Radtour auf dem Aller-Radweg von Bremen nach Magdeburg
1.-8.8. 2009  357 km

Planung

"Der Sommer zu Hause ist zu lang" - sagt Heidi. Unser Freund Terje aus Norwegen schickt eine Email mit dem Betreff "Fehlende Radtour". Da muss man sich wohl was einfallen lassen. Und das ist gar nicht so einfach, denn bei uns muss eine Radtour mittlerweile ohne Berge, möglichst mit Rückenwind, bei gutem Wetter und nicht so weit von zu Hause stattfinden. Aber wir wohnen am Rand der Norddeutschen Tiefebene, die ja bekanntlich flach genug ist, sollte man meinen. Die Fahrtrichtung müsste bei vorherrschenden Windrichtungen von Westen nach Osten verlaufen. Und für die erste Augustwoche ist gutes Wetter angesagt.

Also werden wir an der Aller entlang fahren, wo man seit einigen Jahren einen Radweg eingerichtet hat. Zudem gibt es in der bewährten bikeline Reihe das Büchlein: "Aller-Radweg, von Bremen nach Magdeburg". Also dann machen wir das mal so!

Nach Bremen gelangt man leicht mit der Bahn und dem Niedersachsen Ticket. Das kann man per Internet bestellen und es wird in zwei Tagen per Post zugesandt. Ebenso bucht man für alle Fälle die erste Übernachtung in Verden an der Aller, und zwar im "Verdener Hof".

Samstag, 1.8., Bremen - Verden 48 km

Unser Zug nach Bremen, umsteigen in Hannover, fährt 8.20 Uhr. Damit wir uns noch die nötigen Fahrradfahrkarten besorgen können, fahren wir rechtzeitig in Richtung Hauptbahnhof los. Als wir dort ankommen, wird der Fahrkartenschalter gerade erst geöffnet und es hat sich eine lange Warteschlange aufgebaut. Da wird das nichts mit den Fahrradkarten, die kann man vielleicht dann auch im Zug nachlösen. Bis Hannover, wo wir auf dem gleichen Bahnsteig umsteigen können, ist aber noch keine Schaffnerkontrolle erfolgt. So ist es auch im Zug nach Bremen, wo wir immer unruhiger werden, denn so gegen Schluss der Fahrt hat man keine Lust mehr, die Karten nachzulösen. Der Zug hält auch in Verden, hier aussteigen, und den ersten Fahrradtag hätte man schon geschafft? Lassen wir lieber! Der Schaffner zeigt sich dann auch bis Bremen nicht, und so können wir uns dort schon mal die Hände reiben: 9 Euro gespart.

Nun schaut man auf dem Bahnhofsvorplatz erst mal ins Getümmel, bis man sich auf den Weg in die Innenstadt macht, wo man - wie es sich gehört - zu Füßen des Rolands landet. Der ist umlagert von fotografierenden Touristen aus Fernost und anderswo. Schließlich kann man auch selber ein Foto machen, damit man sich besser erinnert, wo man gestartet ist. Den übrigen Reizen der Stadt Bremen erliegen wir nicht, es zieht einen in die ruhigeren Gefilde, die wir nach Überqueren der Weser auf der  Wilhelm Kaisen Brücke dann auch an den Ufern des Werdersees erreichen. Haubentaucherfamilien weisen uns den Weg: immer am Wasser lang. Und man glaubt gar nicht, wie viele Leute hier auf dem Rad unterwegs sind, da muss man richtig aufpassen, dass man nicht abgehängt wird, gelingt aber meistens nicht.

So hat man die Stadt Bremen schnell auf angenehmen Wegen hinter sich gebracht. Links zeigt sich noch das Weser-Stadion mit Tribünen und Flutlichtmasten, wo wir per Fernsehen wohl schon so manches mal zu Gast waren, wenn Werder Bremen sich da abmühte. Deutscher Meister im Fußball ist aber in diesem Jahr der VFL Wolfsburg, mal sehen, ob wir da auch noch in die Gegend kommen.

Wie man sich denken kann, befinden wir uns zunächst auf dem Weser-Radweg. Nachdem die Außenbezirke von Bremen hinter uns liegen, erreicht man den größeren Ort Thedinghausen. Hier gibt es sogar einen Penny-Supermarkt. So kann man sich mit den Getränken versorgen. Die Fahrt verläuft noch nicht ganz wunschgemäß, was die Windrichtung betrifft. Der Wind kommt genau von vorn!

Es soll nun in Richtung des Ortes Achim gehen, wo auch die Weser per Brücke wieder überquert werden wird. Doch für uns kommt es anders. Irgendwie sind wir auf einen Feldweg geraten, wo uns ein wunderschöner Wegweiser die weitere Richtung anzeigt, nur leider liegt der in der Horizontalen auf der Erde. Hätte man fotografieren müssen. Mit schiefem Kopf kann man nun versuchen, welche Richtungen gemeint sein könnten. Das Symbol einer Fähre ist auch zu erkennen, so entscheiden wir uns, in den Genuss einer Fährüberquerung zu kommen, und fahren in die Richtung, die am weitesten geradeaus führt. Und die ist sogar genau die richtige. An der nächsten Anzeigetafel ist zu lesen, dass die vermeintliche Fähre nur am Wochenende in Betrieb sei. Heute ist Samstag, also gilt das doch wohl als Wochenende?

Und dann endlich erreichen wir den Weserdeich, ein Blick auf den Fluss, und da fährt sie ja, die Fähre. Sogar vollbesetzt, weil von der gegenüberliegenden Seite Unmengen von Radlern an Bord sind, und andere warten noch. Gentsiet - nennt sich die Fähre, und wir genießen die Überfahrt und die unverhoffte Überraschung. Nur wissen wir inzwischen überhaupt nicht mehr, wo wir uns befinden. Da gibt es eine Ansiedlung die nennt sich Grinden. Einer Dame werden wir ansichtig, die sammelt gerade mit einer Schaufel Kuhfladen auf der Wiese auf, was immer sie damit vorhaben mag. Sollten wir nun hinüberrufen: Sind wir hier in Grinden? Nein wir lassen sie lieber ungestört bei ihren Kuhfladen und finden uns nahe einem Ort namens Hagen wieder, um dann bald an der Schleuse Langwedel Rast zu machen. Hier werden 5m Höhenunterschied geschleust, und dafür hat man extra einen 8 km langen sog. Schleusenkanal gebaut. Damit sind wir wieder auf dem offiziellen Weserradweg angelangt.

