Mittwoch
Heidi hat es erwischt, was die Verdauung betrifft. Ein Aufenthalt am Strand ist daher ausgeschlossen, weil das dortige - etwas zweifelhafte, trotzdem gebührenpflichtige - WC keine Tageskarten ausstellt. So bleibt ihr nichts anders übrig, als in sicherer Entfernung zu unserem Zimmer am Pool zu verweilen und des öfteren die Treppe hinauf zu eilen.
Selbstsüchtig beharre ich nun darauf, heute endlich meine Radtour machen zu dürfen. Es gibt grünes Licht, von 10 bis 14 Uhr setze ich dafür an. Bald rolle ich auf der belebten Hauptstraße vorbei an fürchterlichen Hotelzeilen Richtung Osten. Wenn man die Hotels hier so begutachtet, weiß ich gar nicht, mit welchem Recht wir uns über das erste laute Zimmer beschwert haben. Hier gehen alle Balkons zur Hauptstraße raus. Wenig weiter ist der Aquapark, ein Badezentrum mit haushohen einer Achterbahn ähnlichen Wasserrutschen.
Für meine kleine Tour habe ich mir den Dim Fluß ausgesucht, der mündet direkt neben jenem Club Alantur. An der Straße in Richtung des Dimtales fahre ich natürlich glatt vorbei, weil da nichts ausgeschildert ist. Das ist auch ganz gut so, denn der schönere Teil meiner Tour beginnt wenig später, als ich den Ort Kestel erreiche. Kaum bin ich von der Hauptstraße abgebogen, kommt mir ein altes Mütterchen mit einer Trage voll Gras entgegen und setzt sich in den Schatten zum rasten. Welch ein Kontrast! Es geht nun zwischen Bananenplantagen dahin, überall ist es grün und blüht üppig. Ich fahre in dem hügeligen Küstenvorland des Taurus herum, allerdings ziemlich ohne Orientierung. So endet auch der erst Teil der Tour vor irgend einem Ziegenstall und es geht nicht weiter.
Nachdem ich gerade umgekehrt bin, treffe ich ein deutsches Radfahrer Ehepaar auf Mountainbikes. "Ich verfahre mich hier dauernd" klage ich mein Leid. Ihnen geht es nicht besser. Sie wollen wohl nur ein bißchen rumfahren, egal wo. Wie man in das Tal des Dim kommt, wissen sie auch nicht.
Der nächste Versuch ist erfolgreicher, über einen Berg hinweg und nach rasanter Abfahrt erreiche ich tatsächlich eine Brücke und damit die Straße, die ich gesucht habe. Die erste Attraktion ist eine schwankende Hängebrücke über den Fluß, auf die ich mich ein paar Meter hinaus wage. Sonst bin ich ja mit solchen Sachen ganz mutig, aber hier schwankt es so bedrohlich, daß die Kniekehlen flattern. Das wäre was für Heidi. Dann sehe ich eine Art Baumbutze, da hat man eine Plattform für erholsame Stunden in eine Baumkrone gebaut.
Bald schon stellt sich raus, daß diese Route gar nicht so originell ist und in die reine Natur führt. In dem Tal des Dim reihen sich nämlich die Picknickstationen wie die Perlen auf der Schnur. Dort sucht man an heißen Sommertagen die Kühle auf, indem man sich auf über den Fluß gebauten Plattformen niederläßt und die Bewirtung genießt. Im Moment ist hier tote Hose, obwohl einem auch hier ab und zu "Biehteschöön" von der Seite zugerufen wird. Die Lokalitäten heißen dann auch in gut Deutsch Forellenwirt oder Forellenhof.
Eigentlich suche ich die Dim-Höhle, die hier irgendwo in der Gegend sein muß. Es findet sich aber keinerlei Hinweis darauf. Ich fahre das Tal etwa 12 km hinauf, schließlich enden auch die Picknickstationen. Das Tal verengt sich zu einer Schlucht und die Straße klettert hinauf. Bevor es wieder runtergeht, beschließe ich, umzukehren. Es regnet und vorne wird es noch schwärzer. In Richtung Küste kann man den blauen Himmel sehen, dort ist die Wolkendecke wie mit dem Messer abgeschnitten. Zurück geht es auch schneller, weil meistens bergab.
