Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3

Montag 12.6. Male - Sondrio 110 km

Gut ausgeruht nach dem wohlverbrachten Abend und einem guten Frühstück starte ich um 8 Uhr. Es geht weiter aufwärts im Tal di Sole, die Sonne scheint auch, aber es ist abzusehen, dass es sich im Laufe des Vormittags wieder zuziehen wird. Ich passiere malerische Orte, links liegt die Brentagruppe, rechts der Cevedale, den ich auch gern einmal sehen würde, weil ich den vor vielen Jahren einmal auf Skiern bestiegen habe. Der ist aber vom Tal aus nicht zu erblicken. Bis zum Tonale Pass sind es 30 km es geht auf 1800 m hinauf, das merke ich aber erst, als ich oben bin, ich hatte immer mit 1600 m gerechnet. Mittags bin ich oben und Regen empfängt mich. Es liegt hier auch nur ein gottverlassener Skiort mit hässlichen Häusern. Auf einer Bank unter einem Vordach raste ich und warte den Regen ab. Warm angezogen mache ich mich an die Abfahrt.

Es geht hinunter nach Ponte di Negro auf 1258 m, wo wieder die Sonne scheint. Weiter 20 km das Tal hinunter, kaum muss getreten werden. Am Fuss des Tals liegt Edolo, 700 m hoch und wieder ein sehr malerischer Ort.

Edolo
Nun merkt man den Klimawechsel, hier ist es sommerlich warm. Wieder geht es nun aufwärts durch das Val di Corteno, die Strasse ist sehr verwegen angelegt und die Autos hupen vor jeder Kurve. Einmal treffe ich auf eine Felspartie, die über und über mit Polsterwurz überwachsen ist, zum Teil in Blüte. Das ist etwas für einen Steingartenfreund. Ich überlege schon, ob ich ein paar Pflanzen vereinnahme, aber ich möchte der Natur nichts wegnehmen und bezweifle, dass die Pflanzen den Transport überstehen. Vielleicht ergibt sich später noch eine Gelegenheit, aber wie sich gezeigt hat, war dies wirklich die einzige Polsterkolonie.

Vor 16 Uhr möchte ich den Ort Aprica auf 1175 m Höhe erreichen, weil ich wieder eine Bank zwecks Geldaufnahme aufsuchen muss. So fahre ich zügig das schöne Tal bei grosser Wärme und reichlich Sonne hinauf und erreiche den Ort auch rechtzeitig. Hier gibt es zwei Bankinstitute, aber die sind beide geschlossen, weil man sich auch hier wohl nur an der Saison orientiert. Wenigstens habe ich jetzt Zeit und benutze stattdessen eine Sitzbank für eine Rast. Es steht mir nun eine lange Abfahrt hinab in das Addatal mit 375 m Höhe bevor. Es öffnet sich wieder ein atemberaubender Blick hinunter auf die lombardische Tallandschaft, gesäumt von Weinbergen mit romantischen Ortschaften. In weniger als 30 Minuten ist man nun die 18 km mit 800 m Hºhenunterschied hinuntergerauscht. Solange der Fahrtwind wehte, habe ich nur die warme Luft gespürt, aber als ich unten anhalte, merke ich, dass hier eine drückende Hitze herrscht. Auch die Vegetation ist hier mediteran, verglichen mit den vergangenen Etappen ein totaler Klimawechsel. Mein Ziel ist Sondrio, das sind noch 15 km, die leicht bergab führen und mit Rückenwind gefahren werden kºnnen. Das geht zwar ganz flott, aber ein wieder penetranter Verkehr verleidet einem die Sache, von der Sonne, die einem mitten im Gesicht zu stehen scheint, gar nicht zu reden.

Endlich bin ich gegen 17.30 Uhr in Sondrio, wo ich nur mit Mühe ein Quartier in einer Klitsche, dafür aber billig (25 DM) bekomme. Wenigstens kann ich duschen und meine Sachen neu sortieren. Dann gehe ich nochmal in den Ort, die alten Ortsteile sind fast mittelalterlich. Im Ortszentrum aber spielt sich ein mörderischer Feierabend- und Freizeitverkehr ab, das tut weder der Luft noch den Ohren gut. Die motorisierten Italiener fahren wie die Wilden, immer um den nächsten Block oder um den Marktplatz herum, nur weil's Spass macht. Am Abend sind hier noch 25 Grad, da merkt man erst, dass ja eigentlich Sommer sein sollte.