Weiter geht es gegen den Wind und so erreicht man bald die Außenbezirke der Stadt Verden. Dort befinden sich der Sachsenhain und eine Storchenstation zur Pflege kranker oder verletzter Störche. Im Sachsenhain hat man 4500 Findlinge aufgestellt zur Erinnerung an die angebliche Enthauptung von 4500 heidnischen Sachsen unter Karl dem Großen. Diese "völkische" Idee mit den Findlingen hatten allerdings die Nationalsozialisten im Jahre 1935.

Unser Hotel Verdener Hof liegt nun vielversprechend in der "Nassen Straße". Wenn man Passanten nach dieser Straße befragt, herrscht nur Ratlosigkeit. Ein kleiner Junge verrät uns "Wir gehen jetzt nach Helga". Das hilft uns nicht unbedingt weiter. Um die nächste Ecke, und dann stehen wir doch unversehens vor dem Hotel. Große Erleichterung, denn die Fahrt gleich zu Anfang und mit dem Gegenwind war doch anstrengend.

Nach einem erfrischenden Weizenbier begeben wir uns zum Stadtzentrum, Rathaus, Dom und so. Dort tummeln sich die Dohlen. Auffallend viele italienische Restaurants und Eiscafes gibt es hier, die nennen sich meistens Bistro. Wir speisen aber in unserem Hotel, wo man draußen sitzen kann. Es gibt Schweinerückensteak und Medallions, und das schmeckt zusammen mit ein paar weiteren Bierchen. Gegenüber befindet sich ein Schlafbaum für Krähen, die sich nach und nach einfinden, bis auch wir uns zurückziehen.

Sonntag, 2.8., Verden - Schwarmstedt 55 km

Heute morgen müssen wir zunächst die Aller überqueren, wo die Brücke gerade erneuert wird. Zum Glück gibt es eine Behelfsbrücke. Hier hat man einen schönen Blick auf die Kulisse der Stadt, die von dem klotzigen Dom beherrscht wird. Dann fangen wir an zu mogeln, indem wir nicht dem offiziellen Radweg durch die Felder folgen, sondern auf der Landstraße bis zu dem Ort Barnstedt abkürzen. Nun geht es wirklich malerisch an der Aller entlang bis zu den Orten Westen und Hülsen. Ab hier fährt man eine ganze Weile angenehm und windgeschützt auf einer ehemaligen Bahntrasse. Ein größerer Ort ist dann Rethem. Dort stehen die Reste einer Bockwindmühle von 1594. Noch ist die Mühle ohne Flügel, bis man mit den Restaurierungsarbeiten so weit ist.

Immer schön an der Aller entlang - inzwischen bei schwächerem Wind - gelangen wir schließlich nach Ahlden, wo man sich eine Rast verdient hat. Zu Füßen des alten Spritzenhauses lassen wir uns nieder. Man wird sogar mit Musik aus einer nahen Garage oder Scheune berieselt: "Deine Spuren im Sand..." oder "Ein Schiff wird kommen..." (in Ahlden an der Aller). Unsere Trinkvorräte gehen zur Neige und nebenan ist ein Laden. Aber der hat zu und es gibt dort auch nur Tischlereierzeugnisse, oder eine Beerdigung könnte man buchen. Am Haus befindet sich ein Bildschirm, auf dem man life das Leben in einem Storchennest verfolgen kann. Die Kamera ist oben am Spritzenhaus angebracht, das Nest thront auf einem nahen Schornstein. Auch die Geschichte dieses Nestes ist dokumentiert, wie viele Jungstörche es in welchem Jahr gab, oder wann ein Sturm das Nest heruntergefegt und damit die Brut zerstört hat. Ein Dorfbewohner macht uns wenig Hoffnung, dass man hier - zumal am Sonntag - irgendwo etwas trinkbares einkaufen könnte.

Da hat der sich geirrt. Kurz hinter Ahlden geraten wir an eine Art Gartenwirtschaft, die nennt sich Blaubeerland. Dort kann man Blaubeeren und alle möglichen daraus hergestellten Erzeugnisse erwerben. Natürlich setzt man sich mit einem Schälchen Blaubeeren gleich an den nächsten Tisch. Uns wird erzählt, dass 80% der weltweit produzierten Blaubeeren aus dieser Region stammen. Schmecken tun sie natürlich toll. Auch zwei Fläschchen Mineralwasser sind im Angebot. Natürlich erkundigen wir uns auch nach einer Übernachtungsmöglichkeit auf dem weiteren Weg. Da gebe es das Leine-Hotel in Schwarmstedt, wo man gut übernachten und noch besser speisen könne. Na dann mal los!

Nun schon an dem Fluss Leine entlang, die wir aus Göttingen, Alfeld oder Hannover kennen, kommen wir an die Bothmer Mühle von 1832, die man wieder funktionstüchtig restauriert hat. Gegenüber liegt das Hotel Schloss Bothmer, wo der Preis für eine Übernachtung eine Kategorie höher liegen mag. Durch den Ort Bothmer hindurch sind wir dann auch schon in Schwarmstedt, wo "hinter dem Friedhof rechts" das Hotel liegt. Heidi macht mich darauf aufmerksam, dass wir gerade an besagtem Friedhof entlang fahren. "Danke" sage ich.

An dem Hotel fahren wir zunächst vorbei, weil das seinen Namen geändert hat und nun "Tepe's Gasthof" heißt. Es ist gerade kurz nach 15 Uhr und das Hotel öffnet erst um 17 Uhr. Es gibt aber eine Telefonnummer, und es stellt sich heraus, dass der Chef sich gerade hinter dem Haus befindet und uns sogleich ein Zimmer zuweisen kann. Da sind wir wieder froh. Nach der erfrischenden Dusche wandeln wir ein wenig in der Gegend herum, kommen aber nur bis zu einer Bank in den Feuchtwiesen. Eine schöne Teichrose und die Blüte einer Seerose lassen sich bereitwillig fotografieren.

Nach 17 Uhr finden wir uns pünktlich im Biergarten ein, der sich dann auch schnell füllt. Zum Essen gibt es Holsteiner Schnitzel und Geschnetzeltes und wir genießen den ausklingenden Tag.

Montag, 3.8. Schwarmstedt - Wienhausen/Oppershausen 55 km

Nun hat sich der Wind in die gewünschte Richtung gedreht und wir werden mit seiner Unterstützung fahren. Ein Ehepaar ist auf dem Leine-Radweg angereist, die hatten die ganze Zeit Rückenwind. Für sie geht es weiter nach Norden und da sieht es nun nicht mehr so gut aus.