Endlich wieder in der Sonne kann ich mich wieder aufwärmen. Am Straßenrand steht ein Zierkamel, gut für ein Foto. In dem Moment kommt aber schon einer gelaufen und will ein Bakschisch. Ich stelle mich dumm und schwinge mich auf das Fahrrad. Um in Alanya nicht wieder auf der trostlosen Hauptstraße zu landen, pobiere ich ein paar Seitenstraßen aus. Die sind noch scheußlicher: Baustellen, Staub und verlassene Häuser. Pünktlich um 14 Uhr bin ich wieder zurück, damit sich niemand Sorgen zu machen braucht. Immerhin bin ich 55 km in diesen vier Stunden gefahren.
Donnerstag
Der letzte Tag bricht an und der ist, wie sollte es anders sein, ein Sonnentag. Aus Sicherheitsgründen wagt sich Heidi noch nicht vom Hotel weg und ich hole ihr ein türkisches Mittel aus der Apotheke. An der Rezeption wird uns die Gebrauchsanleitung übersetzt. Der junge Mann ist nun auch noch ein Deutschlehrer, wahrscheinlich verdient er hier mehr als an einer Schule.
Den Rest des Tages schauen wir den Arbeitern zu, die an der Straße eine wadenhohe Schutzmauer betonieren. Auf dem Weg hinunter zum Strand liegt rechts etwas versteckt ein ganz urig anmutendes Restaurant. Da haben wir noch nie einen Gast gesehen. In den letzten Tagen war man dort fleißig und hat ein Podest direkt neben der Straße aufgebaut. Da ist bis jetzt auch noch kein Gast gewesen.
Zum Abschied kann ich einen Sonnenuntergang fotografieren, ein Bild, wie man es auf der ganzen Welt schießen kann, trotzdem sagen immer wieder alle "Ooh" und "Aah". Am Abend ist ein türkischer Abend angesetzt. Vorher gehen wir noch hinunter, um Gewürze einzukaufen, den Laden haben wir uns schon vorher ausgesucht - ohne Anmache. Gleich werden wir zu einem Tee herein gebeten. Ein weiteres Ehepaar erscheint, die kommen schon viele Jahre. Also sind wir richtig.
Höhepunkt der Gewürzorgie ist die Zusammenstellung einer Osmanischen Mischung. Da werden in eine Tüte eingefüllt:
1. Basilikum
2. Thymian
3. Oregano
4. Majoran
5. Kümmel
6. Curry
7. Paprika süß und scharf
8. Schwarzer Pfeffer
Das wird dann alles durchgemischt und kann für alle Speisen mit Ausnahme von Sahnetorte und Vanillepudding verwendet werden. Vielleicht heben sich die Gewürze in ihrer Wirkung aber auch gegenseitig auf? Das andere Ehepaar versichert, daß dem nicht so sei.
Wir begeben uns nun zum Türkischen Abend bzw. auf unseren Balkon, wo wir wieder durch die Ballustrade spechten. Wir sind wieder froh über den Sicherheitsabstand, denn die Touristen werden stark in das Geschehen einbezogen. Man muß sich in Shorts mit heraushängendem Hawaihemd zum Gebet verneigen oder die Schritte der Türkischen Tänze nachahmen, obwohl das Gürteltäschchen ein wenig hinderlich ist.. Dem allen kommt man mit gequälter Mimik nach. Am Schluß hocken sich alle hin und eine Bauchtänzerin gestikuliert thriumphierend und mit schwingenden Hüften über das ihr zu Füßen liegende Elend.
Menschen im Hotel
Beginnen wir mit dem Besitzer des Hotels. Zwei andere Hotels soll er auch noch haben und einer der reichsten Männer der Stadt sein. Der ältere Herr tritt weißgekleidet auf, ganz so wie man sich einen türkischen Aga oder Bey vorstellt. Um seine Macht zu demonstrieren, steht auf dem Nummernschild seines dunkelgrünblauen Mercedes in großen Letter sein Name, das amtliche Kennzeichen ist kaum erkennbar in die Ecke gerutscht. Seine Frau dagegen sieht aus wie alle hier, bescheiden und mit Kopftuch.