Dienstag 13.6. Sondrio - Luino (Lago Maggiore) 128 km

Wie zu erwarten, beginnt der Tag mit Schwierigkeiten, weil das "Hotel" bis kurz vor 9 Uhr in tiefem Schlaf liegt. So komme ich nicht weg, kann aber meine Bankgeschäfte auch nicht erledigen, weil der Reisepass noch konfisziert ist. Es bleibt mir nur die Möglichkeit, die letzten hundert DM, die ich in bar dabei habe, in Lire umzutauschen. Um 9 Uhr zeigen sich ein paar verschlafene Gestalten und nach Begleichen der Rechnung fahre ich wieder ohne Frühstück los. Zum Glück gibt es eine sehr ruhige Nebenstrasse links der Adda, wo so gut wie kein Verkehr ist.

Alte Brücke bei Morbegno
Bis kurz vor Morbegno kann man so verkehrsberuhigt fahren, dann geht es wieder ein paar km auf die Hauptstrasse, in Morbegno zweigt nördlich dann wieder eine Nebenstrecke ab. Der Comer See wird an seinem Nordende erreicht, die Landschaft ist sehr reizvoll, hier der See und da die bizarren Bergformationen, die das Talbecken umgeben.

Nun geht es eine schöne Uferstrecke am Westufer des Comer Sees entlang, eine Menge Tunnels sind zu durchfahren. Der typisch oberitalienische Südwind weht einem zwar entgegen, aber stört nicht sonderlich, die Hitze wird so weniger spürbar. Gegen 14.30 Uhr bin ich in Menaggio, wo der Comer See Richtung Lugano verlassen wird.

Ein älteres Ehepaar aus England macht an der Seepromenade grosse Umstände mit dem Fotografieren, da darf ich dann gleich auch noch von mir ein Foto machen lassen.

Am Comer See
Nun geht es, erstmal über einen Sattel und dann hinunter nach Valsolde über die Schweizer Grenze. An diesem Tag bin ich in der Turnhose gefahren, nun habe ich bemerkenswerte Sitzproblem und ziehe mir vor einer Villa am Luganer See wieder meine Fahrradhose an, das ist doch - etwas - besser.

Hier gibt es auch wieder eine Menge Tunnels, den ersten kann ich sogar auf der alten Landstrasse umfahren. Später habe ich einmal Pech mit einer Ortsdurchfahrt, die zwar für Fussgänger und Fahrräder ausgeschildert ist, aber ich lande vor einer Kirche, Auge in Auge vor einem russisch aussehenden Ordensbruder, der Ikonen verkauft. Von dort geht es nur über Treppen weiter und ich bin völlig falsch beraten. Also den Weg wieder zurück und nun hinein nach Lugano.

Luganer See
Die Banken sind auch schon wieder geschlossen und ich kann mir kein Geld besorgen. So muss ich ohne ein Fränkli in der Tasche die 30 km durch die Schweiz bummeln, denn später wird es wieder nach Italien zurückgehen. In Lugano mache ich Rast am See und geniesse die Aussicht. Nun geht es wieder in den dicksten Verkehr, denn es herrscht Feierabendverkehr, der sich aus Lugano rausquält. Richtung Ponte Tresa, wo wieder eine Nebenstrecke rechts abbiegt. Der Verkehr ist inzwischen zum Erliegen gekommen, ich kann hunderte von Autos auf dem Seitenstreifen oder schliesslich auf der linken Fahrspur hinter mir lassen. Die Luft ist natürlich furchtbar.