Wir fahren erst einmal eine lange Geradeausstrecke entlang, am Rande der Fahrbahn liegt ein großer Koffer, aus dem alte Klamotten herausquellen. Wenig später kommt ein Auto von hinten (Partydienst) und hält an. Ob wir den Koffer verloren hätten? Ist ja nett gemeint, aber wir haben da keinen Verlust und keinen Bedarf. Bis Winsen ist die Strecke nun wunderschön, Waldpassagen wechseln sich mit Strecken durch die Allerauen ab.

In Winsen erwarten wir ein malerisches Ortsbild und fahren in Richtung Ortszentrum. Der dichte und hektische Verkehr lässt uns aber bald wieder umdrehen. Damit tun wir dem Ort natürlich Unrecht, denn laut Tourenführer gibt es dort zu sehen: Museumshof, gotische Kirche, "Dat groode hus", Bockwindmühle, Stechinelli Tor, Prinzensteine, Gut Sunder und Meißendorfer Teiche. Bis man das alles gesucht, gefunden und besichtigt hätte, wäre der Tag schnell vergangen.

Zumindest können wir Getränke einkaufen und spendieren uns noch einmal ein Schälchen Blaubeeren aus dem Supermarkt. Über zuweilen langgestreckte Feld- und Waldstrecken geht es nach Celle. Leider hat man hier nur die Bundesstraße 214 für die Durchfahrt ausersehen. So landet man automatisch am Knast oder vornehmer Justizvollzugsanstalt. Da ist alles mit Stacheldraht umwickelt, kein schöner Anblick, besonders wohl von innen! Einen Besuch der unbedingt sehenswerten Altstadt mit Schloss und viel Fachwerk schenken wir uns, da waren wir schon öfter, mit und ohne Hund.

Nun geht es neben der Eisenbahnbrücke wieder über die Aller. Dann noch zwei Straßen parallel zur Aller und schließlich erreicht man nach einer Baustelle wieder Parkgelände, wo man aufatmen und eine Rast einlegen kann. An einer Bank in der Nähe lassen es sich ein paar Individuen feuchtfröhlich wohl sein.

Es folgt nun das landschaftlich schönste Stück des Aller-Radweges, so wie man es sich vorstellt: im Zickzack durch die Wiesen. Nun erreichen wir Wienhausen mit dem bekannten Zisterzienserkloster. Am kommenden Wochenende soll hier die Veranstaltung "Wienhausen - Gourmet & Garden - eine idyllische Landpartie", mit 150 Ausstellern aus ganz Europa, stattfinden. Wir lassen uns auf einen Imbiss in einem Gartenlokal nieder und erfahren, dass die Veranstalter und Schausteller bereits die Quartiere belegt haben sollen. Per Telefon können wir aber im nächsten Ort Oppershausen im Landhotel Klostergarten ein Zimmer bekommen. Man wird uns dort sogar ausnahmsweise ein Abendessen zubereiten, weil am Montag Ruhetag ist und die Restaurants alle geschlossen sind. Im Dorf befindet sich zwar das Restaurant "Erlebnisgastronomie - Paulaner in Flotwedel" aber auch das hat geschlossen. Flotwedel ist übrigens die Samtgemeinde aus Wienhausen, Bröckel, Eicklingen und Langlingen.

Wir kaufen noch mal ein, ein paar Ansichtskarten, hat man auch Briefmarken? "Ja, die Poststelle ist da gleich hinter dem Fleischstand". In Ruhe bummeln wir noch ein wenig um das Kloster herum, das man heute auch nicht besichtigen kann. Es gibt dort eine bekannte Ausstellung von Gobelins und anderen Teppichen. Schließlich zockeln wir noch die zwei Kilometer bis zum Hotel ab und werden dort sehr gastfreundlich aufgenommen. Das Gebäude ist 1994 nach historischen Vorlagen als Fachwerkbau errichtet worden, ein mächtiger Giebel bildet die Frontseite.

Nach einem Bummel durch das Dorf - Straße rauf und runter - bekommen wir unser Spiegelei und Bratkartoffeln zum Abendessen und sitzen bei ein paar Bierchen noch angenehm draußen im Hof.

Dienstag 4.8. Oppershausen - Wolfsburg/Vorsfelde 65 km

Auf dem Parkplatz vor dem Haus rüsten sich zwei Damen zur Abfahrt mit dem Auto. An die Ostsee soll es gehen, am besten nach Usedom. Da haben wir aber unsere Adressliste schnell zur Hand und mit den wärmsten Empfehlungen schwärmen wir von Anke und Achims Anwesen in Kölpinsee. Vielleicht haben die Damen ja dorthin gefunden und einen freien Platz ergattert.

Wir machen uns auch auf den Weg Richtung Offensen und Schwachhausen. Dort steht an der Allerbrücke ein Kutschwagen mit zwei angespannten Pferden. Der Kutscher liest Zeitung. Ob man ein Foto machen dürfe, frage ich lieber. "Na klar". Er warte auf eine Gästegruppe, aber die seien schon eine Viertelstunde überfällig. Na ja, wir brauchen heute keine Kutsche. Wenig später passieren wir eine Siloanlage mit prall gespannten Abdeckhauben. Da handelt es sich um eine Anlage zur Herstellung von Biogas. Vielleicht wird dort der ganze Mais von den endlosen Feldern verarbeitet?

In Langlingen läd eine Bank zur Rast ein: "Sett di hän" steht da drauf. Ein Knabe kutschiert mit einem vierrädrigen Gefährt umher. "Die Bank hat mein Opa gebaut" erfahren wir sogleich. Der Knabe heißt Benjamin und kommt nun nach Ende der Ferien in die zweite Klasse. "Und wo gehst du zur Schule?" "Ehem, weiß nich so richtig". Naja, das wird in Müden, dem nächsten größeren Ort, sein. Benjamins Vater sei Landmaschinenmechaniker und für sein Gefährt gebe es auch einen Motor. "Was habt ihr denn in den Taschen, wollt ihr verreisen?" "Wir sind auf Reise, da braucht man die Sachen zum übernachten oder wenn es regnet". Damit verabschieden wir uns von Benjamin, der nach den Fotos mindestens einmal wie David Beckham aussehen könnte.

Auf der Landstraße fahren wir über Nienhof direkt (also gemogelt) nach Müden. Hier mündet die Oker als stärkster Nebenfluss in die Aller. Dieses Ereignis muss natürlich fotografiert werden. Es folgt nun eine lange gut befahrbare Schotterstrecke. Erst durch einen sog. Nurda Wohnpark. Da gibt es Ferienhäuser im dunklen Wald, die haben sogar Sonnenkollektoren auf dem Dach. Wer weiß, wann da mal die Sonne hin scheint. Andere Grundstücke und Gärten sind aufwändig gestaltet mit Teichen, Wintergärten u. dgl.

