem netten Geschäft zwei Würste und einen Käse auf die Faust, ich werde sogar nach Woher und Wohin gefragt. Dann setze ich mich auf eine Bank und mache mich über die Wurst her. Erst als ich merke, daß einige Leute im Vorübergehen das Lachen nicht verkneifen können, wird mir der Anblick bewußt, den ich da mit der Riesenwurst in der Hand biete, und ich benehme mich etwas unauffälliger.

Kurz vor dem Thuner See genehmige ich mir noch eine kleinere Bergüberquerung über Aeschi auf einer Nebenstrecke, und erst dann geht es hinunter zum See. Dann passiert man Interlaken, wo sich wieder ein Teil der Welt zu treffen scheint, und gelangt an den Brieenzer See. An dessen Ufer führt eine schön zu fahrende Straße nach Brienz, wo das letzte Quartier genommen wird. Prompt finde ich dort auch kein Privatzimmer, obwohl ich den ganzen Ort hin und zurück durchfahre. So spendiere ich mir ein anständiges Gasthaus, wo das Zimmer 70 Franken kostet. Dafür ist es die letzte Übernachtung und man hat einen Balkon mit Aussicht auf den Brienzer See verdient. Abends esse ich dann noch eine Pizza.

Freitag, 16.6. Brienz - Luzern 60 km

Um 7 Uhr stehe ich auf, womöglich gibt es einen langen Tag. Das Frühstück funktioniert im Selbstbedienungsverfahren, da ich der erste bin und niemand zuguckt, komme ich richtig in Fahrt. Nachdem 4 Glas Orangensaft, der halbe Käse- und Wurstteller abgeräumt und 4 Marmeladenportionen verzehrt sind, ist der Abfallbehälter auf dem Tisch fast voll, ich auch, und ich mache mich aus dem Staube. Nun kommt doch noch ein Pass, der Brüningpass 1000 m. Das ist für die letzte Etappe gerade das richtige. So kann ich dann wieder aus der Höhe die letzten Kilometer Richtung Luzern in Angriff nehmen. Das letzte Stück nach Erreichen des Vierwaldstätter Sees würde ich gern mit einem Schiff fahren. Kurz vorher zeigt der Kilometerzähler auch die vollen 1500 km an, da könnte man ja gleich absteigen. Schon zeigt sich auch, als ich in Seenähe komme, ein Schiff, doch es legt gerade ab, bevor ich in die Nähe des Anlegers komme. In der Hoffnung, in der nächsten Ortschaft schneller da zu sein, drücke ich nochmal auf die Tube. Aber das Schiff ist schneller und verschwindet um die nächste Uferbiegung. Als ich diese erreiche, sehe ich das Schiff und den Anleger in 2 km Entfernung, sehe, wie es anlegt, und als ich den Anleger erreiche, sehe ich, wie es ablegt. Was man alles so zu sehen bekommt ! Jedenfalls fehlen mir nach 1500 Kilometern zwei Minuten zu dem krönenden Abschluß der Tour mit einer Bootsfahrt auf dem Vierwaldstätter See. Das nächste Schiff nach Luzern, Bahnhofskai geht erst in 2 Stunden.

Jetzt sind es noch 8 km , die nun wohl oder übel zurückgelegt werden müssen. Man fährt zwar zu Füßen des Pilatus, von dem ist bei dem Dunst aber nicht viel zu sehen. Der Verkehr ist hier natürlich auch knüppeldick und vor lauter Baustellen kann man kaum den Bahnhof finden.

Fix und fertig

Spätestens hier hat einen die Hektik und Geschäftigkeit wieder. Es gilt, den Fahrplan zu studieren, die Fahrkarte zu kaufen, das Fahrrad aufzugeben, Geld zu tauschen, das Gepäck zu bündeln usw. Als ich dann im Zug sitze, um noch am gleichen Tag gegen 23 Uhr zu Hause zu sein, ist alles vorbei, ich kann es noch gar nicht glauben. Die monatelang geplante Tour ist nun Vergangenheit. Doch die Erlebnisse und Bilder der vergangenen zwei Wochen kann ich wie einen Film vor meinem inneren Auge vorüberziehen lassen, und davon wird man lange zehren.


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