In Ponte Tresa verlasse ich die Hauptstrasse und mache mich an das letzte Stück der Tagesetappe. Bis zum Grenzübergang nach Italien muss man noch einmal ganz schºn hinauf, dafür kann ich den Rest nach Luino hinunterrauschen. Gegen 18.30 bin ich in Luino, wo viele Baustellen dem Ort die Atmosphäre nehmen. Auch herrscht hier wieder der schon bekannte Feierabend-Kreisverkehr. Ich steige lieber vom Fahrrad und schaue nach einem Hotel aus, dann sehe ich auch durch Zufall schon das "Elvezia", wo es um die 40 DM ein Zimmer gibt. Das ist sogar sehr schºn, mit Dusche usw., auf dem Hof, wo ich das Fahhrad abstelle, steht eine Palme. Erstmal entspannen, duschen, und abends nochmal an den See. Hier ist das Ziel der Tour erreicht, denn nun muss ich mich Richtung Schweiz orientieren, um dann von Basel zurückfahren zu können. Ich betrachte mir den Sonnenuntergang über dem See und fühle mich sehr zufrieden. Dann gehe ich noch essen und lasse dort prompt den Pullover liegen. Am nächsten Morgen finde ich nur mit Mühe das Lokal in dem Getümmel wieder. Dort wird mir der Pullover sofort ausgehändigt.

Mittwoch 14.6. Luino - Simplon 95 km

Erstmal stehe ich nicht so früh auf nach den Erfahrungen des letzten Morgens in Sondrio. Hier werde ich allerdings gleich abgefertigt, aber ein Frühstück gibt es auch nicht. In Luino wird ein riesiger Markt aufgebaut. Ich sehe mich zuerst nach einer Schiffsverbindung zum andere Ufer um, doch da habe ich Pech. Ich bin eine halbe Stunde zu spät, die nächste Partie fährt erst in über zwei Stunden. So ganz werde ich aus dem Fahrplan nicht schlau, da ist mir das zu unsicher, zwei Stunden nur rumzusitzen. Warten kann ich sowieso nicht, es gibt ja auch Schlimmeres, als mit dem Fahrrad um den Lago Maggiore herumzufahren. Es bedeutet zwar 30 km Umweg um das Nordende des Sees nach Locarno, aber natürlich ist die Strecke ein Genuss. Leider ist es sehr dunstig. Als ich die Schweizer Grenze überquere, besorge ich mir gleich die nötigen Franken, die ich wenig später schon gut gebrauchen kann. Kurz nach der Grenze komme ich gleichzeitig in einem Ort mit einem Schiff an, das nach Locarno fährt, da kann ich mir den Rest der Strecke schenken. Hocherfreut nehme ich auf dem Schiff Platz und geniesse nun doch noch meine Seepartie. Nach einer halben Stunde ist man in Ascona, wo ich wieder aussteige.

Lago Maggiore in Ascona
In Ascona ist es angenehm ruhig, hier hat man den Verkehr herausgehalten. Wieder eine schöne Rast mit Abschied vom Lago Maggiore, dann wieder ab in die Berge durch das Centovalli, einem verwegenen Tal. Hier führt auch eine Eisenbahnstrecke hinauf, deren Strecke noch abenteuerlicher ist.

Eisenbahnbrücke im Centovalli
Mitten im schönsten Hinaufkämpfen kommt eine Ampel, die nur halbstündlich grün zeigt. Das liegt daran, dass die Hauptstrecke gesperrt ist, stattdessen geht es einspurig über so ein 200 m höher gelegenes Schwalbennest als Umleitung. Wieder eine Stunde Kampf, glücklicherweise verliert man beim Hinunterfahren nicht allzuviel Höhe. Es geht nun auch ganz romantisch weiter mit schönen Schluchten und kühnen Brückenkonstruktionen. Als die Höhe der Schlucht erreicht ist, mache ich endlich Pause in Erwartung der nun folgenden Abfahrt.

Aber diesmal habe ich mich geschnitten, es geht noch 15 km weiter rauf, zwar nicht so steil aber es macht irgendwie keinen Spass mehr. Erst so ganz langsam kommt der Übergang des einen Tals in das nächste. Eine Abwechslung ergibt sich noch, als eine riesige Kuppelkathedrale auftaucht, die hier völlig deplaziert erscheint. Der Ort heisst Re.

Kirchen in Re
Hinter Malesco folgt noch eine elend lange Geradeausstrecke mit leichter Steigung, die scheint kein Ende zu nehmen. Hier hat man dann an die 800 m Hºhe erreicht, aber nun geht es für die nächsten 20 km doch bergab. Eine Schlucht wird auch bei der Abfahrt durchfahren, aber die fliegt nur so an einem vorbei. Dieses Tal heisst Val Vigezzo.