Bei dem Anwesen mit dem Namen Bokelberge machen wir in einem Bushäuschen eine Rast. Um uns herum ist reine Idylle, die Hühner und Enten mit Küken laufen frei herum und der Blick schweift über Felder und Wiesen. "Hier ist der Hund verfroren" sagt man von solchen Orten und kann doch froh sein, dass es so was noch gibt. Und wenn man genauer hinsieht, gibt es hier sogar eine Tiertherapiestation, wo sich vor allem Kinder durch die Begegnung mit Tieren von Stress oder Krankheit erholen können. Die Umwelt, die daran schuld sein mag, werden wir heute noch kennen lernen (WOB).

Nun geht es lange durch den Wald, an dem unbefestigten und sandigen Weg hat man für die Radfahrer einen geschotterten Saumpfad vorgesehen, da geht es gut voran. In dieser Gegend möchte man keinen Waldbrand erleben. An einer Lichtung ist auch deutlich zu sehen, dass man die Monokultur der Kiefern durch Mischwald ablösen will. In diesem Fall ist es eine Ahornanpflanzung.

Wir nähern uns nun der Stadt Gifhorn, passieren ein Golfgelände (hallo Birgit und Wolfgang), wo der Parkplatz gut belegt ist. Also wird da eifrig eingelocht und das Handicap gesenkt. In Gifhorn sind wir nur eine Autostunde von zu Hause entfernt. Unser anfangs erwähnter Freund Terje hatte uns vorgeschlagen, doch zu Hause zu übernachten und sich wie ein Gast zu fühlen. Sicher etwas ungewohnt, und ohne unseren Hund Otto, der z.Zt. in seiner bewährten Pension zu weilen geruht, würden wir uns zu Hause gar nicht wohlfühlen.

Wir durchqueren stattdessen Gifhorn zügig, ertragen den Verkehr und machen dann Rast am Schloss-See mit Blick auf das Mühlenmuseum. Heidi sammelt ein paar Augustäpfel unter einem nahegelegenen Baum auf, leider sind die noch etwas sauer. Den Hauptteil der Durchfahrt durch Gifhorn bildet die Konrad Adenauer Straße, wobei jener erste Kanzler der Bundesrepublik mit Gifhorn wohl herzlich wenig zu tun gehabt haben mag.

Bald schon befindet man sich aber wieder in der Botanik, wo die Rohrkolben, das Pfeilkraut, Blutweiderich oder die Schwanenblumen gedeihen. Die Gegend nennt sich Clausmoor, und dann erreicht man den Allerkanal, der so etwas wie eine grüne Hölle namens Barnbruch um sich hat. Auch die Brennnesseln gehören dazu, die hin und wieder in den Weg ragen. Mit der grünen Hölle ist es aus, als man den Elbe-Seitenkanal erreicht. An der betonierten Unterführung machen wir eine Rast. Ich erlaube mir, die Böschung hinaufzuklettern, um einen Blick auf den Kanal zu werfen. Das hätte man sich schenken können, eine öde Wasserstraße ohne jede Natur. (Vor Jahren sind wir hier mal bei Gegenwind Richtung Danzig (!) entlang gebrettert). Eine kleine Heidenelke zeigt sich zumindest auf dem vielleicht sich bildenden Trockenrasen der Böschung.

Kurioserweise schließt sich hier ein weiteres Naturschutzgebiet an, das sind die Ilkerbruchwiesen. Einer Schautafel kann man entnehmen, dass hier Eisvogel und Seeadler vorkommen. Die kriegen wir natürlich nicht zu Gesicht. Es gibt auch einen See, wo man von einer Beobachtungsstation die Tier- und Pflanzenwelt unauffällig beobachten kann. Heute ist leider nicht viel zu beobachten, außer Enten oder Blesshühnern, und die kennt man schon.

Die Stadt Wolfsburg bzw. vorgelagert Fallersleben begrüßen uns mit einem grob geschotterten öden Feldweg, bis man die Brücke über den Mittellandkanal erreicht. In der Ferne sind schon die Schornsteine der VW-Werke zu erkennen. Unter der Brücke schlängelt sich was in der Größe einer Blindschleiche. Aber die sind durchweg grau, während dieses Tier gelbe Flecken am Kopf hat. Es gelingt sogar ein Foto, und demnach müsste es sich um eine junge Ringelnatter handeln. Wer hätte das gedacht.

Wenn man nun gleich am Mittellandkanal weiter fährt, erspart man sich die sicher verkehrsreiche Route durch Fallersleben und Wolfsburg weitgehend. Ein netter Herr - seine Frühschicht ist gerade überstanden - gibt uns bereitwillig Auskunft über die Strecke am Kanal. Bis Sandkamp könnte man fahren, dann käme eine Baustelle. Damit bleibt Fallersleben außen vor, und am Sandkamp machen wir eine Rast im "Alten Dorfkrug am Kanal". Hier könnte man auch übernachten, aber für heute ist es noch zu früh. Wir kommen mit einem älteren Radlerehepaar aus Wolfenbüttel ins Gespräch. Die sind völlig von der Rolle. Sie wollten zum Tankumsee und haben den nicht gefunden. Eine Landkarte haben sie nicht dabei. Ob dies der Elbe-Seitenkanal sei? "Nein, das ist doch der Mittellankanal". Und wo sie ihr Auto abgestellt haben, wissen sie auch nicht mehr so genau. Nach einer Weile ziehen sie weiter, ungewissen Zielen entgegen.

Wir telefonieren wegen einer Unterkunft. In Alt Wolfsburg nahe dem Wolfsburger Schloss ist angeblich besetzt. Bei einem anderen Hotel meldet sich einer, der lallt schon. Mit dem Hotel Conni in Vorsfelde haben wir dann Glück, nur müssen wir da noch hinkommen. Am Kanal kann man wegen einer Baustelle hier nicht weiter fahren. Man muss nun parallel zum Kanal auf der Heinrich Nordhoff Straße fahren. Dort herrscht dichtester Feierabendverkehr, zum Glück gibt es Radwege. Da stehen Hinweisschilder auf eine Ausstellung: "Als Wolfsburg auf zwei Rädern fuhr". Heute hat man hier die "Autostadt" - welch ein Fortschritt! Schließlich geht es am Wolfsburger Stadion vorbei, das sich konsequenter Weise VW-Arena nennt. Hier ist nun der derzeitige Deutsche Fußballmeister zu Hause.