Die Aufsciht hat ein Hotelmanager, der mit stets verkniffenem Gesicht herumstreicht. Der junge Mann an der Rezeption quittiert das mit den Worten: "Der hat Probleme mit den Lachfalten".
Die Frauen, die die Zimmer zurecht machen, haben auch einen eigenartigen Arbeitsrhythmus. Sie betreten jedesmal zuerst den Balkon des gerade in Arbeit befindlichen Zimmers und schauen sich die Gegend an. Da sie auch sonst nicht durch überschnelle Geschwindigkeit auffallen, sind die letzten Zimmer meistens erst am späten Nachmittag fertig.
Weitere dienstbare Geister bemühen sich um die Bepflanzungen, den Pool, und die Reinigungen der Plattenwege und -treppen. Einer von denen, ein älterer Mann, überreicht Heidi mal spontan eine Rose, die er irgendwo abgepflückt hat. Die Rose hat auch getreu bis zum Schluß in einem Zahnputzglas das Auge erfreut.
Unter den Gästen ist fraglos der Originellste ein "Mr. Bean". Der könnte dem Aussehen und dem Benehmen nach sehr gut als Double jenes englischen Tolpatschkomikers durchgehen. Als ich Heidi beim Abendessen das erste Mal auf diese Erscheinung hingewiesen habe, hat sie sich fast verschluckt. Ich werde einmal Zeuge, wie er sich das erste Mal in den Pool begibt. Das ist filmreif. Erst den großen Zeh in das Kinderbecken tauchen und sich das erste Mal schütteln. Dann mit vor Kälte gekrümmtem schneeweißem Rücken zentimeterweise die Leiter in das Wasser hinabsteigen. Aber nur bis dort, wo die Beine in der Badehose verschwinden. Durch die dort befindlichen Körperteile dringt die Wasserkälte wohl bis unter die Hirnschale. Endlich befindet man sich bis zum Bauchnabel im Wasser, wobei allerdings die Oberlippe unkontrolliert zu flattern beginnt. Mit dem Ausruf "Ist das Kalt!!!" gelingen endlich die ersten Schwimmzüge. Bleibt zu bemerken, daß die Wassertemperatur so um die 20 Grad beträgt und gerade noch als Kühlung herhalten kann.
Heidis Liebling ist eine Dame mit ausladendem Körperbau, die sich konsequenterweise nur in Rot kleidet. Heidi meint, das würde überhaupt nicht zu ihrem Typ passen. Das kann ich wieder nicht verstehen, paßt Rot doch wegen des permanenten Sonnenbrandes sehr gut zu der Hautfarbe. Heidi erfindet schließlich den Spitznamen "Der rote Frieder", wer den Hintergrund dazu wissen will, muß das Buch Die Oberheudorfer lesen.
Eine Dame aus Bayern erzählt uns, daß es an einem Tag einen Mord in Alanya gegeben habe. Es sei der Besitzer einer Disco wegen eines geplanten Besitzerwechsels oder so erschossen worden. Da war das ganze Gebiet um den Hafen durch die Polizei abgeriegelt. Aber so was hängt man hier nicht an die große Glocke, um die Touristen nicht zu verschrecken.
Rückfahrt
Unser Rückflugtermin hat sich um ein paar Stunden nach hinten verschoben. Auf dem Flughafen in Antalya stellt sich dann heraus, daß wir auch statt mit Aero Lloyd mit Sun Express, einer türkischen Fluggesellschaft fliegen werden. Meine Hauptsorge besteht darin, daß ich für das Fahrrad noch einmal 50.- DM Fracht bezahlen muß, aber dem ist nicht so. Als wir unsere Frau im Nebel wieder entdecken, wissen wir, daß wir richtig sind. Mit dem Flug geht alles gut, leider haben wir nur zwei Gangplätze bekommen. In Hannover ist es kalt, anscheinend waren wir doch im Süden. Wir fahren nun mit dem Flughafenbus bis Hannover Hbf. von dort mit der Bahn nach Braunschweig und schließlich mit dem Taxi nach Hause.