Felsnase vor Masera
Dann ist man wieder unten auf 300 m Höhe, über Masera finde ich Anschluss an die Simplonstrecke, eine Europastrasse, die entsprechend ausgebaut ist. Der Verkehr ist ganz schwach, da kann ich es mir mal leisten, eine solche Trasse zu benutzen. Plötzlich stehe ich vor einem Tunnel, 2200 m lang, der einen Bergzug unterquert. Mit etwas mulmigem Gefühl fahre ich da rein. Ich habe etwas Bedenken wegen der Luft, denn es sieht ziemlich dunstig aus. An der Tunneldecke hängen aber grosse Gebläse, ausserdem fahren die Motorradfahrer ja auch in der freien Luft, bloss die sind schneller durch. Als ich wieder die Sonne erblicke mache ich erstmal wieder Pause gegenüber von einem Steinbruch.

Varzo
Nun liegen noch 1100 m Aufstieg nach Simplon, meinem Tagesziel, vor mir. Noch ein Abstecher nach Varzo hinauf, dann wird es ernst. Der Eingang des Simplon - Eisenbahntunnels nach Brig wird passiert, und nun folgt die grossartige Strecke durch die Gondo Schlucht. Da gibt es soviel zu schauen, dass das Bergauffahren so nebenbei erledigt wird. Natürlich kostet das so seine Zeit, dann erreicht man die italienische Grenzabfertigung. Dann dauert es noch eine Weile, bis man mitten in der Schlucht den finsteren Ort Gondo mit der Schweizer Grenzstation erreicht.

Gonso Schlucht
In der Schlucht sieht man zuweilen Reste der alten Strasse, das waren noch Kunstwerke mit handgeschichteten Stützmauern, die sich jeder Geländegegebenheit anpassen. Einmal kann ich auf so einem alten Strassenstück wieder einen Tunnel umgehen. Heute ist der Simplon Pass von Baustellen übersäht, überall wird mit viel Beton die Strasse Steinschlag- und Lawinensicher gemacht, dafür fährt man die meiste Zeit unter irgendeiner Überdachung, das aber auch mit 100 Sachen, sofern man motorisiert ist. Das landschaftliche Erlebnis bleibt dabei wohl gründlich auf der Strecke. Als Radfahrer kann ich jedoch noch überall anhalten, hinauf- oder hinunterschauen, sicher bleibt von dieser schönen Strecke bei mir einiges mehr haften, als bei so einem Kawasaki-Lederhirsch.

Vom Grenzübergang in Gondo sind immer noch 500 Höhenmeter bis Simplon - Dorf zu überwinden. Solange es durch die Schlucht geht verkürzen einem immer wieder neue Aussichten die Zeit. Nach der Schlucht ist es dann nicht mehr weit, von dem Ort Gabi führen wenige Kehren hinauf und über eine Rampe erreicht man die Abzweigung nach Simplon. Gegen 19.30 Uhr, also nach 4 Stunden Aufstieg komme ich endlich an. Das erste Haus des Dorfes heisst Hotel Fletschhorn, macht aber nicht so einen teuren Eindruck. Über den Gartenzaun, noch auf dem Fahrrad, sichere ich mir meine Unterkunft. Hier kann ich sogar telefonieren, nachher auch gut essen. Das Zimmer mit Frühstück kostet Sfr 25.

Donnerstag 15.6. Simplon - Brienz 120 km

Nach wieder einem ordentlichen Frühstück fahre ich gegen 8.30 Uhr los. Nun sind die restlichen 500 m Aufstieg zum Simplonpass zu bewältigen. Nach einiger Zeit bekomme ich die beiden talbeherrschenden Gipfel zu Gesicht, das Fletschhorn und das Lagginhorn, 4010 m hoch. Bei diesen Ausblicken werden einem die 1 1/2 Stunden bis zur Passüberschreitung nicht langweilig.