Am Schloss vorbei und dann hat man den schlimmsten Verkehr überstanden. In Vorsfelde müssen wir noch einmal nach dem Hotel fragen, das liegt komischerweise wieder auf der anderen Seite des Kanals, wo eigentlich der Ortsteil Reislingen liegt. Schließlich sind wir angekommen und froh, weil es sehr heiß geworden ist. Unser Zimmer liegt allerdings direkt raus zur Bahnstrecke Hannover - Wolfsburg - Berlin und die ICEs donnern vorbei wie die Düsenjäger. Im Hof des Hotelrestaurants hat man mit Stellwänden, Blumenkübeln und Sonnenschirmen einen Biergarten improvisiert, wo wir auch den Abend angenehm verleben. Heidi versucht sich an Sauerfleisch und bekommt ganze 6 Scheiben serviert. Drei davon schafft sie nur. "Es gibt welche, die schaffen das" meint die Bedienung.

Zurück auf dem Zimmer sagt Heidi plötzlich: "Guck mal, wer mich da anlacht". "Na ich doch nicht" sage ich. Nein, es ist der Vollmond, der gerade wie ein Lampion am Himmel hängt. Und bei Vollmond  gibt es immer Schlafprobleme. Doch trotz Vollmond und der ICE Düsenjäger schlafen wir ganz gut bei geöffnetem Fenster.

Mittwoch 5.8. Vorsfelde - Flechtingen 50 km

Das Aufstehen fällt dann wieder leichter bei dem anschwellenden Verkehrslärm ringsum. Auf unserer Route sind wir bald wieder in der Botanik im sog. Vorsfelder Drömling. Nun kommen wir mit einer Kuhherde in Kontakt, die gerade auf die Weide geführt wird. Heidi erzählt dem Landwirt mit den Kühen ihr traumatisches Kindheitserlebnis, als in Braunlage sie einmal eine Kuh bis auf die Treppenstufen eines Hauseingangs verfolgt hatte. Ja, man habe auch einmal so ein "Miststück" gehabt, das habe immer besonders Frauen mit Kinderwagen aufs Korn genommen. "Wir sind zwar versichert, aber da bleibt dann nur der Schlachthof".

Nach dieser Episode verpassen wir eine Abzweigung und fahren geradewegs in die Feuchtwiesen. Als wieder der Mittellandkanal in Sicht kommt, der hier einen Knick nach Norden macht, wissen wir, dass wir falsch gefahren sind. Man kann aber auf einem anderen Weg zurück zur richtigen Route fahren und erreicht nach einer längeren Waldstrecke den Ort Grafhorst, direkt an der ehemaligen Grenze. An der Allerbrücke machen wir eine Rast und meinen, uns nun von der Aller verabschieden zu müssen.

Wir gelangen nach Oebisfelde, früher mal Grenzbahnhof für den Schienenverkehr. Nach einigem Hin und Her finden wir die Landstraße nach Gehrendorf und Lockstedt, danach doch noch einmal über die Aller in den "Westen" nach Saalsdorf. Auf der Strecke erntet man gerade ein Rapsfeld ab, das geschieht mit einem herkömmlichen Mähdrescher, nur dass die Samen des Rapses rabenschwarz sind.

Bald schon sind wir wieder im "Osten", ohne dass man den Verlauf der ehemaligen Grenze noch erkennen könnte. Es gibt eine Naturschutz-Initiative, die nennt sich "Grünes Band", und diese versucht die Flächen des ehemaligen Todesstreifens als Refugium für seltene Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Davon ist hier nichts zu sehen.

Wir kommen nach Seggerde, wo sich ein Gutshof und  angrenzender Landschaftspark befindet. Doch wir fahren weiter, es ist wieder sehr heiß geworden. Eine erhoffte Abkürzung nach Klinze erweist sich schließlich als kaum befahrbar, bis man wieder auf die Landstraße trifft. Und nun kann ich leider ein Versprechen nicht halten, indem ich keinerlei Berge angekündigt hatte. Wir befinden uns hier im Bereich des Flechtinger Höhenzuges, dessen höchste Erhebungen um die 140 m liegen. So gilt es eine Weile zu schieben, wir kommen dann nach Belsdorf und Behnsdorf, von wo aus man direkt auf der Landstraße nach Flechtingen, unserem heutigen Ziel, fahren kann. Am frühen Nachmittag haben wir es geschafft.

Doch zuvor entdecken wir am Straßenrand einen Riesenbovist, nach dem wir zu Hause immer so eifrig suchen. Leider können wir diesen nicht unserem Gepäck einverleiben, so muss man sich mit einem Foto begnügen. Zur Entschädigung finden wir zurück zu Hause nach ein paar Tagen eine ganze Gruppe dieser Pilze, auch davon gibt es nun ein Foto. Leider waren nur noch zwei der Pilze essbar, die anderen waren schon zu alt.

In Flechtingen reibt man sich erst einmal die Augen, das ist ja wunderhübsch hier. Da ist ein See und ein Wasserschloss, einladende Restaurants und auch eine Badestelle. Aber das Wasser ist doch recht grün und damit nicht so einladend. Es gibt auch eine große Kurklinik aber kein Hotel. Nachdem wir einmal den See umrundet haben, landen wir in der Pension am Park und werden sehr freundlich aufgenommen. Ob wir ein "Pärchen" seien, wegen der Betten, ob die zusammenstehen dürften. "Seit 37 Jahren verheiratet" versichern wir. "Das ist viel zu lange" sagt die Chefin und wir bekommen ein Zimmer, wo die Betten nicht zusammenstehen. Dafür ist der Balkon gleich in der Nähe, und das ist viel wichtiger.

Wir haben nun noch den Nachmittag lang Zeit, uns ein wenig umzusehen. Das Schloss und die Kirche kann man z.Zt. nicht besichtigen, das sind Baustellen. Aber die Wassermühle von 1311, nach Umbau 1695 hat man seit dem Jahr 2003 in liebe- und mühevoller Arbeit restauriert. Sogar das Wasserrad dreht sich zuweilen, und wenn man sich in das unterste Stockwerk begibt, kann man auch die Zahngetriebe in Bewegung sehen, die ihrerseits die Treibriemen für die angeschlossenen Mahlwerke in den oberen Geschossen mit Energie versorgen.

Eine Kuriosität ist die Flechtinger Mehlwurmfalle. Diese Geschichte ist sicher nicht ganz ernst gemeint, indem man in einer Flasche Köder angebracht hat, und die angelockten Mehlwürmer über die Schneide einer Rasierklinge spazieren lässt, und dann würden sie gevierteilt oder mindestens halbiert? Fragt sich, ob das Gewicht eines Mehlwurms ausreicht, von der Klinge zerteilt zu werden. Vielleicht nur, wenn er vollgefressen ist, aber dann braucht er ja nicht auf den  Köder reinzufallen? Damit ist der Scherz der Sache erreicht, man macht sich Gedanken - und ein Foto. Es ist jedenfalls sehr dankenswert, dass man diese Mühle der Öffentlichkeit so bereitwillig - unterstützt durch ehrenamtliche Damen des Flechtinger Heimatvereins - zur kostenlosen(!) Besichtigung zur Verfügung stellt.

Genauso freundlich wird man in der nagelneuen Glaskonstruktion der Touristeninformation im Kurhaus betreut. Bei unserer Ankunft hatte Heidi schon einmal wegen einer Unterkunft dort vorgesprochen. Nun heißt es "Jetzt sehen sie ja schon viel besser aus". Das liegt natürlich am Duschen und Frischmachen. Wir dürfen auch hinaufsteigen auf eine Aussichtsplattform, von wo man aber auch nicht mehr sieht. In einem Raum hat man wissenswertes über das Flechtinger Schloss ausgestellt. Auch die Dame von der Information kann sich nicht genug tun, uns allerhand mitzuteilen. Als ihr -Telefon klingelt, können wir ausreißen.

Also: das Flechtinger Schloss wurde um 1307 als Wasserburg von einer Familie von Schenck errichtet. In deren Besitz blieb die Burg bzw. das spätere umbenannte Schloss bis in das Jahr 1945, als es unter russischer Besatzung enteignet wurde. Nach der Wende 1990 wollte die Familie Schenck das Schloss nicht wieder haben. Ein erster Käufer hatte sich zusätzlich mit den Burgen von Altenhausen und Belzig finanziell übernommen. Nun bemüht sich bereits ein zweiter Käufer um eine sinnvolle Nutzung der Burg. Ob Forschungseinrichtung, Hotel oder dgl. Am Festwochenende vom 21.8. bis 23.8. anlässlich des 10 jährigen Bestehens von Flechtingen als Luftkurort wird der Innenhof des Schlosses erstmals seit 10 Jahren wieder zugänglich sein. Ob die Besucher dann alle Bauhelme aufsetzen müssen, falls es von den Fassaden rieselt?

Zum Abendessen finden wir uns im Biergarten von Eckardt's Gasthaus ein, der gleich um die Ecke von unserer Pension am Park liegt. da sitzt man direkt am Schlossteich, das Schloss und die Bäume am Ufer als sich im Wasser wiederspiegelnde Kulisse vor einem. Heidi ist so begeistert von der Aussicht, dass sie mich zurückjagt, den Fotoapparat zu holen und ein Panoramabild zu machen. Das könnte man ja dann auch zu Hause zur Fototapete ausarbeiten... Wir speisen vorzüglich bei Zwiebelsteak und Rinderleber und laben uns am Köstritzer Bier. Wo das herkommt, weiß auch die Wirtin nicht, obwohl sie die Brauerei schon einmal besichtigt hat. "Dann kommt es wohl aus Köstritz" sagen wir. (Und das stimmt, es kommt aus Bad Köstritz bei Gera, s. Wikipedia).

In unserer Pension können wir zum Abschluss den Abend auf dem Balkon auf der Parkseite verbringen. Dazu haben wir uns ein Fläschchen Wein besorgt und so kann man sagen: das ist ja beinahe wie im Urlaub.

Donnerstag  6.8. Flechtingen - Wolmirstedt 54 km

Heute werden wir einen heißen Tag erleben, und das wird nicht nur an den Temperaturen liegen. Als wir Flechtingen vorbei an den Gebäuden des Median Klinikums verlassen, ist es noch angenehm kühl. Auf dem Weg Richtung Hilgesdorf kommt man an den Steinbrüchen vom NNG-Hartsteinwerk vorbei. Dort stehen die Lastwagen Schlange, um vollgefüllt zu werden. Von den Steinbrüchen ist nicht viel zu sehen.

Nach Ivenrode geht es nun wieder einen Berg hinauf, und wer sein Fahrrad liebt, der schiebt. Hinterher geht es auch wieder hinunter und in Altenhausen begeben wir uns zum Schloss, von dem wir in Flechtingen ja schon gehört hatten. Dort gibt es eine Rezeption, wo man auch einen Flyer erhält, damit man weiß, womit man es zu tun hat. Die ganze Einrichtung nennt sich Event- und Ferienzentrum. Besonders eingerichtet für Familien- und Kinderfreizeiten wirbt man mit dem Slogan "Schlafen wie Grafen".

Auf einer Bank im Burghof machen wir uns es gemütlich, in einen Papierkorb kann man auch klammheimlich die leere Weinflasche vom Vorabend entsorgen. Da kommt schon einer um die Ecke, der die Papierkörbe wieder leert. Als er die leere Weinflasche im Papierkorb neben uns entdeckt, schüttelt er mit dem Kopf und murmelt: "Die saufen wie die Bürstenbinder". Wir gucken derweil schräg vor uns auf den Boden.

Wir fahren weiter und versuchen, einem hügeligen und unbefestigten Teilstück des Radweges auszuweichen. Dabei geraten wir leider auf die Bundesstraße B245 und müssen ohne Radweg ein paar km bis Bebertal hinter uns bringen. Zum Glück sind die überholenden Schwerlaster großzügig und weichen mit großem Abstand aus. Das ist ja leider nicht immer so. Wir sind froh, als wir die Abzweigung nach Hundisburg erreichen, wo uns eine Attraktion der besonderen Art erwartet.

Zunächst gibt es noch einen Zwischenfall. Während ich fotografiere, fährt Heidi wie üblich voraus. Als ich dann bis zum Schloss Hundisburg nachfahre, entdecke ich keine Spur von ihr. Nun war gleich am Ortseingang die ausgeschilderte Abzweigung Richtung Haldensleben. Ist sie da vielleicht entlang gefahren. Also zurück und ein Stück des Weges erkundet, aber auch da keine Spur. Also zurück zum Schloss, wo wir ja den Barockgarten besichtigen wollen. "Wo bleibst du denn?" werde ich vorwurfsvoll empfangen, aber so hat man sich wieder. Die Räder lassen wir stehen ohne sie anzuschließen, hier wird ja wohl keiner klauen. Bei Heidis Rad wäre es auch nur schade um die Packtaschen und die Baumeltiere am Lenker.