Simplon Paßhöhe
Der Simplon hat wieder eine lohnende Aussicht zu bieten, beeindruckend ist die Sicht auf die Aletschgruppe und das Berner Oberland, aber ganz ohne Wolken bekommt man die Berge einfach nicht zu Gesicht. Bei herrlichem Sonnenschein lege ich mich zufrieden zwischen die Alpenblumen und schaue mir wechselweise die Berge ringsumher an. Die lange Abfahrt führt von 2000 m Höhe hinunter nach Brig auf 678 m. Bei der breit angelegten Strassentrasse kann man es ordentlich laufen lassen, einmal wird eine 140 m hohe Talbrücke überquert, die das Umfahren eines Tals erspart.

Talbrücke auf der Abfahrt
Ruck zuck ist man wieder unten in Brig. Das liegt nun im Wallis im Tal der jungen Rhone. Wieder viel Industrie und viel Verkehr. Ich muss nun weiter bis Gampel, von wo aus es hinauf nach Goppenstein und Eisenbahnverladung nach Kandersteg geht, da bin ich ja schon Spezialist. Die Hauptstrasse von Brig versuche ich gelegentlich zu vermeiden, aber dann fährt man im Zickzack durch die Gegend und weiss nie, wann man sich verfährt. Es ist nicht weit bis Gampel, über Mittag lässt der Verkehr auch etwas nach. In Gampel frage ich in zwei Restaurants nach dem Weg, laut Karte müsste eine alte Strasse in der Schlucht nach Goppenstein hinaufführen. Mir wird gesagt, dass man da schon hinaufkäme, die Strasse aber gesperrt sei und die Benutzung auf eigene Gefahr erfolge. Als ich die Abzweigung der alte Strasse erreiche, biege ich trotzdem erstmal ab, um mein Glück zu versuchen. Auf der allgegenwärtigen Baustelle ist gerade Mittagspause, sodass einen keiner anmacht. Ich muss unter einem Schlagbaum durch, wo ein Schild bedeutet, dass ab dort für alles gesperrt ist, auch für Fussgänger. Ich fahre erstmal ordentlich drauf los, bis ich ausser Sichtweite bin. Dann mache ich Rast, jetzt habe ich eine ganze Strasse für mich alleine. Was da noch kommen kann, weiss ich zwar nicht, aber unten ist man ja schnell wieder, nur der Aufstieg war dann vergeblich. Die Strasse ist aber in einwandfreiem Zustand, es liegt nur ein bisschen Steinschlag herum. Der Weg windet sich auf angenehme Weise durch das schluchtartig eingeschnittene Tal hinauf, schon sieht man die Galerien der Eisenbahn und der neuen Strasse. Da liegen vor mir an der Strasse grosse Steinhalden und daneben ist ein Schild: Sprenggebiet, Aufenthalt verboten. Ich weiss nicht, woran es liegt, dass ich die nächsten Kurven sehr sportlich flott bewältige, doch dann biege ich aufatmend in die reguläre Strasse ein, so schlimm ist es also nicht geworden.

Nun noch das letzte Stück nach Goppenstein hoch, das waren dann auch schon wieder 400 m Höhenunterschied. Der nächste Zug soll auch bald fahren, wo ich am Ende des Zuges ohne weitere Gesellschaft den Motorradwaggon bevölkere.

Bahnverladung in Goppenstein
Dann geht es in sausender Fahrt durch den Tunnel, der ist 17 km lang, das ganze kostet 4 Franken. In Kandersteg angekommen, muss ich den ganzen Zug von hinten abfahren und verlasse hinter der Autokarawane als letzter den Zug. Nun bin ich praktisch an der Ausfahrt aus den Alpen, es geht hinunter zum Thuner See. Noch ein Blick zurück auf die schneebedeckten Dreitausender, Richtung Norden breitet sich schon eine Landschaft ohne hohe Berge am Horizont aus. Die Abfahrt führt durch eine Gegend, wie man sie von der Schokoladenreklame her kennt. Bemerkenswert sind die mit Schnitzereien reichverzierten Häuser.