Wir klettern ein paar Treppen hoch und betreten durch einen Torbogen den Innenhof des Schlosses. Dort ist auch ein Empfangs- und Verkaufsraum und wir unterhalten uns mit der Dame dort. Wir seien schon 1990 einmal hier gewesen, und da habe es allerdings noch etwas anders ausgesehen, berichten wir. Da entdecke ich den gleichen WLAN Stick an ihrem PC, den ich auch zu Hause habe (Netgear). "Wenn wir mal ins Internet gehen, können wir ihnen das Foto von damals zeigen". Das gelingt auch und die Dame staunt nicht schlecht.

Nun begeben wir uns auch in den Barockgarten, da hat sich wirklich mächtig was getan. Das Fernsehen kommt hin und wieder und in der letzten Woche war auch ein Bericht in der Braunschweiger Zeitung, den wir leider übersehen hatten. Nun kann man wieder ein paar Fotos machen, die den Erfolg der Bemühungen dokumentieren. Anschließend klettern wir die Treppen wieder runter und finden unsere Räder unversehrt vor.

Für den Rest der heutigen Strecke wollen wir uns wieder dem Mittellandkanal anvertrauen, der uns direkt zu unserem Tagesziel Wolmirstedt führen könnte. Dazu fahren wir auf der Landstraße nach Althaldensleben und fahren nach einer Umleitung auf dem linken Gehsteig einen kleinen Berg runter. Wir fahren links, weil da Schatten ist. Wie immer fahre ich bergab volle Kanne, bis ich Heidis Bremsen hinter mir quietschen höre. Als ich mich umsehe, sehe ich ihre Gepäcktasche von hinten links auf der Fahrbahn liegen. Die Fahrerin eines Autos, die aus einer seitlichen Einfahrt zu kommen versucht hat, steigt gerade aus. "Hast du dich wehgetan" fragt sie, grammatisch nicht ganz richtig. Inzwischen bin ich auch zurückgefahren. Es ist weiter nichts passiert, doch Heidi hat weiche Knie. Nun liegt diese enge Ausfahrt direkt hinter einem Knick des Gehsteigs und ist vorher nicht zu erkennen. Doch wir sind auf der falschen Seite gefahren. Zum Glück ist die Fahrerin sehr freundlich und macht uns keine Schuldvorwürfe. Ich kann Heidi trösten, dass ich das größere Glück gehabt habe, weil ich an dieser "blinden" Stelle mit einem viel höheren Tempo vorbei gerauscht bin. Da wäre man glatt über den Lenker gegangen und es wäre ein erheblicher Blechschaden entstanden. "Ja, diese dumme Ausfahrt" klagt die Dame noch, "aber wir ziehen hier ja bald weg". Wir verabschieden uns, noch einmal beiderseits Entschuldigungen aussprechend.

An der Kanalbrücke angekommen setzen wir uns erst mal in den Schatten, um die weichen Knie auszukurieren. Der Fahrweg am Kanal ist dann auch entspannender, wir kommen zur nächsten Brücke, und weit voraus erkennt man Silos und Verladeeinrichtungen. Je näher man kommt, desto beängstigender wird die Aussicht. Und schließlich tritt das Befürchtete ein, ein Zaun versperrt die Weiterfahrt. Eine Umgehung dieser Industrieanlage (Magdeburger Getreide GmbH Vahldorf) gibt es nicht erkennbar. Wir müssen also die 3 km wieder zurück fahren. Dass man rechtzeitig eine Beschilderung hätte anbringen können, daran hat wohl keiner gedacht. Auf meiner Fahrradkarte von ALDI ist diese Kanalseite übrigens als Radstrecke eingezeichnet.

An der Brücke, an der wir vorhin schon mal waren, erwartet uns weiterer Horror. Zunächst ist keine Möglichkeit zu entdecken, an der anderen Kanalseite von der Brücke hinunter zu kommen. Nicht weit von hier führt die vielbefahrene Bundesstraße B 71 entlang, da sehnt man sich auch nicht hin. Schließlich entdecken wir eine enge Treppe und die Stufen einer Rampe, wo man hinunter gelangen könnte. Das heißt, die Gepäcktaschen runter, alles über eine Leitplanke hieven, und nach und nach alles hinunter tragen. Heidi kommt sich wie in einem Amphitheater vor, wo sie auch die Stufen hinunter nur mit glasigem Blick bewältigen kann. Hier hilft sie sich mit dem Hinterteil, indem sie sitzend Stufe für Stufe hinter sich bringt.

Inzwischen ist alles runter geschafft, eine Bahnstrecke gilt es noch zu überqueren, und dann setzen wir uns erst mal hin, um zu verschnaufen. Alle Taschen wieder angebaut, und nun kann es weiter gehen. An einer Rampe am Kanal sind zwei Vermessungstechniker aus Peine (laut Kfz-Kennzeichen) am Werke. Der eine läuft mit einem Messrad herum und ruft dann "Fünfundfünfzig!!". "Waahs?" ruft der andere. "Fünfundfünfzig!!". Wir fragen dazwischen schon mal, wie der Weg weiter geht. "Bis zur nächsten Brücke, dann kommt eine Baustelle". Na dann mal los!

Hinter der nächsten Brücke (ausgerechnet die B 71 kreuzt hier) nähern wir uns vorsichtig der Baustelle. Ein Bagger versperrt den Weg und schaufelt eifrig den Modder hin und her. Als der Baggerführer unser ansichtig wird, wir da sehnsüchtig nach vorne schauen, stellt er den Bagger ab und dreht ihn so, dass man vorbei kommt. Nun kommt da noch ein metertiefer Graben, und ich versinke mit dem Rad unter dem Arm bis über die Knöchel im Dreck. Aber auf einmal sind da viele helfende Hände, und Heidi und ihr Fahrrad schweben gleichsam hinüber.  Das ging  ja nun  noch einmal gut und wir sind sehr sehr dankbar. Und noch schnell ein Foto!

Nun geht es glatt weiter, bei der Hitze müssen wir aber im Schatten jeder weiteren Brücke eine Pause einlegen. Schließlich kann man den Kanal auf einem Lochplattenweg verlassen und über Jersleben und Elbeu nach Wolmirstedt fahren. Fast schon am Ziel, höre ich hinter mir schon wieder die Bremsen quietschen. Da hat einer die Autotür unvorsichtig geöffnet und Heidi wäre beinahe hinein gerauscht. Als der Fahrer aussteigt, verzichtet Heidi auf Protestreaktionen, das ist ein Hüne im Kraftshirt und von vorn bis hinten tätowiert.