Gepflegte Holzhäuser
Eine Reihe von Schnauferlautos kommt mir entgegen, die an einer Oldtimerralley teilnehmen. In Frutigen erstehe ich in einem netten Geschäft zwei Würste und einen Käse auf die Faust, ich werde sogar nach Woher und Wohin gefragt. Dann setze ich mich auf eine Bank und mache mich über die Wurst her. Erst als ich merke, dass einige Leute im Vorübergehen das Lachen nicht verkneifen können, wird mir der Anblick bewusst, den ich da mit der Riesenwurst in der Hand biete, und ich benehme mich etwas unauffälliger.

Kurz vor dem Thuner See genehmige ich mir noch eine kleinere Bergüberquerung über Aeschi auf einer Nebenstrecke, und erst dann geht es hinunter zum See. Dann passiert man Interlaken, wo sich wieder ein Teil der Welt zu treffen scheint, und gelangt an den Brieenzer See. An dessen Ufer führt eine schön zu fahrende Strasse nach Brienz, wo das letzte Quartier genommen wird. Prompt finde ich dort auch kein Privatzimmer, obwohl ich den ganzen Ort hin und zurück durchfahre. So spendiere ich mir ein anständiges Gasthaus, wo das Zimmer 70 Franken kostet. Dafür ist es die letzte Übernachtung und man hat einen Balkon mit Aussicht auf den Brienzer See verdient. Abends esse ich dann noch eine Pizza.

Freitag, 16.6. Brienz - Luzern 60 km

Um 7 Uhr stehe ich auf, womöglich gibt es einen langen Tag. Das Frühstück funktioniert im Selbstbedienungsverfahren, da ich der erste bin und niemand zuguckt, komme ich richtig in Fahrt. Nachdem 4 Glas Orangensaft, der halbe Käse- und Wurstteller abgeräumt und 4 Marmeladenportionen verzehrt sind, ist der Abfallbehälter auf dem Tisch fast voll, ich auch, und ich mache mich aus dem Staube. Nun kommt doch noch ein Pass, der Brüningpass 1000 m. Das ist für die letzte Etappe gerade das richtige. So kann ich dann wieder aus der Höhe die letzten Kilometer Richtung Luzern in Angriff nehmen. Das letzte Stück nach Erreichen des Vierwaldstätter Sees würde ich gern mit einem Schiff fahren. Kurz vorher zeigt der Kilometerzähler auch die vollen 1400 km an, da könnte man ja gleich absteigen. Schon zeigt sich auch, als ich in Seenähe komme, ein Schiff, doch es legt gerade ab, bevor ich in die Nähe des Anlegers komme. In der Hoffnung, in der nächsten Ortschaft schneller da zu sein, drücke ich nochmal auf die Tube. Aber das Schiff ist schneller und verschwindet um die nächste Uferbiegung. Als ich diese erreiche, sehe ich das Schiff und den Anleger in 2 km Entfernung, sehe, wie es anlegt, und als ich den Anleger erreiche, sehe ich, wie es ablegt. Was man alles so zu sehen bekommt ! Jedenfalls fehlen mir nach 1400 Kilometern zwei Minuten zu dem krönenden Abschluss der Tour mit einer Bootsfahrt auf dem Vierwaldstätter See. Das nächste Schiff nach Luzern, Bahnhofskai geht erst in 2 Stunden.


Fix und fertig
Jetzt sind es noch 8 km , die nun wohl oder übel zurückgelegt werden müssen. Man fährt zwar zu Füssen des Pilatus, von dem ist bei dem Dunst aber nicht viel zu sehen. Der Verkehr ist hier natürlich auch knüppeldick und vor lauter Baustellen kann man kaum den Bahnhof finden. Spätestens hier hat einen die Hektik und Geschäftigkeit wieder. Es gilt, den Fahrplan zu studieren, die Fahrkarte zu kaufen, das Fahrrad aufzugeben, Geld zu tauschen, das Gepäck zu bündeln usw. Als ich dann im Zug sitze, um noch am gleichen Tag gegen 23 Uhr zu Hause zu sein, ist alles vorbei, ich kann es noch gar nicht glauben. Die monatelang geplante Tour ist nun Vergangenheit. Doch die Erlebnisse und Bilder der vergangenen zwei Wochen kann ich wie einen Film vor meinem inneren Auge vorüberziehen lassen, und davon wird man lange zehren.


Zurück zum KapitelIndex
Zurück zurHomePage