So sind wir endlich in Wolmirstedt, schieben durch die Fußgängerzone und vor dem Hotel Wolmirstedter Hof mit angeschlossenem Restaurant "Zum Schwejk" brechen wir schließlich sozusagen zusammen. Auch unangemeldet kommen wir hier unter. Ein schönes Zimmer, eine gute Dusche, und dann fühlt man sich bald wieder besser. Besonders, wenn einem dann sogleich im Hof unter einem Sonnenschirm ein ganz besonderes Bier kredenzt wird. Es gibt hier eine kleine Brauerei in der Nähe, und zwar die "Spezialitätenbrauerei Eckart" in Lindhorst. Das Bier sei handgebraut und nicht pasteurisiert und werde deswegen nur in kleinen Mengen bezogen. So hat man immer einen frischen Ausschank und wir lassen es uns bei dem naturtrüben Lindhorster Roggenbier gut gehen.

Zwei Handwerker wie Plisch und Plum von der Zunft der Installateure am Nebentisch haben wohl denselben Geschmack. Sie orakeln, wie sie mit einem Werkstück verfahren sollen, dass sie auf dem Tisch hin und her wenden. Dann kommt der Chef des Hauses und erklärt, was Sache ist, wie herum das einzubauen sei und wie die Steigung des Ventilstutzens zu berücksichtigen sei. "Na klar, ist doch logisch, so machen wir das". Darauf noch zwei Bierchen! Nun gut, bei dem Klima heute mag das angehen.

Das Restaurant "Zum Schwejk" ist auf böhmische Gerichte spezialisiert. Wir verzehren mit Genuss: Böhmische Feuerpfanne und Knoblauchtopf mit Knödeln. Weil das heute unser letzter Abend der Radreise ist, können wir resumieren: Unterkünfte und Speisen waren immer hervorragend. Doch heute haben wir den besten Abend erwischt, meinen wir. Doch das liegt sicher an dem ereignisreichen Tag und der Hitze. Die goldene Palme bekommt natürlich Flechtingen.

Freitag 7.8. Wolmirstedt - Magdeburg 30 km

Die letzte und kürzeste Etappe erwartet uns. Wegen der zu erwartenden hohen Temperaturen starten wir früh. Wieder an den Kanal, wo es wieder einen steilen Aufstieg zum Damm des Kanals hinauf zu schieben gilt. Eine tote Maus mit einem schwarzen Rückenstreifen liegt am Rand des Steigs. Das ist eine Brandmaus. Diese Spezies haben wir im letzten Winter auf unserer Terrasse zu Hause unter dem Vogelhäuschen schon beobachtet. Die Brandmäuse befinden sich demnach auf dem Vormarsch von Osten nach Westen, wie man nachlesen kann.

Am Kanal kommen wir nun angenehm voran und machen schließlich eine Rast am Schiffshebewerk Rothensee bei Magdeburg. Wir lassen uns gerade auf einem Poller nieder, da schippert doch ein Fischotter vorbei? Kaum zu glauben, was der wohl im Mittellandkanal verloren hat? Leider ist er zu schnell weg, bevor man ein Foto machen kann.

Es folgt das berühmte Europäische Wasserstraßenkreuz. Da wird der Mittellandkanal über eine Trogbrücke über die Elbe geführt, um dann in den Elbe - Havelkanal zu münden. Vor Jahren haben wir die Angelegenheit während der Bauphase einmal per Betriebsausflug besichtigt, inzwischen ist alles fertig gestellt und funktionsfähig. Bleibt die Frage: wird die Brückenkonstruktion stärker belastet, wenn gerade ein Schiff oder gar zwei drüberfahren? (Die Belastung der Brücke richtet sich nach der Höhe des Wasserstandes, der vor oder nach Erreichen der Brücke durch ein Schiff der gleiche sein dürfte).

Nach gebührender Wertschätzung dieses Wunderwerks der Technik - ein Schiff ist gerade nicht in Sicht - biegen wir bei Hohenwarthe auf den Elbe-Radweg ab. Und da hat man ganze Arbeit geleistet. Dieser Radweg ist perfekt angelegt, gut asphaltiert, mit Wegweisern, Rastplätzen und Schautafeln versehen. Entsprechend ist der Verkehr von Radlern mit und ohne Gepäck recht belebt. Manche fahren hier auch ihre Renneinheiten ab, und die kommen dann mit gesenktem Kopf, Sturzhelm voraus, wie die Stiere im Angriff um die Ecke. Nur dass sie keine Hörner dran haben...

Über den Elbe-Radweg war zu lesen, dass er sich zunehmender Beliebtheit erfreut und inzwischen neben Weser- und Donau-Radweg am meisten frequentiert wird. Im Jahre 1993 auf dem Weg nach Mecklenburg gab es diesen jedoch noch nicht und wir hatten uns in der Gegend von Lostau hoffnungslos in den Elbwiesen verfranzt. Das kann heute nicht mehr passieren und wir gelangen wohlbehalten trotz zunehmender Hitze nach Herrenkrug, schon am Stadtrand von Magdeburg gelegen. hier im sog. Elbauenpark hat 1999 die Bundesgartenschau (BuGa) stattgefunden. Man hatte damals den "Jahrtausendturm", ein runder Kegel  mit einem sprialförmigen Außenaufgang errichtet. Dort ist bis heute eine Ausstellung als "interaktive Zeitreise" durch die Entwicklung der Wissenschaften untergebracht.

Die Radbeschilderung tut uns den Gefallen, uns den Weg über die Elbbrücken, am Ufer der Elbe entlang und auf einer Überführung bis zum Rathaus und Alten Markt zu weisen. Von dort ist es ein Katzensprung bis zum Hauptbahnhof, wo unsere Reise zu Ende ist. Zunächst schlägt der Versuch fehl, die Toiletten aufzusuchen. Die befänden sich angeblich auf Bahnsteig 6, wie gesagt wird. Ein Zug nach Braunschweig würde in Kürze abfahren, und es gelingt so gerade, nach Lösen Fahrkarten noch auf diesen "aufzuspringen".

Als Fazit hat sich wieder gezeigt, dass man auch in der Nähe der heimischen Gefilde viel erleben und kennen lernen kann. Dabei sind wir noch an den meisten Sehenswürdigkeiten vorbei gerauscht, getreu dem Motto: der Weg ist das Ziel. Damit wünschen wir dem Aller-Radweg und denen, die ihn eingerichtet haben, einen guten Zuspruch aus der Welt der Radreisenden - beide, die Tour und die Organisatoren hätten es verdient.